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Konnexität

Unterschiedlichkeiten können Verbindungen aufweisen. Es dürfte auch möglich sein, unterschiedlichen Seins-Zuständen eine Verbindung zuzuweisen, die dazu geeignet sein könnte, einen weiteren zunächst möglicherweise noch nicht bedachten Zustand herbeizuführen.

Konnexität beruht somit nicht auf einer vorgegebenen Gesetzlichkeit, sondern einer Zusammenführung von Umständen sui generis, die eine Immanenz dieser an sich unterschiedlichen Zuständen schafft. Ebenso wenig, wie es zum Beispiel einen Typus Mensch gibt, gibt es auch keine typische Gemeinschaft, sondern wir sind Individuen, die aus den unterschiedlichsten Gründen miteinander in Verbindung treten und dafür sorgen, dass sie aus dieser Mischung von Fähigkeiten und Umständen vielleicht sogar neue Erkenntnisse zu ihrem Verhalten gewinnen können.

Im Gegensatz zur Solidarität beruht die hier beschriebene Konnexität aber nicht aus einer gewollten Fügung unterschiedlicher Akteure zu einer Verabredung, sondern aus der Verabredung selbst, am gleichen Strange ziehen zu wollen, die Dinge miteinander zu verknüpfen und dabei alle Reibereien und Komplexitäten im Interesse der Sache in Kauf zu nehmen.

Solidarität entspricht also stets einem Pflichtprogramm, kein Teilnehmer sollte sich drücken dürfen. Schwinden allerdings die gemeinsamen Interessen, bleibt auch die Solidarität auf der Strecke. Konnexität wird geradezu von Gegensätzen und komplexen Sachverhalten befördert und gewinnt an Intensität, je intensiver die miteinander verbundenen Kräfte bereit sind, eigene Vorstellungen mit denjenigen anderer zu verknüpfen, um Lebenssachverhalte aufzudecken, die erkennen lassen, dass ein Zusammenhang zwar bereits besteht, aber noch nicht erkannt wurde oder verbindlich aufoktroyiert wird.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Ruck – Stiftung des Aufbruchs

Die Ruck-Stiftung des Aufbruchs wurde 2007 gegründet, um sich einzusetzen für bürgerliches Engagement und eine Gesellschaft der Selbstverantwortung und Solidarität.

Die Stiftung initiiert vorwiegend eigene Projekte, unterstützt im Einzelfall aber auch andere, die sich einen Ruck geben und durch ihr Handeln zeigen, dass sie sich aktiv einbringen wollen in Prozesse der Umgestaltung.

Die Ruck-Stiftung fokussiert in ihrer Arbeit seit Jahren das Thema Frühkindliche Bildung durch Elternbildung, das in den die Projekten VIVA FAMILIA! sowie SPRACHFÖRDERUNG UND KREATIVPROJEKTE für Flüchtlingsfamilien umgesetzt wird.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Selbstentfremdung

Wer bin ich und wenn ja, wie viele? So lässt der Philosoph Richard David Precht uns fragen. Wie sollen wir diese Frage aber beantworten, wenn wir überhaupt nicht wissen, wer wir sind? Wer wir sind, das wird uns gesagt. Wir sind Mensch, wir sind Kind, wir sind Frau, wir sind Mann, wir sind schwul, wir sind lesbisch, wir sind queer, wir sind transsexuell, wir sind ordentlich, wir sind unordentlich, wir sind hässlich, wir sind schön und vieles mehr.

Wir empfinden uns aber auch, denken uns aus, wer wir sind. Wir haben Vorstellungen von uns, allerdings wissen wir nicht, ob diese kongruent zu unserem tatsächlichen Wesen sind und dem Bild entsprechen, das andere von uns haben. Bei `Hans vom Glück´ im „Traum vom Titelhelden“ habe ich gelesen, dass hinter jedem seiner Ichs, ein anderes Ich auf der Lauer läge. Wie soll man sich da noch mit sich selbst auskennen?

Am besten gar nicht. Man muss nicht nur ein Ich haben, um zu sein, sondern gerade die Vielfältigkeit schafft einen aufgeschlossenen, empfangsbereiten Menschen. Sollen doch alle Ichs miteinander den großen Coup planen oder miteinander im Clinch liegen. Jede Reiberei befeuert die Möglichkeit, sich zu entdecken, zu lernen und Erfahrungen zu sammeln mit den von außen zugedachten Attributen und den eigenen Wahrnehmungen. Manche Menschen sagen, wenn sie von sich sprechen: „meine Wenigkeit“. Da entgegne ich: „deine Vielfalt“.

Die Größe des Menschen entsteht aus seiner Vielfalt, der Fähigkeit, sich auszuhalten und zu entdecken, indem er sich von der Fußzehe bis zu den Ohren durcheilt, seine Organe, sein Herz und seine Seele und natürlich auch sein Gehirn kennenlernt. Vielfalt versetzt den Menschen in die Lage, sich in andere einzufinden, weil nicht nur ein Muster stimmt. Sich in Andere hineinzuversetzen, dient auch der Selbstvergewisserung, verschafft die Möglichkeit, sich auszubilden und weiter zu hungern und zu dürsten nach noch mehr Erfahrung mit sich selbst.

Der neugierige Mensch wird uralt, aber er bleibt gesund. Er geht freudig und optimistisch mit seinen nicht versiegenden Möglichkeiten der eigenen Erfahrung um. Kommt eines seiner Ichs einmal in Bedrängnis, so hilft das andere Ich ihm sicher wieder aus der Patsche.

Solidarität und Verantwortung, Neugierde und Liebe, das wird dem vielfältigen Menschen stets zuteil werden.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Rente

Solange ich zurückdenken kann, gibt es die Rentendiskussion. Dabei geht es stets um die Frage, wie lange Rente gezahlt wird und wer für diese künftig aufzukommen hat. Es ist vom Generationenvertrag die Rede und vor allem davon, dass leider die immer jüngste Generation zusätzlich anschaffen muss, um die Rente zu bezahlen. Die gegenwärtige Generation hält dies für eine Zumutung, hält aber still, wohlwissend, dass die nächste Generation auch schon anvisiert ist, um die Rente anzusparen, obwohl sie dies natürlich noch nicht weiss.

Niemals ist es sicher, ob dieser Generationenvertrag funktioniert, aber er wird als so gerecht empfunden, dass sogar, um dem Klientel wohl zu gefallen, verschiedene Renteneinstiegszeiten für vertretbar gehalten werden. Es ist von der Rente ab 63 die Rede, ab 67 oder schon von Frühverrentung ab 55. Neben der staatlichen Rente gibt es verschiedene andere betriebliche und altersbetriebliche Altersversorgungen. All dies kostet Milliarden. Wir sind es unseren Arbeitnehmern schuldig, weil es gerecht ist, dass sie ab einem bestimmten Alter nichts mehr tun.

Natürlich wollen wir sie auch loswerden. Sie sollen auch nichts mehr tun und der nächsten Generation Platz machen. So würden wir es natürlich niemals sagen. Sieht aber so Solidarität aus? Ich habe da meine Zweifel. Solidarisch ist es, denjenigen zu helfen, die nicht mehr arbeiten können, das Wollen dürfte dabei eher zweitrangig sein. Wir Menschen sind in der Pflicht, für uns zu sorgen, ob wir Jugendliche sind oder alte Menschen. Wenn wir nicht mehr können, brauchen wir die Unterstützung der Familie und die des Staates.

Es spielt keine Rolle, ob wir bis zum Alter von 70 oder 80 arbeiten oder dies schon mit 60 nicht mehr können. Wenn wir Hilfe benötigen, sind wir auf ein umfassendes Angebot angewiesen und können uns nicht abfinden mit Regelzuweisungen, die von Zeit zu Zeit minimal erhöht werden. Der menschengerechte Pflegeaufwand ist enorm und derjenige, der sein Leben lang gearbeitet hat, kann von seinen Kindern und subsidiär auch von der Gesellschaft verlangen, dass er würdevoll die Zeit bis zu seinem Tode verbringen darf.

Dies gilt im Übrigen nicht nur für diejenigen, die neben ihren Arbeitgebern auch in die Rentenkasse eingezahlt haben oder für Pensionäre, sondern für alle, die im Dienste der Gesellschaft tätig geworden sind, ob sie verrentet waren oder nicht. Auch, wenn es altmodisch klingen mag, ein Ehrensold, eine staatliche Unterstützung, die in keiner Weise der Rente nachsteht, hat auch derjenige verdient, der keine Rentenanwartschaften erworben, aber zum Beispiel als Selbständiger gearbeitet, hohe Steuern gezahlt hat und dann verarmt ist.

Das gilt auch für diejenigen, die freiwillig und ehrenamtlich einen Großteil ihrer Zeit für die Gesellschaft tätig geworden sind und diese Tätigkeit einer beruflichen vorgezogen haben. Ist ein Ehrensold für diese nicht angemessen? Solidarisches Handeln verlangt von der Gesellschaft nicht nur diejenigen zu bedenken, die dem Mainstream entsprechen und die Mehrheit sind, sondern auch denjenigen, hinter denen üblicherweise keine Rentenlobby steht. Eine solidarische Gesellschaft erkennt die Nöte aller Menschen und fühlt sich diesen verpflichtet.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Altersarmut

Davor habe ich Angst: Altersarmut. Ach Quatsch, sage ich dann, über 40 Jahre gearbeitet und noch immer leistungsfähig, viel Steuern gezahlt und zuweilen auch anderen geholfen. Da muss Armut im Alter doch ein Fremdwort sein. Ob ich mich vielleicht täusche?

Irgendwann im Alter funktioniert das nicht mehr mit der Innenansicht der eigenen Leistungsfähigkeit und der Außensicht, das heißt die Einschätzung meiner Leistungsfähigkeit durch andere. Das Auseinanderdriften der Anschauungen geschieht nicht von einem Tag auf den anderen, das ist ein Prozess. Je mehr ich darauf beharre, dass ich zwar älter geworden bin, aber mich eigentlich nicht geändert habe, schallt es zurück: „Toll, wie Du Dich noch gehalten hast“ oder „man sieht Ihnen Ihr Alter aber wirklich noch nicht an. Wie lange machen Sie noch? Haben Sie Hobbys? Spielen Sie etwa Golf?“

Signale sind das. Wenn ich genau hinhöre, merke ich, dass sie mich loswerden wollen. Das geschieht nicht auf brutale Art und Weise, sondern es entstehen Parallelwelten in Kirchengemeinden, Rudervereinen und Parteien. Man darf Senior sein, nein man muss Senior sein, Kaffee trinken mit anderen Senioren, basteln und in der Altherrenriege aufgestellt werden.

Soziale Entkopplung auf besonders heimtückische Art. „Ich will Ihnen nicht mehr so viel zumuten.“ Dabei sind wir lästig, wir älteren Menschen. Wir wollen zwar nicht aufhören zu arbeiten, beziehen aber bereits die Rente, die unsere Kinder und Enkelkinder erarbeiten müssen. Von wegen Solidarität. Jede Generation ist sich die nächste, alles, was ich für meine Kinder und den Staat aufgewandt habe, ist längst verbraucht und vergessen, vielleicht war ich ein AAA-Steuerzahler, aber jetzt ist Zapfenstreich. Und den blasen andere, gerne auch laut.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Familie

Familie erscheint uns als das selbstverständliche Privileg derjenigen, die Kinder haben. Gemeinhin erschöpft sich in dieser Prämisse bereits ihr Zweck. Keine Kinder zu haben und auch keine Familie gründen zu wollen, ist in unserer Gesellschaft legitim. Zwar sprechen Politiker, Wissenschaftler und engagierte Christen davon, dass eine Familie für das Leben unverzichtbar sei, aber wer keine Familie hat, wird deshalb nicht ausgegrenzt.

Diese eher apodiktische Betrachtung berücksichtigt allerdings nicht, dass Familie einen Kosmos unterschiedlichster Funktionen darstellt. Darunter zählt zunächst der Fortbestand des eigenen Geschlechts. Familie bedeutet aber auch, Verantwortung füreinander zu übernehmen. Sie widerspricht so der Selbstsüchtigkeit, da eine ständige Auseinandersetzung und der Ausgleich mit anderen Familienmitgliedern unabdingbar sind. Sie ist Lebensschule, kann geeignet dafür sein, verantwortliche Menschen hervorzubringen. Kein anderes System ist der Familie ebenbürtig. Es beruht nicht nur auf Verabredungen, sondern auch auf dem Zwang, dem sich kein Familienmitglied entziehen kann.

Konkurrenz und Wettbewerb werden durch die Familie gefördert. Verluste und Schwierigkeiten schärfen die Sinne auch für die Ansprüche anderer Familienmitglieder. So ist jeder Sparringpartner. Die Entwicklung gemeinsamer Stärken ist dazu angetan, selbstbewusst ins Leben zu treten und zu wissen, dass es Rückfallpositionen gibt, die auch wieder einen Neubeginn ermöglichen. So ist die Familie nicht nur ein wichtiges Korrektiv egoistischer Lebenshaltungen, sondern auch Ermutigung und Neuanfang bei allen schwierigen Lebenslagen.

Die familiären Belastungen, die sich vielfältig im wirtschaftlichen Bereich ausdrücken, sich aber auch durch Überforderung unterschiedlicher Charaktere darstellen, werden ausgeglichen durch die Selbstbehauptung und Solidarität dieser besonderen Gemeinschaft.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

„Mir Wohl und keinem Übel“

Auch bei unseren potenziellen Partnern gilt:

Eigensüchtigkeit und Eigennützigkeit sind die Vorder- und Rückseite derselben Medaille. Eigennützigkeit bedeutet aber nicht, dass der derjenige, der aus einem bestimmten Verhalten  Nutzen  zieht,  auch  nur  sich  selbst  im  Auge  hat.  Die  Eigennützigkeit  des Menschen ist darauf gerichtet, dass das, was ihm nützt, anderen nicht schadet, sondern ihnen zum eigenen Nutzen ebenfalls nützlich ist. Geht dem eigennützigen Menschen die Basis verloren, ist auch sein Nutzen gefährdet. Ein alter Sinnspruch lautet daher: „Mir Wohl und keinem Übel“. Zudem muss derjenige, der es sich wohl gehen lässt, anderen nicht die Pest noch an den Hals wünschen. Ihm geht es ja gut, deshalb kann er es sich leisten, dass andere auch nicht schlecht dastehen und dass sie von dem, was ihm gut tut, auch profitieren.

Zu   Eigensucht   und   Eigennutz   gesellt   sich   aber   auch  noch  ein  weiterer  Aspekt menschlicher Sinnstiftung, und zwar die Bewahrung des Lebens. Mögen auch Zerstörung, evolutionäre,  ja  sogar  revolutionäre  Elemente  und  neben  persönlicher  Revolte  auch andere aggressive Verhaltensweisen menschliches Verhalten auszeichnen, bleibt doch insgesamt der Wunsch des Menschen, seine Spezies nicht endlich werden zu lassen. Dies drückt sich im familiären Erhaltungswillen aus, betrifft aber auch die Gesellschaft insgesamt. Die Übernahme persönlicher und gesellschaftlicher Verantwortung ist dabei nur die gängige Metapher für eine ganz selbstverständliche menschliche Logik. Trage ich selbst zur Erhaltung meiner Familie und der Gesellschaft nicht im Rahmen der mir gebotenen Möglichkeiten bei, wird diese Gesellschaft nicht mehr in der Lage sein, für mich   und  meine   Nachkömmlinge,   also   für   meine  Familie  einzustehen.  Deshalb übernehme ich diese als mir geringer erscheinende Last und beuge der Endlichkeit menschlicher Gestaltungsmöglichkeiten vor, indem ich mich im philanthropischen Bereich engagiere. Dabei mache ich eine geradezu umwerfende Entdeckung, und zwar die, dass zwar  Wirtschaft  und  Geldverkehr  wesentlich  unser  veröffentlichtes  Leben  bestimmen, aber philanthropische  Strukturen,  d. h.  dichte   kulturelle  Verflechtungen,  Solidarität, Mitgefühl  und  gesellschaftlicher  Zusammenhalt,  Schutz  bieten  gegen  fremde Begehrlichkeit und sozusagen eine Gesellschaft immunisieren gegen ihre Zerstörung von außen durch Terror, religiösen Fanatismus und hemmungslosen Merkantilismus. Die Philanthropie und die in ihr schlummernde Erkenntnis bewahren daher unsere Gemeinschaft  vor  ihrer  Zerstörung  und  lassen  in  ihren  vielfältigen  Ausdrucksformen weder eine Überlegenheit staatlichen Handelns noch Wirtschaftsmächtigkeit oder Willkür zu. Deshalb ist jede Diktatur vordringlich daran interessiert, alle denkbaren Strukturen der Philanthropie zu zerschlagen und sich des Gemeinsinns unter dem Aspekt des gleichförmigen Verhaltens zu bemächtigen. Die Vielfältigkeit, welche die Philanthropie auszeichnet,  spiegelt  sich  aber  auch  wider  in  unseren  Heilserwartungen.  Der  Mensch mag die religiösen Verheißungen durchschaut haben, bleibt aber gleichwohl ein religiöses Wesen. Auch wenn es ein transzendentes Jenseits nicht mehr geben sollte, sondern in einer säkularisierten Welt sich scheinbar alles um uns und unsere materiellen Wünsche dreht, bliebe doch die Hoffnung des Menschen, sich zu bewähren, sich freizukaufen von seiner Last, ein fehlbares Wesen zu sein. Auch dies ist eine mögliche Motivation philanthropischen Handels, d. h. belohnt, ggf. einfach nur nicht abgestraft zu werden für das,  was  man während  seiner  Lebenszeit  getan  hat  und  was  nicht  oder  doch  im Gedächtnis der Menschheit bleiben soll. Fast jeder würde meinen, er tue Gutes nur der guten Sache wegen. Dies so zu erklären ist sogar gerechtfertigt, denn der Mensch tut Gutes schließlich auch der guten Sache wegen. Dies bedeutet die Erkenntnis, dass gut ist, was mir Vorteile sichert, die Gesellschaft erhält, mich und andere bereichert, Anerkennung  bringt,  anderen  nicht  schadet  und  Erlösung  von  dem  bietet,  was,  mich selbst  oft  belastet.  Menschliches Verhalten  im  philanthropischen  Bereich  hat  viele Zeugen, Paten, Weggefährten und Meister. Eines wird aber jedem, der sich engagiert, deutlich, nämlich dass es ein besonderes Glück ist, die Chance zu erhalten, dies zu erkennen und zu gestalten. Ein alter Sinnspruch lautet: „Nur wer sich ganz verliert, der wird sich finden“. Auf die Philanthropie übertragen heißt das, so meine ich: Wer loslassen kann von eindimensionalem menschlichen Handeln, dem öffnet sich ein Kosmos neuer Möglichkeiten, denn die Philanthropie bedeutet nicht nur, Gutes zu tun und zu helfen, sondern auch, dadurch wieder neue Erfahrungen zu sammeln. Dies ist nicht zu unterschätzen. Diejenigen, die bisher nur berufsbedingte Kontakte gepflegt haben, stellen plötzlich  fest,  dass  viel  selbstverständlichere  Bindungen  zwischen  Menschen  möglich sind, weil sie nicht durch Vorteilssuche, Überlegenheit und Abgrenzung geprägt sind, sondern  echtes  Interesse  zulassen.

Für  viele  Novizen  im  philanthropischen  Bereich eröffnen  sich  ganz  andere  neue Perspektiven  des  Hörens,  Fühlens,  Schmeckens, Sehens, der menschlichen Begegnung, des Miteinanders und der Seinserfüllung. Gespräche  sind  in  der  Regel  nicht  in negativer Weise  atmosphärisch  aufgeladen, aggressiv,  sondern  geduldig  und  erkenntnisfroh. Sicher  spielt  auch  hier  Eitelkeit  eine Rolle, aber diese Eitelkeit beruht nicht auf einer Überlegenheit, die damit zu tun hat, wie sehr sich ein Akteur gegenüber anderen durchgesetzt hat, sondern damit, was er geleistet hat   für   andere.   Sie   korrespondiert  mit   der   persönlichen   und   gesellschaftlichen Anerkennung, die derjenige erfährt, der für andere etwas getan hat. Selbst dort, wo ich vielleicht etwas euphorisch überzeichnen sollte, bleibt der Kern der Botschaft doch authentisch. Der philanthropische Mensch erfährt dadurch, dass er etwas für andere tut, eine auch für andere nachvollziehbare Bereicherung seines Lebens. Die Philanthropie gibt dem Menschen Würde und Lebenssinn.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski