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Bauchgefühl

In Corona-Zeiten erfahren wir, dass alle Umstände, die von Menschen bestimmt unser Leben beeinflussen, gegeneinander in Stellung gebracht werden. Politik versus Wissenschaft, Wissenschaft versus Bauchgefühl und Bauchgefühl versus Verstand.

Wenn alle Zustände gegeneinander antreten müssen, bleibt es nicht aus, dass alle als unzulänglich angesehen werden. In Corona-Zeiten werden allen öffentlichen Stellen, die unser Handeln bestimmen, allenfalls ausreichende Noten erteilt werden, jedoch meist mangelhaft oder ungenügend. Der Verstand will uns sagen, dass diese Einschätzungen auf einem Benotungssystem beruhen, welches wir anwenden, um unsere eigene Hilflosigkeit zu kaschieren.

Unser Bauchgefühl verrät uns, dass wir durchaus verstehen, dass infolge fehlender wissenschaftlicher Erkenntnisse und umfassender Informationen getroffene Entscheidungen nachvollziehbar sind, wobei das selbe Bauchgefühl dennoch gegen Unzulänglichkeiten protestiert, die bei der Erkenntnis im Zuge der Bewältigung von Problemen stets bestehen und auch nicht einfach verschwinden. Das Bauchgefühl sucht aber unablässig nach Schuldigen: „Es kann doch nicht wahr sein…!“

Dies ist Ausdruck solch einer Baucherfahrung, dabei fühlt der Bauch nichts, sondern wir geben unserer Unmöglichkeit, alles zu verstehen, eine emotional nachvollziehbare Heimat. Unser Verstand würde sich dem Bauchgefühl aber verweigern, denn er erkennt die Zusammenhänge, vermag Probleme einzuschätzen und vermag das Ganze zu erkennen, was dem Bauch regelmäßig nicht zugänglich ist.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Begegnung

In Corona-Zeiten erfahren die zwischenmenschlichen Beziehungen erhebliche Einschränkungen. Die selbstverständlichen Begegnungen mit anderen Menschen, das Treffen, das gemeinsame Essen und Feiern, der Handschlag, das Küssen, das Umarmen, all dies entfällt, der andere Mensch bleibt auf Sichtweite oder ist überhaupt nur über Telefon oder virtuell zugegen.

Können wir auf die persönliche Begegnung verzichten, ersetzen virtuelle Begegnungsformate die reellen? Finden wir nach der Corona-Zeit wieder zu unseren Gewohnheiten, die wir zuvor lustvoll pflegten, zurück? Es dürfte schwerfallen, jetzt schon schlüssige Antworten zu geben, aber sinnvoll ist es, sich vorbereitend damit auseinanderzusetzen, ob virtuelle Formate, Zoom-Konferenzen und Begegnungen auf Abstand ohne Weiteres in der Lage sind, unsere körperlichen Gewohnheiten der Begegnung zu ergänzen oder zu ersetzen.

Von Geburt an erfahren wir Menschen den realen Raum und orientieren uns durch Tasten, Sehen und Riechen. Alle unsere Sinne spüren Möglichkeiten und Grenzen auf, werden während unseres Lebens grandios darin geschult, uns in einer Wirklichkeit mit anderen Menschen zurechtzufinden. Dieses Zurechtfinden benötigt den Raum, der uns verloren geht, wenn wir uns digital raumlos begegnen, einen anderen Menschen weder berühren, noch riechen, ihm nicht ausweichen müssen, sondern ihn einfach wegdrücken können, so wie wir dies heute bei vielen Videokonferenzen ohnehin schon machen. Abstand gewinnen wir so nicht mehr durch Ausweichen, sondern durch Abschalten. Dies beansprucht unsere körperlichen Fähigkeiten nicht.

Der Raum, der im Internet für uns geschaffen wird, lässt vielleicht Avatare, aber den lebendigen Menschen nicht mehr wesentlich zu. Andere Menschen, denen wir bei Videokonferenzen begegnen, sind für uns körperlich unerreichbar. Wir können an ihnen deshalb unsere Fähigkeiten der Zuneigung nicht mehr erproben. Deshalb sollten wir uns eine Zeit wünschen, in der wir anderen Menschen tatsächlich wieder selbstbestimmt ausweichen können oder müssen, sie aber auch umarmen dürfen, wenn es für den anderen Menschen passt und für uns auch.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski