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Renaissance

Gerade lese ich ein äußerst spannendes Buch darüber, wie die Renaissance begann. Mit Verblüffung und Wehmut stelle ich bei der Lektüre fest, wie verschüttet für mich als Leser diese Zeit ist. Dies auch für den Protagonisten des Buches, einen Vatikanmitarbeiter, dem die griechisch-römische Vergangenheit der Menschheit und deren kulturelle Vielfältigkeiten und Erkenntnisse aufregend neu erschienen sind.

Auch, wenn Lukrezens Schrift vom „Wesen der Natur“, der Initialzündung der Renaissance, spätestens seit ihrer Wiederentdeckung nicht mehr unbekannt war, so erfahre auch ich immer wieder, dass zwar unsere Alltäglichkeit begrifflich von Gewesenem geprägt ist, aber die meisten Menschen den umfassenden Nutzen der Bildung nicht mehr vergegenwärtigen wollen oder können.

All das, was vor 500 Jahren entdeckt oder wieder entdeckt und vor 2.000 Jahren auf Pergamentrollen geschrieben wurde, was niedergelegt war in Briefen und aus Reden überliefert wurde, ganze Bibliotheken von Alexandria bis Athen füllte, Lesestoff in Schulen und Gesprächsstoff für hitzige Auseinandersetzungen sorgte, später in unendlicher Klein- und Feinarbeit von Mönchen kopiert wurde, damit uns Überlieferungen erhalten bleiben, ist heute profan abgelegt bei Wikipedia und allenfalls Kenntnisstoff im althumanistischen und altsprachlichen Unterricht.

Was wir im Internet nun abrufen können, scheint mir an Erkenntnis verloren zu haben. Ich stelle mir die Frage, was wir tun könnten, um die Vergangenheit, ihre Kulturen, ihre Lebensanregungen wieder umfassend für unsere Zeit erlebbar zu machen. Ich stelle mir vor, dass es möglich sein könnte, dass wir uns statt zu Podiumsdiskussionen in Gesprächskreisen treffen und uns austauschen über Dinge, die nicht offensichtlich sind, über Gedichte, Literatur und natürlich auch über Anregungen aus fernen griechisch/römischen Zeiten.

Ich weiß schon, dass dies vereinzelt geschieht, aber Schulen heute kaum noch Anregungen in dieser Richtung vermitteln. Wenn der Mensch aber nicht umfassend geübt ist, dann verliert er schnell die Fähigkeit, mit seinen Möglichkeiten intelligent umzugehen.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Blickwinkel

So mancher erinnert sich gern an Friedrich Luft „Die Stimme der Kritik“ und auch viele mit etwas Beklommenheit an den Großmeister der Kritik Reich-Ranicki. Kritikern wie diesen sind Theater, Literatur und natürlich auch die Darbietungen von Opern und konzerntanten Stücken anvertraut. In den klassischen Disziplinen sind die Kritiker die höchsten Instanzen und weisen verbindlich für Zuschauer und Zuhörer den Weg zum Verständnis.

Durch die unerbittlich lobende Bewertung oder gleichermaßen unerbittliche Verurteilung eines künstlerischen Beitrags öffnen sie den Olymp oder sorgen dafür, dass ein Schafott nicht ungenutzt bleibt. Kritiker erfreuen sich ihrer Macht, die sie mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Emotionen verbindlich machen können. Die Kritik wirkt. Zuhörer und Zuschauer wollen sich in ihrer zustimmenden Anschauung bestätigt sehen oder im Widerspruch dazu.

Vor allem schlagen sie sich auf eine Seite. Sie sind der Meinung: Schauspieler können nicht spielen, Dirigenten nicht dirigieren, ganze Orchester nicht musizieren und so mancher Schriftsteller überhaupt nicht schreiben. Andere wiederum werden über den grünen Klee gelobt. Alles verständlich, aber so frage ich mich: Ist das alles? Kann nicht ein schlecht gespieltes Theaterstück auch inhaltlich stark sein und zur eigenen Orientierung beitragen? Kann das nicht für alles gelten, was wir erleben?

Wenn wir statt mit Ablehnung zu reagieren, versuchen zu verstehen und das Erfahrene in unseren Vorstellungen entspiegeln, schafft das nicht eine Souveränität jenseits der Bevormundung? Kritiken können dabei sehr hilfreich sein, wenn sie uns Werkzeuge für die eigene Beurteilung an die Hand geben und unsere Beurteilung sich nicht auf das Offensichtliche beschränkt, sondern den Gewinn daran misst, dass uns Gelegenheit geboten wird, unsere Erfahrungen selbst anzureichern und daraus zu lernen. In diesem Sinne profitiere ich von jedem künstlerischen Angebot. Es ist einfach eine Frage der Perspektive, welchen persönlichen Nutzen ich daraus ziehe.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski