Auch bei unseren potenziellen Partnern gilt:
Eigensüchtigkeit und Eigennützigkeit sind die Vorder- und Rückseite derselben Medaille. Eigennützigkeit bedeutet aber nicht, dass der derjenige, der aus einem bestimmten Verhalten Nutzen zieht, auch nur sich selbst im Auge hat. Die Eigennützigkeit des Menschen ist darauf gerichtet, dass das, was ihm nützt, anderen nicht schadet, sondern ihnen zum eigenen Nutzen ebenfalls nützlich ist. Geht dem eigennützigen Menschen die Basis verloren, ist auch sein Nutzen gefährdet. Ein alter Sinnspruch lautet daher: „Mir Wohl und keinem Übel“. Zudem muss derjenige, der es sich wohl gehen lässt, anderen nicht die Pest noch an den Hals wünschen. Ihm geht es ja gut, deshalb kann er es sich leisten, dass andere auch nicht schlecht dastehen und dass sie von dem, was ihm gut tut, auch profitieren.
Zu Eigensucht und Eigennutz gesellt sich aber auch noch ein weiterer Aspekt menschlicher Sinnstiftung, und zwar die Bewahrung des Lebens. Mögen auch Zerstörung, evolutionäre, ja sogar revolutionäre Elemente und neben persönlicher Revolte auch andere aggressive Verhaltensweisen menschliches Verhalten auszeichnen, bleibt doch insgesamt der Wunsch des Menschen, seine Spezies nicht endlich werden zu lassen. Dies drückt sich im familiären Erhaltungswillen aus, betrifft aber auch die Gesellschaft insgesamt. Die Übernahme persönlicher und gesellschaftlicher Verantwortung ist dabei nur die gängige Metapher für eine ganz selbstverständliche menschliche Logik. Trage ich selbst zur Erhaltung meiner Familie und der Gesellschaft nicht im Rahmen der mir gebotenen Möglichkeiten bei, wird diese Gesellschaft nicht mehr in der Lage sein, für mich und meine Nachkömmlinge, also für meine Familie einzustehen. Deshalb übernehme ich diese als mir geringer erscheinende Last und beuge der Endlichkeit menschlicher Gestaltungsmöglichkeiten vor, indem ich mich im philanthropischen Bereich engagiere. Dabei mache ich eine geradezu umwerfende Entdeckung, und zwar die, dass zwar Wirtschaft und Geldverkehr wesentlich unser veröffentlichtes Leben bestimmen, aber philanthropische Strukturen, d. h. dichte kulturelle Verflechtungen, Solidarität, Mitgefühl und gesellschaftlicher Zusammenhalt, Schutz bieten gegen fremde Begehrlichkeit und sozusagen eine Gesellschaft immunisieren gegen ihre Zerstörung von außen durch Terror, religiösen Fanatismus und hemmungslosen Merkantilismus. Die Philanthropie und die in ihr schlummernde Erkenntnis bewahren daher unsere Gemeinschaft vor ihrer Zerstörung und lassen in ihren vielfältigen Ausdrucksformen weder eine Überlegenheit staatlichen Handelns noch Wirtschaftsmächtigkeit oder Willkür zu. Deshalb ist jede Diktatur vordringlich daran interessiert, alle denkbaren Strukturen der Philanthropie zu zerschlagen und sich des Gemeinsinns unter dem Aspekt des gleichförmigen Verhaltens zu bemächtigen. Die Vielfältigkeit, welche die Philanthropie auszeichnet, spiegelt sich aber auch wider in unseren Heilserwartungen. Der Mensch mag die religiösen Verheißungen durchschaut haben, bleibt aber gleichwohl ein religiöses Wesen. Auch wenn es ein transzendentes Jenseits nicht mehr geben sollte, sondern in einer säkularisierten Welt sich scheinbar alles um uns und unsere materiellen Wünsche dreht, bliebe doch die Hoffnung des Menschen, sich zu bewähren, sich freizukaufen von seiner Last, ein fehlbares Wesen zu sein. Auch dies ist eine mögliche Motivation philanthropischen Handels, d. h. belohnt, ggf. einfach nur nicht abgestraft zu werden für das, was man während seiner Lebenszeit getan hat und was nicht oder doch im Gedächtnis der Menschheit bleiben soll. Fast jeder würde meinen, er tue Gutes nur der guten Sache wegen. Dies so zu erklären ist sogar gerechtfertigt, denn der Mensch tut Gutes schließlich auch der guten Sache wegen. Dies bedeutet die Erkenntnis, dass gut ist, was mir Vorteile sichert, die Gesellschaft erhält, mich und andere bereichert, Anerkennung bringt, anderen nicht schadet und Erlösung von dem bietet, was, mich selbst oft belastet. Menschliches Verhalten im philanthropischen Bereich hat viele Zeugen, Paten, Weggefährten und Meister. Eines wird aber jedem, der sich engagiert, deutlich, nämlich dass es ein besonderes Glück ist, die Chance zu erhalten, dies zu erkennen und zu gestalten. Ein alter Sinnspruch lautet: „Nur wer sich ganz verliert, der wird sich finden“. Auf die Philanthropie übertragen heißt das, so meine ich: Wer loslassen kann von eindimensionalem menschlichen Handeln, dem öffnet sich ein Kosmos neuer Möglichkeiten, denn die Philanthropie bedeutet nicht nur, Gutes zu tun und zu helfen, sondern auch, dadurch wieder neue Erfahrungen zu sammeln. Dies ist nicht zu unterschätzen. Diejenigen, die bisher nur berufsbedingte Kontakte gepflegt haben, stellen plötzlich fest, dass viel selbstverständlichere Bindungen zwischen Menschen möglich sind, weil sie nicht durch Vorteilssuche, Überlegenheit und Abgrenzung geprägt sind, sondern echtes Interesse zulassen.
Für viele Novizen im philanthropischen Bereich eröffnen sich ganz andere neue Perspektiven des Hörens, Fühlens, Schmeckens, Sehens, der menschlichen Begegnung, des Miteinanders und der Seinserfüllung. Gespräche sind in der Regel nicht in negativer Weise atmosphärisch aufgeladen, aggressiv, sondern geduldig und erkenntnisfroh. Sicher spielt auch hier Eitelkeit eine Rolle, aber diese Eitelkeit beruht nicht auf einer Überlegenheit, die damit zu tun hat, wie sehr sich ein Akteur gegenüber anderen durchgesetzt hat, sondern damit, was er geleistet hat für andere. Sie korrespondiert mit der persönlichen und gesellschaftlichen Anerkennung, die derjenige erfährt, der für andere etwas getan hat. Selbst dort, wo ich vielleicht etwas euphorisch überzeichnen sollte, bleibt der Kern der Botschaft doch authentisch. Der philanthropische Mensch erfährt dadurch, dass er etwas für andere tut, eine auch für andere nachvollziehbare Bereicherung seines Lebens. Die Philanthropie gibt dem Menschen Würde und Lebenssinn.
Hans Eike von Oppeln-Bronikowski