Archiv der Kategorie: Kultur

Hier finden Sie meine Gedanken, Ideen und Anreize zu gegenwärtigen und vergangenen kulturellen Themen, die mich und meine Umwelt bewegen.

Schlagen und singen

Der eine ist Boxfan, der andere Opernfan. Der Boxfan hat, soweit er dies organisieren und sich auch leisten konnte, keinen wesentlichen Boxkampf der letzten fünf Jahrzehnte ausgelassen. Von dem Opernfan ist zu berichten, dass er im etwa im gleichen Zeitraum sämtliche gängigen Opern und diese sogar weltweit angesehen hat. Beide haben Archive ihrer Leidenschaften an­gelegt.

In Gesprächen habe ich versucht herauszufinden, wie sie ihre Zuwendungen erlebt haben, welche Perspektiven sich daraus ergeben und was sie verbindet. Auf eine mir nachvollziehbare Art und Weise sind Singen und Schlagen einander verwandt. Auch wenn der eine kein Boxer und der andere kein Sänger ist, so haben sie sich doch Stellvertreter geschaffen, die rational und emotional das verkörpern, was sie selbst schon immer gewesen sind, aber aufgrund der Umstände objektiver und subjektiver Art nie sein konnten.

Dagegen mögen der soziale Hintergrund, die berufliche Stärke, die sie beweisen mussten und ihre eigenen Konstitutionen bzw. Fähigkeiten zu boxen oder zu singen, keine entscheidende Rolle gespielt haben. Aber gerade deshalb sind sie in dieser bei einem Besuch einer Veranstaltung und ihrer Vor- und Nachbereitung vorgenommenen Transformation in die Stellvertreter authentisch, möglicherweise viel wahrer als in der alltäglichen Verkleidung.

Was sie sich durch die Identifikation schaffen, entlastet sie von vielen alltäglichen Sorgen und Nöten. Es gibt ihnen die Sicherheit, sie selbst und ein anderer Mensch zu sein, der an einem Abend zu zeigen vermag, was alles noch in ihm steckt.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Fremd

Wie fremd ist uns das Fremde? Warum ist es so? Wie fremd sind wir anderen, auch uns selbst? Empfinden wir Fremdes als Belastung, als nicht zugehörig? Ist Fremdeln eine Haltung oder beruht sie auf der fehlenden Möglichkeit der Einschätzung? Ungewohntes ist uns fremd und wir benötigen eine Anleitung, um uns im Fremden zurechtzufinden, ob in einem fremden Land oder auch mit fremden Menschen.

Wenn wir uns mit dem Fremden zurecht gefunden haben, gelingt es uns, ein Arrangement zu treffen. Zuweilen kommt das Fremde uns auch entgegen, um unsere Scheu zu überwinden. In fremden Ländern stellen wir fest, dass vieles anders ist, aber auch die Gewohnheit uns den Umgang mit dem anderen erleichtert. Wenn wir uns sicher fühlen, empfinden wir das Fremde auch als wohltuende Herausforderung. Das Wissen kann dabei helfen, uns zum Beispiel die Fremdheit unter den Menschen zu erklären und dadurch eine Verbindung zu schaffen, die durch das Bemühen allein nicht zu erreichen ist.

Menschen können uns durch ihre Hautfarbe fremd sein. Um diese Fremdheit zu überwinden, reicht es nicht, dass wir erfahren, dass diese Menschen und wir genetisch völlig übereinstimmen. Wenn wir aber wissen, dass wir Europäer aufgrund der Lichtverhältnisse weiß geworden sind, können wir den Unterschied in der Hautfarbe besser einordnen und ihr die Relevanz bei der Beurteilung des Fremden nehmen.

Wissen schafft Verständigung und erlaubt es, ohne Schuldzuweisung für Fehlbeurteilungen in der Vergangenheit sich auf die Suche nach der Entdeckung des anderen zu begeben und daraus Vorteile für unsere Zukunft abzuleiten. Wir können nicht so tun, als seien wir alle gleich, aber die Bereitschaft, unser menschliches Verhalten zu reflektieren, eröffnet uns auch die Möglichkeit, nicht nur Momentaufnahmen zu menschlichem Versagen und Gier zu machen, sondern wir begreifen, dass die Ausbeutung anderer Menschen für eigene Zwecke aus Gründen der Nützlichkeit stigmatisierend wirkt und Fremdsein begründet.

Es liegt daher an uns, das Fremde dadurch zu schätzen, dass die Vorurteile, die uns in der Vergangenheit oft nützlich waren, überwunden und das Fremde neu bewertet werden.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Märchen

Mit der Ruck – Stiftung des Aufbruchs will ich Eltern auf die Bildungsinteressen ihrer Kinder aufmerksam machen. Dies geschieht dadurch, dass Kindern von Geburt an auch die Welt der Phantasie durch die Eltern erzählend nahegebracht wird. Kinder dürsten nach sinnlichen Erfahrungen. Sie sind in der Lage, das, was sie hören, sehen und begreifen, in ihrer Phantasie abzulegen, mit weiteren Eindrücken aus ihrem Alltag zu vergleichen und lebenslang Lehren daraus zu ziehen.

Wir müssen bedenken, dass Architekten und Maler, die Kristallpaläste entwarfen und Wasserstädte visionierten, später Begründer des Bauhauses wurden. Erzählen von Geschichten von Anfang an bedeutet also für zuhörende Kinder nicht nur die Erweiterung ihres Sprachschatzes, sondern es werden ihnen auch Maßstäbe zur Auswahl besserer Entscheidungen geboten.

Gut erzählte Märchen müssen nicht unbedingt das Phantasieprodukt erwachsener Menschen sein, sondern sie können sich auch aus der erzählenden Kommunikation mit dem Kind entwickeln. Wenn ich meinen Kindern wunschgemäß immer wieder das gleiche Märchen erzählte, haben sie mich an jedes vergessene Detail der Geschichten erinnert, so dass ich mich schließlich dazu entschloss, diese aufzuschreiben.

Wenn ich heute Lesungen aus Kinderbüchern bestreite, so gewinne ich aus der Erwartungshaltung des Publikums die gleiche gespannte Aufmerksamkeit, die mir meine Kinder seinerzeit haben zuteil werden lassen. Dies zeigt mir die Bedeutung, die jedem Märchen innewohnt. Als ich vor längerer Zeit vom polnisch-tschechischen Freundschaftsweg kommend die Schlucht zur Spindlermühle hinabkletterte, hatte ich das Empfinden, wenn jetzt Rübezahl aus dem Wald hervortrete, jedes Märchen auf einen Schlag wahr werden würde. Das war ein beglückender Moment und so nahe an der Wirklichkeit ,oder?

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Catuskoti

Neulich las ich bei Wikipedia über Catuskoti, wobei es um die logischen Argumente auf vier Fragen geht, die Buddha gestellt werden und Buddha dabei auf alle Fragen, ob etwas existiere oder nicht existiere antwortet, dass er das nicht behaupte.

Mir ist dabei aufgefallen, dass es bei der Beurteilung, die hier exemplarisch mit Buddha verbunden, aber auch sonst bei logischen Fragestellungen praktiziert wird, meist nicht um den Gegenstand der Betrachtung geht, sondern um das Urteil des Betrachters. Müsste es nicht aber so sein, dass Logik sich nicht an dem begrifflich bereits Festgelegten orientiert, sondern an der Rückbezüglichkeit vom Gegenstand der Betrachtung zum Betrachter selbst?

Wer ist der Betrachter, welche Maßstäbe legt er bei seinen Betrachtungen an? Welche Begriffe wählt er und warum? Eine nicht statuarische, sondern prozessuale Vorgehensweise bei der Gestaltung eines logischen Prozesses lässt möglicherweise die Sprache verstummen, wenn sie aufgrund ihrer Vorbefasstheit keine Antwort darauf hat, was logischerweise richtig oder falsch ist. Logik ist nicht die Dopplung von Objekt und Betrachtung, sondern eine Stimmigkeit, die wir versuchen zu dechiffrieren, dabei zerlegen und mühevoll versuchen, wieder auf einen Nenner zu bringen, was wir dann als logisch bezeichnen.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Das Böse lehren lernen

Denkmäler werden geschliffen. Nicht nur diejenigen von bekannten Sklavenhändlern, sondern auch von geschichtlichen Wegweisern wie Christoph Columbus. Nach Auffassung einiger Menschen kann deren Verhalten nicht gerechtfertigt werden, weil sie für Sklaverei, Menschenhandel, Diskriminierung anderer Menschen und Kolonialismus verantwortlich seien.

Ziel der Kampagne ist es aufzuzeigen, dass unsere Menschheitsgeschichte auch immer eine schreckliche, andere diskriminierende und verachtende Geschichte gewesen ist. Unter Benennung aller Einzelheiten, persönlichen und kollektiven Fehlverhaltens verbiete es sich, dieses Verhalten geschichtlich zu relativieren, in dem man den Vorgang nur in seiner Zeit und aus seinen Umständen heraus betrachtet. Vielmehr sei alles, was geschehen ist und Menschen sich wechselseitig angetan haben, höchst gegenwärtig und werden durch Verhaltensweisen und ggf. auch Denkmäler bezeugt. Deshalb müssten diese weichen und diejenigen, die entwicklungsgeschichtlich eher den Tätern zuzurechnen seien, sich in Buße üben. Buße bedeute dabei, sich der Rolle zu vergegenwärtigen, die die heutigen Menschen damals gespielt haben könnten, wären sie am Leben gewesen.

Keineswegs könnten aber heutige Menschen, die sich im Wahrnehmungskreis der Täter befänden, eine Opferdeutungsrolle übernehmen, ganz gleich, ob dies im geschichtlichen Kontext oder im Zusammenhang mit denjenigen stehe, die heute noch das Stigma des Opfers tragen müssten. Zwischen Opfer und Täter, ob geschichtlich oder gegenwärtig, gibt es so nur einen angestrengten Weg der Verständigung, nur über Buße und Nachsicht. Dabei gäbe es einen Weg, gemeinsam zu lernen und das Böse, das Menschen anderen angetan haben und immer wieder antun, als Lehrmeister auszubilden für das eigene Verhalten und daraus die Kraft des Verstehens, der Überwindung und der Vergebung zu schöpfen.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Sprichworte

Ich bin ein wahrer Hans im Glück, dachte Hans, als Goldmarie sich mit ihm einließ. Für ihn führten zwar bisher viele Wege in den Himmel und seine Lieblingsrezeptur bei Frauen war, „ein Mal ist kein Mal“, aber diesmal wusste er, wenn er „A“ sagen würde, müsse er auch „B“ sagen. Aus dieser Ge­schichte käme er nicht mehr ohne weiteres her­aus, denn die Liebe, die er in seinem Magen verspürte war stärker, als ein Neuner beim Kegeln.

Er war schon 40 Jahre alt und wurde von seinen Kegelbrüdern gedrängt, bei Goldmarie dran zu bleiben, denn „Eisen solle man schmieden, solange es heiß ist“. Hans war dagegen eher einer von denen, die sagten: „abwarten und Tee trinken“. Das brachte natürlich Goldmarie auf die Palme, aber er fühlte sich wie im 7. Himmel, wenn sie ihn nach langen Leibesübungen in den Morgen­stunden in den Arme nahm und seine verschütteten La­teinkenntnisse ihm zu­raunten: „per aspera ad astra“. Marie, die im Gegensatz zu dem Sprü­che­schmied Hans sogar das große Latinum hatte, tastete bei dieser Gelegen­heit nach seinem Bauch und seufzte „mens sana in corpore sano“. Gott sei Dank hatte Hans dies, weil noch leicht schnarchend, nicht verstanden, denn anderenfalls wäre er auf die Palme gegangen. Nichts hasste er mehr, als die Aufgabe seiner Bequemlich­keit und das Abweichen von ausge­tretenen Pfaden. Das war so bei der Arbeit wie auch zu Hause bei seinen Eltern. Wes Brot ich ess, des Lied ich sing. Hans´ Sturheit brachte Marie erkennbar fast um den Verstand. Er musste sie auf die Probe stellen. Denn es gibt immer ein Licht am Ende des Tunnels. Er entschloss sich, sie zu heiraten. Er wusste zwar, dass dort, wo Licht ist, auch der Schatten lebt, aber, „Eisen sollte man eben schmieden, solange es heiß ist“.

Hans wusste ohnehin, dass er aus dieser Sache nicht mehr herauskommen würde. Er konnte sich drehen und wenden. Insgeheim dachte er zwar , „es ist noch nicht aller Tage Abend“. Als aber seine Stammtischfreunde stichel­ten: „Dumme Kälber wäh­len ihre Metzger selber“, resig­nierte Hans und meinte, wer „A“ sagt, muss auch „B“ sa­gen und schloss den Bund der Ehe. Er nahm es auch in Kauf, dass sein Konto schmolz wie Butter in der Sonne, Marie ihn drängte zu investieren, ein Häuschen im Grünen für sie zu bauen. Finanziell war er zwar bald am Ende, die Wünsche von Marie aber noch längst nicht erledigt. Ein früherer Liebhaber von Marie tauchte auf, ein Banker von erstaunlichem Renommee, Porschefahrer und Lebemann: „Sonne am Mor­gen vertreibt Kummer und Sorgen“. So sagte er, legte einen Batzen Geld auf den Tisch und verschwand mit Marie. Ein Schelm, der Böses dabei denkt, rief er Hans dabei noch zu. „Einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul“, mur­melte Hans vor sich hin, nahm das Geld und kaufte weitere Baumaterialien, um für Marie die „Feste Burg“ zu vollenden. Sicher kommt sie zurück ?

Sieben Jahre sind vergangen, das Schloss fast errichtet. Weder links oder rechts hat Hans während der Bauphase geschaut. Andere Frauen waren aus den Augen und damit aus dem Sinn. Er baut unablässig und hat sich so eingerichtet in sei­nem unerledigten Eheleben. Die Sonne ist am Unterge­hen, „Abendrot schlägt den Morgen tot“, denkt Hans mit Verdruss, wenn er spürt, dass Marie so stark von seiner Erwartung Besitz ergreift, dass sich das Reißen in seinem rechten Arm wieder bemerkbar macht. „Es ist wahrlich nicht alles Gold, was glänzt“, lässt ihn dies seufzen. Doch „wer den Taler nicht ehrt, ist des Goldes nicht wert“. Ein langer gemeinsamer Weg müsste von ih­nen noch zu Ende gegangen werden und das sei erst der Anfang … meint Hans und wartet auf seine Frau.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Zeit haben

Oft werde ich gefragt: „Wie schaffen Sie das denn auch noch? Diese Zeit hätte ich nie.“ Es gibt eine naturwissenschaftliche Zeit. Die ist jedem Menschen zugeteilt. Es gibt aber auch eine Zeit, die wir uns nehmen können, die uns kein anderer gibt. Wir teilen uns die Zeit ein. Wir entscheiden, welche Zeit wir einsetzen für das, was wir schaffen wollen. Schaffen wollen bedeutet, dass wir einen individuellen Ansatz wählen können für die Gestaltung unserer Tageszeit.

Das ist allerdings nicht selbstverständlich. Die meisten Menschen teilen den Tag nach ihren Pflichten und Neigungen auf, nach familiärer Fürsorge, Arbeit, Hobbys, Fernsehen sowie Nahrungsaufnahme und Schlafen. Dann stellen sie fest, dass ihnen keine Tageszeit mehr bleibt, um z. B. zu schreiben, zu lesen, Musik zu hören und dergleichen mehr. Alles, was sie gerne einmal getan hätten.

Wie ihr Tag sind auch die Wochen und die Jahre in ein Zeitkorsett gepresst. Das, was am Tag nicht übrig bleibt, bleibt auch im ganzen Leben nicht übrig. Es gibt für sie keine Zeit außerhalb ihres Pflichtenkreises. Dabei könnte es anders sein. Wenn ich erkläre, dass ich Zeit habe, dann handhabe ich meine Zeit. Ich nehme mir Zeit und schaffe dadurch Prioritäten selbst dann, wenn objektive Umstände am Tage mich dazu zwingen sollte, mich gegenüber anderen zu verteidigen, dass ich diese Priorität gewählt habe.

Zeit zu haben kann z. B. zu Lasten eines Fernsehabends gehen. Zeit zu haben schränkt womöglich die Aufnahme von Essen ein. Zeit zu haben hat Einfluss auf die tägliche Abfrage sämtlicher E-Mails, das Telefonieren mit dem Handy und dergleichen mehr. Aber eine eigene Zeit zu haben schafft einen großen Freiraum, nicht abhängig zu sein von den Mechaniken einer durchorganisierten Welt, von Beruf, Freizeit und Urlaub. Die persönliche Zeit eines Menschen ist nicht nur ideell, sondern auch wirtschaftlich sein höchstes Gut. Er disponiert und gewinnt, wenn er diese Zeit zur Verfügung hat und es nicht zulässt, dass Andere mit seiner Zeit machen, was sie wollen.

Die Ausbeutung des Menschen beginnt dort – und ist im Übrigen unabhängig von Einkommen, Schichten und sozialem Vermögen – wo der Mensch seine Zeitfreiheit verloren hat. Die Zeit ist ihm anvertraut, ein Geschenk, so sagt man, das er mit anderen Menschen teilt. Wenn er sich seiner Zeit bewusst ist, wird er es auch nicht zulassen, dass Andere ihm seine Zeit stehlen, über sie verfügen und damit auf seine Zeitkosten leben. Ein Weiser schenkt seine Zeit Anderen, weil er deren Souverän ist und bleiben will. Ein Narr behauptet: „Zeit sei Geld.“

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Trost

Bist du denn noch bei Trost? Bei dieser irritierenden Ansprache spielt der Begriff Trost zwar auch eine Rolle, aber eher in der Form der Entrüstung. Ein Mensch, der so angezählt wird, erfährt keine Zuwendung, sondern gerade diese wird ihm entzogen. Dabei könnte doch der auslösende Moment des Unverständnisses trostbedürftig sein.

Ein Mensch benötigt oft dann Trost, wenn der Grund des Kummers nicht augenscheinlich ist, überhaupt nicht geäußert wird und auch nicht geäußert werden kann. Trost ist nicht ein Signal des Einverständnisses, sondern des Verständnisses. Eine Zusicherung, dass das Geschehen nicht beseitigt, aber überwunden werden kann. Trost fühlt mit, aber bleibt auf Distanz.

Zuwendung überschreitet die vom Trost gezogene Linie und mischt sich ein. Der sich einem anderen zuwendende Mensch begreift das Anliegen in seiner ganzen Dimension und bietet Hilfe zur Überwindung schwieriger Zustände an. Der Zuwender wird Pate des Zuwendungsempfängers. Er hat eine Aufgabe übernommen, die erst dann endet, wenn der Zuwendungsempfänger selbst bereit ist, auf diese zu verzichten. Trost benötigt er dazu nicht.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Generation Z

Kürzlich war ich Gast einer Veranstaltung, die sich mit den Chancen und Perspektiven der Ge­neration Z beschäftigte. Generation Z dürften die 16- bis 24jährigen der jetzigen Generation sein. Genau weiß dies allerdings niemand, da Altersabgrenzungen immer problematisch sind. Gespannt dürfen wir natürlich darauf sein, wer nach der Generation Z heranwächst. Vielleicht eine Generation Alpha oder irgendeine Zifferngeneration. Wer kann, wer will das schon wissen.

Eine Generation definiert sich, so will man glauben. Eine Generation wird definiert. Das dürfte näher an der Wahrheit sein. Die Generation Z sei von den digitalen Kommunikationsmitteln geprägt, dadurch gleichzeitig gefordert und überfordert, kooperativ und doch bindungslos. Kurzum: eine Generation in der Wir-Findung, aber kreativ, talentiert, ausgestattet mit hohem Potential. Es sei eine gesellschaftliche Aufgabe, die Talente und Fähigkeiten zu entwickeln, Freiraum zu schaffen und alle kreativen Ansätze dieser Generation zu fördern.

Auch zwei Vertreter der Generation Z waren bei der Veranstaltung, etwas knurrig und selbstbewusst, aber durchaus zufrieden, mit dem, was sie hörten. Sie dachten sich wohl ihren Teil und spekulierten auf den Nutzen der verbalen Angebote für ihre Zwecke. Die Veranstaltung lief in einem etwas breiigen Verständnismodus ab. Wie wir dies auch schon in anderen Diskussionen mit und über Jugendliche erleben durften, geht es immer darum, dass wir sie verstehen, ihre Zukunftsängste begreifen, unser Versagen eingestehen und hoffen, dass die Strafe für uns nicht allzu drastisch ausfällt.

Ein ganz merkwürdiger Ablaufplan für die Entwicklung unserer Generation und der kommenden. Eher beiläufig als zentral ist von Struktur, Ordnung, Verantwortung – auch Selbstverantwortung – und Pflicht die Rede. Dabei schaffen gerade Ordnung und Pflicht diejenigen Organisationen, die geeignet sind, auch junge Menschen dazu zu befähigen, sich unter Zurückhaltung einzubringen in persönliche, gesellschaftliche und wirtschaftliche Prozesse, um ausbaufähige Positionen zu erlangen. Kreativität bis hin zum Talent für eine bestimmte Aufgabe kann sich doch nur dadurch entfalten, dass es einen Plan gibt.

Solange Anspruch und Wirklichkeit beziehungslos durch Bildungsplattformen mit öffentlichen Diskussionen geistern, können sie nichts beitragen zu Selbstbewusstsein und Eigenständigkeit einer Generation Z, Alpha oder eins. Es sind nicht die alten überkommenen Werte, die Hilfestellung leisten können. Erprobte Vorgaben, Rituale und Verhaltensanforderungen schaffen dem einzelnen Menschen und der Gesellschaft das notwendige Rüstzeug für die Zukunft.

Algorithmen sind keine Erfindungen der Neuzeit oder gar der Generation Z, sondern dem Menschen immanent seit jeher. Wir sollten daher nicht in der Disruption, sondern in der reflektierten Kontinuität Chancen für unsere Kinder und auch für uns sehen.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Dataismus

Was unter Dataismus verstanden werden soll, muss noch geklärt werden. Was Dadaismus ist, wissen inzwischen etliche Menschen, die sich mit Geschichte und Kultur befassen. Eine der Hauptmerkmale des Dadaismus ist die Dekonstruktion, d. h. die planmäßige oder mutwillige Zerlegung vertrauter Vorgänge, um Bilder zu erzeugen in den Bereichen Kunst, Literatur und Musik, damit sie sich einer geänderten Betrachtung erschließen.

Wie verhält es sich mit dem Dataismus? Auf welcher Dekonstruktionsgrundlage bewegt sich dieser Ismus? Vermögen wir vom Dataismus zu sprechen, weil die Daten die Zerlegung vertrauter Sprache, Bilder und Musik in elektronische Impulse ermöglichen? Aber selbst, wenn man dies bejahen würde, kämen dann nicht Zweifel auf, ob Dadaismus und Dataismus sich vertragen, denn während Dadaismus die Dekonstruktion von Systemen propagiert, beruft sich Dataismus notwendigerweise auf Regeln, sprich Algorithmen.

Dadaismus reflektiert die Form und schafft dort Brüche und Veränderungen, die sich auf die Inhalte auswirken, während Dataismus sich formstreng gebärdet und inhaltlich verwaltet, was an Daten angeboten wird. Allein die technische Dekonstruktion schafft nichts Neues, ist aber in seiner Wirkung weit mehr, als ein reflektiver Dadaismus zulassen konnte.

Die Absurdität des Dataismus beruht in der unendlichen Verfügbarkeit von Daten, die sich systemisch kontrolliert in unermesslicher Vielfalt verbünden, auseinandergehen, sich vertrauen und verraten, Wahrheiten technisch behaupten oder liefern, ohne daran Anteil zu nehmen. Im Sinne einer Entgrenzung des Denkens und Fühlens kommen sich Dadaismus und Dataismus allenfalls asymptotisch nahe.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski