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Sprachvermögen

Vergewissern wir Menschen uns des Seins, indem wir sprechen? Ist es der Klang unserer Stimme, die uns dabei existenzielle Sicherheit vermittelt oder ist es die Aussage selbst, die unter Abstimmung unserer Gefühle und Gedanken unser Ich bestätigt? Oder ist es möglicherweise erst der Adressat unserer Aussage, der wesentlich zur Vergewisserung unseres Eigenseins beiträgt?

Sprache ist Verlautbarung, bildet aber auch geschrieben oder nur gedacht, den Nukleus unserer Existenz. Stellt sich also die Frage, ob der Mensch durch die Sprache erst geschaffen wird, allein durch die Sprache seine Handlungsfähigkeit erreicht und im Zuge einer Entsprachlichung sogar aufhören würde zu existieren? Dabei sind die vielen inzwischen vorhandenen medialen Formate als Ursache dieser Entsprachlichung zu benennen. TikTok, Instagram und Facebook, alle durch Proms, durch Menschen belebten Formate haben eine menschenähnliche Sprach- und Darstellungsfähigkeit erlangt, die nicht nur die Singularität des Menschen in Frage stellen könnte, sondern auch den Sinn der menschlichen Sprache an sich.

Derzeit ist es noch nicht gewagt zu behaupten, die natürliche Entwicklung seiner Sprechfähigkeit habe den Menschen zu etwas Besonderem werden lassen. In Zukunft könnte auch eine KI aufgrund Informationsfähigkeit der menschlichen Sprache bestimmen, was Menschsein ist. So gerät also durcheinander und ist schwer zu erkennen, was dabei Henne oder Ei ist.

Sprache ist mehr als nur Wert, Sprache ist die Qualität einer prozessualen Errungenschaft an menschlicher Erkenntnis. Um diese zu tradieren, wird der Mensch zwar auch künftig seine Befehle an maschinelle Wortmaschinen erteilen, aber in Nuancen seines Sprachvermögens weiterhin Geheimnisse bewahren und sich selbst sprechend seiner Existenz versichern, dies selbst dann, wenn er öffentlich kaum mehr im Stimmengewirr des Internets vernehmbar sein sollte.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Gehirn

Was ist am Gehirn so einzigartig, dass man ihm die Entscheidungsmacht über unser Dasein zumisst? Was vermag denn das Gehirn, wenn der Körper versagt? Wenn die Zufuhr an Traubenzucker und Sauerstoff unterbunden ist, hat das Gehirn ein großes Problem. Das ist die substantielle Seite dieser Abhängigkeit, erklärt aber nicht, was Geist ist und was das Gehirn vermag. Wenn es mehr ist, als nur Substanz, dann können wir dem Gehirn eine ahnungsvolle Bedeutung zumessen, die nicht allein von der Funktion bestimmt wird. Wenn das Gehirn nicht nur körperlicher Funktionsträger ist, dann vielleicht der spirituelle Nukleus unseres Seins?

Den körperlichen Tod gibt es, aber wie steht es mit dem metaphysischen? Kann Wesen jemals tot sein? Ist Wesen nicht vielleicht ein geistiger Zustand an sich und unserer Diskretion anvertraut? Wir kommen uns, d. h. unserem Gehirn nicht gänzlich auf die Schliche. Wir reißen, definieren Geist, Seele und Leib auseinander, um sie möglichst schnell wieder zusammenzuführen, in dem Bestreben, nichts falsch zu machen, unsere Identität zu schützen.

Ob das richtig oder falsch ist, vermag ich nicht zu entscheiden. Auf viele Körperteile vermögen wir zu verzichten, auf unser Gehirn nicht. Versagt es, wird der Gehirntod festgestellt und dann ist es aus mit dem Menschsein. Ist das so richtig? Ich wage das zu bezweifeln. Unser Sein endet nicht, wenn unser Körper aufgegeben hat und selbst dann nicht, wenn Ärzte den Hirntod feststellten, sondern erst dann, wenn der Mensch nicht nur seine Körperlichkeit, sondern auch sein Wesen verlassen hat. So ist es erklärbar, dass „fast Tote“, die zum Leben zurückfinden, sich als Sterbende selbst von außen betrachtet haben und die Anwesenheit eines gerade Verstorbenen, oft noch längere Zeit im Raum wahrgenommen wird.

Viele Menschen empfinden den Tod als absurd. Ist das so? Das Leben mag absurd sein, der Tod könnte dagegen ein äußerst kreativer Akt der Purgation darstellen, denn Neues entsteht und bietet Menschen Gelegenheit, sich in ein allumfassendes Gewesensein zu verabschieden. Religionen schaffen es nicht mehr, Menschen einen religionsspezifischen allumfassenden Himmel zu bieten. Vielleicht gelingt es aber, sich darüber zu verständigen, dass der Mensch immer bleibend die Matrix seines Lebens geprägt und zum Nutzen aller vergeistigt hat.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Menschsein

Ein Kind wird geboren. Anschließend wird es von Menschen, die auch Kinder waren ans Kreuz genagelt. Menschen, die Kinder waren, foltern, morden, betrügen, verfolgen andere Menschen, die ebenfalls einmal Kinder waren. Sind bereits die Kinder böse, ihre Gene oder Geburt und Kindheit so traumatisiert, dass sie zwangsläufig nur durch rücksichtslose Vorteilssuche auf Kosten anderer ihre Verluste kompensieren können? Nichts scheint zu bleiben von einer unschuldigen Geburt, einer geborgenen Kindheit und Lebensfreude. Das Menschsein als Kampf und Behauptung, Anerkennung und Vorteil.

Schaut man auf uns Menschen, könnte man den Eindruck gewinnen, man schaffe nur die eigene Wehrhaftigkeit auf Kosten anderer, den armseligen Erfolg, der das Leben sichert. Da stellt sich natürlich die Frage nach dem Leben wozu? Die Sinnfrage des Lebens kann nicht nur philosophisch, esoterisch oder religiös gestellt und beantwortet werden. Konkret stellt sich die Frage nach dem Leben durch Überprüfung des täglichen Handelns. Tägliches Handeln bedeutet hier, was wir unserem Kind geben, dass es sich persönlich und gemeinschaftlich so entwickeln kann, dass es einen Nutzen für unsere Gesellschaft darstellt. Die gleiche Frage nach dem Nutzen unseres Handelns müssen wir uns als erwachsene Menschen dann immer wieder selbst stellen.

Unser Menschsein kann sich nicht erschöpfen in einem Verhalten, das darauf angelegt ist, uns Vorteile zu sichern. Nur der Gebende ist gerecht. Das ist keine Gutmenschenplattitüde, sondern das Wissen darum, dass alles, was wir machen, von Menschen für Menschen gemacht wird. Darum geht es und nicht um absonderliche Selbstanerkennung und Bestätigung. Klar ist, dass nur der, der sich selbst annehmen kann, auch bereit ist, andere anzunehmen. Auch der Prozess des sich Annehmens ist keine Selbstschau auf die eigene Befindlichkeit, sondern eine Herausforderung, die durch die Menschwerdung entsteht.

Wir leben nicht, um möglichst viel Geld zu horten, zumal dies mit Ver-dienen schon deshalb nichts zu tun hat, weil kein Dienst an der Gemeinschaft damit verbunden ist. Es geht nicht darum, der Reichste, Schönste oder Klügste zu sein, sondern Erfahrungen zu sammeln mit anderen Menschen, die der Gemeinschaft erlauben, sich weiter zu entwickeln. Um dies zu gewährleisten, müssen auch die Bedingungen dafür stets erhalten und verbessert werden, sei es in der Natur, den Produktionsabläufen, im Dienstleistungsbereich, der sozialen Kontrolle und wo auch immer dies erforderlich ist. Viele halten sich nicht daran und verraten damit ihr eigenes Menschsein.

All diejenigen, die auf Kosten anderer leben und diese dadurch verachten, haben ihr Menschsein aufgegeben und sind lediglich Schatten eines eigentlichen Lebens. Eine Menschheit, die sich ihrer integren Verfasstheit selbst bewusst ist, könnte ihnen ihre Grenzüberschreitungen vorhalten und ihm Gelegenheit geben zu erkennen, dass sie letztlich nichts anderes sind, als Menschen und dies als Programm der Selbstbescheidung begreifen müssten.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski