Archiv der Kategorie: Soziales

Hier finden Sie meine Gedanken, Ideen und Anreize zu gegenwärtigen und vergangenen sozialen Themen, die mich und meine Umwelt bewegen.

Demokratie

Was verstehen wir unter Demokratie?

Was ist demokratisch und welche Rechte und Pflichten lassen sich hieraus ableiten? Lässt sich durch den Aufruf, mehr Demokratie zu wagen, die Welt gerechter gestalten, die Klimakatastrophe verhindern, Hungersnöte vermeiden und jedem die gleiche Chance der Teilhabe am öffentlichen Leben verschaffen?

Demokratie ist beides, ein Ordnungsrecht und ein emotionaler Kampfbegriff. Wer etwas durchsetzen will, schafft sich dadurch Legitimation, dass er eine demokratische Anforderung für sein Tun behauptet. Dabei geht es bei der Demokratie in erster Linie um Verteilung der Macht und deren Festigung in den Strukturen, die dem Durchsetzungswillen von Einzelnen und Gruppen Legitimation verleihen soll.

Nicht Zustände begründen aber die Demokratie, sondern Prozesse, in denen Menschen darum ringen, etwas zu gestalten, was ggf. dann Mehrheiten Dank ihrer Stimmen beschließen und dabei Minderheiten berücksichtigen. Die gesamtgesellschaftliche Einbindung unter staatlicher Führerschaft, schafft die Rechtsgewähr für demokratische Prozesse. Dies gelingt am besten, wenn zwischen der Bürgerschaft und dem Staat vertragliche Verabredungen getroffen werden, die dem beiderseitigen Rollenverständnis entsprechen.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Hiob

Hiob, so verrät uns die Bibel, legt sich mit Gott an, hält das, was ihm im Leben widerfährt und für das er Gott verantwortlich macht, für ungerecht und grundlos. Er ist den Prüfungen Gottes nicht gewachsen, erkennt seine Fehler, wird demütig und verändert seine Einstellung und sein Verhalten. Gott belohnt ihn daraufhin mit Zuneigung und Prosperität.

Beispiele aus der Bibel sind nicht unmittelbar übertragbar auf unser Zusammenleben, aber da die Bibel von Menschen für Menschen geschrieben wurde, können wir auch aus diesem Buch der Erfahrungen, die Menschen schon seit langer Zeit gemacht haben, lernen. Die „Hiobsbotschaft“ ist uns als feststehende Begrifflichkeit bekannt. Auch heute empfangen wir viele derartige Botschaften, z. B. zu Krieg, Zerstörung, Artensterben, Klimakatastrophen, Hungersnöten und Krankheiten. Eine unendliche Liste von Plagen, die uns heute heimsuchen, haben bereits ihre Ankündigungen in Schriften, die tausende von Jahren alt sind.

Auch wir halten die Katastrophen, die über uns kommen, für nicht gerecht, beklagen uns über diese, bezichtigen andere oder irgendwelche Mächte, die uns das eingebrockt haben sollen und fordern kurzfristige Abhilfen von denselben. Unsere eigene Verantwortung, unsere Demut, unser Wille, die Plagen als selbstverschuldet anzunehmen, uns zu ihnen zu bekennen und aus der Erkenntnis heraus etwas zu verändern, wie steht es damit?

Sehr schlecht! Immer ist es angeblich nicht der richtige Zeitpunkt und man selbst sieht sich stets als Opfer, hilflos und voll Wut und Hass angesichts der vermeintlichen Ungerechtigkeit. Und wenn das Erkennen beginnt, was dann? Es beginnt wie ein Hürdenlauf.

Die erste Hürde ist besonders schwer zu überwinden, weil es unsinnig erscheint, für den schwierigen Hürden-Parcour verantwortlich zu sein, um dann selbst springen zu müssen. Es sind unter anderem die Hürden: Noch nicht! Und wann? Mit welchen Mitteln? Wozu? Warum ich? Aber mit jedem Sprung kann es mir gelingen, eine Hürde besser zu überwinden und mich dem Ziel, erleichtert von der Last meiner Versäumnisse und Fehler, zu nähern. Wie auch Hiob erhalte ich schließlich im Ziel meine Belohnung dafür, dass ich den Herausforderungen und Prüfungen mutig und entschlossen begegnet bin. Dass der Weg das Ziel ist, das weiß ich, wie jeder andere Mensch, auch schon längst.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Erwartungshaltung

Do ut des: Gib, dann wird dir gegeben. Erwartungshaltung? Ich gebe und erwarte dann, dass mir gegeben wird. Und wenn dies nicht geschieht? Wie verhalte ich mich dann? Wie verhält es sich überhaupt mit Vorleistungen? Führen sie erwartbar zur erwünschten Kompensation des eigenen Einsatzes? Erwartungshaltungen gründen sich auf Ausgleichserfahrungen, und zwar, dass Unwuchten zumindest auf Dauer keinen Bestand haben.

Wenn aber diese Erfahrungen durch Prognosen widerlegt werden? Ein trauriges Beispiel der Gegenwart: Wir könnten die Erwartung haben, dass Russland, wenn die Ukraine diesem Land die Krim oder sogar den Donbass auf Dauer abtritt, in einen Friedensschluss einwilligt, also den Krieg beendet. Dies könnte unsere Erwartungshaltung sein, ist sie aber begründet? Stimmt es denn tatsächlich, dass, wenn ich gebe, mir gegeben wird? Diese Hoffnung ist zwar prinzipiell berechtigt und insofern dieser Wunsch nachvollziehbar, aber die von Menschen gestaltete Wirklichkeit bestätigt die Erfüllung dieses Wunsches nicht.

Bei kriegerischen Auseinandersetzungen über Gebiete und Menschen verhält es sich wie in der Wirtschaft, zwischen Staaten oder überhaupt im menschlichen Zusammenleben an sich. Einem Ausgleich wird nur dann zugestimmt, wenn der anderen Partei nichts mehr anderes übrigbleibt oder der Ausgleich weniger als die Gegenleistung erfordert.

Nur Macht, Vorteilsgewährung und weitere prägende Umstände, wie Katastrophen, Hungersnöte und unvermeidbare rechtliche Einhegungen von Sachverhalten können zumindest auf Zeit dafür sorgen, dass Ausgleichsleistungen erwartbar werden. Wer in der Hoffnung gibt, dafür kompensiert zu werden, wird enttäuscht. Wer ohne Erwartungshaltung gibt, weil er das Geben als gerecht empfindet, zeigt unerwartet Haltung, schafft Nachdenklichkeit und könnte sogar belohnt werden.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Ende

Vom Lebensende her gedacht, wie lässt sich der Sinn des Lebens beschreiben? Noch eben liegt das ganze Leben vor einem und plötzlich begreift man, dass die eigenen Kinder gealtert sind und der Enkel oder die Enkelin bereits kurz vor der Volljährigkeit stehen, sehr schön, aber deren Kinder, also die eigenen Urenkel wird man vielleicht nicht mehr erleben dürfen. Die Gewissheit des Lebensendes kommt nicht allmählich, sondern plötzlich und unerwartet. Dies ist für viele Menschen sehr verstörend. Es sind nicht nur die körperlichen Schmerzen, die den alten Menschen plagen, sondern auch der Verlust der Konzentration und die Einsamkeit, die sich mit dem fortschreitenden Verlust von Freunden und Bekannten einstellt.

Auch, wenn der Rückbau der Lebensleistung allmählich erfolgt, die plötzliche Wahrnehmung überrascht und löst Hilflosigkeit aus. Es ist doch noch nicht so lange her, da war man gefragt, konnte sich nicht retten vor jedweder Inanspruchnahme, dann kam das unvermeidliche Abschiedsfest und man muss begreifen: Jetzt ist Schluss. Da sitzt nun der Mensch mit seiner gesamten Lebensleistung, nach der niemand mehr fragen wird.

Nun folgen die Einschränkungen, die den Menschen auch wirtschaftlich hart treffen können, weil die Rente oder Pension nicht ausreicht, um den gewohnten Lebensunterhalt zu bestreiten. Bei den Wohlhabenden steigen andererseits die Aktienrenditen, genauso wie die Erträge aus den erworbenen Immobilien. Die Sammlung der Kunstwerke, der Oldtimer, wie auch der Bestand seltener Pfeifen ist beachtlich angewachsen, aber nun, was fängt der Mensch mit all dem an, was er Zeit seines Lebens erspart und gehortet hat? Soll er verschenken, vererben und dann an wen und wozu?

Diese Last, die so plötzlich, wie sein Greisentum über den Menschen gekommen ist, bedrückt ihn. Es bleibt eine Option, diese Last an die Kinder und Kindeskinder testamentarisch weiterzugeben, eine andere hätte darin bestanden, diese Last zu Lebzeiten bereits zu vermeiden, nichts zu tun, was die Nachkommen und schließlich den alten Menschen selbst an seinem Lebensende in Bedrängnis hätte bringen können. Diese Last wiegt schwer und ist jetzt kaum mehr abzuschütteln. Mit dieser Last schafft man sich weder Freunde noch Dankbarkeit, sondern säht Neid, Missgunst und provoziert bei den Nachkommen ein Verhalten, das man Zeit seines Lebens gerade vermeiden wollte.

Es sind aber nicht nur die materiellen Dinge, die den Menschen an seinem Lebensende bedrängen, sondern alle längerfristigen Engagements, die es zu beenden gilt. Sich dieser Gewissheit bewusst zu werden, ist schmerzlich, der Verlust der Kontrolle und der Notwendigkeit des Rückbaus, statt des Aufbaus der bisher den Lebensrhythmus bestimmte. Die wenigsten Menschen können das bevorstehende Ende und den von der Natur geforderten Abschied von Gewohnheiten und angeblichen Sicherheiten ertragen.

Sie behaupten Kraft ihres Willens, ihr Ende überwinden zu können, beharren auf ihrer Leistungsfähigkeit, kleben fest an Arbeit und Vermögen, trotzen scheinbar  mutig ihrer schwindenden Zeit, verlieren aber gleichwohl jede Übersicht in allen ihren Vorhaben und allmählich auch das Wohlwollen ihrer Familie und Freunde, weil sie sich beharrlich weigern oder versäumen, vom Ende her zu denken und sich strategisch klug einzuschränken, demütig zurückzuziehen, anderen das Spielfeld zu überlassen und sich daran zu freuen, dass ihr Alter gelingt, wenn sie beizeiten anfangen, sich zu bescheiden.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Belichtungsmesser

Mit Hilfe eines Belichtungsmessers misst der Fotograf die Lichtverhältnisse an einem bestimmten Ort und zu einer bestimmten Jahres- und Tageszeit. Da ihm sehr wohl bewusst ist, dass sich die Verhältnisse ständig ändern und eine fehlerhafte Messung des Lichtes den Film über- bzw. unterbelichten könnte, hat er sein Messgerät stets bei sich, um sich gegen fehlerhafte Belichtungen, die eine unzutreffende Wiedergabe des Bildes zur Folge hätten, abzusichern.

Zeitraum, Umstände und Belichtungsdauer haben einen maßgeblichen Einfluss darauf, wie der abzubildende Zustand auf dem Filmmaterial wiedergegeben wird. Filme vergilben, Formen verblassen und Konturen verlieren ihre ursprüngliche Schärfe und Prägnanz. Aber nicht nur technisch, aufgrund des eingesetzten Materials, sondern auch gegenständlich verändert sich die Beziehung zwischen dem Fotografen, dem abgebildeten Motiv und dem Betrachter.

Waren die Posen der abzubildenden Personen in der Frühzeit der Fotografie infolge Guckkastentechnologie und Fotoplatten noch gestellt, so gewöhnten sich spätere Generationen an Snapshots und Slow Motion und schließlich auch daran, dass Dank der augmented reality die Darstellung auf dem Foto von der Wirklichkeit stark voneinander abweichen kann. Dass die Wirklichkeit die Erfindung des Auges, des Sinnes, des Verstandes und der Illusion sein kann, daran haben wir uns gewöhnt. Wir schälen Ereignisse und Umstände aus ihrer Zeit und belichten diese erneut, dies aber in unserer Zeit. Wir nehmen dabei in Kauf, dass wir das, was wir vorfinden, also die abzulichtenden Personen, als auch deren Zeit und Umstände in der Jetzt-Zeit belichten und so etwas wiedergeben, was durchaus unserem jetzigen Zeitgeist zu entsprechen vermag, aber wegen der inzwischen geänderten Lichtverhältnisse nicht stimmt, also ein Fake, eine Erfindung unserer Möglichkeiten einer variablen Abbildung ist.

Wir können die Vergangenheit nicht korrekt in der Jetzt-Zeit rekonstruieren, mit Hilfe unserer heutigen Messgeräte die Lichtverhältnisse nicht so modellieren, dass das längst vergangene Ereignis mit unseren heutigen Vorstellungen und Wahrnehmungen in Übereinstimmung zu bringen ist. Wir müssen uns eingestehen, dass Zeit und Umstände sich ändern, Fotos verblassen und aus heutiger Zeit nicht mehr stimmig ist, was einmal akzeptabel erschien. Das bedeutet keineswegs einen unkritischen Umgang mit verflossenen Umständen und Ereignissen, sondern das Eingeständnis, dass heutige Belichtungsmesser keine verlässlichen Aussagen zu den Zeit- und Ortsumständen der Vergangenheit liefern können. Schon gar nicht können wir Menschen heute die Lichtverhältnisse, die eine Filmbelichtung bestimmen, post factum korrigieren.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Arbeitsmühen

Früher gab es die allgemein geläufige Gewissheit: „Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmer mehr!“ Auch waren fast alle Menschen davon überzeugt: „Machste was, biste was, machste nix, biste nix.“ Alle diese so eindeutig sprachlich fixierten Überzeugungen sind über die Zeit hinweg allmählich erodiert. Früher einmal gehörte man dazu, wohnte möglichst im gleichen Kiez, genoss die oft jahrzehntelange Anerkennung seines Meisters und die der Kollegen. Ob in Betrieben oder der Verwaltung, die Anmutung war sehr einheitlich. Man arbeitete gemeinsam und feierte gemeinsam. Es ging dabei auch um den Stolz auf die eigene Leistung und die Verpflichtung gegenüber der Familie, dem Unternehmen, den Kollegen, aber auch gegenüber der Allgemeinheit.

Schon früh wurden die Weichen für das Arbeitsleben gestellt. Leistungsbewusstsein, Pflicht und Vorbilder schufen die Motivation für das zweckgerichtete Lernen und die berufliche Verantwortung. All dies war eingebettet in einen familiären und gesamtgesellschaftlichen Konsens, der dank seiner sozialen Kontrolle nicht in Frage gestellt wurde. Die Regeln gaben vor, wie man was tut. Bildungsferne, abgehängt sein und ähnliche Zuweisungen waren weitgehendst unbekannt, wobei nicht verschwiegen werden darf, dass das durch Rituale bestimmte Leben keine Abweichungen zuließ, intolerant auf jede Störung reagierte. Dies mag auch der Grund dafür sein, dass diese Gewissheit, die früher den Zusammenhang garantierte, zwischenzeitlich beseitigt wurde: Die anstelle der Gemeinsamkeit nun weit verbreitete „Ich-Betrachtung“, das selbst bestimmte Arbeiten statt der Zuweisungen, die Work-Life-Balance statt der Arbeitspflicht, die Umschulung und Weiterbildung statt der Beständigkeit des Arbeitslebens.

Ist das, was sich inzwischen herausgebildet hat, aber richtig und gut und woher kommt diese allgemein feststellbare Haltungsänderung? Ich denke, mit den Eltern fängt es an. Die Veränderungen, die sie selbst Zeit ihres Lebens in den Betrieben und in dem privaten Umfeld erfahren haben, trägt erheblich zu der Verunsicherung, die sie weitergeben, bei. Sie mussten erfahren, dass die primäre Zuständigkeit für die Bildung ihrer Kinder ihnen staatlicherseits entzogen und ihnen verdeutlicht wurde, dass Chancengerechtigkeit dadurch am besten verwirklicht werden könne, dass sie ihre Kinder Kindergärten und Schulen anvertrauen, anstatt sie selbst auf das Leben vorzubereiten. Was Sie dabei nicht wissen konnten, ist, dass sie sich selbst dadurch einer Verpflichtung gegenüber ihren Kindern entzogen haben, die darin besteht, dass sie eigentlich primär für die Bildung ihrer Kinder zuständig sind, insbesondere in den Bereichen Sprache und Kommunikation, beginnend schon pränatal und sich fortsetzend unmittelbar nach der Geburt.

Aus Unwissenheit sprechen und singen sie nicht mehr oft mit ihren Kindern und erzählen ihnen keine Alltagsgeschichten, obwohl dies für die sprachliche und geistige Entwicklung ihrer Kinder förderlich wäre. Dieses Versäumnis erscheint mir ausschlaggebend für die auch ins berufliche durchschlagende Unruhe bei der Aufnahme und Umsetzung einer konsequenten zweck- und zielgerichteten Tätigkeit. Will man künftigen Generationen wieder gefestigte berufliche Lebensperspektiven eröffnen, ist es unumgänglich bei der Aufklärung und Schulung der Eltern anzusetzen, aber auch dafür zu sorgen, dass Leistungsbewusstsein, Pflicht und Vorbild nicht nur die Begleiter lebenslangen Lernens, sondern auch des Handelns sind. Wer nichts tut, kann auch nicht erwarten, dass andere diese Verweigerung wettmachen.

Zuwendung und Hilfe bei größter Geduld sind ein persönliches und gesellschaftliches Gebot, welches allerdings auch damit korreliert, dass derjenige, der keine Verantwortung für sein Handeln übernimmt, auch nicht bereit ist zu leisten, nicht erwarten kann, dass die Gesellschaft dies hinnimmt. Ohne Verpflichtungen gegenüber der Gemeinschaft werden auch künftige Gesellschaften nicht bestehen können. Es ist sogar zu befürchten, dass dies einen Vorwand dafür liefern könnte, Arbeitsmühen zu verunglimpfen, egozentrische Verhaltensweisen, die auf Schaffung von Vorteilen zu Lasten der Allgemeinheit basieren, zu belohnen und dazu beizutragen, dass ein auch im Interesse der Schwächeren geknüpftes soziales Netz zerreißt. Aus diesen Überlegungen mag man ableiten, dass es bei Beschäftigungsverhältnissen stets um mehr als nur erwerbsorientiertes, ich-zentriertes Handeln, sondern auch um unsere Gemeinschaft geht.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Vexierspiegel 

Russland führt einen Krieg gegen die Ukraine, für den Wladimir Putin, der russische Präsident, ursächlich verantwortlich gemacht wird. Er begründet seine Februar 2022 eingeleitete „Spezialoperation“ damit, dass er zum Schutz Russlands handele, das sich gegen die westlichen Invasoren – vor allem die NATO – wehren müsse. Tatsächlich führe nicht Russland, sondern die Ukraine Krieg gegen Russland und deshalb sei die „Spezialoperation“ erforderlich, um Gefahren von Russland und seiner Bevölkerung abzuwehren, wobei allerdings auch zu berücksichtigen sei, dass die Ukraine eigentlich kein Staat, sondern ureigenes russisches Gebiet sei, auf dem Faschisten die Einwohner beherrschen würden und sein Eingreifen auch deren Befreiung diene. Putin gibt sich als Initiator und Frontmann dieser „Spezialoperation“, übernimmt hierfür im Namen der russischen Nation die Verantwortung und sowohl die Kriegsparteien, als auch die solidarisch Verbündeten der Ukraine scheinen dies so zu sehen.

Was ist aber, wenn dieses Narrativ so überhaupt nicht stimmt?

Dieser Gedanke kam mir, als ich über die Geschichte der Russisch-orthodoxen Kirche las und dabei entdeckte, wie eng bei der Einrichtung und Ausübung dieser Religion der Glaube mit dem Nationalstaatsgedanken verbunden ist. Auf den gegenwärtigen Krieg in der Ukraine übertragen, ist es daher nicht nahe liegend, die Frage aufzuwerfen, ob nicht die russische Kirche selbst, ausgehend von ihrem Metropoliten als Anstifter, den Krieg nicht nur befürwortet, sondern ihn sogar angeordnet hat und Putin selbst vollzieht, was die Kirche will?

Auf die damit für Putin selbst verbundenen Vorteile komme ich noch zu sprechen. Die Kirche könnte diese Initiative ergriffen haben, weil sich ein Teil der Russisch-orthodoxen Kirche in der Ukraine von dieser losgesagt und eine eigene nationale ukrainisch-orthodoxe Kirche gegründet hat. Dies stellt nach dem historisch begründbaren Selbstverständnis der Russisch-orthodoxen Kirche ein nicht hinnehmbares Schisma dar.

Dabei ist zu bedenken, dass in der Konsequenz dieser ukrainischen Kirchengründung die Macht der Russisch-orthodoxen Kirche erheblich geschwächt und auch der Zugang zu deren heiligen, historischen Städte – zum Beispiel des Höhlenklosters in Kiew – gefährdet wurde. Inzwischen ist das Verbot für die Russisch-orthodoxen Kirche ausgesprochen und nur die Ukrainisch-orthodoxe Kirche hat das alleinige Zutrittsrecht zu den Heiligtümern erworben. Aus Sicht der Russisch-orthodoxen Kirche wurden durch die Abwendung der Ukraine vom russischen Einflussbereich unverzichtbare religiöse, und damit nationalreligiöse Heiligtümer dieser Kirche gefährdet. Ist dieser Sichtweise Plausibilität abzuringen, wird auch verständlich, dass es absolut widersinnig erscheint, so wie es aber geschehen ist, den russischen Metropoliten aufzufordern oder zu bitten, auf Putin einzuwirken,damit dieser den Krieg beenden möge.

Es ist doch der „Heilige Krieg“ der Kirche selbst und er kommt Putin durchaus zu Pass, weil es ihm die Gelegenheit gibt, unter dem Schutz der Kirche weiter an der Macht zu bleiben. Soweit er sich mit der einflussreichen und reichen Kirche Russlands im Einklang befindet, wird er weiter unter ihrem Schutz stehen. Die Kirche beherrscht vor allem die Menschen in den ländlichen Regionen.

Nach den Erfahrungen der Sowjetunion und der von dieser ausgelösten religiösen Identitätskrise ist ein Großteil der Menschen in Russland absolut mit der Führerschaft durch die Kirche einverstanden und erhofft von ihr den Trost, der ihm aufgrund der schwierigen Lebensverhältnisse oft versagt bleibt. Putin kann sich also völlig sicher in seinem Amt sein, solange die Kirche den national-religiösen Plan nicht aufgibt und die Gläubigen ihr folgen.

Da gäbe es aber möglicherweise einen Hebel, um die unheilvolle Entwicklung zu beenden, wenn der Wille aller Beteiligten vorhanden wäre, was ich bezweifle. Die Russisch-orthodoxe Kirche und die Vertreter der ukrainisch-orthodoxen Kirche, ggf. die Vertreter sämtlicher orthodoxen Kirchen könnten sich zusammensetzen und beratschlagen, wie sie mit ihrer Geschichte und den nationalen Auswirkungen umgehen und dabei herausarbeiten, was sie tun müssten, um ihre religiöse und kulturelle Bedeutung jenseits nationaler Ansprüche zu stärken.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Nimmersatt

In den Begleittext menschlichen Lebens gehören die Reichen, die Armen und alle diejenigen Menschen, die zumindest weniger haben, als eine überschaubare Anzahl wohlhabender Menschen. Während die einen trotzig ihren Reichtum zur Schau stellen und verteidigen, beklagen die anderen die aus der Abwägung ersichtliche Ungerechtigkeit, die darin liegt, dass sie weniger als die Reichen haben. Die wirklich Bedürftigen und Armen spielen dabei eine eher untergeordnete Rolle. Es sind einfach zu viele.

Im Kräftemessen zwischen den Reichen und den weniger Vermögenden geht es in erster Linie darum, dass jeder so viel haben möchte, wie der andere auch. Neid ist ein verlässlicher Gerechtigkeitsparameter. Aber wem sollte der Reiche etwas neiden?

Niemandem. Er hat aber ein anderes Anliegen. Zu seiner Grundausstattung gehört es, mit aller ihm gebotenen Macht, seinen Besitzstand zu verteidigen. Er codiert seine Macht durch Gesetze, Abschreckung, Kriege und alle ihm sonst gebotenen Möglichkeiten. Er ist auch gierig, weil allein seine Gier Verlusten vorbeugen kann. Und vor diesen hat der Reiche Angst.

Neid und Gier sind aber Vorder- und Rückseite derselben Medaille. Es geht dem Reichen und dem nicht so Wohlhabenden keineswegs um Verarmung, sondern um existenzielle Lebensgefährdung, gut vergleichbar mit einer schweren körperlichen Krankheit oder einem psychischen Defekt. Der Konflikt zwischen „reich“ und „arm“ bzw. auch nicht so wohlhabend, hat somit auch eine medizinische Komponente, die Fachärzte auf den Plan rufen sollte.

Es ist festzustellen, dass das fortschreitende Alter und die Erwartung, dass der Tod einem auf die Pelle rückt, eher dazu führt, dass der Reichtum noch rabiater verteidigt wird bzw. die Gier zunimmt. Die Abwehr der drohenden Gefahren schließt dabei Selbstgefährdung mit ein, weil alles als Bedrohung empfunden wird. Den Kindergeschichten nach wird aus der Raupe Nimmersatt ein genügsamer Schmetterling. Wie verhält es sich beim Menschen? Wird er ein Engel?

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Ahne

Wir waren noch Lausbuben und trieben ab und zu unsere Späße mit dem „Ahne“. Der Ahne? Das war der alte Mann, der oben unter´m Dach wohnte, meistens im Bett lag und niemals mehr das Zimmer verlassend, die schmale Holzstiege hinab in die Küche des Bauernhofs kletterte, wo wir meistens alle zusammen waren, wenn es nichts zu tun gab.

So war das damals Ende der 50er Jahre des letzten Jahrhunderts in einem abgeschiedenen Dorf des Schwarzwaldes. Der alte Mann, also der Ahne, war der Großvater, vielleicht nicht mehr ganz richtig im Kopf, wenig beweglich, von der schweren Arbeit auf dem Hof gezeichnet. Die Schmerzen setzten ihm zu. Aber dennoch freute er sich immer, wenn wir zu ihm nach oben stiegen und nahm uns die Neckereien offensichtlich nicht übel.

Der Ahne, welch verheißungsvolles Wort. Es bringt zum Ausdruck, dass er sich bereits zu Lebzeiten den Ahnen näherte. Mit Vorname hieß er zwar Adam, aber wir nannten ihn alle den Ahne, bis auf seine Frau, die sich um ihn kümmert, soweit ihr eigenes Alter dies noch zuließ. Sie sorgte für sein Essen, richtete sein Bett und das Nachtgeschirr, welches regelmäßig geleert wurde. Sie wusch ihn und las ihm am Abend aus der Bibel vor.

Zuweilen kamen auch ein Arzt und der Pfarrer, letzterer wahrscheinlich um einzuschätzen, wann mit dem Ableben zu rechnen sei. Die Rituale führten den Ahnen Tag für Tag, Stunde um Stunde seinem Ende näher und es war zu spüren, dass die Ahnen erwarteten, ihn in ihren Reihen aufzunehmen. Außer dem Warten auf den Tod, gab es für ihn auf Erden nichts mehr zu erledigen. Abgesehen von unseren Neckereien herrschte Frieden in dieser Dachkammer, alles war authentisch und stimmig und nun, was erwartet den Ahnen unserer Tage? Was erwartet mich, wenn ich alt bin?

Sicher kein Altenteil in einem Bauernhof. Vielleicht kümmern sich gelegentlich oder regelmäßig Pflegekräfte um mich oder ich komme in ein Pflegeheim? Kinder und Enkelkinder kommen ab und zu zu Besuch, bringen Kekse und gute Wünsche mit und versichern, dass für alles gesorgt sei. Der Ahne war kein Geschäftsmodell, wie ist es aber um den alten Menschen heute bestellt? Die Alten werden älter, die Ahnen müssen warten. Das Geschäft muss erst erledigt, der Ahne ausgelesen sein.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Meta-War; War-Games

Internetkriege sind zeitgegenwärtig. Alltägliche Cyber-Kriege finden in fast jedem Haushalt statt. Kriege gehören zur Menschheit und Dank der Spieltheorien kann erprobt werden, mit welcher Taktik man einem Ziel näherkommt. Inzwischen haben wir die Plattformen, auf denen wir im Internet agieren, mit Grundstücken, sonstigen Vermögen und Avataren angereichert.

Zunehmend gelingt es so, auch im Cyberspace Infrastrukturen zu schaffen, die unserer analogen Welt nicht unähnlich sind. Dies zwingt uns auch im Internet, unser Eigentum und unsere Besitzungen zu schützen, ermöglicht aber auch, unter Einsatz von Gewalt, unseren Reichtum zu mehren. Zunehmend wird all das, was wir bereits in unserer realen Welt erprobt haben, als Blaupause für das Metaverse gelten.

Auch in dieser digitalen Sphärenwelt können wir wirkungsvoll all diejenigen Möglichkeiten ergreifen, Konflikte austragen und Machtstrukturen schaffen, wie dies auf Erden bereits möglich war und ist. Es gibt allerdings einen entscheidenden Unterschied. Im digitalen Universum besteht zwar wie auf Erden ein enormer Energiehunger und hat unser Handeln auch Einfluss auf unsere Psyche, unsere Physis und unser Vermögen, führt aber nicht zu unmittelbaren Beschädigungen und Zerstörungen, wie sie uns in der realen Welt geläufig sind. Dieses Wissen verschafft Vorteile insofern, als wir darüber nachdenken sollten, Kriege künftig nur noch im digitalen Raum zu führen, um dadurch das Leben auf unserem Planeten zu schonen und mittels Spielanleitungen Erkenntnisse zu gewinnen, die es uns ermöglichen, kriegerische Auseinandersetzungen auf Erden einzudämmen.

Durch eine solche Sphärenergänzung, ggf. auch einen Sphärentausch, sollte es gelingen, trotz Einsatz der raffiniertesten Waffen und von vielfältigsten Kriegern, die noch bestehende reale Welt zu erhalten und uns so zu schützen, dass nach jeder Zerstörung kostenintensive Wiederherstellungsmaßnahmen entfallen und keine Toten zu beklagen sind.

Da der virtuelle Raum umfassende Spielmöglichkeiten bei Waffenentwicklung, Zerstörung und Wiederaufbau erleben lässt und dies in der analogen Welt kaum abbildbar ist, erscheint mir das Kriegsgeschehen im digitalen Raum vorteilhafter für alle Beteiligten. Dies schließt sogar einen Atomschlag mit ein, vergleichbar mit der Handlung, dass eine der Kriegsparteien den Stecker zieht. Dann ist es zwar im Internet zappenduster, doch auf Erden mag das Leben dennoch weitergehen, hoffentlich!

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski