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Steuerprüfung

Anlässlich einer Steuerprüfung hat mir die Prüferin in einem Abschlussgespräch gesagt: „Wissen Sie, was ich hier tue und die ganzen Konsequenzen des Steuerrechts müssen Sie nicht verstehen. Es genügt, dass Sie anschaffen, um Steuern zu bezahlen.“ Darauf verabschiedete ich mich höflich aus dieser Runde der Prüfer, Steuerberater und Buchhalter. Ich habe da nichts verloren in ihrer Parallelwelt. Parallelwelt? Nein, tatsächlich leben wir in vielen Parallelwelten. In der Parallelwelt der Steuerzahler. In der Parallelwelt des verwalteten Menschen. In der Parallelwelt des Juristen. In der Parallelwelt des großen Geldes und der Wirtschaft. Die Welt, die die meisten Menschen für sich noch als die ihnen vertraute begreifen können, ist geschrumpft. Diese Welt der sozialen Bindungen, der Zugehörigkeit und des Wohlgefühls ist zudem gefährdet. Sie ist gefährdet durch einen außerordentlichen Druck anderer Systeme, die vorgeben, den Menschen zu entlasten. Zu entlasten vor allem von sich selbst. „Das müssen Sie nicht wissen. Das erledigen wir für Sie. Wir haben das in unserem System. Geben Sie uns Ihr Geld. Schaffen Sie an. Wir sorgen für Sie.“ Das ist so einfach und verführerisch. Wir verkaufen unseren Schatten wie Schlemihl oder tauschen unser warmes Herz gegen ein steinernes. Damit sind wir alle Sorgen los. Oder? Glaubt denn jemand, ein Herz hört auf zu schlagen? Glaubt denn jemand, ein Schatten ist ohne denjenigen zu haben, der ihn wirft? Glaubt denn jemand, der Banker, Jurist oder Steuerprüfer ist, dass ihn sein System schützt, wenn es einmal zur Abrechnung kommt? Die Verantwortung des Menschen ist nicht aufteilbar auf das System und den Menschen selbst. Es ist immer das Ganze. Der Richter trägt Verantwortung für die Prozessparteien. Der Banker für die Anleger und Kreditnehmer und der Steuerprüfer für den, den er prüft. Der Banker, der aufgrund windiger Geldgeschäfte einen, der sich ihm anvertraut hat, zugrunde richtet, wird die Ahnung seines eigenen Scheiterns nie wieder los. Nichts unterscheidet ihn von Raskolnikow. Auch den Richter, der die Konsequenzen seines Handelns nicht bedenkt, wird bei jedem Besuch eines Schlosses die Ahnung befallen, ob er vielleicht für immer dort gefangen bleibt? Und der Steuerprüfer? Er tut ja nur, was das Gesetz von ihm verlangt. Aber, nicht nur ein Gesetz, sondern auch eine Dienstanweisung oder ein Rechenbeispiel. Artikel 1 des Grundgesetzes verlangt, dass die Würde des Menschen zu achten sei. Die Würde des Menschen wird nicht geachtet, wenn das Ergebnis aller unverständlichen Gesetzmäßigkeiten die Zerstörung der menschlichen Lebensgrundlage ist. Wir tragen Verantwortung als Steuerzahler und als Steuerprüfer. Wir tragen Verantwortung als Bürger dieses Staates und vor allem als Menschen gegenüber anderen Menschen.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski