Archiv für den Monat: Januar 2016

Wir schaffen das!

In stark vereinfachter Sicht haben wir die nachfolgenden Herausforderungen, wobei ich sie der Einfachheit halber beziehungslos nebeneinandergestellt habe: Flüchtlinge, Krieg in Afrika und im Nahen Osten, Auseinandersetzung auch mit kampfbereiten religiösen Gruppierungen, Bevölkerungszuwachs, Klimaveränderung, Armut, Digitalisierung, Sklaverei, wirtschaftliche Verwerfungen, Schaffung von fairen Handlungsbeziehungen, Pflegeaufwand für ältere Menschen, Beschäftigungsmöglichkeit für jüngere Menschen, Bildungs- und Sozialgefälle.

Über Details lässt sich da trefflich streiten, insbesondere darüber, ob diese Liste nicht nur ansatzweise die Herausforderungen an Staat und Gesellschaft benennt oder nicht schon jetzt in großem Umfange fortgeschrieben werden müsste, weil jeder Mensch, jede Gesellschaft, jeder Staat, jede Religion und jede Gemeinschaft eine Fülle von Problemen und Herausforderungen bezeichnen kann, die über kurz oder lang auch einer Lösung zugeführt werden müssen. Die Zeit arbeitet für die Problemlösung, da jede Herausforderung auf einen Höhepunkt zusteuert und dann wieder nach Überschreitung des Zenits verglüht und aus der allgemeinen Wahrnehmung verschwindet, um weiteren Herausforderungen und Problemen Platz zu machen.

Weder können wir sämtliche Probleme zu einem Zeitpunkt erfassen noch sie zur gleichen Zeit lösen. Wir leben von unseren Problemen. Sie gehören zu uns und sorgen für tägliche Aktivitäten, verbürgen auch für die Zukunft genügend Arbeitsmaterial für unsere Zuwendung. Diese besteht in der Erstellung einer To-Do-Liste, in der wir die Maßnahmen festhalten, die ergriffen werden müssten oder sollten, um das Problem zu erkennen, zu bearbeiten und ggf. sogar zu lösen. Diese To-Do-Liste setzt sich aus zwei Bestandteilen zusammen, zum einen aus einem Gedankensturm vielfältigster Möglichkeiten, so ferne liegend sie auch erscheinen mögen. Erst diese Stoffsammlung gestattet dann, die wichtigsten Maßnahmen heraus zu destillieren und daraus Handlungsempfehlungen abzuleiten, die geeignet sein könnten, die Ursache des Problems zu sehen und dieses zu beseitigen.

Die Verursacher von Problemen werden oft bekämpft und etwaige Lösungen, die vor allem unter ihrer Mitwirkung möglich wären, außer Betracht gestellt, weil es unwahrscheinlich anmutet, dass der Verursacher eines Problems auch für dessen Beseitigung eintreten könnte. Das halte ich für falsch. Es geht nicht um moralische Bewertungen und Rechthaberei, sondern darum, dass Verursacher und Betroffene am ehesten in der Lage sind, eine Lösung zu finden, ggf. durch Mediation.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Mensch, Maschine, Internet

Einmal war es so. Die Maschine galt als verlängerte Werkbank des Menschen. Gilt sie das noch immer? Es ist die Rede von der digitalen Revolution. Wir verbringen unseren Tag Face to Face mit Computern, Tablets und Smartphones. Diese Gerätschaften sind auf den ersten Blick unsere Werkbank, auf der wir arbeiten, um über Informationen und deren Verlinkung die Lösung herbeizuführen und daraus Wirtschaftskapital zu generieren.

Das scheint auch gut zu klappen. Wir können uns keine Tätigkeit ohne die Nutzung der digitalen Angebote mehr vorstellen. Die digitale Besitzstandwahrung einerseits und digitale Innovationen andererseits greifen maßgeblich in unser Leben ein. Silicon Valley steuert weithin die digitalen Geschicke dieser Welt, aber digitale Kreativität unter Nutzung sämtlicher kooperativen Einsatzformen schaffen weitere Silicon Valleys überall auf der Welt. Wir leben im digitalen Zeitalter.Das Maschinenzeitalter macht dem digitalen Zeitalter Platz.

Wo bleibt der Mensch? Im digitalen Zeitalter beherrschen Algorithmen unser Verhalten, unsere Aktienkäufe an der Börse, unsere Gesundheitschecks und überhaupt weitgehend unsere Tagesabläufe. Wir haben uns abhängig gemacht von den Taktvorgaben einer digitalisierten Welt. Auch wenn eine Verschmelzung des Menschen mit dem Computer augenblicklich noch unwahrscheinlich erscheint, so verdichtet sich doch die Anschauung des Digitalen als Treiber unseres Verhaltens und Schlüssel zu unseren Möglichkeiten. So ist es nicht von der Hand zu weisen, dass wir zunehmend digitale Herausforderungen in einer analogen Welt befriedigen und so zur Werkbank des digitalen Think Tanks werden.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Null Toleranz

Kann sich noch jemand daran erinnern, in welchem Zustand sich New York Mitte der 80er Jahre des letzten Jahrhunderts befand? Nein? Die Stadt drohte zu verwahrlosen. Alle Regeln des menschlichen Zusammenlebens schienen außer Kraft gesetzt. Die Polizei war machtlos angesichts der sich häufenden Verbrechen, Gewalttätigkeiten und Drogendelikten. Es häufte sich auch der Müll nicht nur im Central Park. Die Stadt schien mit bröckelnder Fassade eher auf eine Apokalypse, anstatt auf eine blühende Zukunft zuzutreiben. New York ist aber nicht untergegangen. Trotz aller Herausforderungen an eine sehr große Stadt, Gentrifizierung, Turbokapitalismus und unendlichen Problemen bei der Erhaltung der innerstädtischen Kommunikationswege.

Die Stadt ist wieder da. Sie ist großartig und liebenswert. Im Central Park gibt es keine freilaufenden Hunde, aber ein Sonderterrain für Hunde, keine überfüllten und halb entleerten Papierkörbe, umhertreibende Restbestandteile von Partys, wenig Ruhestörung, stattdessen Erhaltung und Erneuerung der Stadt, wohin man schaut.

Null Toleranz. Diese kurze Formel erfunden von dem früheren Bürgermeister Giuliani war das Rezept, das heute noch wirkt. Dabei ging es nicht darum, die Vielfältigkeit einer Stadt anzutasten, sondern gerade diese Vielfältigkeit zu erweitern durch Respekt und Toleranz, aber auch Einhaltung von Regeln. Dies ist für die Entwicklung jeder Gemeinschaft, ob Stadt, Land, Dorf von entscheidender Bedeutung. Es gibt Regeln, die wir strikt einhalten müssen, ob als Autofahrer, als Radfahrer oder Fußgänger, als Nachbar, als Eigentümer oder Obdachloser, als Christ, Muslime oder Jude, als hier Geborener oder Hierhergekommener, als Tourist oder Einheimischer. Null Toleranz gegen Übertretung unserer Regeln.

Wir müssen an Erfahrung gewinnen, dass diejenigen, die Regeln erlassen haben, diese auch durchzusetzen bereit sind. Wir müssen erfahren, dass es für uns besser ist, diese Regeln nicht zu missachten, sondern sie für uns aus eigener Überzeugung zu verinnerlichen. Wir müssen uns einmischen, wenn wir glauben, dass Regeln überprüft, verändert, erweitert oder abgeschafft gehören. Aber solange diese Regeln und Gesetze gelten, sind auch sie für uns verbindlich. Nur, indem wir auch anderen zeigen, dass wir bereit sind, diese Regeln zu achten, werden wir die noch Unentschlossenen dafür gewinnen, dies ebenso zu tun, sei es aus Pragmatismus oder Überzeugung.

Nicht nur eine Großstadt wie Berlin benötigt diese Regeln, wobei für Berlin zu prognostizieren ist, dass bei fehlender Umsetzung eines Programms zur Einhaltung von Regeln, diese Stadt über kurz oder lang sich mit den gleichen Problemen konfrontiert sieht, wie es New York in den 80er/90er Jahren tat. Es wäre schade um Berlin, eine Stadt, die dann zwar noch arm, aber nicht mehr sexy, sondern nur noch problematisch wäre. Deshalb sollten Politiker und wir alle Verantwortung für die Einhaltung unserer Gesetze und Regeln übernehmen.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Jahreswechsel

Willkommen im Neuen Jahr! Der Wechsel ist geglückt. Der Wechsel? Wohin sind wir ge­wechselt? Hat eine Häutung, eine Erneuerung stattgefunden? Nüchtern betrachtet, ist nichts Neues passiert, hat nichts angefangen, sondern aufgrund einer verabredeten, wissenschaftlich begründeten Zeiteinteilung bekommen wir neue Jahreszahlen, die auch so oder so hätten lau­ten kön­nen, sich von der Vergangenheit nicht entfernen, sondern nahtlos an sie anschließen.

Und doch findet so etwas Ähnliches wie ein Wechsel statt, persönlich, privat, gesellschaftlich, me­dial und wenn auch nicht am 31.12. eines Jahres festgemacht, sogar in der Natur. Das alte Jahr ist uns zwar etwas lästig geworden, dennoch begegnen wir dem neuen Jahr auch in ban­gender Erwartung, würden uns in letzter Minute gerne noch etwas festhalten am vertrauten Jahr, um uns dann ins neue Jahr mit viel Getöse, Feuerwerk und Übermut zu stürzen, in der Absicht, das Bangen zu vertreiben. Das neue Jahr ist für uns nicht kalkulierbar.

Stellen wir Prognosen an, so beru­hen sie nur auf bereits gemachten Erfahrungen. Vulkanausbrüche, Tsunamis, Erdbe­ben und Meteoriteneinschläge sind nicht zu kalkulieren, aber, wenn sie einträten, veränderten sie alles. Wenn wir nicht wissen, was auf uns zukommt, sollten wir uns rüsten für das Uner­war­tete im neuen Jahr, uns üben in Flexibilität, Unerschütterlichkeit, Mut, Nachdenklichkeit, Empfindsamkeit, Lernfähigkeit, Verantwortlichkeit und Aufgeschlossenheit. Wenn wir dies als Wechsel annehmen und zum Einlösen bereit sind, dann wird es sicher ein gutes Jahr.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Fass Dich kurz

Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, bei mir aber setzt die Schnappatmung ein, sobald ich einen überlangen Vortrag insbesondere mit Power-Point-Präsentationen oder die geballte Kraft des Wortes zentimeterdick in Heften, Zeitungen oder Zeitschriften ertragen muss. Nach meiner Wahrnehmung sind 80 % des mündlich oder schriftlich verarbeiteten Wortgutes elaborierte Verbreiterungen bereits bekannter Umstände, wenn auch im neuen Kleid, wie ich anerkennend anmerken sollte.

Nichtdestrotz beschleicht mich leider schon viel zu früh der Argwohn, dass es eigentlich nichts zu sagen gäbe oder die Botschaft so bescheiden ist, dass sie einen ausgedehnten Worthof benötige, um zu wirken. Irgendwann ist es mir dann auch alles egal, weil ich hoffe, dass die Zumutung ein Ende findet. Viel erfrischender wäre es aber, wenn sich alle Vortragenden und Schreibenden kurz fassen könnten und das Wesentliche ihrer Gedanken so aufregend zu vermitteln wussten, dass die stimulierende Wirkung für lange Zeit nachhält. Kurz gefasst: Sich kurz zu fassen, ist aus Empfängersicht megaerfolgreich.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Aleppo

aus „Der Traum vom Titelhelden“

Die Bilder belegen es, Aleppo ist zerstört. Die Bewohner – soweit sie noch am Leben sind – auf der Flucht oder haben sich auf Zeit in den Ruinen eingerichtet.

Hans vom Glück berichtet aus Aleppo am 17.09.1986 aus dem Souk von Aleppo Folgendes:
Ausrufer, Esel und kleine hupende, ratternde Lieferwagen, an die man sich anhängen kann, im Tempo der tiefen Farben der Nacht, die süßesten Gerüche genießen oder bedrängt werden, von dem Hupen und den Scheinwerfern gestellt, sehr zur Freude derer, die nicht Europäer sind. Raupen, Spinnen, Kokons, Fäden, die nicht leiten. Fäden, die den Ausgang versperren, nicht gehen lassen wollen. Bleib.

Unser Titelheld hat sich schon ein Dutzend Mal im Kreise gedreht, sich tief und tiefer in den Bauch des Souks gebohrt. Je vertrauter ihm alles wird, desto mehr verblasst das Licht des Ausgangs. Er nähert sich immer wieder denselben Händlern, fühlt ihre Tücher. Ein Brum­men und Summen. Tee wird ihm gereicht, süßer Tee, der zehn Gewürzstationen passieren muss, bevor er in den Mund schießt. Tee, der einen zum Ver­schwörer macht, wenn man ihn trinkt. Der Tee berauscht. Jeder Tropfen ist getunkt in Wissen, welches den Tropfen umschließt, ihn zur Perle macht. Unser Titelheld hat den Mund voll Perlen, jede eine Erfahrung, eine Verheißung. Das Glück im Leben ist kostenlos! Unser Held will be­zahlen.

Sahib, ach Sahib, du hast nichts verstanden, dein Glück ist um­sonst! Dein Glück zwischen Hammelhälften, die an schweren eisernen Ketten hängen, dein Glück zwischen Nüssen und Gewürzen, Feigen, Salaten, Trauben, Toma­ten. Im fahlgrünen Licht wird aus Spritzen heißes süßes Gebäck gepresst. Tücher, Teppiche, Tiere, dein Glück, Titelheld, Auge in Auge mit der Versuchung zu kaufen, und wenn es auch ein riesiger Ballen Baumwolle wäre, ein Hahn vielleicht oder zehn Meter des roten Stoffes, Gold vom Knöchel bis zum Kopf. Es ist Mittag in Alep­po. Der Dampf der Metro in Paris ist ein kühler Fächer verglichen mit dem Dunst von Menschen, Gewürzen und Tieren im Souk von Aleppo.

Unser Held badet im Glück, er hat alles, was er braucht, alles, was er will für sein Spiel. Nichts liegt offen. Alles ist verkleidet, verhüllt, eingesperrt, versperrt in fremder Sprache, fremder Kultur. Wunderbar klebrige Luft. Erschöpft betritt er ein Café. Noch dunkler, noch klarer, ein Dutzend Wasserpfeifen gurgeln in der Stille. In den Gläsern Licht von allen Ampeln, Perlen in jeder Blase, Farbtöne, Gedanken, er setzt an zu einem langen ewigen Zug. Noch nie hat er seine Lungen so prall empfunden, gestärkt vom Rausch wie damals…

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Must-have

Man muss haben. Klamotten spielen dabei eine herausragende Rolle. Dies wohl vor allem deshalb, weil sie für viele erschwinglich sind. Die Topliste führt dabei sicher die im internati­onalen Einsatz erprobte Strumpfhose für Mädchen an, die Kleid, Jeans und andere persönliche Verhüllungsstoffe überflüssig machen. Ob nackt oder angezogen, das kommt dabei fast aufs Gleiche raus. Ehrlicher als in dieser Kindergartenkluft kann sich kein Mädchen mehr in Zu­kunft präsentieren. Ich bin gespannt, wann es hier auch Männer erwischt.

Unisexstatus hat inzwischen ein weiteres Kleidungsstück erworben. Nur wer quer gestreifte Daunenjacken anzuziehen weiß, gehört dazu. Diese Jacke ist das Maß aller Dinge. Ob jung oder alt, selbst die sogenannte Rentnerweste wird demnächst „down“ gefüttert und quergestreift sein, aber natürlich in ocker!

Zu den Must-Haves gehören nicht nur Kleidungsstücke, sondern IPhones, deren Apps und unendlich viel mehr materielle Dinge. Aber vor allem gehört zu den Must-Haves dieser Welt: Geld. Ohne Geld kann man nicht haben, was andere haben. Ohne Geld gehört man also nicht dazu. Deshalb muss Geld her. Geld zu haben bedeutet nicht Freiheit, sondern Notwendigkeit, um dem Imperativ der Werbung zu folgen. Da es hier kein Entwei­chen gibt und die Entlarvung des Vorgangs allenfalls Trotz hervorruft, müssen wir uns einge­stehen, dass es immer schon so gewesen ist und sich nichts ändern wird. Eine Bewegung, die sich auf ihre Stirn schreiben würde, sie wolle nichts mehr haben und nicht bereit sein, sich zu uniformieren, wäre volkswirtschaftlich und auch auf idealistische Art und Weise gefährlich. Sie wäre schlechter zu kontrollieren. Und das will unser Staat und seine Wirtschaft sicher nicht.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski