Archiv der Kategorie: Soziales

Hier finden Sie meine Gedanken, Ideen und Anreize zu gegenwärtigen und vergangenen sozialen Themen, die mich und meine Umwelt bewegen.

Der Konsument

Der Konsument ist Verbraucher. Er verbraucht etwas, dass ihm angeboten wird. Es sind Waren des täglichen Bedarfs, wie Nahrung und Bekleidung, aber auch Güter, die an sich überflüssig sind, ihn aber dennoch anziehen. Der Konsument will zufrieden gestellt werden. Er will erhalten, was er begehrt und meist wird ihm souffliert, was er begehren soll, weil andere es auch begehren. Der Konsument verbraucht zwar allein, aber stets in Verbundenheit mit anderen Menschen.

Wir konsumieren als Gemeinschaft, als Gesellschaft. Die Wirtschaft fördert unseren Konsum und befriedigt ihn. Wirtschaft ist abhängig vom Konsum, in manchen Ländern wie zum Beispiel den USA mehrheitlich. Der Konsument selbst hat sich seinerseits in Abhängigkeit gebracht von dem ihm seitens der Wirtschaft unterbreiteten Angebote, aber dabei seine Interessen durchaus ausdifferenziert.

Der Konsument fokussiert nicht nur die Warenwelt, sondern verknüpft diese auch mit Angeboten der Philanthropie, der Sozialhilfe, des Lifestyles, der Bildung und des Wohlgefühls. Je heterogener die Bedürfnisse des Konsumenten sich ausdifferenzieren lassen, umso weiter entfernt er sich von der Rolle des „braven“ Konsumenten, der verbraucht, was ihm seitens der Wirtschaft angeboten wird.

Er selbst wird Stimulant vielfältiger Möglichkeiten, die seitens einer auch heterogenen Wirtschaft gefertigt und ihm passgerecht angeboten werden müssen. Die Zeit des „Topdown“-Konsums ist dann vorbei, sondern Konsumenten und Anbietern begegnen sich auf Augenhöhe und müssen situativ und flexibel aufeinander reagieren können. Wenn Herstellung und Konsument im gleichen Boot sitzen, entwickeln sich aus dieser Kollaboration ganz neue Produkte, die aufnahmefähig sind für Effizienz, Kosten-/Nutzenrelevanz und Gerechtigkeit.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Narrative

Ich erzähle für Dein Leben gern! Das ist eine der Kernaussagen des Projektes „Viva Familia“ der Ruck – Stiftung des Aufbruchs. Es geht hierbei nicht nur um das Erzählen von Fantasiegeschichten und Märchen, sondern um das Erzählen aus dem Leben, die Einkleidung unserer lebendigen Erfahrungen in Geschichten.

Oft werde ich gefragt, interessiert sich mein Kind für das, was ich aus dem Alltag zu erzählen habe. Ich antworte: „Ja, Ihre Lebensgeschichten sind wichtig für Ihr Kind, schafft den Bezugsraum für eigene Erfahrungen und vermittelt natürlich auch Sprachkompetenz.“ Alles ist erzählfähig und es ist wichtig, dies auch zu tun. Wir dürfen nicht allein Begrifflichkeiten abstrakt für uns sprechen lassen, sondern müssen diese einweben in Geschichten, die logisch sein können, aber auch große emotionale Kraft aufweisen. Oft nutzen wir nur Begriffe und vergessen dabei deren Bedeutung.

Auch von unserer Demokratie kann zum Beispiel leidenschaftlich erzählt werden. Die persönliche Begeisterung nicht von einem Despoten regiert zu werden, sondern sich auseinanderzusetzen mit anderen über einen einzuschlagenden Weg und dabei auch Minderheiten nicht zu vernachlässigen. Werden Begrifflichkeiten wie Demokratie, Rechtsstaat und Verfassung nur Behauptung, ohne ihnen erzählend einen emotionalen Sinn zu verleihen, ist es kein Wunder, dass den Menschen die Fähigkeit des Begreifens abhandenkommt.Wenn wir nichts erzählen, wie sollen dann die Kinder an unseren Erfahrungen, den Erfahrungen unserer Eltern und Großeltern teilnehmen und daraus eigene Handlungsoptionen ableiten?

Das Leben eines Menschen ist nicht begrenzt auf heute und jetzt oder die Zukunft, sondern schließt die ganze erzählbare Erfahrung der Menschheit mit ein. Nur so können wir selbstbewusst, tolerant und zukunftsfähig bleiben und eine gelassene Haltung bewahren angesichts der digitalen Blitzlichtgewitter in allen Medien. „Ich erzähle für mein Leben gern, um deines zu stärken, mein Kind.“

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Frust

Seit schon langer Zeit ist aus den Medien der Frust zu vernehmen, den Menschen erleben, die von der Gesellschaft abgehängt sein sollen. Es sei erforderlich, auf deren Sorgen und Nöte einzugehen und sie ernst zu nehmen in ihren Ängsten, Befürchtungen und Bedürfnissen. Das hört sich gut an, enthält aber nicht mehr als eine katechetische Leerformel.

Es macht einen himmelweiten Unterschied, ob man etwas ernst nimmt oder die Auffassung derjenigen teilt, die der beschriebenen Bevölkerungsgruppe entsprechen. Dabei ist von dem Frust derjenigen in diesem Zusammenhang überhaupt nicht die Rede, die für Vernunft, Toleranz, Demokratie und menschliches Miteinander stehen und dabei herausgefordert werden von denjenigen, die dieses Gebot missachten. Frust ist allerdings keine Einbahnstraße und es ist zu befürchten, dass auch die Vernünftigen auf die Idee kommen könnten, den Bettel hinzuwerfen und nichts mehr zu tun.

Natürlich fährt dann unsere Gesellschaft gegen die Wand, Chaos bricht aus, ggf. Bürgerkrieg. Darf der Frust von Menschen so wirkungsmächtig sein, dass er unser aller Handeln bestimmt? Können wir den plakativen Sorgen und Nöten nichts entgegensetzen, außer einem ebenso plakativen Verständnis, obwohl wir eigentlich diese Art von Radikalisierung nicht verstehen können, ja nicht verstehen dürfen. Die radikale Realitätsverweigerung, die Ausschaltung von Vernunft und emotionale Überfrachtung ist krank. Ein Heilmittel findet sich ggf. in der alternativen Medizin, d. h. der Staat und wir alle müssen uns darum kümmern, unsere Gesellschaft in dem Prozess der Errungenschaften nicht nur auf wirtschaftlichen, sondern auch auf sozialen Gebieten weiterzubringen.

Nicht die Umverteilung, sondern die gleichmäßige Verteilung der Möglichkeiten, auch unter Berücksichtigung des Leistungsprinzips, ist unumgänglich. Es muss wieder Freude machen zu leben, zu arbeiten und sich zu engagieren. Vorschriften und Regeln und ständige Zumutungen schränken unser Leben schon derartig ein, dass die Freiheit und Selbstbestimmtheit des Menschen darunter leidet. Wir müssen Pläne entwickeln, Pläne unseres Zusammenlebens und des Nutzens unserer Möglichkeiten auf allen Gebieten. Ohne kollektive Lebensplanung wächst der Frust und damit auch die Gefahr des Scheiterns unserer Gesellschaft.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Wozu

Manche von uns kennen noch die lateinische Ermahnung: Nicht für die Schule, sondern für das Leben lernen wir. Kaum einer von uns hat während der Schulzeit für diesen Spruch Verständnis aufbringen können, denn wie sollten wir begreifen, dass das, was wir lernen für unser Leben Nutzen haben sollte? Diese Erkenntnis kam erst später. Beispielsweise ist es sehr nützlich, Gedichte und Lieder zu kennen, wenn man einmal längere Zeit im Stau steht oder seine Kinder beruhigen will. Der mahnende Spruch ist so wahr, dass es verwundert, dass er kaum eine allgemeinere Geltung erfahren hat.

Nicht für den Dienstherrn oder unsere Konsumfähigkeit arbeiten wir, sondern für das Leben. Angesichts der Realität erscheint diese Meinung aber als eine Form der Provokation. Die meisten von uns arbeiten, um Geld zu verdienen und ihr Vermögen zu mehren. Dass dies sinnvoll und erforderlich ist, bestreitet wohl niemand. Wir haben Verpflichtungen und diese sind ohne Geld nicht zu erfüllen. Ohne Arbeit ist dies in der Regel nicht möglich.

Aber, Gelderwerb und auch Vermögensaufbau haben sich jedenfalls nach meiner Einschätzung vom Leben sehr weit entfernt. Wir haben gesellschaftliche Prioritäten gesetzt und diese Prioritäten bestimmen unser Denken und Handeln. Wer nicht arbeitet, erfolgreich ist und kein Geld verdient, ist nichts wert. Wir prahlen mit unserer durch Geld erworbenen Verfügungsmacht, den Möglichkeiten des Konsums und der Ordnung.

Kaum vorstellbar erscheint es uns, dass Menschen früher einmal anders gelebt haben, sich während ihres Lebens an der Natur, den Zufällen und neuen Möglichkeiten ausbildeten. „Für das Leben lernen wir“ bedeutet, dass wir offen sind für alles Neue und uns einstellen können auf Veränderungen und unbekannte Erfahrungen. Das Leben ist reich an Möglichkeiten, sich zu verändern, eigenes Denken und Handeln zu überprüfen und Wagnisse einzugehen. Nicht erst die Arbeit und dann das Vergnügen, sondern das Vergnügen mit anderen Menschen teilen und eigene Möglichkeiten entdecken, sollte unser Handeln bestimmen.

Ich glaube, unsere daraus erwachsene Zuneigung gegenüber dem Leben anderer Menschen könnte die Stagnation eines Ich-bestimmten, aber misstrauischen Erwerbsprozesses überwinden helfen.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Der Gutmensch

Oft erfahren Menschen, die sich für Andere, insbesondere sozial, engagieren, eine gesellschaftliche Ächtung. Sie werden sogar als Gutmenschen bezeichnet. Dies soll bewusst und absichtlich eine Diskreditierung darstellen.

Warum ist das so? Dass jemand aus der Rolle fällt, ist schwer für Andere zu ertragen. Durch sein Verhalten vermittelt er denjenigen, die nichts gesellschaftlich Relevantes tun, das Gefühl, sie verhielten sich falsch. Es ist verständlich, dass dieses Gefühl ihnen lästig ist und dann kehren sie den Spieß einfach um. Aber das stimmt nicht ganz. Die Gutmenschen werden auch bewundert wegen ihrer Fähigkeit, zumindest in einem Bereich, den sie identifiziert haben, selbstlos zu wirken. Was treibt Menschen an, dies zu tun?

Geltungssucht meinen die Einen, Andere tippen auf finanzielle Vorteile, insbesondere Steuervorteile und schließlich bleibt der Verdacht im Raum, es ginge auch um noch mehr Macht und Einfluss in der Gesellschaft. Das mag alles zutreffen und berührt doch nur den äußeren Wahrnehmungsbereich. Im äußeren Wahrnehmungsbereich unterscheidet sich der Gutmensch so weder von der Mafia, einem Unternehmensführer oder einem Politiker. Warum sollte er auch?

Es geht auch dem Gutmenschen darum, durch seine Arbeit und seine Verhaltensweise Wirkung zu erzeugen, Wirkung auf und in der Gesellschaft. Was den Gutmenschen aber innerlich antreibt, ist allerdings nicht Übermut oder Geltungssucht, sondern Verantwortung. Warum das so ist, liegt auf der Hand. Käme es nur auf Macht, Geltung, Einflussnahme und finanzielle Vorteile an, gäbe es in unserer Gesellschaft weite Felder, auf denen der Erfolg sich zuverlässiger einstellte.

Wenn der Gutmensch seine Chance ergreift, tut er das in dem Bewusstsein, dass die Gesellschaft, die Gemeinschaft aller Menschen, von ihm erwarten, dass er von seinem Überschuss an Integrität, Kraft, Ideenreichtum und Handeln etwas jenseits der eigenen Daseinsvorsorge an Bedürftige abgibt. Der Gutmensch macht, was er tun muss, mehr gibt es dazu nicht zu sagen.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Das Eigentliche

Uns geht es gut. Das sagen viele, die Wirtschaft, die Berater und die Ärzte. Die Wirtschaft brummt. Wir haben weitaus weniger Flüchtlinge als erwartet und fast alle haben ein Dach über dem Kopf. Es gibt Elterngeld, Hartz IV, Rente und Krankenversicherung.

Aber, wir Deutschen sind unzufrieden. Wir sind davon überzeugt, dass wir besonders viel verlieren, aufgeben müssen. Ob und wann das passiert, weiß niemand, aber die Befürchtung macht uns argwöhnisch. Grund zum Optimismus besteht nicht. Was halten wir denn für lebenswert? Geld? Die Arbeit? Kinder? Freizeit? Reisen? Essen? Kommunikation? Wahrscheinlich alles ein bisschen. Das macht uns aber nicht glücklich.

Wir leben nicht und schauen auch nicht erwartungsvoll auf die nächste Herausforderung, sondern fürchten uns gerade vor dieser. Würde man das Eigentliche, also für das Leben Unverzichtbare, benennen, könnten dabei Müßiggang, Lernfähigkeit, Ausgeglichenheit und Zuwendung eine Rolle spielen. Doch diese sind nicht nur begrifflich, sondern auch inhaltlich unerwünscht. Die Angst dominiert das Eigentliche. Doch wer keine Angst hat, sich zu verlieren, der wird sich finden.

Wer aber Angst hat, etwas zu verlieren, begreift das Eigentliche nur als persönliche Absicherung. Ihn begleiten Routine und Langeweile. Chancen ergreift er nicht. Er wird sich selbst fremd und anderen auch. Soweit muss es aber nicht kommen, wir müssen nur die Kraft in uns selbst und unseren Vorbildern suchen und die Chancen, die jede auch unerwartete Situation in unserem Leben bietet, furchtlos nutzen.

„Wow“, dann sind wir die Sieger!

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Plan

Unsere Lebensplanung ist eindeutig: höher, schneller, weiter. Wenn uns dies nicht gelingt, dann kennen wir sicher einen Schuldigen, der das verhindert hat. Wir selbst sind es nicht. Mit Sicherheit. Um Schuld überhaupt nicht erst aufkommen zu lassen, stellen wir Ansprüche an die Gesellschaft.

Mit anderen Worten: Unser verfehlter Lebensplan muss mit Geld und Zuwendungen Anderer repariert werden. Die Masse bestimmt. Gibt es viele, deren Lebensplan nicht aufgeht bzw. wenn der Versuch schon unterblieb, Pläne zu schmieden und diese umzusetzen, ist das Ergebnis auch in Ordnung. Menschen, deren Plan aufgegangen ist, werden sich kümmern. Denn hier bringt das Kümmern Vorteile und Geld. Planlosigkeit, Scheitern und Anspruchsstellung sind sozial durchaus anerkannt.

Diejenigen, die Pläne haben und bereit sind, diese umzusetzen, zum Beispiel Fußballspieler, Start-Up-Unternehmen – insbesondere im digitalen Bereich – Schauspieler und Sänger haben ebenfalls Chancen auf Anerkennung durch andere Menschen.

Wie verhält es sich aber mit der sozialen Anerkennung derjenigen, die nichts Großes vorhaben, aber auch von der Planlosigkeit nicht leben wollen? Sie haben Pech gehabt. Dagegen revoltieren sie zwar insgeheim ihr ganzes Leben, stellen dann aber am Ende resigniert fest, dass sie brav Kinder in die Welt gesetzt, Steuern bezahlt, ihren Verpflichtungen nachgekommen und ihrem jeweiligen Unternehmen treu gedient haben.

Eigentlich sind sie die Wichtigsten, weil sie die planvolle Planlosigkeit der einen und die Pläne der anderen befördert haben, aber von beidem nicht profitierten. Ich stelle mir vor, dass sie am Lebensende ihre Pläne überdenken und die Defizite feststellen könnten. Dann ist es aber vermutlich zu spät, etwas zu ändern.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Aleppo

Aufzeichnung Hans vom Glück aus „Der Traum vom Titelhelden“, 17.09.1986. „Wir erwischen unseren Helden im Souk von Aleppo, im Marktbauch bei Kutteln und Kaldaunen.

Ausrufer, Esel und kleine hupende, ratternde Lieferwagen, an die man sich anhängen kann im Tempo der tiefen Farben der Nacht, die süßesten Gerüche genießt oder bedrängt wird, von dem Hupen und den Schein­werfern gestellt, sehr zur Freude derer, die Nicht-Europäer sind. Raupen, Spinnen, Kokons, Fäden, die nicht leiten. Fäden, die den Ausgang ver­sperren, nicht gehen lassen wollen. Bleib.

Unser Titelheld hat sich schon ein Dutzend Mal im Kreise gedreht, sich tief und tiefer in den Bauch des Souks gebohrt. Je vertrauter ihm alles wird, desto mehr verblasst das Licht des Ausgangs. Er nähert sich immer wieder denselben Händlern, fühlt ihre Tücher. Ein Brummen und Summen. Tee wird ihm gereicht, süßer Tee, der zehn Gewürzstationen passieren muss, bevor er in den Mund schießt. Tee, der einen zum Ver­schwörer macht, wenn man ihn trinkt. Der Tee berauscht. Jeder Tropfen ist getunkt in Wissen, welches den Tropfen umschließt, ihn zur Perle macht. Unser Titelheld hat den Mund voll Perlen, jede eine Erfahrung, eine Verheißung. Das Glück im Leben ist kostenlos! Unser Held will be­zahlen. Sahib, ach Sahib, du hast nichts verstanden, dein Glück ist um­sonst! Dein Glück zwischen Hammelhälften, die an schweren eisernen Ketten hängen, dein Glück zwischen Nüssen und Gewürzen, Feigen, Salaten, Trauben, Tomaten. Im fahlgrünen Licht wird aus Spritzen heißes süßes Gebäck gepresst. Tücher, Teppiche, Tiere, dein Glück, Titelheld, Auge in Auge mit der Versuchung zu kaufen, und wenn es auch ein Ballen riesiger Baumwolle wäre, ein Hahn vielleicht oder zehn Meter des roten Stoffes, Gold vom Knöchel bis zum Kopf. Es ist Mittag in Aleppo. Der Dampf der Metro in Paris ist ein kühler Fächer verglichen mit dem Dunst von Menschen, Gewürzen und Tieren im Souk von Aleppo. Unser Held badet im Glück, er hat alles, was er braucht, alles, was er will für sein Spiel. Nichts liegt offen. Alles ist verkleidet, verhüllt, eingesperrt, versperrt in fremder Sprache, fremder Kultur. Wunderbar klebrige Luft. Erschöpft betritt er ein Café. Noch dunkler, noch klarer, ein Dutzend Wasserpfeifen gurgeln in der Stille. In den Gläsern Licht von allen Ampeln, Perlen in jeder Blase, Farbtöne, Gedanken, er setzt an zu einem langen ewigen Zug. Noch nie hat er seine Lungen so prall empfunden, gestärkt vom Rausch wie damals…“

Angesichts der wirkungsmächtigen Bilder in allen Medien von toten Kindern, Frauen und Männern in dieser Stadt, zerstörten Hoffnungen, Lebenserwartungen und städtischen Verwüstungen möchte ich daran erinnern, wir kraftvoll lebens- und glückspendend diese Stadt einst war. So vermessen dies angesichts allen Leids auch klingen mag, so hoffe ich doch, dass Geist, Seele und Alltäglichkeiten wieder an ihre Heimstätte zurückfinden.

Aleppo ist mehr als eine nur zerstörte Stadt, Aleppo ist tief mit unser aller Geschichte verbunden. Wir müssen den Mut haben, auch wieder an die Zukunft dieser Stadt und ihrer Menschen zu glauben. Gerade jetzt in finsteren Zeiten um unser selbst willen.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Frauen, Männer, Kinder

Mir ist folgende russische Einschätzung bekannt: Eine Frau kann aus nichts alles machen, einen Hut, einen Salat oder einen Skandal. Eine Frau scheint in ihrem Rollenverständnis nicht unbedingt abhängig zu sein von der Anerkennung eines Mannes, sondern definiert ihr Rollenverständnis selbst, soweit die äußeren Umstände dies zulassen. Die äußeren Umstände sind für die Entwicklung der Frauen von außerordentlicher Bedeutung, ob diese religiös, physisch oder geschlechtsspezifisch strukturiert sind. Im Rahmen vorhandener Möglichkeiten ist weibliches Verhalten autonom und nicht von männlicher Anerkennung abhängig. Dies bedeutet aber keineswegs, dass es verzichtbare Austauschprozesse zwischen Frau und Mann und Frau und Frau gäbe. Frauen erwarten Beachtung und erkennen in dieser sich selbst. Sie beobachten genau und reagieren im Falle versäumter Aufmerksamkeit wie eingangs beschreiben.

Männer, die sind halt so. Wie aber ist Mannsein? Es gibt eine Außensicht und eine Innensicht. Beide sind nicht deckungsgleich, sollen aber oft zur Deckung gebracht werden, damit die Typisierung nicht allzu sehr ramponiert wird. Diese Typisierung ist in der Regel dankbar einfach: Macho oder Nichtmacho. Natürlich wird der Mann auch sehr viel differenzierter wahrgenommen, jedoch erleichtern Muster die Einordnung, schaffen Kategorien. Diesen Einschätzungen sieht sich der Mann zwar ständig ausgesetzt, empfindet sich aber in den seltenen Fällen selbst so. Es ist nicht nur seine geschlechtsspezifische Orientierung zu Frauen oder anderen Männern, sondern auch seine Erinnerung daran, wie alles begann, sich sein männliches Ich ausbildete und seine Erziehung ihn schließlich dann zum Mann werden ließ. Aber trotz aller äußerer oder innerer Umstände ist der Mann in erster Linie Mensch mit allen seelischen und geistigen Anforderungen, denen sich auch andere Menschen jedweden Geschlechts und sexueller Präferenz ausgesetzt sehen. Der Mann erfährt seine spezifische Anerkennung als solche erst durch andere, seien diese Mann oder Frau.

Kinder werden oft darauf getrimmt, schon junge Erwachsene zu sein. Das sind sie nicht. Sie sind aber vom ersten Atemzug an darauf aus, selbst in dieser Welt zu bestehen und die dafür erforderliche Ausbildung zu erfahren. So sind die Kinder auf ihre Eltern angewiesen, aber nicht für die Eltern da. Es ist der segensrechte Opportunismus der Natur, dass Kinder ihren Eltern und anderen Familienangehörigen gefallen, um dadurch Vorteile des Beachtenwerdens und Förderung zu erfahren. Aus den Reaktionen, die Kinder wahrnehmen, lernen sie, leiten ab, was geht und was nicht geht, verinnerlichen Rollenspiele und begreifen so allmählich ihre ganz unterschiedlichen Lebenschancen als Mann oder Frau.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

 

Wind of Change

Es ist ein Sturm der Veränderung über unser Land und diese Gesellschaft in den letzten Jahren hinweggefegt. Wer das leugnet, ist ein Ignorant. Es ist auch ignorant, eine situative Anpassungsfähigkeit der Menschen zu fordern, wohlwissen, dass Veränderungen zwar möglich sind, aber nur allmählich als Entwicklungsprozess. Schauen wir genau hin, erkennen wir, dass dem auf Arbeitssicherheit programmierten Menschen zunehmend Zeitjobs angeboten werden.

Wo soziale Sicherheit erwünscht ist, muss er sich ggf. mit Hartz IV begnügen. Die komplett veränderte Arbeitswelt ist vielfach beschrieben, so dass ich mich auf wenige Stichworte konzentrieren kann. Gleiches gilt für die Freizeit. Taubenzucht, Briefmarkensammeln und sonstige genügsame Beschäftigungen vermitteln Freude am Tun, aber auch Kameradschaft und Geborgensein in der Gemeinschaft. Es gibt weiterhin solche Erfahrungen. Das leugne ich nicht, aber es sind nicht viele, die meist auch mit großem Aufwand verbunden sind. Dies können sich aber nur Wenige leisten.

Die Vielzahl der Menschen in unserer Gesellschaft erleben soziale Isolierung und Desinteresse an ihrer beruflichen Leistung als deprimierend. Vielen Menschen fühlen sich nicht nur als nicht anerkannt, sondern sie sind es auch. Die Erkenntnis und der einmal ausgesprochene Satz: „Ich verstehe Euch“, könnte eine Veränderung einleiten, die wieder die Wahrnehmung des Menschen in der Gesellschaft, bei der Arbeit, in der Familie und bei sich selbst im Fokus hat. Der Wert des Menschen in der Gesellschaft kann nicht durch Konsum erkauft werden, sondern nur durch sinnvolle Angebote zum wertschöpfenden Handeln.

Dies wurde schon sehr deutlich in der unerwarteten Bereitschaft vieler Mitbürger, sich bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise einzubringen, aufopfernd Hand mit anzulegen, um die Probleme zu meistern und sich zu freuen an dem dadurch erreichten Erfolg. Auch die von mir benannten frustrierten Menschen verfügen über gleiche Qualitäten, wurden aber nicht mit Möglichkeiten angesprochen, die es ihnen wieder leicht gemacht hätten, einen Gemeinsinn in ihrer Existenz zu entdecken.

Diese Menschen einzuladen, mitzumachen an gemeinsamen Projekten mag utopisch klingen, ist aber eine Chance, sie von der Sinnhaftigkeit ihres Lebens zu überzeugen. Nicht mit Einschränkungen oder Verboten, Reglementierungen und Vorschriften ist hier weiterzukommen, sondern mit der Offenheit, Freiräume für ein Tätigkeitwerden dieser Menschen zu öffnen. Der Aufruf zum Mitmachen allein reicht nicht, sondern das positive Handeln muss belohnt werden.

Es muss Spaß machen, sich zu engagieren. Das Maß des Engagements muss sichtbar werden und wieder eine soziale Anerkennung erfahren, die nicht nur in Geld zu bemessen ist. Das Leben ist nicht für Geld und das Geldverdienen da, sondern das Geld ist die Transmission unseres Engagements in eine andere Sphäre, um dann wieder in eine Form der Konkretheit zurückgeführt zu werden.

Soziale Anstrengungen gelingen nur, wenn alle mitmachen, d. h. diejenigen, die sich heute noch allein mit Geld freikaufen wollen, müssen erkennen, dass diese Form der Freiheit in unserer Gesellschaft zunehmend weniger zählt. Jedem muss erklärt werden, dass es einen Platz außerhalb unserer menschlichen Gemeinschaft nicht gibt, dieser Platz aber nicht selbstverständlich ist, sondern verdient werden muss.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski