Archiv der Kategorie: Kultur

Hier finden Sie meine Gedanken, Ideen und Anreize zu gegenwärtigen und vergangenen kulturellen Themen, die mich und meine Umwelt bewegen.

Türkei

Nein, es sieht nicht so aus, als würde die Türkei in absehbarer Zeit in die EU aufgenommen werden können. Vielleicht will sie es auch nicht mehr, weil viele die EU als kein zukunftsfähiges Modell mehr betrachten. Es mag ja sein, dass die institutionelle Verkrustung weit fortgeschritten ist und wir auf ein Aufbruchssignal hoffen müssen. In der Zwischenzeit scheint uns die Türkei verlorenzugehen zwischen all den Gülens und Erdogans, den Auseinandersetzungen mit den Armeniern und den Kurden.

Krieg mit allem und gegen jeden, auch gegen das eigene missliebige Volk. Ein Grund für uns, nicht die Nachrichten abzustellen, sondern an den Bücherschrank zu gehen, um uns der großartigen Menschen zu vergewissern. Ich greife zum Beispiel zu „Memed, mein Falke“ von Yaşar Kemal. Im Klappentext heißt es dazu: „In türkischen Kaffeehäusern wird er vorgelesen, wandernde Sänger erzählen ihn nach.“ Der Roman wurde in über 40 Sprachen übersetzt, ist großartig zu lesen und lässt uns die wahren Türken erleben.

Dann greife ich Rafik Schami „Erzähler der Nacht“, Salim, der Droschkenbesitzer aus Damaskus und leidenschaftliche Geschichtenerzähler. Kein Türke? Nein, aber einer, der den Kulturraum kennt von Istanbul bis Damaskus, so auch wie Mehmed Uzun, der „Im Schatten der verlorenen Liebe“ eine Wanderung durch den Geist, die Seele und Landschaften des früheren Osmanischen Reiches unternimmt.

Davon berichtet auch Ivo Andrić in „Die Brücke über die Drina“. Diese Višegrader Chronik zeigt auf, wie Verständigung unter Moslems, Christen, Juden und Anderen funktionieren und wie sie ruiniert werden kann. Die Bosnier, Kroaten, Serben, Türken, Armenier, Kurden und Syrer, alle können und sollten stolz auf das sein, was sie uns geschenkt haben und wir sollten dies in Demut anerkennen und hoffnungsvoll Lehren daraus ziehen anstatt immer wieder an Zerstörungen mitzuwirken.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Selbstheilung

Wenn mir zum Beispiel mein Bein wehtut, so besuche ich es. Ich unternehme eine Reise dorthin, stelle Fragen, woher der Schmerz kommt und erfahre dabei, dass nicht das Bein den Schmerz verursacht hat, sondern mein Rücken. Aha! Dann unternehme ich eine Reise zu meiner Wirbelsäule. Nach einem kurzen Gespräch bestätigt diese die Verursachung, weist allerdings darauf hin, dass sie eigentlich auch nicht alleine verantwortlich sei, sondern ich mir einmal Gedanken darüber machen müsste, woher denn die auslösenden Impulse kämen.

Ganz ratlos bin ich da nicht, denn ich weiß genau, dass ich mich bei der Arbeit verausgabt und zu wenig Sport getrieben habe. Die Anspannung bei den Lunch-Terminen mit Anderen, das soziale Gerede bis tief in die Nacht, der Alkohol und der wenige Schlaf. Alle das wird mir bewusst. Also verhandele ich mit meinem Rücken und überzeuge ihn davon, mir noch einmal eine Chance zu geben, wenn ich meinerseits bereit bin, wieder mehr Sport zu treiben und mich gesünder zu ernähren, mehr auf meine Balance zu achten und fröhlicher zu leben.

Versprochen? Versprochen! Das Gespräch mit dem Rücken bewirkt Wunder. Die Schmerzen im Bein klingen ab. Was mit dem Bein gelingt, gelingt fast mit allem, wenn man seine Selbstheilungskräfte nicht unterschätzt und versucht, sich an getroffene Vereinbarungen mit sich selbst zu halten. Was im physischen Bereich möglich ist, gelingt auch in anderen Bereichen, soweit wir ein Erkenntnisinteresse haben. Erkenne dich selbst.

Wer kennt nicht diesen fast anmaßend klingenden Imperativ. Sich aber darum zu bemühen, Verhaltensweise, Einstellungen und Handlungen bei sich selbst zu erkennen, trägt dazu bei, sein eigener Souverän zu werden. Es ist möglich, seine Gedanken und Gefühle zu besuchen und ihre Plausibilität zu überprüfen. Wir wissen, dass jede Gemeinheit krankmacht. Vielleicht nicht sofort und vielleicht ist der Schmerz erst später spürbar, aber dort, wo Selbstheilungskräfte wirken können, schaffen sie Vernunft statt Sturheit, Gefühle statt hemmungsloser Emotionalität, Zuneigung statt Ichverliebtheit. Reisen kann ich in die Vergangenheit, aber auch in die Zukunft. Ich kann schon jetzt sehen, was sein wird, denn alle Informationen sind bereits in mir angelegt. Wenn ich mich darauf einlassen will, sehe ich das Eigentliche.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Selbstentfremdung

Wer bin ich und wenn ja, wie viele? So lässt der Philosoph Richard David Precht uns fragen. Wie sollen wir diese Frage aber beantworten, wenn wir überhaupt nicht wissen, wer wir sind? Wer wir sind, das wird uns gesagt. Wir sind Mensch, wir sind Kind, wir sind Frau, wir sind Mann, wir sind schwul, wir sind lesbisch, wir sind queer, wir sind transsexuell, wir sind ordentlich, wir sind unordentlich, wir sind hässlich, wir sind schön und vieles mehr.

Wir empfinden uns aber auch, denken uns aus, wer wir sind. Wir haben Vorstellungen von uns, allerdings wissen wir nicht, ob diese kongruent zu unserem tatsächlichen Wesen sind und dem Bild entsprechen, das andere von uns haben. Bei `Hans vom Glück´ im „Traum vom Titelhelden“ habe ich gelesen, dass hinter jedem seiner Ichs, ein anderes Ich auf der Lauer läge. Wie soll man sich da noch mit sich selbst auskennen?

Am besten gar nicht. Man muss nicht nur ein Ich haben, um zu sein, sondern gerade die Vielfältigkeit schafft einen aufgeschlossenen, empfangsbereiten Menschen. Sollen doch alle Ichs miteinander den großen Coup planen oder miteinander im Clinch liegen. Jede Reiberei befeuert die Möglichkeit, sich zu entdecken, zu lernen und Erfahrungen zu sammeln mit den von außen zugedachten Attributen und den eigenen Wahrnehmungen. Manche Menschen sagen, wenn sie von sich sprechen: „meine Wenigkeit“. Da entgegne ich: „deine Vielfalt“.

Die Größe des Menschen entsteht aus seiner Vielfalt, der Fähigkeit, sich auszuhalten und zu entdecken, indem er sich von der Fußzehe bis zu den Ohren durcheilt, seine Organe, sein Herz und seine Seele und natürlich auch sein Gehirn kennenlernt. Vielfalt versetzt den Menschen in die Lage, sich in andere einzufinden, weil nicht nur ein Muster stimmt. Sich in Andere hineinzuversetzen, dient auch der Selbstvergewisserung, verschafft die Möglichkeit, sich auszubilden und weiter zu hungern und zu dürsten nach noch mehr Erfahrung mit sich selbst.

Der neugierige Mensch wird uralt, aber er bleibt gesund. Er geht freudig und optimistisch mit seinen nicht versiegenden Möglichkeiten der eigenen Erfahrung um. Kommt eines seiner Ichs einmal in Bedrängnis, so hilft das andere Ich ihm sicher wieder aus der Patsche.

Solidarität und Verantwortung, Neugierde und Liebe, das wird dem vielfältigen Menschen stets zuteil werden.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Surrealismus

Der Surrealismus passt ganz recht zu unserer Zeit. Er war und ist auch noch ein kultureller Kampfbegriff, der allerdings in der Vergangenheit mehr mit der Kunst, als mit dem Leben identifiziert wurde. Das hat sich geändert. Noch erscheint uns vieles real, obwohl wir ahnen, dass hinter dieser Realität eine Art Hyperrealität auf der Lauer liegt, die uns jederzeit unsere Wahrnehmung der Welt, seiner handelnden Personen und Umstände in Frage stellen kann. Wir können auf unser eigenes Urteil genauso wenig mehr vertrauen, wie auf das Urteil anderer, seien diese Politiker, Theologen oder Philosophen. Es zählt der Augenblick, die momentane Einschätzung, die allerdings ebenfalls illusionär sein kann.

Keiner weiß genau, ob die Grundlagen der Einschätzung noch stimmen. In der surrealen Welt ist vieles möglich, dem Traum und der Absurdität verwandt. Das Schöne steht neben dem Schrecklichen, der Nihilismus neben dem Ordnungssinn. Es ist eine Welt der Überraschungen und der Geheimnisse des falschen Strebens und der unerwarteten Erfüllung.

In der surrealen Welt sind alle Handelnden nur vorläufig gemeint, ablösbar jederzeit durch Umstände, deren Ursachen in hypothetischen Annahmen, im realen oder im virtuellen Raum liegen. In der surrealen Welt handeln wir, haben aber keinen Anspruch auf die Folgen unseres Handelns. In der surrealen Welt machen wir Erfahrungen, ohne dass wir daraus einen Wert ableiten dürfen und in der surrealen Welt entkleidet sich unser Leben irgendeines Sinnes, der über den Augenblick der Wahrnehmung hinausweist. It´s cinema, enjoy!

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Das Wort

„Am Anfang war das Wort“, so heißt es bei Johannes 1:1. Das Wort war bei Gott. Vermutlich wird Gott auch das letzte Wort haben, in der Zwischenzeit jedoch haben wir Menschen uns des Wortes bemächtigt. Immerzu wird unsere Welt mit Worten in allen organischen und technischen Varianten überflutet. Der Wort-Tsunami wird nicht nur von wortsüchtigen Menschen – alles ist gesagt, aber noch nicht von mir – sondern auch von Bots gebildet. Das Wort erschließt seine Bedeutung aus der Verabredung mit dem Empfänger, das Wort in Zusammenhängen zu denken, für sich zu bewahren und zu entwickeln. Das unermessliche Angebot aller Medien macht Worten die Vorrangstellung streitig.

Mächtiger als Worte sind Bilder, ausdrucksstarke Darstellungen von Gefühlen und Techniken. Worte sind zuweilen nur noch die Brücken zu wirkungsmächtigeren Eindrücken. Kaum gesprochen oder gelesen, vergehen sie, werden ersetzt oder verbannt. Es sind ja nur Worte. An Worte ist die Welt nicht mehr gebunden. Ihnen ist nur noch selten zu trauen. Lügen verbreiten sich in den für sie passenden Worten. Worte der Wahrheit werden aus Buchstabensuppen gefischt.

Wenn wir Menschen dem Wort keinerlei verlässliche Bedeutung mehr beimessen können, dann hat es sein göttliches Geheimnis offenbart.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Fake

Die Welt erwacht aus dem Dornröschenschlaf. Die Menschen reiben sich verwundert die Augen. Wo leben wir? Es ist von der Postrealität die Rede, vom Faktencheck und Postfaktischem. Jede Lüge wird Wahrheit, je öfter Sie im Internet geteilt wird. Wahrheiten, Ernsthaftigkeiten, Tatsachen scheinen sich aufzulösen, verlieren an Relevanz. Politiker, Medien, aber auch besorgte Bürger melden sich zu Wort, beschwören eine Zukunft, in der man noch Vertrauen haben kann auf das Gesagte oder Gesehene.

Auch Bilder lügen. Verschwörungserzähler schaffen dadurch Eindruck und machen gutes Geschäft. Ach wie schlimm, sagen viele! Ich finde dagegen, dies ist überhaupt nicht schlimm, sondern schafft uns die Möglichkeit, in ganz neue Welten vorzudringen, die früher nur wenigen Schriftstellern und Künstlern vorbehalten waren. Wenn das Menschentheater schon absurd ist, dann ist es folgerichtig, es auch als absurd zu inszenieren und nicht so zu tun, als sei alles durch Zahlen, Begriffe und Markierungen fixierbar.

Ja, es ist unbequem, plötzlich eine Welt zu entdecken, die Wahrheiten jeder Art zur Disposition stellt und in der Lügen gleichwertig sind. Aber, auch die sogenannten Wahrheiten sind nur asymptotische Annäherungen an eine verabredete Wahrheit, die die Wirklichkeit passgerecht erfindet. Deshalb ist die Lüge die sublimste Bestätigung der Wahrheit und zwingt die Empfänger zur Prüfung jenseits des Vertrauens.

Es gilt dann aber auch noch, dass die Revolution ihre Kinder frisst oder auf die Lügen gemünzt: Jeder Lügner wird über kurz oder lang mit seinen Lügen konfrontiert, muss der Unsicherheit standhalten, dass keiner seiner Lügen mehr einen Wahrheitsbeweis erbringen kann. Wenn die Welt von Behauptungen und Lügen überschwemmt wird, entfaltet sich daraus die Wahrheit – zumindest vorübergehend.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Digital World

Wir leben in einer bereits veränderten Welt. Begriffen haben wir dies allerdings nicht, weil sich unsere Welt noch so analog anfühlt. Unsere Welt gibt es aber nur als Projektionsfläche für eine ganz andere Entwicklung, die durch die digitalen Möglichkeiten provoziert wird. Die digitale Möglichkeit des Handelns bestimmt dann unser Denken und wird es grundlegend verändern.

Digital denken heißt hier nicht produkt- sondern prozessgesteuert zu denken und dabei auf alle Umstände zu verzichten, die diesen Prozess stören. Prozessstörend ist dabei nicht nur das Festhalten an Körperlichkeiten, sondern sind auch Gesetze, Rechtsvorschriften und Regeln, die wir spezifisch so aufgelegt haben, dass sie unsere analoge Welt ordnen.

In der digitalisierten Welt mögen sie aus opportunen Gesichtspunkten heraus noch einige Zeit geduldet werden, Überlebenschance hat allerdings unser bisheriges Regelwerk nicht mehr. Wenn wir nicht ausgegrenzt sein wollen und glauben, ein Bestimmungsrecht über unser Leben zu haben, wird es Zeit, aus digitalem Anspruch und dem Korrelat der Verpflichtung heraus ein neues soziales Netz zu stricken.

Da möglicherweise die Erkenntnis reift, dass konkrete allein warengestützte Lebensmodelle keine Überlebenschance bieten, kommen auch Angebote anderer Art in den Genuss sozialer Aufmerksamkeit. Es eröffnet sich der Markt für Philanthropie und Allmende. Der Mensch, der im digitalen Raum auf sich selbst gestellt ist, vereinsamt weniger, wenn er die unbegrenzten Möglichkeiten des digitalen Raums nutzt, andere Menschen solidarisch zu unterstützen.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Von der Hand gesprungen

Tod, wo ist Dein Stachel, heißt es beim ersten Korinther 15, Vers 15. Tod, wo ist Dein Sieg heißt es weiter. Egal. Tod ist Ende, aus. Rien ne va plus. Stillstand. Kein Herzschlag mehr, keine Hirnaktivitäten, keine Transaktionen sind mehr möglich; alles ist vorbei, nachwirkend nur Gefühle, Gedanken von Mitmenschen und Testamente.

Das Leben ist von der Hand gesprungen, wie die Schriftstellerin Rosemarie Bronikowski meint. Alle Lebensaufregungen haben zu einem Ende gefunden, aber waren sie vergeblich? Keineswegs. Bei Psalm 90, Vers 12 steht: „Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden.“ Wir müssen das Leben mehr vom Ende her denken, begreifen, dass die Ausbildung, die wir im Leben erfahren, wichtig dafür ist, dass wir am Schluss loslassen können.

Ein in der Selbstausbildung noch unvollendeter Mensch stirbt und hinterlässt meist eine Unordnung, die vergiftend nachwirken kann. Nicht Erbschaftsteuer und Verteilungsgerechtigkeit beim Nachlass erhält das Andenken an den Verstorbenen und den Sinn seines Lebens aufrecht, sondern seine Fähigkeit beizeiten, das Materielle von dem Immateriellen zu trennen und seinen nächsten Angehörigen und der Welt etwas zu hinterlassen, was das Leben wirklich ausmacht: Liebe, Schönheit und Demut.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Heimat

Die Diskussion darüber, was Heimat sei, läuft in den Medien auf vollen Touren. Für die einen ist Heimat das, was sie verloren haben, die anderen suchen sie. Heimat ist der Wald, der Kiez oder der Apfelkuchen der Großmutter. Alle Sehnsuchtsorte und Verluste sind Heimat. Heimat ist die Chiffre für Sicherheit. Sicher lebt man aber nicht mehr, auch nicht als Flüchtling. Deshalb nimmt die Heimatdeutung gerade jetzt wieder Fahrt auf, wo manche sich schützen wollen vor Überfremdung, wie sie es nennen oder das Hineingeworfen sein in eine feindlich gesonnene Umwelt. Keiner scheint bei der Ausformung des Heimatbegriffs ganz auf seine Kosten zu kommen. Vielleicht deshalb, weil Heimat alles benennen kann. Heimat kann Weihnachten sein, aber auch die Jagd.

Für mich war es einmal während eines Griechenlandaufenthalts bei circa 40 Grad Celsius die Vorstellung von Rothenburg ob der Tauber bei Regen. Dies obwohl ich in dieser Stadt niemals gelebt habe, sondern sie nur besuchte, auch jüngst wieder, um dort von permanenten Weihnachtsdauerausstellungen, die man offenbar für Asiaten inszeniert, überrascht zu werden.

Heimat als Dekor. Vielleicht sind auch die Sterne in den Fenstern, die putzigen Schalen, Lichter, Gänsehälse in Blumentöpfen und schmiedeeisernen Riesenameisen in Vorgärten Heimat. Wenn dies so ist, dann vermittelt Heimat eine Arglosigkeit, mit der wir fast alle einmal im Kindesalter gesegnet waren, bevor die Lebenskämpfe begannen und die Zumutungen. Heimat als die Zeit, in der wir uns noch auf das Leben freuten, staunten über alle hinzuerworbenen Fähigkeiten, mit Genuss Äpfel aßen und Zeit hatten, stundenlang auf auf einen Käfer oder in den Himmel zu schauen.

Das alles tragen wir in unseren Herzen, abrufbar, wenn es erforderlich ist, sich auf das Einfache, Klare und Unverfängliche zu besinnen. Heimat ist unter diesem Blickwinkel nicht strapaziös. Heimat ist dann ein Angebot und stellt keine Ansprüche an uns. Wieso aber dann die Sprüche, dass man die Heimat schützen müsse, dass es sie zu verteidigen gelte gegenüber fremden Eindringlingen? Wie soll denn eine Heimat geschützt werden, die je nach Gemütslage und Ortsgebundenheit so unterschiedlich ausfällt.

Wenn meine Heimat mein Garten ist und vielleicht auch noch die Zwerge darin, ich aber die Oldtimersammlung meines Nachbarn überhaupt nicht schätze, wieso soll ich dann mich für ihn und er sich für mich engagieren, wenn wir beide aus unterschiedlichen Gründen unser Ambiente als Heimat begreifen? Kann das Höchstpersönliche verallgemeinert werden?

Das schon. Meine schwäbische Heimat, die ich im Herzen trage, soll möglichst nicht durch „fracking“ zerstört werden, auch Windräder finde ich nur begrenzt heimattauglich, selbst dann, wenn ich sie für die Energiegewinnung unabweisbar finde. Aber auch das, was mir das Dorf, der Weiler, der Bauernhof im Schwarzwald oder der Kreuzberg in Berlin als Heimat bietet, ist letztlich nichts anderes als die Projektionsfläche meiner Sehnsucht nach einem Rückzugsort, dem ich vertraue. Heimat taugt begrifflich schon deshalb nicht zur Abwehr anderer, weil diese mir meine Heimat überhaupt nicht streitig machen. Vielleicht sind sie aber neugierig, davon zu erfahren, wenn ich bereit bin, darüber zu sprechen und sie so in meine Heimat einzuladen.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Enttäuschung

Von den Menschen bin ich enttäuscht. Noch als Kind hatte ich mir das Leben wunderbar ausgemalt. Meine Kinderbücher erlaubten dies. Das waren die 50er Jahre des letzten Jahrhunderts. Heute, viele Jahre später, wenn ich auf mein Leben zurückblicke, darf ich bekennen, dass mein bisheriges den Umständen nach großartig war: keine Kriege, kein Hunger, Familie und Erfolg im Beruf. Also, alles stimmte!?

Naja … . Ich hatte mir keine anderen Umstände, aber das Verhalten der Menschen anders vorgestellt. Ich hatte mir vorgestellt, dass sie gerne und mit Freude leben, ernsthaft und gewissenhaft ihren Aufgaben und Pflichten nachgehen und alle Verabredungen einhalten. Meine Vorstellung von den Menschen war durch die „Hasenschule“ genauso geprägt, wie durch Garry Coupers „Lederstrumpf“ oder „Der kleine Prinz„. Überall gab es Schwierigkeiten, aber diese Schwierigkeiten wurden gelöst durch aufrichtige und hilfsbereite Menschen.

Nicht, dass es diese Menschen nicht gibt, aber das Vertrauen in sie insgesamt habe ich verloren, seit ich wahrnahm, wie egozentrisch und anspruchsorientiert der größte Teil der Menschen ist. Dieser Teil der Menschen macht nicht den Eindruck, dass er besonders glücklich sei, aber kann dennoch nicht davon ablassen, an nichts anderes zu denken, als sein Wohlergehen. Dieses äußert sich im Konsum, Neid und Behinderung anderer Menschen bei ihrer Entwicklung.

Früher hatte ich gedacht, diese Menschen seien Verführte, dann aber festgestellt, dass sie sich absichtsvoll so verhalten. Dieses Verhalten vor sich zu rechtfertigen und anderen dann noch als ihr gutes Recht aufzuoktroyieren, das macht betroffen. Für jedes Unterlassen, für jede Gemeinheit und für jede Tatenlosigkeit gibt es stets eine rechtfertigende Begründung. Der Andere ist immer schuld. Die Spirale der Armseligkeit menschlichen Verhaltens bohrt in das Leben eine klaffende Wunde, die nur durch Rückzug, Distanz und anhaltende Verwunderung etwas verdeckt werden kann. Die Ohnmacht, wenig tun zu können, um die Enttäuschung auszugleichen, schmerzt sehr.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski