Archiv des Autors: Sabine Büttner

Erfolgstraining

Dem „kleinen goldenen Buch“ des Dale Carnegie Erfolgstrainingsunternehmens entnahm ich folgende Empfehlungen aus dem Werk des Dale Carnegie „Wie man Freunde gewinnt“.

„Gewinnender Auftreten“

  1. Kritisieren, verurteilen und klagen Sie nicht.
  2. Wecken Sie in Anderen lebhafte Wünsche.
  3. Lächeln Sie.

„Führen Sie“

  1. Beginnen Sie mit Lob und aufrichtiger Anerkennung.

„Ein guter Weg, Sorgen und Ängste zu überwinden“

  1. Beten Sie.

Die Liste der guten Regeln ließe sich fortsetzen. Keine der in diesem Büchlein ausgesproche­nen Empfehlungen habe ich als esoterisch überzogen eingeordnet. Vielmehr vermitteln die Empfehlungen Binsenweisheiten, die den Umgang mit anderen Menschen sympathischer und erfolgversprechender gestalten. Eigentlich bedürfte es weder dieses Büchleins, noch kosten­intensiver Trainingsprogramme, um ein „Lächeln“ wieder auf die Gesichter anderer Menschen zu zaubern oder mir selbst ein „Danke“ zu entlocken.

Aber es ist offenbar so, dass das Selbstverständliche in unse­rer Gesellschaft nicht selbstverständlich ist, sondern Bestätigungen und Ermutigungen eingeübt werden müssen, um berufliche und private Erfolge herbeizuführen. Was bedeutet das nun für uns Menschen? Benötigen wir ein taktisches Training, um andere anzulächeln? Ist Beten die taktische Ultima Ratio auf dem guten Weg, Sorgen und Ängste zu überwinden?

Wer kein gläubiger Mensch ist, dem dürfte das Beten auch nicht helfen. Derjenige, der anderen Men­schen nicht gutgesonnen ist, scheitert zumindest innerlich am Verständnis für andere Men­schen. Ist die Identität zwischen dem eigenen Verhalten und der inneren Einstellung nicht gewahrt, dürfte die Erfolgsausbildung scheitern, ja sogar das Misstrauen daran genährt werden, dass das Training nur einem einzigen Ziel dient, Erfolg zu haben, d. h. sich gegen­über anderen mit seinen eigenen Interessen durchzusetzen. Gelingt das wirklich?

Ich habe da meine Zweifel, verstehe aber auch sehr gut, dass die Trainingsprogramme zumindest für die Zeit der Ausbildung das wohlige Gefühl vermitteln, alles sei einfach und erreichbar, wenn man nur will und sich an die wohlmeinenden Empfehlungen hält. So gehört die Ausbildung in den Trainings­zentren selbst zu den schönsten und bleibendsten Erlebnissen der Teilnehmer, schafft Verbin­dungen, vielleicht sogar Freundschaften. Da draußen in der Welt der Selbstverwirklichung, von Ansprüchen und Gier sieht dann schnell die teuerste Empfehlung oft sehr alt aus.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Interview

Was heißt das jetzt konkret? Der Interviewpartner redet dann über irgendetwas, das mit der Frage nur indirekt verbunden ist. Was wollen sie damit nun genau sagen? Auch jetzt scheint der Interviewpartner die Frage und insbesondere den Hinweis darauf, was hier genau sein soll, nicht verstanden zu haben.

Konkret und genau sind Ankerworte jedes Mediengesprächs ohne tatsächliche Erkenntnisnutzen. Was kann denn schon konkret und genau zum Ausdruck gebracht werden, wenn komplexe Antworten erforderlich sind oder gerade nicht konkret oder genau die Frage beantwortet werden kann. Soll der Interviewte dann bekennen, dass er konkret und genau nichts zu sagen hat, sondern es vorziehe, seine Antworten zu verallgemeinern?

Der Interviewte schwafelt, um sein Gesicht zu wahren und der Interviewer selbst behauptet seine Wichtigkeit durch angeblich klare Fragestellungen, wohlwissend, dass er die Antwort, die er hofft zu bekommen, nicht erhalten wird, wohlwissend, dass es ihm nur darum geht, sein Gegenüber in Bedrängnis zu bringen. Es ist also ein abgekartertes Spiel mit Worten ohne Erkenntnisgewinn, aber rollengerecht innerhalb eines beabsichtigten Formats.

Mit konkret und direkt ist es dabei allerdings nicht getan, sondern hart und unfair muss es dabei auch zugehen und je unhöflicher und unerbittlicher die Fragestellungen, umso schöner das Showdown. Wenn es um Wahrheit und Inhalte überhaupt nicht mehr geht, sondern allein um das Timemanagement mit Worten, verlieren schließlich alle an Glaubwürdigkeit und versinken in einem Strudel des Geplappers. Der Interviewer selbst wird zum Clown. Der Interviewte zum Spießgesellen und keiner hat mehr Lust, über die faden, aber wortgefüllten Witze zu lachen.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Menschsein

Ein Kind wird geboren. Anschließend wird es von Menschen, die auch Kinder waren ans Kreuz genagelt. Menschen, die Kinder waren, foltern, morden, betrügen, verfolgen andere Menschen, die ebenfalls einmal Kinder waren. Sind bereits die Kinder böse, ihre Gene oder Geburt und Kindheit so traumatisiert, dass sie zwangsläufig nur durch rücksichtslose Vorteilssuche auf Kosten anderer ihre Verluste kompensieren können? Nichts scheint zu bleiben von einer unschuldigen Geburt, einer geborgenen Kindheit und Lebensfreude. Das Menschsein als Kampf und Behauptung, Anerkennung und Vorteil.

Schaut man auf uns Menschen, könnte man den Eindruck gewinnen, man schaffe nur die eigene Wehrhaftigkeit auf Kosten anderer, den armseligen Erfolg, der das Leben sichert. Da stellt sich natürlich die Frage nach dem Leben wozu? Die Sinnfrage des Lebens kann nicht nur philosophisch, esoterisch oder religiös gestellt und beantwortet werden. Konkret stellt sich die Frage nach dem Leben durch Überprüfung des täglichen Handelns. Tägliches Handeln bedeutet hier, was wir unserem Kind geben, dass es sich persönlich und gemeinschaftlich so entwickeln kann, dass es einen Nutzen für unsere Gesellschaft darstellt. Die gleiche Frage nach dem Nutzen unseres Handelns müssen wir uns als erwachsene Menschen dann immer wieder selbst stellen.

Unser Menschsein kann sich nicht erschöpfen in einem Verhalten, das darauf angelegt ist, uns Vorteile zu sichern. Nur der Gebende ist gerecht. Das ist keine Gutmenschenplattitüde, sondern das Wissen darum, dass alles, was wir machen, von Menschen für Menschen gemacht wird. Darum geht es und nicht um absonderliche Selbstanerkennung und Bestätigung. Klar ist, dass nur der, der sich selbst annehmen kann, auch bereit ist, andere anzunehmen. Auch der Prozess des sich Annehmens ist keine Selbstschau auf die eigene Befindlichkeit, sondern eine Herausforderung, die durch die Menschwerdung entsteht.

Wir leben nicht, um möglichst viel Geld zu horten, zumal dies mit Ver-dienen schon deshalb nichts zu tun hat, weil kein Dienst an der Gemeinschaft damit verbunden ist. Es geht nicht darum, der Reichste, Schönste oder Klügste zu sein, sondern Erfahrungen zu sammeln mit anderen Menschen, die der Gemeinschaft erlauben, sich weiter zu entwickeln. Um dies zu gewährleisten, müssen auch die Bedingungen dafür stets erhalten und verbessert werden, sei es in der Natur, den Produktionsabläufen, im Dienstleistungsbereich, der sozialen Kontrolle und wo auch immer dies erforderlich ist. Viele halten sich nicht daran und verraten damit ihr eigenes Menschsein.

All diejenigen, die auf Kosten anderer leben und diese dadurch verachten, haben ihr Menschsein aufgegeben und sind lediglich Schatten eines eigentlichen Lebens. Eine Menschheit, die sich ihrer integren Verfasstheit selbst bewusst ist, könnte ihnen ihre Grenzüberschreitungen vorhalten und ihm Gelegenheit geben zu erkennen, dass sie letztlich nichts anderes sind, als Menschen und dies als Programm der Selbstbescheidung begreifen müssten.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Umstände

Von einer Freundin ist mir bekannt, dass sie leider vor einigen Jahren aufgrund geschäftlicher Umstände sowohl betrieblich als auch persönlich Insolvenz anmelden musste. Das Verfahren läuft und es ist ihr inzwischen gelungen, ihr Leben finanziell wieder einigermaßen zu stabilisieren. Das hinderte vor wenigen Tagen eine gute Freundin nicht daran, sie anzusprechen und ihr sinngemäß Folgendes zu erklären: „Weißt Du, ich mache mir große Sorgen um Dich. Manchmal kann ich auch nachts nicht schlafen oder wache auf und stelle mir vor, dass Du im Alter ohne entsprechende Absicherung allein von Sozialhilfe abhängig sein könntest. Deine finanzielle Zukunft treibt mich um und hat zu dem Entschluss geführt, Dich zu bitten, zumindest für einige Zeit unserer Freundschaft pausieren zu lassen.“

Nach über 20jähriger Freundschaft war meine Freundin überrascht, einen solchen Vorschlag entgegenzunehmen. Sie reagierte allerdings sofort und ließ die gute Freundin wissen, dass mit dieser Zumutung die Freundschaft endgültig und nicht nur vorübergehend erledigt sei und sie auf weitere Treffen keinen Wert mehr lege. Als ich von dem Vorfall erfuhr, war ich perplex. Es ist schwierig nachzuvollziehen, wie jemand gerade dadurch sein Mitgefühl zum Ausdruck bringen will, dass er sich aus der Affäre zieht. Anstatt Hilfe anzubieten, Verweigerung.

Ein kleiner, aber nicht unbedeutender Vorfall, der geistige Armut und fehlende Empathie bezeugt. Ich gehe davon aus, dass es sich hierbei nicht um einen Einzelfall handelt, sondern um eine Haltung, die gut belegt, dass Schwäche ansteckend ist, man sich Unbequemlichkeiten und Verantwortung ersparen möchte und den Weg der Unberührbarkeit vorzuzieht. Damit einher geht aber auch ein Selbstbild von Gerechtigkeit, Besserwissen und Lebensverleugnung, das problematisch werden dürfte.

Wenn eine solche, im eigenen Ich gefangene Persönlichkeit, wie jene Freundin einmal feststellen muss, dass die Lebensordnung, also auch ihre Lebensordnung nicht mehr ihren Erwartungen entspricht, ist der Absturz unvermeidlich. Auch weinen, klagen und Beschuldigungen helfen da nichts mehr. Diese Persönlichkeiten sind dann allein, ob sie Geld haben oder nicht. Freunde jedenfalls, die sie trösten könnten, haben sie nicht mehr.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Phänomenologie

Beherrscht der Computer unsere Sprache? Eher nicht. Er kann sie nachahmen, uns helfen bei der Arbeit oder zu Hause, Dinge zu finden, Entscheidungen zu treffen, das Internet der Dinge in Betrieb zu setzen. Digitale Stimmen haben Frauennamen und vermitteln ein individuelles Bemühen, Sorge und Häuslichkeit.

So korrespondiert der Computer mit unserem Gemüt, spricht allerdings nicht unsere Sprache, die nicht nur aus elektrischen Impulsen besteht. Unsere Sprache hat einen kognitiven und einen emotionalen Hintergrund, wird geprägt von Erinnerungen, sozialem Leben und körperlichem Vermögen. Die Computersprache erlernen wir, um dann festzustellen, dass sie nicht abänderbar ist. Die Computersprache besteht nur aus Zeichen in unendlicher Vielfalt, zwar fähig, unsere Sprache zu imitieren, aber nicht zu ersetzen.

Die Computersprache ist der synthetischen Phänomenologie zuzuordnen und entspricht nicht dem Stoffwechsel Mensch und Maschine, sondern ausschließlich den Errungenschaften eins Paralleluniversums. Es wäre geboten, ein Moratorium der synthetischen Phänomenologie zu schaffen und sich daran zu machen, die digitale DNA zu entschlüsseln.

Nur so können wir technologische Gewissheiten eingrenzen, kognitive und emotionale Spekulationen überwinden und Furcht und Staunen sowie reine Experimentierfreude hinter uns lassen. Wenn die Untersuchung gelingt, erkennen wir auch im Fremden digitale uns selbst verwandte Strukturen, die selbstbehauptend und sich selbstentwickelnd wirken, aber nicht konkurrenzlos sind. Die menschliche Identität ist eine Herausforderung für jede Maschine und vor allem für das von ihr geschriebene Programm, dessen sie sich hoffentlich nie gewachsen sieht und an ihrer eigenen Unfähigkeit scheitert.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Gedankenerfinder

Ich bin ein Erfinder von Gedanken. Keiner meiner Gedanken ist es wert, auf die Goldwaage gelegt zu werden. Diese Gedanken sind auch nicht meine Gedanken im Besonderen, sondern es sind Gedanken, die mir zufliegen, wie Körner des Mondstaubs oder Mücken. Es gibt Gedanken, die mich piksen, die ich lästig abschüttle und manche, die ich wie Staub auf dem Mantel trage. Um andere Bilder zu nutzen, Gedanken sind wie Jonglierbälle. Ich werfe sie hoch, sie fallen zurück, sie schnellen wieder empor oder schnurren wie bei einem Jo-Jo an einem anderen Gedanken entlang, bis sie auspendeln.

Keiner der von mir erfundenen Gedanken hat irgendeinen Sinn, den ich ihm beilege. Jeder der Gedanken verfügt aber über einen eigenen Sinn, der aufbricht, wenn der Gedanke sein Ziel erreicht hat. Als Erfinder von Gedanken bin ich nur Medium, mäßig beteiligt, an dem sich selbst schaffenden Produkt. Es macht aber Spaß, Gedanken zu erfinden, sie zu diktieren, aufzuschreiben oder zu artikulieren, um anderen Menschen Gelegenheit zu geben, mit diesen Gedanken etwas anzufangen, was ihnen vielleicht nützen könnte.

Der Sinn meiner Gedanken liegt also ausschließlich in ihrer Erfindung. Wenn ich meine ganze Kraft darauf konzentriere, möglichst viele Gedanken hervorzubringen, kann es am Ende sein, dass irgendein Gedanke auslösend für Gedanken anderer sein kann. Wenn ich zum Beispiel den Gedanken äußere, dass wir Menschen alles von Menschen für Menschen machen, kann dieser eigentlich selbstverständliche Gedanke eine Revolution auslösen, die den Planten rettet und uns das belässt, was wir mit der Natur zum Leben benötigen. Ein einfacher Gedanke zwar, aber vielleicht für den Augenblick noch der Sinnvollste.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Plurale Ökonomie

Unsere Ökonomie wird geprägt von Ressourcen und deren Verfügbarkeit, dem Güterumwandlungsprozess durch Mensch und Maschine, Nachfrage und Vertrieb, Logistik, Zeit, Kredit, Umstände, Zufall, Verstand, Gefühl, Erfindungsgeist und Digitalisierung.

In einer pluralen Ökonomie verbinden sich soziale Marktprozesse mit geschäftlichen und erzeugen ein dialogisches Geschäftsmodell, in dem sich die Beteiligten verabreden, ein Produkt zu schaffen und auch abzunehmen. Ohne die Abnahme des Produkts hat dieses keinen Sinn. Deshalb ist jede Herstellung eins Produkts schon auf dessen Abnahme vom ersten Moment des Herstellens an fixiert, und zwar nicht bezogen auf das einzelne Produkt, sondern systemisch.

Systemisch ist es also möglich, völlig nutzlose Produkte herzustellen, für die Nachfrage besteht oder, wenn diese nicht besteht, sie zu provozieren. Das Produkt ist also nicht wichtig, sondern nur die Provokation, welches von ihm ausgeht, um Nachfrage zu stimulieren. Um diese Nachfrage zu stimulieren, werden Menschen mit Krediten oder auch einem sogenannten Grundeinkommen ausgestattet, das den Kreislauf erhält, den Warenabsatz sichert und die soziale Selbstbelohnung innerhalb einer Gemeinschaft gewährleistet.

Die unterschiedlichen Geschwindigkeiten der Warenakkumulation und Mittelbeschaffung wirken sich einerseits stimulierend, andererseits sozial bedenklich aus. Die Verschuldung der Menschen zugunsten der Produzenten und Absatzmanagern wird vielfach als ungerecht empfunden. Naheliegend ist, die Mittel umverteilen zu wollen, wodurch allerdings die Bereitschaft schwindet, zugunsten eines höheren Risikos Produkte zu schaffen, deren Nutzen nicht verbürgt ist, also das Risiko des Scheiterns besteht. Etwas anderes kann allerdings dann gelten, wenn das Geschäftsmodell nicht in erster Linie die Geschäftsinteressen des Produzenten und seiner Entourage bedient, sondern der Impuls zur Produktherstellung vom Konsumenten ausgeht und dadurch ein dialogisches Geschäftsmodell entwickelt wird.

Dies muss bei Aufnahme des Dialogs nicht von vornherein in allen Punkten ausformuliert sein, um den Absatz zu gewährleisten, sondern entsteht – wie weitgehend auch in allen digitalen Prozessen durch Reaktion und Gegenreaktion bis das Sublimat gemeinsamer Entwicklung erreicht ist. Damit werden auch alle Gerechtigkeitsdefizite aufgelöst, denn jeder erhält, was er beabsichtigte. Die Risiken sind verteilt, die Möglichkeiten, neue Produktentwicklungen anzugehen, weit vielfältiger denkbar als in der Old Economy.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Entscheidung

Die Begrifflichkeit „Entscheidung“ ist schillernd. Die Entscheidung, die ich aus Verantwortung oder aus Leichtsinn selbst treffe, korrespondiert nicht mit einer Entscheidung, die eine Maschine oder ein Umstand trifft. Selbst, wenn ich entschieden habe, 10 Minuten früher aus dem Haus zu gehen, trifft letztlich dieser zeitliche Umstand die Entscheidung, ob mein Leben sich verändert, es mir gut oder schlecht geht.

Bruchteile von Sekunden spielen bei der Gestaltung meines späteren Lebensweges eine ausschlaggebende Rolle. Wir sind nicht frei. Wir sind selbst dann nicht frei, wenn wir glauben, frei entscheiden zu können. Alle Entscheidungen, die wir treffen, sind von Dingen geprägt, die ihre Wurzeln in unserer Geschichte, den Umständen und Vorbehalten finden, denen wir uns noch nicht einmal bewusst sein müssen.

Aber Entscheidungen bedingen Entscheidungen und setzen in jedem Augenblick unseres Seins Impulse frei, die unser Leben ändern. Die permanente Lebensveränderung ist das der Entscheidung innewohnende Prinzip, und zwar auch dann, wenn die Entscheidung Entwicklungen verhindern sollte. Wenn der Mensch die Entscheidungsprozesse zu seiner Person zurückspult, stellt er selbst bei einfachen Beispielen seiner Entwicklung fest, wie fragil der ganze Prozess ist und wie leicht alles ganz anders hätte sein können. Das lässt den Menschen oft an der Sicherheit zweifeln, obwohl er auf diese doch so dringend angewiesen ist und nach ihr strebt.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Plattform

Am 12.01.2018 fand das 2. Potsdamer Gespräch unter der Leitung von Bernhard von Mutius statt. Referenten und eingeladene Gäste versammelten sich im „Bayerischen Haus“ in Potsdam, um zum Thema „Industrie und Plattformen – wie entwickeln sich die Besitzverhältnisse der Zukunft?“ herauszufinden, welche Veränderungsprozesse die Wirtschaft und unsere Gesellschaft im Hinblick auf die Digitalisierung unserer Lebensverhältnisse erfahren wird. In der hochkonzentrierten und spannenden Veranstaltung wurde deutlich, dass der Vorsprung im digitalen Bereich der Anbieter aus Silicon Valley und auch China nicht aufzuholen ist.

Mir drängte sich allerdings die Frage auf, weshalb wir so bemüht sind, den Amerikanern und Chinesen gleichzutun, zu versuchen, deren Plattformmentalität auch für uns zu erschließen und nutzbar zu machen. Was würde geschehen, wenn wir sie nicht nachahmen würden, sondern unsere eigene Sprache fänden? Wenn wir uns darauf besinnen, dass alles von Menschen für Menschen gemacht wird, kommen wir dann nicht vielleicht zu einem anderen prozessualen Verständnis, das es uns erlauben würde, eine eigene Plattform für die soziale und auch wirtschaftliche Kommunikation zu entwickeln?

Was den Menschen von Geburt vor allem bewegt, ist Sicherheit. Er will sich seiner Nahrung versichern, seiner Beschäftigung und seiner Fortpflanzung. Wenn der eigene Raum gesichert ist, öffnet sich der Mensch den Möglichkeiten, bedenkt seine eigenen Fähigkeiten und wirft den Hut weit in den Ring. Nicht die Digitalisierung an sich bringt ihn weiter, sondern seine gesicherten Lebensverhältnisse erlauben ihm, ein gutes Leben anzustreben, Bildung, Glück, Genuss, Leichtsinn, Übermut und Wohlbefinden. Daraus leitet sich ab, was der Mensch wirklich will, was er von anderen Menschen, der Gesellschaft und auch der Wirtschaft begehrt. Er will mehr als ihm üblicherweise in der güterpassierten Wirtschaft geboten wird.

Auch die Digitalisierung an sich bietet keine Befriedigung. So übermächtig die Digitalisierung angekündigt wird und in unseren Köpfen Platz greift, sie ersetzt weder unsere Lebensgrundlage noch den Verstand und die Gefühle. Die Digitalisierung ist lediglich ein Tool, um Prozesse zu steuern. Alles darüber hinaus, Disruption und Kollaboration findet ausschließlich im menschlichen Gestaltungsbereich statt. Wenn unser Business Case, ausgehend von unseren Bedürfnissen nicht die Digitalisierung an sich ist, gesellen sich Werte hinzu, die den Menschen nach Zeiten warengestützten Wirtschaftens wieder ein adäquates Leben erlauben.

Der Mensch wird sich fragen: Was will ich? Er redet dabei nicht von seiner Freiheit, sondern will seine Abschaffung, seine soziale Amputation und die eigene Sinnlosigkeit vermeiden. Auf diesem Weg wird der Mensch Plattformen schaffen, die philanthropisch geprägt sind, wirtschaftliche Errungenschaften mittels analoger und digitaler Tools erreichen, aber neben der eigenen Lebensbefriedigung auch das Ganze im Auge haben, weil dies seiner Sicherheit dient.

Bildung, Beschäftigung, Pflege, Erhalt der Umwelt und Klimaschutz sind neben Lifestyle geeignete Business Cases, die den Wohlstand und den Fortbestand der Menschheit sichern. Es ist daher kurzsichtig, amerikanischen und chinesischen Erfolgen hinterherzulaufen und sinnvoll, sich von der reinen Warenwirtschaft zu verabschieden und neue Wege zu gehen. Besinnen wir uns auf unsere Sinnstifter und Philosophen. Wenn diese auch keine probaten Antworten zu allen Lebenssachverhalten zur Hand haben, so sind sie doch verlässliche Scouts, waren es schon immer.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Aberglaube

Neulich war ich in Bethlehem dabei, als Menschen die Geburtskirche stürmten, sich auf den Boden warfen und dort einen in Silber eingefassten Stern küssten. Dort soll die Wiege Jesu gestanden haben. Ein ähnliches Ritual erlebte ich in der Grabeskirche in Jerusalem. Dort warfen sich Menschen vor einem Stein nieder und küssten ihm. Auf diesem soll Jesus vor seinem Begräbnis gelegen haben. Viele weitere Beobachtungen ähnlicher Art konnte ich noch machen oder Vorkommnisse erfahren, die im Zusammenhang mit dem Tempelberg und insbesondere dort der Klagemauer und der al-Aqsa-Moschee stehen.

Im Reiseführer werden übrigens die Authentizität der biblischen Orte und der behaupteten Begebenheiten in Zweifel gezogen. Also, alles Aberglaube? Ich weiß nicht, ob das so ist. Es ist zu beobachten, dass Menschen singend die Via Dolorosa entlangziehen und dabei ein Kreuz schultern. Es wird fast anerkennend darauf hingewiesen, dass manche Besucher Jerusalems von der religiösen Selbstvergewisserung überfordert werden und psychisch erkranken. Spricht das alles dagegen, religiöse Weihestätte zu pflegen und Geschichten zu verbreiten, die historisch gesehen womöglich Unfug sind? Ich glaube nicht.

Menschen, und zwar auch dann, wenn sie religiös nicht eindeutig positioniert sind, benötigen Ankerpunkte ihrer Einstellung, Vergewisserung des Falschen und Richtigen, Bestätigung ihrer Existenz und Perspektiven. Alle religiösen Geschichten sind zwar altmodisch, schaffen aber Gemeinschaft und vermitteln die Gewissheit, dass es noch etwas anderes im Leben eines Menschen gibt, als Arbeit, Nahrungsaufnahme und Vergnügen. So kritisch religiöse Praktiken hinterfragt werden dürfen, so sehr müssen wir auch zugestehen, dass ohne eine religiöse Mitverantwortung für unsere Gesellschaft diese sinnentleert wäre. Würden wir alles Religiöse aus unserem Leben tilgen, bliebe nur die physische Existenz und die Hoffnung wäre dahin.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski