Archiv der Kategorie: Recht

Hier finden Sie meine Gedanken, Ideen und Anreize zu gegenwärtigen und vergangenen rechtswissenschaftlichen Themen, die mich und meine Umwelt bewegen.

Was den Erblasser bewegt

Der Erblasser hat ein großes Interesse daran, auf die Gestaltung seiner Hinterlassenschaft nach seinem Tode Einfluss zu nehmen.

Seine letzten Gestaltungswillen bringt der Erblasser in der Regel in der Form eines Testaments zum Ausdruck. Den Erblasser bewegt dabei,

  • wie er sein Testament errichten soll,
  • ob in dem Testament rechtsverbindlich festgeschrieben ist, was er will,
  • ob seine Hinterbliebenen gut versorgt sind,
  • ob sein Wille umgesetzt werden kann bzw. welche wirklichen und tatsächlichen Hinderungsgründe bestehen könnten,
  • ob das Testament für seine Erben gerecht ist, d. h. er zum Beispiel seine Abkömmlinge in gleichem Maße vernünftig bedacht hat,
  • ob seine Erben seine Anordnung von Todes wegen respektieren,
  • ob seine gesetzlichen Erben die Erbschaft ausschlagen und Pflichtteilsansprüche geltend machen,
  • ob durch die Pflichtteilsansprüche seine Erben und Vermächtnisnehmer belastet werden,
  • ob Vermächtnisse und Auflagen hinreichend bestimmt sind und von den Erben erfüllt werden,
  • ob der von ihm berufene Testamentsvollstrecker sein Amt annehmen wird oder auch Ersatztestamentsvollstrecker berufen werden müssen,
  • ob das von ihm verfasste Testament steuerlich vernünftig ist,
  • ob er bzw. seine Berater alle gestalterischen und steuerlichen Optimierungsmöglichkeiten genutzt haben,
  • ob das Testament dazu geeignet ist, den Familien- und/oder Geschäftsfrieden zu erhalten,
  • ob sein Testament mit seinen gesellschaftsvertraglichen Verabredungen übereinstimmt oder ob auch dort Änderungen erforderlich werden und
  • ob sein Andenken in geeigneter Weise gewahrt bleibt.

Zudem bewegt den Erblasser, ob er von Todes wegen oder vielleicht schon unter Lebenden den Nachlass gestalten soll, in dem er seinen Erben Verantwortung und Vermögen überträgt, Stiftungen einrichtet und seine Nachfolge regelt.

Um die komplexen Probleme des Erblassers mit diesem gemeinsam zu lösen, ist es von Beraterseite erforderlich, nicht nur rechtlich kompetent, sondern sich vor allem betriebswirtschaftlich und familienorientiert auf die Vorstellungen des Erblassers einzustellen und ihm dabei zu helfen, die vielfältigen Gedanken und Herausforderungen zu überprüfen und zu verlässlichen Entscheidungen zu gelangen.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Was vermögende Menschen wirklich bewegt

Ein Mensch, der zu Lebzeiten ein Vermögen erworben hat, will es in der Regel sichern. Derjenige, der von Todes wegen vermögend geworden ist, sieht sich in der Regel in der Pflicht, dieses ebenfalls zu erhalten und an seine Erben weiterzugeben. Aber auch das Gegenteil kann richtig sein, wenn die Regeln zum Umgang mit Vermögen nicht erlernt wurden. Vermögen, welches durch Spekulationen erworben wird, kann in gleicher Weise zwischen den Fingern verrinnen. Vermögen ist das Ergebnis geronnener Arbeit oder Wagniskapital.

Von der Regel ausgehend, bewegt den vermögenden Menschen, sein Vermögen zu erhalten, Erträge zu erzielen und dieses so zu bewirtschaften, dass er selbst und seine Familie bis zu seinem Lebensende und ggf. darüber hinaus gesichert sind.

Neben der Lebenssicherung durch Vermögen bewegt ihn aber auch die Möglichkeit, das Vermögen zumindest teilweise einzusetzen, um Lebensziele im wirtschaftlichen und philanthropischen Bereich zu verwirklichen. Nebst der Erprobung eigener Fähigkeiten und Umsetzung von Interessen bewegen ihn dabei auch gesamtgesellschaftliche Anliegen, für die er eine Verantwortung übernommen hat. Bleibendes zu schaffen, ist für den vermögenden Menschen schon deshalb wichtig, weil er weiß, dass Vermögen an sich keine Anerkennung bringt und nach dem Tode bedeutungslos geworden ist. Was zählt, ist, was der vermögende Mensch mit seinem Vermögen bewirkt, sei es durch gemeinnützige Stiftungen, Familienstiftungen oder jede andere Form nachhaltigen Engagements. Sicherung der Familie und der nächsten Generation nebst dem Bewirken von bleibenden Zuwendungen zum Beispiel im Rahmen von Stiftungen verleihen dem Vermögen Sinn.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Vertrag

Um Verabredungen bindend zu treffen, benötigen Menschen einen Vertrag. Der Vertrag ist somit die Grundlage jeder funktionierenden Sozialordnung.

Der Vertrag ist mehr als das geschriebene Wort und erschöpft sich nicht in einer aus dem Internet herunterladbaren juristischen Konstruktion.

Nur selten, wie zum Beispiel im Grundstücksrecht und teilweise im Gesellschaftsrecht sind Verträge an bestimmte Formen gebunden. Die Schriftform dient dabei der Beweisbarkeit, aber natürlich kommen Verträgen auch dann zustande, wenn man den Vertragsschluss kaum wahrnimmt, zum Beispiel der Beförderungsvertrag beim Einstieg in ein Taxi oder in eine Straßenbahn.

Aus vergangener Zeit besonders bekannt ist der Vertragsschluss durch Kaufleute mittels eines Handschlags. Dieser bringt zum Ausdruck, wir machen es so, wie wir es gesagt haben und im Übrigen gelten unsere Handelsbräuche und das Gesetz.

Ein Vertrag kommt zustande durch übereinstimmende Willenserklärungen, wobei die juristischen Vertragsargumente nicht unbedingt im Vordergrund stehen müssen, sondern auch Vernunft, Gefühl, Werte und Anschauung.

Ein Vertrag eröffnet Optionen für die Beteiligten, schafft Perspektiven, sichert die Interessen, vermeidet Konflikte und sieht in seinen Regelungen genaue Abwicklungsmodalitäten vor.

In Zeiten wie heute, wo dies technisch möglich ist und Vertrauen durch Misstrauen herausgefordert wird, sichern sich Vertragsbeteiligte durch aufwendige Vertragswerke und allgemeine Geschäftsbedingungen scheinbar überlegene Positionen. Manch einer verheddert sich im Gestrüpp der verschiedenen, teilweise widersprüchlichen Bestimmungen des gesamten Vertragswerks, zumal allgemeine Geschäftsbedingungen auch gerichtlich überprüft und ggf. kassiert werden können.

Vertragsgestaltungen sollte man nicht allein den Juristen überlassen, sondern den Prozess, der zum Vertragsabschluss führt, mitgestalten, klarmachen, was man will und den Juristen einbinden, um die von den Vertragsbeteiligten vorgesehene Verabredung in Form und Inhalt kompatibel zu machen. Nur, wenn man selbst versteht, was man will, kann man den Willen des Vertragspartners mitberücksichtigen und zu belastbaren Verträgen gelangen.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Vererben und dabei Gutes tun

Vererben und dabei Gutes tun. Tod, wo ist dein Stachel, so fragte schon der Apostel Paulus im 1. Brief an die Korinther und in der Tat! Der Tod ist für alle Menschen unvermeidlich, aber es entlastet jeden Men­schen, wenn er seine Angelegenheiten verantwortungsvoll beizeiten geregelt hat. Dies heißt also nicht erst im Alter, sondern während des gesamten Lebens in einem Prozess der Anpassung, der Überprüfung des Gewollten und steten Veränderung, da sich die Sichtweisen im Leben eines Menschen ja auch stetig ändern.

Bei der Todes- bzw. viel eher Erbenvorsorge spielt es dabei eine große Rolle, ob der Tod erwar­tungsgemäß uns altersbedingt ereilt oder uns krankheitsbedingt bzw. durch einen Unfall überrascht. Die zu treffenden Vorsorgemaßnahmen sind unterschiedlich, abhängig davon, ob wir noch voll im Erwerbsleben stehen, Kinder haben oder diese planen, Renten und Pensionen in Anspruch nehmen, verheiratet oder Single sind, unseren Betrieb in die Hände Familienangehöriger oder anderer Menschen legen wol­len, den Drang verspüren, unser Vermögen zumindest teilweise gemeinnützig einzusetzen oder zur Alterssicherung anzule­gen.

Jeder Mensch hat das Recht, im Rahmen der geltenden Gesetze, frei darüber zu bestimmen, wie er unter Lebenden und von Todes wegen mit seinen Gestaltungsmöglichkeiten umgeht. Da es aber so viele Möglichkeiten gibt, wir aber diese gar nicht kennen können und auch die Umsetzung oft aus ordnungsrechtlicher und steuerlicher Sicht, aber oft auch aus rein menschlicher Erwägung heraus schwierig ist, kann es sinnvoll sein, Experten zur Seite zu haben, die erfahren sind und in der Gestaltung von Testamenten, Verträgen, Stiftungserrichtung, aber auch vor allem in der Begleitung von Gesprächen mit Betriebs- und/oder Familienangehörigen zur Seite stehen können.

Aber nicht nur der Erblasser, sondern auch der Erbe muss vorbereitet, eingebunden werden in das gemeinsame Ringen um eine persönlich, wirtschaftlich, rechtlich und steuerrechtlich sinnvolle Lösung. Es ist daher gut zu wissen, wie die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der künftigen Erben beschaffen sind, um diese beizeiten mit einzubeziehen in Überlegungen, die auch die darauffolgende Generation der Kinder und Enkelkinder mit im Auge hat, Schwerpunkte bei etwaigen Zuwendungen zu bilden, die den Zusammenhalt der Familie fördern und dafür sorgen, dass das Erbe nach dem Tod nicht auseinanderfällt, sondern in dankbarer Erinnerung an den Erblasser wirkt.

Dies ist organisierbar, bedarf aber einer kompetenten Begleitung, insbesondere durch erfahrene Rechtsanwälte auf dem Gebiet des Erbrechts, des Gesellschaftsrechts und des Stiftungsrechts.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Start-Ups

Start-Ups. Man könnte auch sagen, neue deutsche Welle. An vielen Orten, und zwar nicht nur in Berlin, finden unzählige Veranstaltungen statt, bei denen Jungunternehmen in sogenannten Pitches ihre kreativ/wirtschaftlichen Vorhaben vorstellen. Das ist eine Art des Realitätschecks, der Selbstbestätigung, aber auch der Hoffnung, Unterstützung zu finden. Gemeint ist die Unterstützung durch Business-Angels, Investoren oder Kreditoren.

Durch Kooperationen können sich auch Vertriebswege auftun, Partner finden lassen oder Tipps für Änderungen bzw. Ergänzungen des Businessplans. Die Veranstaltungen sind hilfreich. Das ist nicht zu leugnen. Erstaunlich ist nur, dass heute noch mit Start-Up-Unternehmen in der Regel junge Menschen in Verbindung gebracht werden, also solche, die sich wirtschaftlich auf den Weg im eigenen Interesse gemacht haben.

Das ist nicht zwingend. Auch und gerade ältere Menschen, die mit 55+ ihren ersten Erwerbsprozess abgeschlossen haben, sind jung genug, erfahren genug und oft auch finanziell so ausgestattet, dass sie Ideen, die schon lange in ihnen reifen, nun auch unternehmerisch umsetzen könnten. Das setzt aber voraus, dass man älteren Menschen dies auch zutraut, ihnen ggf. auch Kredite gewährt und nicht mit veralteten Lebenserwartungstabellen ihren Exit berechnet.

Ältere Menschen fokussieren möglicherweise im Gegensatz zu jungen Menschen nicht nur eigennützige Projekte, sondern auch fremdnützige. Shareholder Value kann sich auch umsetzen in gemeinnützigen Trägerschaften. Für junge und alte Unternehmen stehen in der Kooperation zudem ganz neue Crossover-Erfahrungen zur Verfügung, die genutzt werden sollten. Um diese nutzen zu können, sollten junge und ältere „Start-Uper“ aber dringend rechtzeitig Expertise einholen, und zwar insbesondere dazu, was die Organisationsform des Unternehmens, den Abschluss von Kooperationsverträgen, Exit-Regelungen und Undiscloser-Vereinbarungen angeht.

Die erworbenen Rechte müssen geschützt werden, um bleibende Erfolge zu sichern. Die Nachfolge sollte ebenso bedacht werden, wie familiäre Erwartungen. Eine rechtzeitig in Anspruch genommene Beratung ist weitaus kostengünstiger als der Aufwand, langzeitig und mit mäßigem Erfolg enttäuschte Erwartungen wieder zu kompensieren. Damit Start-Ups nicht nur einen kurzfristigen Hype bieten, müssen sie getragen werden von echter unternehmerischer Verantwortung und langfristige Ziele im Auge behalten. Engagierte Unternehmer sind für Deutschland, Europa und unsere Gesellschaft ein Segen, ganz egal, ob sie jung oder alt sind.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Vollständigkeitswahn

Zuweilen nehme ich an Kongressen, Gesprächsrunden oder Seminaren teil. Die Meisten haben zeitliche Ausdehnungen von mehreren Stunden und Tagen. Nach Begrüßungen und Einführung in die jeweiligen Themenbereiche kommen dann mehrere Referenten zu Wort. Üblicherweise nennt man dies dann Podiumsdiskussionen.

Zu Veranstaltungen, bei denen ein bestimmter zeit­licher Rahmen nicht vorgegeben ist, gehe ich überhaupt nicht mehr. Aber selbst dann, wenn ein solcher Rahmen besteht, ist er oft nur Anhaltspunkt für die Länge einer Veranstaltung, scheint aber die Agierenden selbst nicht zu binden. Bei Veranstaltungen, die den selbst gesetzten Rahmen um mehr als 20 Minuten überziehen, verschwinde ich. Selbst der verlockende Hinweis, dass es anschließend noch Fingerfood gäbe, kann mich davon nicht abhalten. Mir ist keine Veranstaltung bekannt, bei der es darum geht, eher die Einschätzung des Publikums zu erfahren, als sich selbst möglichst ausufernd zu präsentieren.

Das Publikum ist natürlich wichtig, denn ohne das Publikum gäbe es diese Veranstaltungen nicht. Wenn die Referenten zu Beginn ihres Vortrages erklären, sich zu beschränken und das Thema eingekreist zu haben, dabei sogar ihre Armbanduhr auf das Pult legen, kann der Zuhörer davon überzeugt sein, dass selbst vorgegebene Zeitrahmen nicht eingehalten werden.

Bei vielen Referaten herrscht der Vollständigkeitswahn. Möglichst viele Detailinformationen werden in den Vortrag gepackt und den Zuhörern auferlegt. Dabei wird übersehen, dass auch ein umfassender Vortrag nicht beglaubigt, dass tatsächlich viel inhaltlich gesagt wird. Das inhaltliche Sagen korrespondiert mit dem Verständnis der Zuhörer, die oft mit der Fülle der Details überhaupt nichts anfangen können. Nach geraumer Zeit erlahmt ohnehin die Möglichkeit des kohärenten Zuhörens, d. h. einzelne bekannte Erinnerungsmomente strukturieren den gesamten Vortrag aus Sicht des Zuhörers.

Ich bin überzeugt, dass nach einem mehrstündigen Kongressgeschehen kein Kongressteilnehmer mehr genau weiß, was er gehört hat. Er könnte zwar nachlesen, aber das ist mühsam. Zudem gibt es die nächste und übernächste Veranstaltung und irgendwann bleibt nur noch die Reminiszenz an das vernommene Wort.

Von besonderer Heimtücke sind Podiumsveranstaltungen unter der Führung eines medial erprobten Moderators. Er hat sich mit einem umfassenden Fragenkatalog auf diesen Moment vorbereitet und wird nicht aufhören, alle seine Fragen abzuarbeiten und dabei auch seine Wertung mit einfließen zu lassen. Da die meist vielzähligen Podiumsteilnehmer – man möchte ja auch keinen übersehen – nur themenweise auf die Podiumsdiskussion vorbereitet wurden, ergeben sich ihre Antworten situativ und improvisiert. Die meisten sind davon überzeugt, dass sie das Thema ohnehin völlig im Griff haben, denn sie wurden ja als Experten geladen.

Wenn der Moderator irgendwann eine bestimmte Unruhe im Zuhörerraum festgestellt hat, leitet er über zur Fragerunde, wobei die Zuhörer ermahnt werden, nur Fragen zu stellen und keine Co-Referate zu halten. Das gelingt nicht immer, aber schnell ist es auch wieder zu Ende mit der Publikumsbeteiligung, um anschließend noch weitere Schlussrunden auf dem Podium zu drehen. Zuletzt fasst der Moderator noch einmal zusammen, was thematisch vorgegeben war. Eine Kakofonie von Wiederholungen, Meinungen und längst bekannten Umständen klärt nicht auf, sondern verhindern Erkenntnisse.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Narrative

Ich erzähle für Dein Leben gern! Das ist eine der Kernaussagen des Projektes „Viva Familia“ der Ruck – Stiftung des Aufbruchs. Es geht hierbei nicht nur um das Erzählen von Fantasiegeschichten und Märchen, sondern um das Erzählen aus dem Leben, die Einkleidung unserer lebendigen Erfahrungen in Geschichten.

Oft werde ich gefragt, interessiert sich mein Kind für das, was ich aus dem Alltag zu erzählen habe. Ich antworte: „Ja, Ihre Lebensgeschichten sind wichtig für Ihr Kind, schafft den Bezugsraum für eigene Erfahrungen und vermittelt natürlich auch Sprachkompetenz.“ Alles ist erzählfähig und es ist wichtig, dies auch zu tun. Wir dürfen nicht allein Begrifflichkeiten abstrakt für uns sprechen lassen, sondern müssen diese einweben in Geschichten, die logisch sein können, aber auch große emotionale Kraft aufweisen. Oft nutzen wir nur Begriffe und vergessen dabei deren Bedeutung.

Auch von unserer Demokratie kann zum Beispiel leidenschaftlich erzählt werden. Die persönliche Begeisterung nicht von einem Despoten regiert zu werden, sondern sich auseinanderzusetzen mit anderen über einen einzuschlagenden Weg und dabei auch Minderheiten nicht zu vernachlässigen. Werden Begrifflichkeiten wie Demokratie, Rechtsstaat und Verfassung nur Behauptung, ohne ihnen erzählend einen emotionalen Sinn zu verleihen, ist es kein Wunder, dass den Menschen die Fähigkeit des Begreifens abhandenkommt.Wenn wir nichts erzählen, wie sollen dann die Kinder an unseren Erfahrungen, den Erfahrungen unserer Eltern und Großeltern teilnehmen und daraus eigene Handlungsoptionen ableiten?

Das Leben eines Menschen ist nicht begrenzt auf heute und jetzt oder die Zukunft, sondern schließt die ganze erzählbare Erfahrung der Menschheit mit ein. Nur so können wir selbstbewusst, tolerant und zukunftsfähig bleiben und eine gelassene Haltung bewahren angesichts der digitalen Blitzlichtgewitter in allen Medien. „Ich erzähle für mein Leben gern, um deines zu stärken, mein Kind.“

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Beweise

Ich erinnere mich genau, zu dem gibt es einen Film auf meinem Smartphone, der das belegt. Es geschah auf einer belebten Straße der Innenstadt von Valparaiso. Wir beobachteten zufällig aus dem Fenster im ersten Stock eines Wohngebäudes die Verhaftung eines jungen Mannes, der die Straße entlangging, durch die Polizei.

Warum sie ihn ergriffen, wissen wir nicht. Sie verbrachten ihn in ein Auto. Kurze Zeit später stiegen zwei Polizisten wieder aus, hielten eine Waffe in der Hand, die sie auf der gegenüberliegenden Straßenseite platzierten und dabei mehrfach verschoben. Nach einiger Zeit erschienen weitere Kriminalbeamte, die zur Waffe geleitet wurden. Sie machten Aufnahmen, nahmen die Waffe an sich und verschwanden ebenfalls im Polizeiauto.

Soweit die Beobachtung. Wir wissen nicht, worum es ging. Wir können allerdings vermuten, dass es zu einer Gerichtsverhandlung später kam und dabei auch die Waffe, ihre Verwendung und ihr Fundort eine Rolle spielte. Es gab aber überhaupt keinen Fundort. Die Waffe war nachträglich abgelegt worden, um Beweis dafür zu führen, dass der junge Mann eine Waffe gezogen und möglicherweise sogar damit gedroht habe. Als Beweis wird der angebliche Fundort und die Aussagen der Polizeibeamten angeboten.

Was will ich damit sagen? Eindeutige Beweise gibt es selten. Meist stellen sie einen Mix aus Tatsachen, Beobachtungen und Einschätzungen dar. Da Eindeutigkeiten selten bestehen und/oder auch nicht belegbar sind, treten an ihrer Stelle Parallelwertungen nach Maßgabe eines Überzeugungsbildes: So muss es gewesen sein. Dieses „so muss es gewesen sein“ soll oft Beweise im strengeren Sinn ersetzen und führt zu Maßnahmen und Handlungen, die die Gesellschaft hinnehmen muss, will sie nicht verzweifeln an faktischen Alternativen.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Digital World

Wir leben in einer bereits veränderten Welt. Begriffen haben wir dies allerdings nicht, weil sich unsere Welt noch so analog anfühlt. Unsere Welt gibt es aber nur als Projektionsfläche für eine ganz andere Entwicklung, die durch die digitalen Möglichkeiten provoziert wird. Die digitale Möglichkeit des Handelns bestimmt dann unser Denken und wird es grundlegend verändern.

Digital denken heißt hier nicht produkt- sondern prozessgesteuert zu denken und dabei auf alle Umstände zu verzichten, die diesen Prozess stören. Prozessstörend ist dabei nicht nur das Festhalten an Körperlichkeiten, sondern sind auch Gesetze, Rechtsvorschriften und Regeln, die wir spezifisch so aufgelegt haben, dass sie unsere analoge Welt ordnen.

In der digitalisierten Welt mögen sie aus opportunen Gesichtspunkten heraus noch einige Zeit geduldet werden, Überlebenschance hat allerdings unser bisheriges Regelwerk nicht mehr. Wenn wir nicht ausgegrenzt sein wollen und glauben, ein Bestimmungsrecht über unser Leben zu haben, wird es Zeit, aus digitalem Anspruch und dem Korrelat der Verpflichtung heraus ein neues soziales Netz zu stricken.

Da möglicherweise die Erkenntnis reift, dass konkrete allein warengestützte Lebensmodelle keine Überlebenschance bieten, kommen auch Angebote anderer Art in den Genuss sozialer Aufmerksamkeit. Es eröffnet sich der Markt für Philanthropie und Allmende. Der Mensch, der im digitalen Raum auf sich selbst gestellt ist, vereinsamt weniger, wenn er die unbegrenzten Möglichkeiten des digitalen Raums nutzt, andere Menschen solidarisch zu unterstützen.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Von der Hand gesprungen

Tod, wo ist Dein Stachel, heißt es beim ersten Korinther 15, Vers 15. Tod, wo ist Dein Sieg heißt es weiter. Egal. Tod ist Ende, aus. Rien ne va plus. Stillstand. Kein Herzschlag mehr, keine Hirnaktivitäten, keine Transaktionen sind mehr möglich; alles ist vorbei, nachwirkend nur Gefühle, Gedanken von Mitmenschen und Testamente.

Das Leben ist von der Hand gesprungen, wie die Schriftstellerin Rosemarie Bronikowski meint. Alle Lebensaufregungen haben zu einem Ende gefunden, aber waren sie vergeblich? Keineswegs. Bei Psalm 90, Vers 12 steht: „Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden.“ Wir müssen das Leben mehr vom Ende her denken, begreifen, dass die Ausbildung, die wir im Leben erfahren, wichtig dafür ist, dass wir am Schluss loslassen können.

Ein in der Selbstausbildung noch unvollendeter Mensch stirbt und hinterlässt meist eine Unordnung, die vergiftend nachwirken kann. Nicht Erbschaftsteuer und Verteilungsgerechtigkeit beim Nachlass erhält das Andenken an den Verstorbenen und den Sinn seines Lebens aufrecht, sondern seine Fähigkeit beizeiten, das Materielle von dem Immateriellen zu trennen und seinen nächsten Angehörigen und der Welt etwas zu hinterlassen, was das Leben wirklich ausmacht: Liebe, Schönheit und Demut.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski