Albrecht Gehse ist beileibe kein Weichei. In jedem Abenteuerfilm würde er eine führende Rolle übernehmen. Entweder spielte er den Gutsbesitzer, der sich verteidigt, machte bei den Musketieren mit oder gehörte als ihr Anführer zu der Meute, die apokalyptische Feste feiert. Und der Maler Albrecht Gehse feiert grandios. Er feiert mit Fisch und Brot. Dazu gibt es Wein in Strömen. Er ist ein Menschenfischer und weiß genau, wie er seine Anhänger zu sammeln vermag. Es ist die Verheißung des Lebenssinns. Auf vielen seiner Bilder zeigt er uns den Fisch, nimmt die Erkenntnisbereiten mit zur Fahrt auf „hohe See“ und wirft die Netze aus. Reiche Ernte. Das ist Religion. Seine Bilder bergen christliche Metaphern. Der Fisch labt die Bedürftigen und bedroht die Hoffärtigen. In rasanter Fahrt spult Albrecht Gehse vor den Augen seiner Betrachter deren Möglichkeiten ab, Lebensentscheidungen zu treffen, die tatsächlichen und die spirituellen. Es geht bei ihm derb und rau zu, aber auch verständnisvoll und leidenschaftlich. Jeder soll sein Vergnügen haben, wird herzlich eingeladen, mitzumachen bei seiner grandiosen, allegorischen Orgie. Gehses Bilder sind einerseits kalkulierte Oberfläche, andererseits Ekstase. Er verrätselt das Leben nicht, sondern zeigt seinen Betrachtern, dass das Leben unter der Oberfläche ein Rätsel ist. Demjenigen, der sich auf ihn einlässt, enthüllt Gehse Geheimnisse der Natur, die gestaltende Kraft des Wassers, des Himmels und der Kreatur. Der von ihm in den Bildern entworfene Mensch ahmt nach, will sich behaupten in diesem Reigen der Unersättlichkeit. Der Mensch ist Akteur des Guten und des Bösen, aber auch Opfer seiner Gier und Zerstörungswut. Das kolossale Menschenbild Gehses ist dem eines Grosz, eines Dix und eines Tübke verwandt. Und doch geht er seinen eigenen Weg. Gehse klagt nicht an, wenn er in seinen Werken uns selbst zu Zeugen des Menschlichen ernennt. Er lässt uns bis zum Exzess durch seine Bilder toben, aber dann verordnet er Ruhe, Besinnung auf das Wesentliche und hisst die Flagge der Gebrechlichkeit des menschlichen Lebens, des Alters und der Weisheit. Das zarte Lebensverständnis des groben Seemanns und Malers Albrecht Gehse ist das eigentliche Wesen seiner Bilder, verletzlich zu sein, aber nicht verletzend. Der Maler verwirklicht mit seinen Bildern den Auftrag, auch das weiterzugeben, was er von seinem Großvater, dem Dichter- und Malerfreund Ludwig G’schrey, erfahren hat:
Wege geh’n
Wege geh’n und tragen
dich für kurze Zeit,
Bäume steh´n und fragen
dich nach deinem Leid,
weite Wiesen hauchen,
ihren Duft dir ein
und die Vögel tauchen
sich im Wasser rein –
Siehst du auch beim Gehen
Dich in dieser Welt
Fühlst Du ein Geschehen
Wenn der Regen fällt? –
Hans Eike von Oppeln-Bronikowski