Schön leben Mensch

Der Alltag vieler Menschen ist so anstrengend, dass sie manchmal schier verzweifeln mögen. Es scheint oft, als ob die Menschen immer neue Schwierigkeiten erfinden müssten, um sich das Leben besonders schwer zu machen. Behinderungen und Einschränkungen ihrer Beweglichkeit erhalten Menschen fast täglich zu Hause, bei der Arbeit oder in Behörden. Überlieferte Sätze wie „Das haben wir noch nie gemacht“, unverständliche Fragebögen und Ablehnungen zeugen aber meist eher von Unsicherheit, Rechtfertigungsdruck und eigenem Überlebenswillen als von Durchtriebenheit und Gemeinheit. Menschen haben Angst vor vielem Fremden, bleiben aber menschlich, danken für den Vortritt durch eine Tür oder eine prompte Erledigung ihres Anliegens. Trotz aller Mühen, die sie verursachen, sind das Schönste am Leben die Menschen. Die Menschen mit ihren großen Potenzialen an Verständnis, Mitleidensbereitschaft und Freude an gemeinsamen Ereignissen.

Im Abgleich von Erfahrungen, Gespräche über Erlebnisse, Austausch über Reisen und Familie erleben sie durch die Feststellung von Gemeinsamkeiten ein großes Maß an Ruhe und sozialer Bindung. Der Mensch kann sich vereinzeln, seine Individualität betonen, sehnt sich aber doch nach der Gemeinschaft, die ihn erhält, ihm seine Besonderheit erst ermöglicht. Ohne Menschen gäbe es diese Welt, die wir so vielfältig erfahren dürfen, für uns nicht. Wenn wir vor die Türe treten, sind wir neugierig auf die Menschen, süchtig danach, von ihnen angenommen zu werden, und nach gemeinsamem Erleben. Das Schönste an dieser Welt sind daher wie zum Trotz die Menschen!

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Der moderne Hiob

Vielleicht vermögen einige von uns, sich an Hiob zu erinnern, diesen alttestamentarischen Leidensmenschen, dem Gott sämtliche Pestilenzen und Krankheiten schickt, um ihn dadurch in seinem Glauben zu erproben. Hiob zweifelt zwar, wird aber von Krankheit zu Krankheit stärker und zögert schließlich nicht, das Leid der ganzen Welt auf sich zu nehmen, um sich seiner Fähigkeit, Gott trotz aller Strafen zu vertrauen, sicher zu sein.

Der moderne Hiob glaubt nicht mehr und findet fast für jedes Leid irgendeinen Arzt, zumindest eine Tröstung. Also hat Hiob abgedankt. Es gibt ihn heute nicht mehr.

Weit gefehlt! Die Prämissen haben sich verschoben. Der leidensmächtige Hiob ist Sinnbild des gemarterten Menschen. Dadurch, dass viele Gott als die Autorität des Lebens nicht mehr anerkennen, wird das menschliche Leid nicht beseitigt. Aids, Alzheimer und Krebs, um nur drei moderne Geißeln zu benennen. Auschwitz steht für sich, aber es gibt auch Kambodscha und Ruanda. Folter in Kriegen, Folter in Gefängnissen, Vergewaltigungen von Kindern und Frauen, wo immer diese stattfinden. Elend, Not und Entwürdigung. Nicht auf Gottes Geheiß, sondern aus eigenem Antrieb erproben wir unsere Überlebensfähigkeit als Täter und Gedemütigte. Dies aber nicht nur mit an Schwären und Wunden leicht sichtbaren Erkrankungen, sondern auch mit denen im Geheimen und Verborgenen. Die Spuren sollen nicht mehr festgestellt, die Tat unerkannt bleiben. Warum diese Exerzitien? Wollen wir uns in unserer Leidensfähigkeit vollenden? Wollen wir, indem wir andere beschädigen, uns davor schützen, selbst gedemütigt zu werden? Das würde von der Kurzsichtigkeit der Täter und Opfer zeugen. Wie hieß es zu Zeiten der französischen Revolution? „Die Revolution frisst ihre Kinder.“ Und so war es auch. Kaum einer der Täter kam davon. Gleiches gilt für die Oktoberrevolution und deren Folgen in Russland. In Stalins Gulags landeten später auch die Täter. Von Reue und Sühne keine Spur. Ein Kreislauf des Unrechts. Der Mensch als Täter um den Preis des Verlustes seiner Integrität, aber geklammert an die Hoffnung, selbst noch einmal davonzukommen.

Der moderne Hiob. Das große Menschheitsdrama ist profane alltägliche Geschichte. Nichts hören von dem Leid anderer Menschen, nicht teilnehmen müssen an deren Schicksal, sondern wegschauen. Vielleicht trifft es mich nicht. Das ist die Regel, aber die Rechnung geht nicht auf. Auch wenn der moderne Hiob seinen Glauben verloren hat, bleiben ihm doch die gleichen Herausforderungen, er muss dulden und erdulden, um in seiner Überzeugung des Richtigen fest zu werden. Die Formung seiner Integrität ist das Vorhaben. Die zu gewinnende Erkenntnis lautet: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Auch seine Würde. Mit dieser Erkenntnis setzt er alle Täter gegenüber dem Opfer ins Unrecht. Für immer.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Henne oder Ei (Teil 2)

Alleine deshalb, weil diese Bürger-Staats-Beziehung nichts mit Selbstverantwortung und Selbstbewusstsein zu tun hat? Das ist nicht zu erwarten, vielmehr muss der Staat selbst das Schrittmaß für den Bürger vorgeben, in dem er sich einschränkt und dadurch diesem Entfaltungsmöglichkeiten überlässt, sein Leben selbst zu bestimmen.

Vergegenwärtigt man sich für einen Moment unsere Gesellschaft als einen Körper, so wird jeder Betrachter dieses Bildes sofort begreifen, dass nicht jede Zelle dieses Körpers vom Gehirn aus gesteuert und kontrolliert werden kann. Vielmehr ist jede Zelle autonom und doch bilden alle Zellen das Ganze, indem sie mit anderen Zellen kommunizieren und ihre Erfahrungen an diese Zellen, aber auch an das Gehirn weitergeben.

Die allein durch die bewusste Wahrnehmung des Gehirns entstehenden Störungen werden bis zur möglichen, aber vom Menschen nicht gewünschten Kapitulation seiner zerebralen Fähigkeiten von den Zellen des Körpers korrigiert und einer Heilung zugeführt. Am Beispiel des Körpers und seiner Zellen kann der Bürger lernen, was Selbstvertrauen, Verantwortung, Zuversicht und Zuverlässigkeit vermag, und zwar jeder Bürger für sich und in der Gemeinschaft. Man muss nur den Willen haben, sich aufeinander zu verlassen und wissen, dass dieser Wille von der Aufnahme- und Umsetzungsfähigkeit eines anderen Bürgers seine Rechtfertigung erhält.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Henne oder Ei (Teil 1)

In seinem steuerpolitischen Verhalten treibt der Staat seinen Souverän, den Bürger vor sich her. Der Bürger erbringt Arbeitsleistungen und versucht, sein Einkommen zu vermehren. Diese Rechnung geht nicht auf. Der Bürger wird in seinen Erwartungen getäuscht, denn er bekommt letztlich weniger als er verdient hat; einen Großteil seines Einkommens verliert er durch Sozialversicherungsbeiträge und Steuern. Der Bürger versteuert sein Einkommen jedoch nicht nur einmal, sondern ständig mit jeder Aktivität, meist wird ihm dies nicht einmal bewusst. Die mit den Sozialversicherungsbeiträgen erworbenen Rentenanwartschaften z. B. sind zwar ihm gegenüber abgegebene Versprechungen, sind aber genauso wenig sicher, wie jeder andere ungesicherte Lebensstandard. Um sich diese vermeintliche Sicherheit und den vermeintlichen Lebensstandard zu erhalten und zudem die Anforderungen des Staates zu bedienen, erhöht der Bürger kontinuierlich die Schlagzahl seiner Tätigkeit auf Kosten seiner Lebenszeit, seiner Gesundheit, seiner Effizienz und Lebensfreude. Obwohl er der Souverän ist, ist der Bürger gleichwohl bisher nur selten den staatlichen Gelderwerbssystemen entgegengetreten, sondern hat sie sogar meist befürwortet. Die Gründe dafür sind vielfältig:

  • Weil die meisten Bürger hoffen, dass der Staat für Abgabengerechtigkeit eintrete, haben Sie letztlich keine Einwände dagegen, dass der Staat Steuern einzieht und sogenannte „Steuersünder“ unerbittlich verfolgt.
  • Vielen Bürgern scheint es aufgrund der eigenen gewohnt bequemen Lebensführung angemessen, wenn andere Bürger – also die Politiker – den Takt vorgeben und das System vorhalten, welches ihnen Lebensstandard und Sicherheit verspricht.
  • Der Rückfluss von Steuermitteln in den sozialen Bereich oder auch sonstige Steuervergünstigungen und Subventionen erwecken bei den Begünstigten den Eindruck, das Steuersystem bevorzuge ihre Haltung, was allerdings einer Wahnvorstellung gleichkommt.
  • Ein Großteil der Bürger ist Nutznießer der staatlichen Geldverteilungspolitik und nimmt daher gerne, was ihm gegeben wird. Richtig ist, dass der Bürger als interessensgesteuerter Mensch kaum bereit ist, seine Komfortzone zu verlassen, solange der Lebensstandard nicht gänzlich in Frage steht und der Besitzstand gewahrt ist. Warum sollte er seine Einstellung ändern?

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Bildungsmacht

Die Kontinuität der Unterbreitung von Bildungsangeboten an Eltern und Kinder schafft die Voraussetzung dafür, auch künftige Krisen in unserer Gesellschaft auf allen Gebieten zu meistern. Bildung ist nicht das Privileg von Wenigen, sondern überlebensnotwendig. Bildung muss dort wirken, wo Menschen bereit sind, Verantwortung zu übernehmen, d. h. schon bei den Eltern, die sich vorbereiten auf die Geburt ihres Kindes. Das noch nicht geborene Kind hat bereits einen Bildungsanspruch, der vom ersten Lebenstag an verwirklicht werden muss.

Bildung ist nicht nur Wissen, sondern beinhaltet vor allem die Fähigkeit der Erkenntnis, jenseits rationaler oder gefühlter Einschätzung von Situationen. Ohne die Erkenntnisfähigkeit wird auch in Krisen nur scheinobjektiv gehandelt und bleiben Fragen auf der Strecke, ob die jeweiligen Störungen systembedingt sind oder bereits Veränderungsprozesse in Gang setzen. Bildungsträger sind dazu geeignet, allen Menschen und den Märkten, auf denen sie tätig sind, das Handwerkszeug zu erklären, mit dem sie die jeweiligen Krisen meistern können. Die Krise als Chance. Im Rahmen dieses Diskurses muss auch das grenzenlose, nicht nur normative Denken zum Zuge kommen, um die daraus gewonnene Erfahrung dann konkret zu verwirklichen, und zwar durch den Menschen.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Gelassenheit

Wahrlich, wir leben in schlimmen Zeiten! Weil es so lustig ist, Macht zu haben und sie auch zu zeigen, tötet die ISIS wahllos Menschen, mitunter auch die eigenen. Das Ganze ist dann noch verbrämt mit einer theologischen Ideologie. Das kommt bei jüngeren Menschen offenbar ganz gut an, weil sich einige von ihnen ohnehin nicht leiden können oder sich gern von anderen führen lassen. Es fehlt an allen Ecken und Enden der eigene Vater und auf die Mutter will der Sohn auch nicht mehr hören. Macht ist geil und weil man ja auffallen will, sich erproben möchte und auf Anerkennung hofft, macht man halt mit, zumindest für einige Zeit. Aussteigen gibt es aber nicht. Das ist bei allen Sekten so, denn dann funktioniert der ganze Apparat nicht mehr.

Also: Im Nahen Osten wird getötet und an den Grenzen der Ukraine gezündelt. Möglicherweise gibt es wieder Krieg in Europa, denn auch hier gilt: Wer Macht hat, sucht für die Ausübung seiner Macht eine Begründung. Auch gibt es entweder den inneren oder den äußeren Feind. So erhält man sich eben seine Macht, ob man Putin oder Assad heißt. Sterben müssen Menschen allemal, sei es in Afghanistan, in Afrika oder auf Flüchtlingsschiffen. Also gelassen bleiben. Wir können es ohnehin nicht ändern, weder durch Pegida noch durch Gegendemonstrationen.

Es ist außerordentlich schwer, Menschen etwas begreifbar zu machen, und zwar dass man Menschen erst Kinder zur Welt bringen lässt, um dann die Kinder anschließend wieder umzubringen. Man könnte meinen, dem Menschen sei das Leben anvertraut, damit er etwas Nützliches, bleibend Schönes oder herausragend Fortschrittliches in dieser Welt verwirklicht. Aber, stattdessen wird er schon bei Zeiten totgeschlagen, dass man niemals erfahren wird, zu welchen erhabenen Großtaten dieser Mensch tatsächlich fähig gewesen wäre, was er uns hätte erzählen können aufgrund seiner Erfahrungen, seinen Einsichten, entwickelnden Gedanken und Taten. Tot ist der Mensch. Damit basta!

Es gibt ja noch andere, sogar viele, also kann es auch auf den einzelnen Menschen gar nicht so ankommen? Sieht der einzelne Mensch, der sich entwickelnde Säugling dies genauso? Saugt er an der Brust seiner Mutter voll Verachtung? Betrachtet er seine Umgebung mit Abscheu? Ist ihm die Berührung seines Vaters verhasst? Nein, nein, sterben will ich nicht, würde das Kind schreien. Es war doch anstrengend genug, auf die Welt zu kommen und nun will ich erfahren, um was es hier geht, mich ausbilden und mein Leben leben. Mir wohl und keinem übel, kurzum: Ich habe nichts dagegen, wenn die anderen Kinder auch leben, und zwar auch selbst dann nicht, wenn aus den Kindern einmal erwachsene Menschen werden sollten.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Facebook

Als ich ein Kind war, wohnten wir in einer Kleinstadt. Während des Tages nach Kindergarten und Schule tobten wir auf der Straße herum, spielten Brennball, „Himmel und Hölle“, Verstecken oder Fangen. Wir konnten dies unbekümmert mit den Kindern aus der Nachbarschaft tun. Nach dem Mittagessen trafen wir uns auf der Straße. So war das damals. Am Abend öffneten sich die Fenster zur Straße, Kissen wurden auf die Fenstersimse gelegt und der „Herr des Hauses“ im Unterhemd und seine Frau schauten dem Treiben auf der Straße zu, unterhielten sich mit Nachbarn und grüßten auch unbekannte Menschen, soweit sie diese als freundlich empfanden, andere wurden misstrauisch beäugt. Ob Kinder, Jugendliche oder Erwachsene, alle hatten einander im Blick, trafen sich, redeten miteinander oder auch hinter dem Rücken des anderen. Am Sonntag war Kirchgang angesagt. Jeder nahm aus seinem Schrank die fesche Bluse oder den Anzug, um damit herumzuspazieren und anderen zu zeigen, wer man war. Man war also jemand. Eine respektable Persönlichkeit, hielt dem Vergleich mit den Kleidern anderer stand, gehörte dazu.

Dann kam Fernsehen, die Straßen wurden uninteressant, die Geburtsraten gingen zurück und Menschen zogen sich mehr ins Privatleben zurück.

Hatten sich dadurch ihre Bedürfnisse verändert? Ich behaupte nein, überhaupt nicht. Sie sind weiterhin auf die Begegnungen mit anderen Menschen angewiesen, die Kommunikation, die uns Sicherheit im Leben verschafft, Anerkennung bietet und Vergleiche ermöglicht. Wir wollen doch alle dazu gehören, haben Angst, nicht wahrgenommen zu werden, wollen Spuren hinterlassen und unsere Möglichkeiten, Dinge zu erfahren, erweitern.

Und dann öffnet sich Facebook im Internet, erlaubt den Vorteil der reflektiven Kommunikation, ständige Präsenz, Austausch mit wem auch immer, aber auch eigenen Bekannten und Freunden. Wir können sie teilhaben lassen an unserem Leben, nehmen aber gleichwohl Einfluss auf das Darzustellende. Wir kennen das Sprichwort: Aus den Augen, aus dem Sinn. Jetzt bleibt der Augenmerk immer auf den Inhaber der Facebook-Seite geheftet, abrufbar, erneuerbar, erweiterungsfähig und selbstbestätigend. „Ich bin ich und ich bin da.“ In diesem Sinne sind wir alle massenhaft. Das Dorf, die Kleinstadt, die Straße, die Wohnung, alles hat sich in der Dimension einfach erweitert. Ansonsten ist alles so wie früher.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Weniger ist mehr

Wir leben in Zeiten des kulturellen Overkills. Nach der Show ist vor der Show. Wenn ich ins Konzert oder in die Oper gehe, ein Theaterstück besuche oder ein Museum durchstreife, meist, weiß ich schon am nächsten Tag nicht mehr genau, wo gewesen bin, was ich gesehen und gehört und habe, sondern der starke Eindruck verfliegt wie der Traum der letzten Nacht. Woran liegt das?

Wir werden unablässig verlockenden Angeboten ausgesetzt, die wir anstatt uns über sie zu freuen, abarbeiten in der Hoffnung, dass wir noch den Überblick behalten, selbstbestimmt auswählen dürfen, was uns passt oder nicht. So unsere Vorstellung. In Wirklichkeit aber werden wir getrieben von Verpflichtungen, die wir als kulturell begreifen, benötigen ständig die Selbstbestätigung in immer niedrigeren Frequenzen.

Wir haben keine Kapazitäten mehr, um das Erlebte langfristig zu speichern, bei Bedarf zu verarbeiten und mit anderen Erfahrungen abzugleichen. Oft hatte ich sehr gute Gespräche mit anderen Menschen. Wir versicherten uns bei der Trennung, unbedingt in Kontakt zu bleiben, gemeinsam Projekte zu verwirklichen und uns wieder zu treffen. Würde ich mich darauf verlassen, käme es wahrscheinlich zu keiner Zweit- oder Drittbegegnung, denn kaum haben wir das Treffen beendet, gibt es schon wieder neue Herausforderungen, die unsere gesamte Aufmerksamkeit erfordern. Aus den Augen, aus dem Sinn.

Der Volksmund hat auch an dieser Stelle sicher Recht. Bedauerlicherweise trifft dies aber nicht nur für Begegnungen unter uns Menschen zu, sondern auch bei unseren Begegnungen mit der Kultur. Die Inflation von Angeboten wird zunehmen, aber wir haben die Chance zu lernen, uns selbst zu reduzieren, uns einzulassen auf das Wesentliche. Mein Vater hat den Satz geprägt: „Mensch, werde wesentlich.“ Dem ist nichts hinzuzufügen.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Nachrichten

Informationen, Tatsachen und Nachrichten, all dies wurde bereits abgeschafft. Wie? Das glauben Sie nicht? Dann hören Sie doch einfach einmal bewusst in die „Nachrichtensendungen“ von Claus Kleber oder Marietta Slomka rein. Sie haben es da nicht etwa mit dem Trump-Propagandasender „Fox News“ zu tun, sondern um staatlich finanzierte Formate der Bürgerunterhaltung.

In den sogenannten Nachrichtensendungen auch des öffentlichen Rundfunks und Fernsehens wird regelmäßig eine Nachricht bei ihrer Weitergabe durch den/die Sprecher(in) bewertet. Dies geschieht sprachlich, ironisch, abweisend oder in einem Zusammenhang, der den Inhalt der Aussage unglaubwürdig erscheinen lässt. Das Ganze wird begleitet durch eine Mimik, die scheinbar Objektivität signalisieren soll, aber gerade das Gegenteil ahnen lässt. Ich, der Nachrichtenverkünder bin der Nachricht weit überlegen, kann und darf bewerten, was jemand tut oder sagt. Und das hat durchaus Erfolg.

Emotional verführt kommt der Zuschauer oder Zuhörer kaum mehr auf den Gedanken, sich eine eigene Meinung zu bilden, sondern lässt auf sich wirken, was ihm vorgesetzt wird. Da es keine objektivierbaren Nachrichten mehr gibt, sondern Meinungen vorherrschend sind, entwickelt sich allmählich ein Raum der Beliebigkeit und Verantwortungslosigkeit. Dies zunächst vor allem in politischen Zusammenhängen. Es ist aber nur eine Frage der Zeit, bis unsere Gesellschaft insgesamt von diesem Virus der Beliebigkeit infiziert wird. Jeder Fakt wird verhandelbar und bewertbar. Wie soll es dann noch möglich sein, Kinder strukturell entscheidungssicher auf das Leben vorzubereiten?

Wie sollen sie bei dem Vorbild, das wir inzwischen selbst abgeben, begreifen, dass es darauf ankommt, kritisch mit Mitteilungen aus dem sozialen Netz umzugehen, wenn „storytelling“ unterhaltsamer ist, als überprüfte Fakten? Durch Geschichtenerzählen verlieren wir das Vertrauen der Menschen in die Wirklichkeit. Misstrauen ist erst der Anfang, dann folgt Aggression und schließlich zerfällt unser gesamtes Weltbild in Spekulationen und Verschwörungsüberzeugungen. Wenn wir dies nicht wollen, müssen wir unsere Echoräume verlassen und uns darauf besinnen, überprüfbare Nachrichten neutral weiterzugeben, und zwar kurz, knapp und informativ.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

 

Innehalten

Heue las ich einen auf eine Parkbank geklebten Zettel. Dort stand: Es war doch nicht alles schlecht heute, oder? So sinngemäß, denn der Text war in Englisch abgefasst. Ich blieb stehen, ließ den Text auf mich wirken und stellte mit Befriedigung fest, dass es mir nach und nach besser ging.

Der Verfasser oder die Verfasserin hat Recht. Ja, vieles war blöd gelaufen auch an diesem Tage, aber eigentlich war alles gut. Keine Störungen in der Familie und nicht bei der Arbeit. Nur die üblichen Aufgeregtheiten, Missverständnisse, Schlampereien, Sticheleien usw. Die Liste ist allgemein bekannt und individuell ergänzungsfähig.

Es war also ein ganz normaler Tag und jetzt wurde er plötzlich schön. Ich erinnerte mich an ein schönes Gespräch mit einer Bekannten am Morgen, als sie mit dem Fahrrad unterwegs mir begegnete und davon erzählte, dass sie ihre Krebserkrankung nun im Griff habe. Ich erinnerte mich an das Telefonat mit meiner Tochter, die mir davon erzählte, dass meine Enkelin sich schon den ganzen Tag auf den Besuch ihres Großpapas freut. Ich erinnerte mich aber auch daran, dass meine Mutter gerade ihren 92sten Geburtstag gefeiert hatte und wir Kinder alle bei ihr sein durften.

Ich erinnerte mich an so viele schöne Begebenheiten nicht nur an diesem Tage, sondern auch in meinem ganzen Leben. Nachdem ich kurz innegehalten hatte, ging ich vergnügt weiter.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski