Schlagwort-Archive: Grenzen

Verständnis

Dank unserer Sprache sind wir dazu in der Lage, einander zu verstehen, ohne zwingend auch Verständnis füreinander haben zu müssen. Sprache lässt eine inhaltliche Entgrenzung allerdings nicht zu, sondern schafft eine Barriere, die bereits in ihrer Entstehung begründet ist. Wir haben die Sprache für unsere Kommunikation und unsere Erkenntnisgewinnung gewählt.

Ob wir sprechen, handeln, denken oder schreiben, stets ist Sprache unser konkreter Begleiter, befördert unsere Ausdrucksmöglichkeiten und hält diesegleichermaßen in Grenzen. Ohne Worte sinnieren, loslassen von Begrifflichkeiten, ohne jegliche Sinnvorgaben, schwer ist dies außerhalb eines Traums erlebbar. Das unsprachliche sich Gehenlassen, keine sprachlichen Instrumente bei der Erforschung des Lebens zu nutzen, sich auf Sinnsuche ohne Worte zu begeben, das ist schwer vorstellbar?

Vorhaben, die wir absichtlich voll angehen, werden stets an sprachliche Grenzen stoßen. Sind sprachlose Rufe möglich? Können wir die Sprache verlernen, um zu verstehen? Und wenn wir verstehen sollten, was würden wir dann erfahren? Wie könnten wir das, was wir dann erfahren, entschlüsseln? Welches Gespür haben andere Lebewesen, zum Beispiel Einzeller für sich und ihre Existenz ohne eine dem Menschen vergleichbare Sprache? Welches Wissen könnte jede Zelle preisgeben, wenn sie nicht so sprachlos von uns determiniert würde?

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Zwischenräume

Durch dazwischengehen, dazwischenhauen, dazwischentreten und dazwischenreden, schaffen sich Menschen zuweilen Platz für ihre Ansichten, Meinungen, Gedanken und vielleicht auch Gefühle.

Durch das Dazwischensein, machen sie sich indes abhängig von den Begrenzungen und müssen ihre Dazugehörigkeit im Zwischenraum belegen. Ohne die Begrenzungen sind Zwischenräume nicht möglich. Es sind die Zwischenrufe, die sich Platz verschaffen zwischen den zunächst vermuteten Eindeutigkeiten. Indem sie aber anschwellen, vermögen sie, die Begrenzungen zu sprengen und selbst den Platz zu besetzen, der zunächst als Begrenzung des Zwischenraums erschien. Wenn einige Agitatoren verleitet sein mögen, durch Zwischenrufe zu spalten, können andere Menschen durch Dazwischengehen und Dazwischentreten befriedend und befreiend wirken.

Wer Zwischenräume öffnet, kann provozieren, irritieren oder ermöglichen. Wer sich dazwischen begibt, ist versucht, Räume für andere Ansichten und Meinungen zu öffnen, was provozierend, irritierend oder beängstigend sein kann. Wer dies aber tut, übernimmt Verantwortung für sein „Dazwischengehen“, das Veränderungen schafft, welche auf die Ursache des Eingreifens zurückwirkt und abermals Grenzen setzt. Es kann aber immer wieder etwas dazwischenkommen. Darauf müssen wir uns einstellen.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Entgrenzung

Grenzen sind die Einfriedung von Möglichkeiten. Innerhalb von Grenzen entwickeln sich Staaten, Gemeinschaften und der Einzelne. Die äußeren Grenzen erlauben Selbstverwirklichung in einem überschaubaren Maß. Die Einhaltung von Grenzen respektiert das Andere und gewährt Freiheit im umfriedeten Raum. Grenzen schaffen Orientierung zum Beispiel auch bei der Erziehung eines Kindes. Um sicher durchs Leben zu kommen, sollen Kinder ihre Grenzen erkennen und sich dieses Wissen einprägen. Jede Grenzüberschreitung hat Konsequenzen. Das wissen wir. Grenzüberschreitungen provozieren Kriege, eröffnen aber auch neue Perspektiven.

Gewollte Grenzüberschreitungen sind Wagnisse, die auch anderen Gelegenheit geben, ihre Grenze zu verschieben, um sich ebenfalls neue Räume zu eröffnen. Grenzüberschreitungen können auf Rückzug nach Kenntnisnahme des fremden Terrains angelegt sein oder auf Eroberungen. Das Austesten eigener Grenzen verschafft Handlungsspielräume und vertraut auf die Toleranz anderer. Sobald die völlige Entgrenzung eintritt, ist die Freiheit ebenfalls grenzenlos.

Diese Freiheit wird schwer zu ertragen sein, da sie misstrauisch bleibt gegenüber ihrem eigenen Vermögen. Die äußere Freiheit fordert die Libertinage des Gefühls und des Verstandes, die völlige Disposition sämtlicher Einschränkungen, seien diese äußerer oder innerer Natur. „Anything goes“ überfordert den Menschen nicht nur, was seine Reminiszenz an einen Ordnungsrahmen angeht, sondern verlangt von ihm ständig seine eigene Unfreiheit bzw. was davon geblieben ist, in Frage zu stellen.

Es sind dann nicht mehr die äußeren Grenzen und die gesellschaftliche Orientierung, sondern die Unfähigkeit, alles zu verwirklichen, was möglich ist. Der grenzenlose Konsum und alle anderen Lebensumstände scheitern dann nicht mehr an den objektiven Möglichkeiten, sondern an der eigenen Unfähigkeit zu handeln. Der grenzenlose Mensch wird sich seiner ichbefangenen Unfreiheit bewusst. Die Entgrenzung zerstört das die Dinge ordnende Interesse seines Bewusstseins.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski