In Berlin

Berlin. Berlin. Ich liebe meine Stadt. Es ist die Stadt, in der nicht nur viel los ist, sondern jeder Mensch die Möglichkeit hat, sich zu verwirklichen, ob er ganz jung ist oder alt. Die Stadt ist schön und auch auf eine herrliche Art und Weise etwas anarchistisch. Was aber kaum jemals in dieser Stadt erfolgreich war, ist Politik und Bürokratie.

Die Obrigkeit ist irgendwie beschäftigt, aber vorwiegend mit sich selbst, peinlich darauf bedacht, preußisch pedantisch einfach Obrigkeit zu bleiben. Von Bürgernähe war und ist in dieser Stadt nichts zu spüren. Dabei geht es mir nicht darum, noch ein weiteres Klagelied auf die an sich völlig unterforderte Bürokratie anzustimmen, wohlwissend, dass Unterforderung immer Überforderung hervorbringt, sondern festzustellen, dass diese Bürokratie und ihre politischen Anführer offenbar weder einen Plan für diese Stadt haben, noch wissen, was die Menschen, die in dieser Stadt leben, eigentlich von ihr erwarten.

Zugegeben, kulturell sind wir auf der Höhe, nicht nur Kultursenatoren mischen sich in jeden Spielplan von Theater und Oper ein, sondern jedes gesellschaftliche Ereignis wird von politischen Claqueuren selbstbereichernd begleitet. Das betrifft insbesondere die Feiern im Sommer, quer durch diese Stadt und der Straße des 17. Juni bis Charlottenburg oder Alexanderplatz. Viele Menschen kommen aus der ganzen Welt zu uns, um diese einzigartige Feiermeile im Sommer zu bestaunen. Das ist einerseits gut so, aber es wird dabei wohl verkannt, dass es in dieser Stadt auch Millionen von Bürgern gibt, die hier leben und arbeiten wollen bzw. müssen, ob es Winter ist oder Sommer.

Die Straße des 17. Juni ist gefühlt während des gesamten Sommers gesperrt, eine der wichtigen Verbindungsachsen zwischen West- und Ostberlin. So bleibt getrennt, was zusammengehört. Kein Bus, kein Autofahrer vermag dann in geziemender Zeit dieses Hindernis zu überwinden und verzichtet lieber ganz auf Begegnungen, einmal abgesehen von den durch Stau und Sperrungen verursachten Umweltschäden.

Nicht alle Berliner sind Fahrradfahrer, zumal dies in der Stadt gefährlich und obwohl auch der Zustand öffentlicher Verkehrsmittel teilweise unerträglich ist. Was in dieser Stadt fehlt, ist Bürgersinn, und zwar nicht der Bürger selbst, die diesen durchaus haben, sondern der Obrigkeit. Der Bürger will Sicherheit, Ordnung, passierbare Wege und die Gelegenheit haben, seine Stadt ausgewogen zwischen seinen Interessen und den Interessen der Allgemeinheit zu nutzen. Also, schaut auf diese Stadt, ob das Bürokratie und Führung irgendwann hinkriegen.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Konditionierung

Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmer mehr. Mit dieser schlichten Wahrheit wiesen frühere Generationen darauf hin, dass es gut und sinnvoll sei, sich in der Schule anzustrengen, zu lernen, um später das Erlernte erfolgreich anzuwenden. Dieser Merkspruch hat seine Attraktivität nicht verloren, obwohl er zugegebenermaßen sehr antiquiert daherkommt. Was aber Kern dieser Erkenntnis bleibt, ist die Notwendigkeit, vom ersten Hahnenschrei, das heißt von Geburt an, sich auszubilden und dabei zunächst auf die Hilfe der Eltern, andere Bezugspersonen und später auf die Erzieher in Kindergärten und Schulen zurückzugreifen.

Der sich am Leben ausbildet, ist aber der Mensch selbst und die Bezugspersonen sind daher nur komplementäre Paten dieses Prozesses. Als ich nach Kriegsende zunächst in einem kleinen Dorf und später in einer Kleinstadt heranwuchs, gab es von Anfang viele Herausforderungen, denen ich mich schon als Kind stellen musste. Es ergaben sich Hochwasser, in die man hineinplumpsen konnte, es gab gefährliche Ruinen und in Wäldern herumliegende Kriegsmunition.

Ich erlebte eine aufregende Kindheit, in der ich auch auf mich selbst gestellt war, Dinge erkunden musste und andererseits mit Eltern und auch fremden Menschen Erfahrungen auszutauschen hatte, wie man Gefahren begegnet und sich orientieren kann in Stadt und Natur. Es gab Schutz und Ermahnungen durch Eltern und Kindergärtner, aber keine Einschränkungen meiner Bewegungsfreiheit aus dem Gedanken heraus: Hoffentlich passiert dem Kind nichts. Im Gegensatz zu früher wachsen heute die meisten Kinder wohlbehütet auf.

Wohlbehütet muss hier in dem falschen Sinne gesehen werden: Die Kinder sind überschützt. Wenn den schutzbefohlenen Kindern keine Herausforderungen des wirklichen Lebens mehr begegnen, besteht die Gefahr, dass sie mangels Konditionierung dann versagen, wenn das Leben an sie unerwartete Anforderungen stellt.

Dies können Hochwasser sein, aber auch harmlose Erfahrungen, wie sich unerwarteterweise plötzlich im Wald oder in einer fremden Stadt ohne Smartphone orientieren zu müssen. Wenn die Elektronik versagt, kann es nützlich sein, die analoge Welt zu kennen und auf frühkindliche Erfahrungen in ihr zurückzugreifen. Der umfassend gebildete Mensch hat die besten Voraussetzungen dafür, sich auch dann zurechtzufinden, wenn der sichere Raum plötzlich Risse zeigt.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Ruhe vor dem Sturm

Liebe Verwandte und Freunde, liebe Mitbürger und sonstige Lebewesen. Wir saufen in weniger als 100 Jahren ab. Alle bisherigen Berechnungsmodelle sind nicht gültig. Die subpolare Eisschmelze in der Antarktis wurde ebenso wenig bedacht wie der Salzrückgang in den Meeren und den damit einhergehenden neuen Wetterverhältnissen. Wir sind höchstwahrscheinlich erledigt. Vielleicht der eine oder andere von uns noch nicht persönlich, aber unsere Kinder und Enkel allemal.

In allen persönlichen Gesprächen, die ich führe, erfahre ich ausschließlich besorgte Zustimmung, doch seitens der Wissenschaft tut sich nichts, weil sie nicht politisch sein will und seitens der Politiker tut sich auch nichts, weil sie von Wissenschaft keine Ahnung haben. Unterschwellig denken wir ohnehin, wie seinerzeit beim angekündigten Baumsterben, so schlimm wird es nicht werden, ist ja immer alles gut gegangen und schließlich muss unser Wohlstand auch gesichert bleiben.

Doch Wohlstand wofür, wenn Hamburg evakuiert werden muss und mit der ersten Flutwelle Inseln und große Teile Schleswig-Holsteins und Mecklenburg-Vorpommern verschwinden. Auch Holland und Dänemark gehören wie Polen zu Europa. Versunkene Städte wie ehemals Alexandria in Ägypten. Bis die Städte implodieren, ähneln sie Venedig, das ebenfalls versunken sein würde. Die Überschwemmung, das Desaster trifft nicht sofort jeden, sondern entwickelt sich allmählich. Allerdings wird der von Menschen bewohnbare Raum immer enger bei steigender Bevölkerungszahl.

Die Menschen streben dorthin, wo sie zumindest noch eine Zeit lang zu überleben hoffen. Die Auseinandersetzung zwischen den einheimischen Besitzstandswahrern und den Eindringlingen nimmt zu. Es widerspricht nicht unserer Logik, dass verheerende Seuchen und kriegerische Auseinandersetzungen ungeahnten Ausmaßes für eine Dezimierung des Lebens sorgen werden, damit zumindest Einige noch überleben können. Was ist zu tun?

Wir müssen Wissenschaft und Politiker herausfordern, Pläne für die Zukunft der Menschheit zu entwickeln, statt sich über Handelsabkommen, Stakeholder Value und Rentenversicherungen zu verzanken. Offenbar haben wir nicht begriffen, worauf es in dieser Welt ankommen wird und schenken jedem Fernsehkoch mehr Aufmerksamkeit, als einem ernstmeinenden Wissenschaftler. Wir selbst sind begriffsstutzig und erlauben es daher, einfältigen Politkern, sich um alles zu kümmern, bis auf das: die Rettung der Menschheit, die Rettung unseres Planeten im Interesse künftiger Generationen und aller von uns abhängigen Lebewesen.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Ich

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Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Fremdheit

Das Fremde ist ein Anderssein, das diesen Status dadurch erlangt, dass es von irgendeiner Norm abweicht. Die Norm ist das Bekannte. Das Unbekannte ist fremd. Diese Eigenschaft kann objektiv, aber auch subjektiv begründet sein. Objektiv fremd ist etwas, was zu dem Anderen nicht passt. Objektiv fremd ist zum Beispiel eine Pflanze, die aus Venezuela eingeschleppt wurde und sich hier ausgebreitet hat. Subjektiv fremd ist etwas, was entdeckt werden muss, um seine Nähe und Nützlichkeit zu erkennen.

Man könnte hierbei zum Beispiel an die Kartoffel oder die Gewürze denken. Im weitläufigen Sinn sind Nähe und Fremdsein nicht der Wahrheit verpflichtet, sondern lediglich der Anschauung. Wir bestimmen, was fremd ist und implizieren dabei auch die Lüge, indem wir das dem Sein immanente, biologische und physiologische Fremdsein auf Behauptungen übertragen, deren Beweis in ihnen selbst zu wohnen scheint.

Das Fremde ist zudem oft auch angstbesetzt und entrückt. Die Lust auf das Fremde, die Neugier, das Unbekannte und Fremde kennenzulernen, scheitert an der mehrheitlichen Ablehnung a priori. Die schillernden Aspekte des Fremdseins durchmischen Wirklichkeit und Trug. Es ist an uns, Entscheidungen zu treffen, die Begriffe neu zu bewerten und Fremdheit zuzulassen.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Perspektive

Aus der Perspektive eines weltoffenen und toleranten Menschen leben wir in schlimmen Zeiten. Aus der Perspektive machtversessener und gieriger Politiker leben wir in einer chancenreichen Zeit. Aus der Perspektive vieler Menschen leben wir in einer unübersichtlichen Zeit der Chancen und Chancenlosigkeit, des Überflusses, der Verarmung und der Zerstörung. Alles eine Frage der Perspektive. Die wahrnehmbare Realität bildet die Kulisse. Perspektiven schaffen Möglichkeiten, fördern die Neugier und geben der Erwartung eine Grundlage, dass nie etwas so bleibt, wie wir meinen, dass es sei.

Es gibt auch keine innere Kohärenz der Perspektiven, ob diese persönlich oder kollektiv angelegt seien. Perspektiven sind eine Möglichkeit der Wahrnehmung und des Handelns. Perspektiven lassen Wertungen zu, sind aber von diesen nicht abhängig. Die Perspektive einer Präsidialdiktatur in der Türkei erschreckt viele Menschen, aber nicht alle. Es gibt auch zufriedene Menschen, die darin eine Möglichkeit für die Türkei sehen, sich unabhängig und identitär zu entwickeln.

Ohne die Perspektiven im Einzelnen aufzeigen zu müssen, gilt dies natürlich auch für den amerikanischen und russischen Präsidenten. Die Perspektiven des Brexit werden nachteilig für Großbritannien beschrieben. Sind sie es aber auch? Das wissen wir erst nach Beendigung des Experiments, denn auch der Brexit ist nur eine historisch wirtschaftliche Zäsur, künftige Entwicklung beeinflussend, aber nicht endgültig beschreibend. Nach dem Brexit kommt entweder wieder Europa oder etwas ganz Neues.

Jede Veränderung eröffnet Perspektiven und müsste uns daher eigentlich sehr willkommen sein. Ein in sich sogar stimmiges System mag vorübergehend die Gemüter beruhigen, erodiert aber irgendwann, wenn es keine neuen Perspektiven mehr aufweist. Deshalb nutzen wir die Chancen der Veränderung, überwinden Perspektivlosigkeiten und suchen Gelegenheiten, Neues zu schaffen.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Ruck

In seiner berühmten Adlon-Rede vom 26.04.1997 hat der damalige Bundespräsident Roman Herzog gefordert, es möge ein Ruck durch Deutschland gehen. Der Ruf ist nicht verhallt, aber die damit zum Ausdruck gebrachte Erwartungshaltung ist sehr groß, manche Menschen überfordert durch eine risikoreiche Verantwortung außerhalb ihres eher doch durch die Umstände eingeschränkten persönlichen Lebensbereichs.

Wir haben daher, als wir die Ruck – Stiftung des Aufbruchs gründeten, darauf gesetzt, durch bescheiden anmutende Impulse, etwas zu verändern, und zwar dann und auch gerade dann, wenn unser Ansatz eigentlich allen Menschen selbstverständlich erscheinen müsste. Wir wollen den Mitbürger durch sein ganzes Leben begleiten und ihn nicht nur auf Alternativen zu seinem bisherigen Verhalten aufmerksam machen, sondern diese ihm auch anbieten. Er mag entscheiden, ob er das Angebot annimmt, weil es ihn überzeugt.

Ich will das an einem unserer Angebote verdeutlichen: „Elternbildung schafft Kinderbildung“ Wir bieten ergänzende Elternbildung in Familienzentren und geburtsvorbereitenden Einrichtungen an, indem wir durch Singen und die Vermittlung des Erzählens von Fantasie- und Familiengeschichten Eltern auf ihr Kind vorbereiten und sie dafür gewinnen wollen, selbst wieder das Erlernte an ihre Kinder weiterzugeben. Das schafft Stolz, Selbstbewusstsein und familiären Zusammenhalt. Das Sprachvermögen der Kinder wird gefördert und auch soziale Communities geschaffen, in denen die Kurse stattfinden und nach unserer Erfahrung bleibende menschliche Verbindungen schaffen.

Wir erreichen die Eltern durch ergänzende Patenschulungen und sind heute unter anderem auch in Neukölln aktiv, wo wir türkischen Müttern das Singen von deutschen Kinderliedern näherbringen. Wir vermitteln auch Sprachvermögen, Tanz und Bewegung sowie künstlerische Ausdruckskraft in Flüchtlingseinrichtungen. Wir werden nach und nach unsere Angebote erweitern und freuen uns auf die nächste Anregung, die wir erfahren und auch für andere Menschen nutzbar machen können.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Gelassenheit

Ich denke, um des Denkens willen. Ich denke prozessorientiert. Ich denke zielgerichtet, aber abstrakt. Ich denke als Anliegen. Ich denke ergebnisorientiert. Ich denke für Andere. Ich denke alles einschließend, also umfassend. Ich denke die Gefühle nutzend. Ich denke Gefühle. Ich denke fließend. Ich denke Blockaden. Ich denke vor. Ich denke nach. Gedankenlos.

Denken verboten. Denken langweilig. Ich denke vergeblich. Ich denke an den Empfänger der Gedanken. Ich denke an mich. Ich denke morgens, abends und nachts. Ich denke im Bett, auf dem Klo, im Bad. Ich denke Blödsinn. Ich denke Kluges. Ich denke, um zu denken. Ich denke zeitlos, sinnlos, entfernungslos, weit, nah, auf den Punkt. Ich denke frei. Ich denke verkrampft. Ich denke mit Vorurteilen. Ich schichte Gedanken ab. Ich baue Gedanken auf. Ich lasse mich von Gedanken treiben. Ich denke selbst. Ich lasse andere denken. Ich habe keinen Bezug zu meinen Gedanken.

Meine Gedanken haben sich verselbstständigt. Vom Denken wird es mir schwindlig. Vom Denken wird mir stumpf. Ich denke, also bin ich? Ich denke, dass ich bin. Ich bin auch ohne zu denken. Gibt es einen Sinn des Denkens? Gibt es einen sich selbst denkenden Sinn? Methodenlehre des Denkens ist die Philosophie. Der Zirkus des Denkens ist die Religion. Das Denken besitzt eine unendliche Spielwiese der Mutmaßungen. Das Denken weist eine Richtung, aber keine Ergebnisse. Durch das Denken werden Probleme nicht gelöst, sondern geschaffen. Fühlen, Denken und Handeln sind miteinander verwandt, aber nicht vertraut. Kann Denken hilfreich sein? Kann ich durch Denken Einfluss auf etwas nehmen?

Kann mir jemand oder ein Umstand beim Denken helfen? Denken als Zeitvertreib. Denken als Prozess – des Träumens – des Fühlens – des Empfindens. Denken als Synapsengeflunkere. Maschinendenken. Computerdenken. Internetdenken. Denken als gesellschaftliche Bereicherung. Gemeinsames Denken. Ich habe mal so gedacht… Denken als l´art pour l´art. Denken ohne Vorkenntnisse. Plötzlicher Denkeinfall. Denkfalle. Denkexzess. Denkblockade. Eine Maschine hat es gut. Sie ist vom Denken befreit.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Normal 4.0

Wir alle, also auch ich, sind begierig darauf aus, Anderen die Welt zu erklären. Ohne dieses Sendungsbewusstsein gäbe es auch diese Blogbeiträge nicht. Obwohl ich weiß, dass es unendlich viele Fachzeitschriften, Kommentare zu allen Lebenssachverhalten und Verhaltensanweisungen gibt, sehe ich offenbar noch eine Lücke, die gefüllt werden müsste. Ob dies anmaßend ist, muss der Leser entscheiden.

Ich versuche, Argumente vorzulegen, an denen meine Leser sich reiben können, provoziere gerne Widerspruch und sehe mich doch der Normalität verpflichtet. Die Menschen, meine Leser, sind normal, vergnügt, launisch, witzig, sorgenvoll, ängstlich und mutig. Genauso wie ich. Mein Leser und ich sind wie kommunizierende Röhren. Ich erfahre über meinen Beruf, den Umgang mit anderen Menschen, meine Familie und die Medien und Lektüre von Büchern und Zeitschriften, was alle bewegt und mache mir darüber selbst Gedanken. Es macht mich besorgt zu erfahren, wie sehr sich Menschen von Ratgebern abhängig gemacht haben und dem Judiz, ihres Bauches, also ihrer eigenen Beurteilung, immer weniger vertrauen. Das betrifft sowohl die Kindererziehung, als auch den gesamtgesellschaftlichen Umgang miteinander.

Nicht die Werte sind verrutscht, sondern, gesteuert von Medien, unser Selbstbewusstsein im Umgang mit den täglichen Anforderungen. Warum liefern wir uns Ratgebern und Rattenfängern so gerne aus?

Die Normalität 4.0 ist offenbar noch komplexer. Sie ist wesentlich beeinflusst durch Formate, die außerhalb unseres eigenen Begreifens entstanden sind. Ich denke dabei natürlich an die Digitalisierung unserer Welt, aber auch die Verzagtheit, überhaupt einen eigenen Standpunkt einzunehmen, um sich daran messen zu lassen. Normal ist es, Fehler in der Kindererziehung zu machen oder Fehler im Umgang mit anderen Menschen, dann aber zu seinen Fehlern zu stehen und sie bei Bedarf wieder zu korrigieren. Normal ist, verletzlich zu sein, aber nicht verletzend. Normalität ist Gelassenheit im Umgang mit anderen Menschen und sich selbst.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Arbeit

Arbeit ist weder ein Menschenrecht, noch eine Menschenpflicht. Arbeit wird durch das Ver­sprechen aufgeladen, dafür eine Gegenleistung zu erlangen, die es dem Menschen ermöglicht zu leben. Arbeit, wie wir sie kennen, ist kein Naturgesetz und kein Lebensbegriff. Tiere arbeiten nicht, wenn wir sie nicht in Arbeit bringen und in der vorindustriellen Zeit haben die Menschen nicht auf die uns heute bekannte Art und Weise gearbeitet, sondern sich im Sinne ihrer Lebenserhaltung beschäftigt.

Der Tag der Arbeit ist auch kein Verpflichtungstag für den Arbeiter, sondern will an seinen Schutz erinnern. Sklaverei, Ausbeutung anderer Menschen zur Gewinnmaximierung Einzelner oder Gruppen hat es immer gegeben. Diese Form der Unterwerfung ist dem Machtbegriff und nicht der Arbeit zuzuordnen. Auch Ausbeutung und Selbstausbeutung sind keine notwendigen, das Leben zwingend begleitenden Verhaltensweisen.

Der Arbeit verwandt, aber nicht dasselbe, ist die Beschäftigung des Menschen. Die ganze Komplexität des menschlichen Verhaltens vom Denken angefangen, über Fühlen und Handeln, ist darauf gerichtet, sich zu beschäftigen. Die Beschäftigung des Menschen ist nicht an Arbeit gekoppelt, sondern betrifft die Familie genauso wie sportliche Betätigung, Gartenpflege oder das Lesen eines Buches. Der Mensch ist in eigener Verantwortung auf Arbeit nicht angewiesen.

Wenn stolz von Politikern oder Unternehmensinhabern verkündet wird, man habe wieder etliche Frauen, aber auch Männer in Arbeit gebracht, wird vergessen darauf hinzuweisen, dass dies nur geschieht, um durch diese einen Mehrwert zu erzielen. Dieser einzige Grund wird verschleiert durch die Behauptung, die Arbeit der Frau trüge emanzipatorischen Charakter und der Mensch müsse arbeiten, um sich und seine Familie zu unterhalten. Wenn aber Arbeit als gesellschaftliche Verabredung so unumgänglich sein sollte, wie es behauptet wird, was wird dann mit den Menschen geschehen, wenn es diese Arbeit nicht mehr gibt bzw. von Maschinen übernommen werden kann?

Die Propagandisten der Arbeit haben hierauf keine Antwort. Es gibt keine Beweise dafür, dass der Mensch arbeiten muss, um glücklich zu sein. Der Mensch erfährt seine Wertschätzung nicht durch Arbeit, sondern er erfährt sie durch Nachfrage nach seiner Person, die Anerkennung seines Verhaltens in der Familie, unter Freunden und in der Gesellschaft. Der nicht arbeitend beschäftigte Mensch erfährt die Möglichkeiten seines sinnstiftenden Handelns durch das Nichtstun, das Sehen und Erfahren und die Zeit als eine Möglichkeit der Ausdehnung seiner Kräfte und des sich Kümmern als eine neue sinnstiftende Beschäftigung.

Wenn es nicht abschätzig gemeint wäre, dürfte man diese Utopie, die einmal Wirklichkeit werden wird, als Schlaraffia bezeichnen. Ein Garant für das Funktionieren einer solchen Gesellschaft ist dann die Einsicht, das Geben und Fördern keine Last, sondern eine gesellschaftliche Bereicherung darstellt. Es ist wichtig, in einer freien Gesellschaft schon heute eine Umsteuerung vorzunehmen. Damit soll verhindert werden, dass wir eine Zukunft ohne Arbeit als Bedrohung und nicht als verheißungsvolle Herausforderung begreifen.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski