Archiv der Kategorie: Soziales

Hier finden Sie meine Gedanken, Ideen und Anreize zu gegenwärtigen und vergangenen sozialen Themen, die mich und meine Umwelt bewegen.

Gefühligkeit

Emotionen, Gefühle – diese Begriffe sind uns aus dem täglichen Gebrauch vertraut. Sie beschreiben unseren jeweiligen Gemütszustand, allerdings sind Sie uns auch situativ zugeordnet. Emotionen haben eher mit dem Erregungszustand zu tun, messen, wie weit dessen Pegel angesichts irgendeines Vorkommnisses ansteigt. Gefühle beschreiben eher die Tiefe und das Ausmaß des Berührtseins, also unsere innere Verfasstheit angesichts eines Vorkommnisses.

Was verstehe ich nun unter Gefühligkeit? Sie hat meinem Verständnis nach mit einer Verunsicherung zu tun. Warum ist das so? Weil Verunsicherungen entscheidend auf unser Gemüt einwirken und Emotionen bei uns hervorrufen. Unsicherheit und Angst werden gefördert. Ich weiß, dass das sehr plakativ ausgedrückt ist, trifft aber trotz aller denkbaren Varianten das Problem. Wenn wir verunsichert sind, verlieren wir den Überblick.

Da die Menschen früher durch die räumliche Begrenztheit ihrer Wahrnehmung geschützt waren, verloren sie den Überblick nur partiell. Dies deshalb, weil sie länger Zeit hatten, die Eindrücke, die auf sie einstürmen, zu verarbeiten. Diese Zeit gibt es heute nicht mehr. Das Kommando lautet: Begreife alles sofort, entscheide dich schnell und mache es richtig, besser für dich! Wie will ich aber angesichts der allgemeinen Verunsicherung entscheiden können, was günstig für mich ist?

Es türmen sich Fragen auf Fragen, die kaum jemand schlüssig beantworten kann. Ist es dann nicht naheliegend, ja vielleicht sogar sinnvoll, den Spieß einfach umzudrehen und aus der allgemeinen Verunsicherung eine Tugend zu machen? Also etwa so: Ja, ich bin naiv, na und, ja ich verstehe nichts, na und, ja, ich finde alles furchtbar, was in der Welt geschieht, na und oder vielleicht so: Da müsste doch jemand etwas machen, alles immer auf mich, auf uns … und dann Corona, „Wissenschaftler, sach ick ma, dass ich nicht lache!“ Achtsamkeit wird gegen Unachtsamkeit, Verschwörung gegen Menschenverstand, reich gegen arm, fast alles wird gegeneinander ausgespielt. Uns sind viele Beispiele bekannt. Diese sind alltäglich, aber wer oder was bestimmt die Auswahl, bewegt den Prozess der Wahrnehmung und Verarbeitung?

Das ist die Gefühligkeit! Sie bestimmt das Denken und Handeln, wo der Verstand angesichts der Komplexität und Fülle der Informationen versagt. Es kommt hierbei auch nicht mehr auf die Ausformung unserer Gefühle bei der ständigen Befeuerung mit Bilder und Informationen an, sondern auf die Kultivierung unserer Parteilichkeit. Die Gefühligkeit nimmt von uns Besitz und eröffnet Möglichkeiten, wenn wir auf den Prozess des Selbstdenkens und –fühlens verzichten und uns lieber auf den allgemeinen „Flow“ einlassen.

Hat uns einmal der Strom ergriffen, also wir uns unsere Konformität wohlig zugestanden, dann ist alles ganz einfach. Wir sind stets auf der richtigen Seite, so oder so, und finden für alles umstandslos einen passenden Ausdruck. Die allgemeine Gefühligkeit verhindert jeden Widerspruch, sowohl gegenüber anderen, als auch gegenüber uns selbst. Plötzlich machen wir alles hemmungslos richtig, wir und wir.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Ohnmacht

Wenn wir dies in einem Wort ausdrücken wollen, sagen wir, dass uns im Falle einer Ohnmacht die Sinne derart verlassen, dass wir für die Dauer des Anfalls nicht mehr, zumindest kognitiv, wahrnehmungsfähig sind. Teilen wir das Wort in „Ohn“ und „Macht“, gibt es Auskunft darüber, dass ein bestimmter Zustand ohne Macht auskommen können muss. Generell gesprochen sind den Menschen beide Zustände geläufig. Manchmal ereignen sie sich gleichzeitig. Es kommt auf den Tatsachen- bzw. Sinnzusammenhang an. Ohnmächtig bin ich nicht, wenn ich mich meiner Machtlosigkeit bewusst bin.

Es könnte sogar sehr hellsichtig sein, wenn sich meine eigene Machtlosigkeit mit der auf der Welt bestehenden Machtfülle oder gar der absoluten Macht der Welten und Planten nicht in Wettbewerb begibt, sondern diese anerkennt. Der französische Philosoph Blaise Pascal hat – wie viele andere auch – festgestellt, dass der Mensch angesichts der allgemeinen Machtfülle ohne Macht sei, aber ihm zugebilligt, angesichts der allgemeinen Machtlosigkeit sehr mächtig zu sein.

Er drückt dies zwar in der Spiegelung von ´allem´ und ´nichts´ etwas anders aus, würde aber sicher meine Einschätzung teilen. Die Attribute der menschlichen Macht sind vielfältig, natürlich vor allem Geld, aber auch Sprache, Verstand, Durchsetzungskraft, Gestik und viele weitere Darstellungsmittel, die üblicherweise andere Menschen beeindrucken.

Zur äußeren Prägung der Macht kann sich allerdings auch das gesellen, was durch Demut, Zuwendung, Naivität und Verständnis bestimmt wird. Die Macht ist durchaus für unterschiedliche Lebensmodelle aufnahmefähig, seien diese real oder virtuell. Ohnmacht stellt sich allerdings dann ein, wenn sich der Mensch dazu entschließen sollte, die ihm anvertraute Macht verantwortungslos zu nutzen und daran heillos erkrankt.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Generationenvertrag

Vor allem Politiker beharren in ihren öffentlichen Verlautbarungen darauf, dass wir uns gegenüber künftigen Generationen durch unser Verhalten in der Gegenwart schuldig gemacht haben. Dabei geht es um Rente, Klima und Umwelt. Weil wir prassen und zerstören, türmen sich Schulden auf, die nicht wir, sondern künftige Generationen zu zahlen hätten. Ist das nicht etwas einfach gedacht? Es war in der kurzen Menschheitsgeschichte schon immer so, dass jede Generation ihre Bedürfnisse befriedigte und dabei auf Kosten der Natur und der Umwelt handelte. Da es weniger Menschen gab und die technischen Voraussetzungen noch nicht vorlagen, war wohl der Schaden quantitativ geringer, aber qualitativ auch verheerend, z. B. durch Abholzung der Wälder im Mittelmeerraum für den Schiffsbau.

Heute sind die Eingriffe, die jede Generation zur Ergänzung ihres Lebens in vorhandene Ressourcen vornimmt und dabei zusätzlichen Schaden anrichtet, beträchtlich. Wir sind mehr Menschen auf dieser Welt, werden älter als die Generationen vor uns und haben gesteigerte Ansprüche. Dabei beruft sich jede Generation auf das Versprechen seiner Eltern: „Dir soll es einmal besser gehen als uns!“

Dieses Versprechen ist das Startgeld in unser Leben und veranlasst jede Generation nicht nur für eine bescheidene Bedürfnisbefriedigung im Eigeninteresse, sondern auch für Mehrwert für die Nachkommenschaft zu sorgen. Existenzängste begleiten den Menschen sein ganzes Leben und verhindern, gegenüber Kindern und Kindeskindern ein Zutrauen zu entwickeln, dass diese mit dem ihnen anvertrauten Leben zurechtkommen werden. Würde eine entsprechende Betrachtung einzelner Bestimmungen des Generationenvertrages dazu führen, dass wir noch sorgloser mit der Umwelt und dem für die Rente angesparten Geld umgingen?

Das halte ich für unwahrscheinlich. Wir würden unser wirtschaftliches Vererbungssystem überprüfen, stattdessen zu unseren Lebzeiten in Infrastrukturen investieren, die es unseren Kindern und Kindeskindern ermöglichen würden, ihre gemeinsam mit uns entwickelte Verantwortung früher, als dies heute geschieht, zu übernehmen. Durch Partizipation könnte sowohl die Eigensicherung des Lebens jeder Generation, aber auch Einfluss auf die künftige Entwicklung durch Investitionen statt Versorgungszusagen, die kaum einzuhalten sind, gewährleistet sein.

Wir erreichen dies, wenn wir uns von patriarchischen Strukturen verabschieden und die Bildung unserer Kinder von Anfang an daran orientieren, dass sie mit uns gemeinsam eine Aufgabe haben. Je eher wir die gesellschaftliche Teilhabe unserer Kinder zulassen, desto besser für sie und uns.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Raum

Als ich jüngst den deutschen Astronauten Maurer in etwa 22 Stunden auf die Internationale Raumstation entschweben sah, wurde mir wieder einmal dieser ungeheure Raum, in dem wir leben, bewusst, nahm dabei aber auch unsere Fähigkeit wahr, diese Tatsache eher zu observieren und zu konstatieren, als tatsächlich an uns heranzulassen. Wir vermeiden Konfrontationen mit der Ungeheuerlichkeit, seien diese anschaulich wie beim Weltraum oder im übertragenen Sinne wie zum Beispiel bei Zumutungen, die wir anderen zufügen. Solange wir trotz aller Ungeheuerlichkeiten noch Bezugspunkte haben, seien dies vertraute Planeten oder verlässliche Erwartungen, können wir uns zumindest vorübergehend der Ungeheuerlichkeit und Dimension eines Raumes aussetzen.

Auch wenn wir in Bezug auf den Raum von Entgrenzungen sprechen, so erhält er implizit dennoch seine Begrenzung durch unsere Sprache, weil wir die Ungeheuerlichkeiten des Raumes nicht mit Worten erfassen können. So verhält es sich nicht nur mit dem offensichtlichen Raum, sondern mit jeder Ungeheuerlichkeit, mit der wir konfrontiert werden.

Das Offensichtliche können wir nur beschreiben, aber mit Worten niemals zu der Wesentlichkeit des Ungeheuren vordringen und dieses durch dessen Beschreibung sichtbar machen. Und doch, eines ist dennoch gewiss, die Ungeheuerlichkeit eines Raumes oder jeglichen sonstigen Vorkommnisses können wir empfinden, falls wir bereit sind, dieses Empfinden bei uns zuzulassen.

Dabei wird zwar die Ungeheuerlichkeit nicht umfassend wahrnehmbar, aber die Qualität der Ungeheuerlichkeit spürbar, weil wir, wenn wir uns darauf einlassen, die Fähigkeit haben, Eindrücke mit unserem Verstand durchaus komplex zu verarbeiten. Allerdings erlaubt uns unsere persönliche Begrenztheit nicht, aus dem Wahrnehmbaren Schlüsse zu ziehen, die das mit einschließen, was unsere analytischen Möglichkeiten übersteigt. Da es aber etwas gibt, das, um in einem Bild zu sprechen, jenseits des Horizontes liegt, begleiten uns bei der Betrachtung von Ungeheuerlichkeiten unsere Empfindungen, die sich durch Sehnsucht, Angst und Entsetzen bemerkbar machen und den Ungeheuerlichkeiten Konturen verleihen.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Herdenimmunität

Bei Herdenimmunität handelt es sich um einen wunderbaren Begriff, der in Zeiten von Corona allgemein geläufig wurde, um zu verdeutlichen, dass, wenn 70 % der Bevölkerung geimpft seien, eine Pandemie abgewendet werden könne. Resilienz, also der gemeinsam organisierte Widerstand gegen Gefahren ist allerdings keine Spezialität der Pandemiezeiten.

Auf vielen Gebieten wächst angesichts des allgemein verbreiteten Gefühls der Verwundbarkeit und der Wahrnehmung prekärer Unsicherheiten der Anspruch auf Schutz und Sicherheit. Dieser wird, so lehrt die Corona-Pandemie, nicht durch Rückzug und Klagen verwirklicht, sondern nur durch die allgemeine Entschlossenheit, etwaigen Fehlentwicklungen entgegenzutreten, Risiken einzuhegen und Verantwortung für eigenes Verhalten zu übernehmen.

Wie unsere Gesundheit, ist auch unser Wohlergehen vielfach durch Menschen bedroht, die ihre Meinung als für verbindlich für das Leben anderer betrachten. Eine solche Haltung wird zum Beispiel deutlich erkennbar in dem Ausspruch: „Wir sind das Volk!“, der die Stimmen und den Protest anderer Menschen ignoriert. Die so reden, spüren einen missionarischen Eifer, ihre Meinung als alternativlose Erkenntnis aller Menschen durchzusetzen, dabei im Übrigen ganz ähnlich wie das Corona-Virus handeln, das zu seiner Wirksamkeit der passiven Mithilfe ahnungsloser und gleichgültiger Wirtsleute bedarf.

Wie in der Natur oder bei Krankheiten besteht unser ganzes menschliches Leben aus „Trial and Error“ aufgrund eigener Erkenntnisse. Aus der Chance und den Fehlern, die wir im Umgang mit anderen Menschen machen, aus unseren Beurteilungen und unserem Handeln können wir lernen, uns resilienter gegen undemokratische Entwicklungen in der menschlichen Herde zu wappnen.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Verlust

Häufig passiert es wohl jedem Menschen, dass ein guter Gedanke, der gerade noch da war, plötzlich verschwindet. Er bleibt dennoch da, aber wo er ist, das wissen wir nicht. Irgendwo in unserem neuralen Netz wartet er darauf, dass er wiedergefunden wird und erneut zum Glühen kommt. Deshalb haben Menschen in der Vergangenheit Notizbücher bei sich gehabt, bei einem auftauchenden Gedanken innegehalten, ihn notiert, um ihn später wieder aufrufen zu können.

Sich auf die Präsenz aller Gedanken zu verlassen, ist waghalsig. Deshalb heißt es auch: „Wer schreibt, der bleibt.“ Mit einer Verschriftlichung unserer Gedanken gestalten wir die Facetten unserer Existenz. Nun ist heute das Schreiben nicht gänzlich aus der Mode gekommen, allerdings ersetzt die Tastatur weitgehend das Schreiben mit der Hand. Damit ist es möglich, einen Gedanken festzuhalten und ggf. auch mit anderen zu teilen.

Dies erfolgt heute in großer Häufigkeit. Zumindest junge Menschen verschicken unermüdlich ihre Gedanken – teilweise mit sogenannten Emojis und Bildern versehen – an andere Menschen, die zur gemeinsamen Chatgruppe gehören. In gleicher Flut erhalten sie von diesen deren Gedanken und Eindrücke, wobei es naheliegend ist, anzunehmen, dass sich hieraus ein Geflecht von Gedanken, einem neuralen Netz vergleichbar, bildet.

Ist der einzelne Gedanke dort wieder auffindbar, einer Reflexion zugänglich und bearbeitungsfähig oder geht er in der Flut aller Informationen verloren? Diese Gefahr besteht jedenfalls, wenn technische Möglichkeiten für stete Neuerungen sorgen und das Besondere an einem Gedanken überstrahlt. Jeder Nutzer eines Smartphones macht diese Erfahrung, dass er nach einiger Zeit unzählige Bilder geladen hat, aber überhaupt nicht mehr weiß, was er dort verwahrt.

Es ist das Smartphone selbst bzw. das auf ihm installierte Programm, welches ungefragt Bilder auswählt und diese dem Nutzer präsentiert. Könnte dies in Bälde auch mit unseren Gedanken geschehen, soweit sie auf dem Smartphone abgelegt sind? Welcher Anteil gehört von dieser Präsentation dann noch uns und welchen Anteil müssen wir der Allgemeinheit opfern?

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Befreiung

Das Leben ist eine ungeplante Last für jeden Menschen. Stets ist er daher auf der Suche nach einer Möglichkeit, sich von dieser zu befreien, ohne sich zu beschädigen oder gar zu eliminieren. Da ihm materielle und ideelle Vorteile dies zu versprechen scheinen, arbeitet er unentwegt an entsprechenden Konstruktionen.

Dabei erfährt er permanente Unterstützung derjenigen, die ihrerseits meinen, dass sich dies für sie vorteilhaft auswirken wird. Es sind die sich den Menschen bietenden Gewinnmöglichkeiten, gepaart mit Verlustängsten, die das erfolgversprechende Lebensmuster prägen.

So versucht der Mensch alle sich ihm bietenden Möglichkeiten auf eine Weise zu manipulieren, dass sie ihm stets günstig erscheinen. Für die Menschen ist es schwer zu entscheiden, was ihn einsichtig machen, von dem „Geworfensein“ ins Leben befreien könnte. Daher bleibt er in den angestammten Lebensmustern und wünscht sich seine Befreiung – zumindest virtuell, wenn dies gelingen sollte.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Completion Process

Als junger Mensch hielt ich mich für kurze Zeit in den USA auf, um an einer Schulung teilzunehmen, die sich „Completion Process“ nannte. Es ging einfach ausgedrückt darum, nicht nur die Souveränität über seine eigenen Gedanken und Gefühle zu erlangen, sondern auch eine Methode zu erlernen, das eigene Verhalten stets als Erfolg zu begreifen und dazu nicht passende Argumente anderer Menschen damit zu erledigen, dass man sie aufforderte, über das von ihnen selbst Gedachte und Gesagte selbst intensiv nachzudenken, um so zur richtigen Erkenntnis und Aussage zu gelangen.

Diese Methode wirkt und ich schwebte damals nach meiner Rückkehr aus den USA auf einer Wolke der Selbstzufriedenheit, bis ich feststellte, dass die verblüfften Mitmenschen, Familienmitglieder und Freunde nicht mehr mitmachen wollten. Was habe ich daraus gelernt: dass es notwendig ist, Methode und Inhalte voneinander zu trennen, um zu vermeiden, dass die Äußerung selbst, ob diese mündlich, schriftlich oder durch Handeln erfolgt, durch deren Inhalt so infiziert wird, als ob sie untrennbar und selbstverständlich miteinander verbunden seien.

Genau das, was ich vor 40 Jahren erlebt habe, verkörpert für mich heute die identitäre Bewegung. Es werden vielerlei Themen benannt, aber gleichzeitig vorgeschrieben, wie damit umzugehen sei und wer sich nicht daran hält, wird aufgefordert, sich über die Art und Weise des Umgangs mit dem jeweiligen Thema selbstkritisch auseinanderzusetzen. Diese Art des ´Ver-rücktseins` hat Methode, weil es selbst ´ver-rückt` ist.

Die Evolution, die Entwicklung unseres Menschseins fordert uns im Gegenteil geradezu auf, uns mit allen Aspekten unseres Daseins nicht nur kritisch auseinanderzusetzen, sondern auch perspektivisch, argumentativ, emotional, kulturell und in jeder Richtung beispielhaft. Wenn wir uns nur für einen Augenblick bewusst werden, dass wir trotz aller feststellbaren Unterschiede Vertreter einer Menschheit sind und in der gemeinsamen Weiterentwicklung eine große Chance liegt, implodiert sofort die ganze Aberwitzigkeit der Vereinzelung. Natürlich muss ich für jeden Menschen, jedes Tier und jede Pflanze reden können, weil es mir Freude macht, alles wahrzunehmen, zu lernen, Schlüsse zu ziehen und zur Entwicklung beizutragen.

Schlimm wird es aber, wenn ich mich mangels angeblicher Inkompetenz absondere und mich darauf zurückziehe, ein alter weiser Mann zu sein. Meine Weisheit lässt dies nicht zu.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Beobachtung

Zuweilen habe ich die Selbstwahrnehmung, dass ich das Geschehen auf dieser Welt so beobachte, als ginge mich dieses nichts an. Diese Selbstwahrnehmung ist nicht eingeschränkt, sondern bezieht sich auf alle Umstände, die Corona, Kriege, Hungersnöte, Krankheiten, Armut, Fluchtursachen und Klimawandel betreffen. Alles ist zu benennen, was mich eigentlich nichts angehen müsste, da ich nicht unmittelbar Betroffener bin.

Allerdings lege ich Wert darauf, überhaupt nicht falsch verstanden zu werden, denn alles, was ich aufzähle oder auch noch nicht benannt habe, geht mich etwas an, aber meine Perspektive ist oft eine andere als diejenige vieler anderer Menschen. Vieles, was ich beobachte, scheint mir schon deshalb sonderbar, weil ich den Sinn und den Nutzen des Handelns Anderer nicht begreife, die enorme Entfernung zu meiner Wahrnehmung spüre, und mich kurzum oft fremd in einer seit Langem eigentlich vertrauten Welt fühle.

Alles, was ich beobachte, ist festgehalten in einem Moment, dessen Bedeutung ich nicht verstehe. Ich begreife nicht das Leid, das Menschen anderen zufügen, ich begreife weder Diskriminierung, noch Hartherzigkeit, Gewalt und Unterdrückung. Vieles bündelt sich in Übervorteilung, Selbstsucht und Verantwortungslosigkeit. Der rücksichtslosen Selbstermächtigung eines Menschen kann erstaunlicherweise oft sogar eine gesellschaftliche Ächtung nichts anhaben. Ich beobachte sogar die Zustimmung des Opfers zu seiner eigenen medialen Hinrichtung.

Das mag pathetisch klingen, zeigt aber deutlich das Dilemma: Was hat der Mensch davon, wenn er die ganze Welt erobert, Ressourcen plündert und Wälder abfackelt? Was hat der Mensch davon, dass er zulässt, dass andere dies tun? Bin ich blind für die Ursache? Ist es lebensnäher, dagegen zu sein, als dafür, Neid stärker als die Bereitschaft zu geben? Zuweilen zweifle ich aber daran, dass meine Beobachtungen zwingend sind und ich mit meinen Einschätzungen richtig liege.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Begegnung

In Corona-Zeiten erfahren die zwischenmenschlichen Beziehungen erhebliche Einschränkungen. Die selbstverständlichen Begegnungen mit anderen Menschen, das Treffen, das gemeinsame Essen und Feiern, der Handschlag, das Küssen, das Umarmen, all dies entfällt, der andere Mensch bleibt auf Sichtweite oder ist überhaupt nur über Telefon oder virtuell zugegen.

Können wir auf die persönliche Begegnung verzichten, ersetzen virtuelle Begegnungsformate die reellen? Finden wir nach der Corona-Zeit wieder zu unseren Gewohnheiten, die wir zuvor lustvoll pflegten, zurück? Es dürfte schwerfallen, jetzt schon schlüssige Antworten zu geben, aber sinnvoll ist es, sich vorbereitend damit auseinanderzusetzen, ob virtuelle Formate, Zoom-Konferenzen und Begegnungen auf Abstand ohne Weiteres in der Lage sind, unsere körperlichen Gewohnheiten der Begegnung zu ergänzen oder zu ersetzen.

Von Geburt an erfahren wir Menschen den realen Raum und orientieren uns durch Tasten, Sehen und Riechen. Alle unsere Sinne spüren Möglichkeiten und Grenzen auf, werden während unseres Lebens grandios darin geschult, uns in einer Wirklichkeit mit anderen Menschen zurechtzufinden. Dieses Zurechtfinden benötigt den Raum, der uns verloren geht, wenn wir uns digital raumlos begegnen, einen anderen Menschen weder berühren, noch riechen, ihm nicht ausweichen müssen, sondern ihn einfach wegdrücken können, so wie wir dies heute bei vielen Videokonferenzen ohnehin schon machen. Abstand gewinnen wir so nicht mehr durch Ausweichen, sondern durch Abschalten. Dies beansprucht unsere körperlichen Fähigkeiten nicht.

Der Raum, der im Internet für uns geschaffen wird, lässt vielleicht Avatare, aber den lebendigen Menschen nicht mehr wesentlich zu. Andere Menschen, denen wir bei Videokonferenzen begegnen, sind für uns körperlich unerreichbar. Wir können an ihnen deshalb unsere Fähigkeiten der Zuneigung nicht mehr erproben. Deshalb sollten wir uns eine Zeit wünschen, in der wir anderen Menschen tatsächlich wieder selbstbestimmt ausweichen können oder müssen, sie aber auch umarmen dürfen, wenn es für den anderen Menschen passt und für uns auch.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski