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Sprachkult

Der Marquis de Posa fordert bekanntlich in Schillers Don Karlos von Philipp II. „Sire geben sie Gedankenfreiheit!“ Ähnliches war von Martin Luther zu vernehmen, zumindest zunächst, als er von der Freiheit eines Christenmenschen sprach, um diese Freiheitsgewährung später allerdings wieder einzusammeln, zumindest soweit es die Bauern betraf. Artikel 19 der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte manifestiert die Meinungsfreiheit für alle, wie sie auch Artikel 5 Abs. 1 des Grundgesetzes für die Bürger unseres Staates festschreibt.

Ist damit alles Denken und Sagen legitimiert? Wie verhält es sich dann mit dem umfassenden Denken, Meinen und auch Ausdrücken, sprachlich und in der Schrift? Habe ich ein Recht, alles zu sagen, was mir in den Sinn kommt?

Zumindest nach dem Grundgesetz wohl schon, soweit das, was ich ausdrücke nicht mit den strafrechtlich sanktionierten Abwehransprüchen des Staates, die auch im Interesse anderer Menschen durchgesetzt werden, kollidiert. Jenseits der Strafbarkeitsgrenze stellt sich mir die Frage, ob ich denn auch immer erfahren will, was andere meinen und sagen? Sollte Sprache in Wort und Schrift nicht vor allem empfängerorientiert sein? Kann ich es nicht als Zumutung empfinden, mir stets anhören zu müssen, was andere auch medial als ihre Meinung verbreiten? Wo ist der Schutz meiner Wahrnehmungsbereitschaft im Empfängerhorizont? Dazu finde ich weder in den allgemeinen Erklärungen der Menschenrechte, noch im Grundgesetz entscheidende Antworten, es sei denn, allgemeine Hinweise auf Strafgesetze, wobei diese nur im Einzelfall Relevanz aufweisen können.

Die Gedankenfreiheit ist keinem Menschen abzusprechen, auch Sprache, Bilder und alle sonstigen Medien als Verständigungsinstrumente sind willkommen, aber benötigen wir nicht den Schutz des Einzelnen vor der Meinungskakophonie? Also, jeder sollte denken, was er will und somit auch eine Meinung haben. Äußert er diese in seiner Blase, verstärkt sie sich sehr dynamisch in der Gruppe. Diffundiert sie dann aber auch durch die sie eingrenzende Hülle in andere Räume oder gerät gar in Abwehrscharmützel mit den sich dort ebenfalls bildenden Meinungen?

Meinungen sind unerbittlich wie auch unverbindlich, sie passen sich an oder zerstören, wenn man sie frei lässt. Wie jeder Organismus hat auch jede Gesellschaft die Möglichkeit, eine Kultur zu verabreden, die konstruktive Meinungen im Interesse der Entwicklung gesellschaftlicher Prozesse ermöglicht, aber unwillige Empfänger beliebiger Meinungen schützt.

Keiner muss sich alles bieten lassen, sondern die Möglichkeit haben, im Eigeninteresse Meinungsbeschallungen einzuschränken bzw. zu verhindern.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Putin

Putin, sein Name steht für Bedrohung und Verderben. Nicht nur in der Ukraine, sondern in der ganzen Welt. Schon lange, aber wir wollten es nicht sehen. Das Böse gibt es. Dies ist wahrlich keine Überraschung und sein Verhalten keine Ausnahme. Die Menschheitsgeschichte liefert ständig Beweise. Aber warum handeln Menschen so, wie er? Nicht nur, weil sie es wollen, sondern auch, weil wir es zulassen.

Dies nun jedenfalls solange, wie wir selbst glauben, dass es uns ebenfalls nützt. Zu Beginn seiner Kariere in Leningrad war Putin äußerst willfährig, ver­sprach denjenigen, die seine Hilfe in Anspruch nehmen wollten, Vorteile und Gewinn. Alles, wirklich alles, könne er für einen machen, so hörte man ihn sagen. Aber um welchen Preis?

Wenn er helfe, so erklärte er seinem Gesprächspartner, möchte er natürlich eine Gegenleistung: „Ich kann alles machen, aber was habe ich davon?“ Kennen wir nicht alle diese Geschichten, diese Märchen und Sagen, haben wir Faustens Schicksal vergessen? Selbst, wenn der intelligente Teufel sich zu verkleiden weiß, sein Handeln folgt immer dem gleichen Muster. Der in Ironie zu fassende Schrecken ist dabei, dass wir das Handeln des Mephisto willentlich nicht erkennen oder glauben, das ihm gegebene Versprechen ließe sich einfach wieder auflösen, das nicht gewollte Ergebnis unseres Handelns einfach wieder abwenden. Ein Irrtum.

Wenn wir uns auf einen Deal mit dem Bösen einlassen, sind wir selbst Täter, und zwar in mittelbarer Täterschaft. Viele, die Putins Hilfe in Anspruch genommen haben, hatten es gewusst oder hätten es wissen müssen. Der eigene Vorteil war jedoch verlockender als Skrupel und vorausschauende Verantwortung. Wir haben Putin und seine Vasallen reich gemacht, sehr reich. Man sagt, er und der Metropolit Kyrill seien die Reichsten im Lande. Zu überprüfen dürfte dies nicht sein, jedoch eine umfassende Verfügungsmacht über Russland, die Kirche, die Armee und die Wirtschaft zu besitzen, dürfte den Eindruck bestätigen.

Wer aber sich so bereichert hat, wer Macht besitzt, kann nicht aufhören weiterzugehen, um seine Fähigkeiten und Erfolge immer wieder von Neuem zu erproben. Es gibt kein Ende, kein Ziel und keine friedvolle Genügsamkeit. Was einmal begonnen wurde, wird weitergeführt, und zwar auch dann, wenn Akteure und Geschichten ausgetauscht und/oder neu erzählt werden müssen.

Es geht doch nicht um die Ukraine, um Russland oder gar die Welt. Es geht um diesen Menschen: Putin, der dank unseres Mittuns viel erreicht hat und noch mehr erreichen kann, je rücksichtsloser er seinen Willen durchsetzt. Da es angesichts seines Alters und der sonstigen Bedrohungen auf dieser Welt nicht mehr so viel gibt, was er im Eigeninteresse erfolgversprechend erledigen könnte, hat er sich bereits für seinen letzten Trumpf entschieden. Er bereitet sich und uns auf ein finales Schauspiel vor. Wer könnte dies verhindern und wodurch?

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski