Mit den statistischen Angaben im letzten Armutsbericht, der sich auf den Erkenntnisstand 2014 bezieht, will ich mich an dieser Stelle nicht im Detail befassen. Die Messlatte für Armut ist in diesem Bericht jedoch gesetzt und daraus ergeben sich Folgerungen für unsere Gesellschaft, im Kleinen wie im Großen. Stimmt der Report? Ich habe da meine Zweifel.
Arm ist nicht nur der statistisch bedürftige Mensch, sondern jeder, der sich Verpflichtungen gegenüber sieht, denen er nicht gewachsen ist, die er nicht erfüllen kann. Das ist nicht statistisch erfassbar, sondern höchst individuell. Für Kinder in der Großstadt sind möglicherweise weitaus höhere finanzielle Aufwendungen zu erbringen, als für diejenigen, die auf dem Land leben. Dabei kann auch eine Rolle spielen, ob die Kinder in der Familie von den Großeltern oder sonstigen nahen Angehörigen betreut werden oder auch ergänzende Betreuung durch Stunden- oder Tageskräfte erforderlich ist.
Krankheiten und Pflegeaufwand schaffen finanzielle Abhängigkeiten, die meist weit über das durch Gesetz und Krankenkasse Zugebilligte hinausgreifen. Ein Mensch mit auch guten monatlichen Einkünften kann arm sein, wenn die Aufwendungen, die erforderlich sind, seine eigenen finanziellen Möglichkeiten übersteigen. Soweit Aspekte der finanziellen Armut.
Armut aber allein daran festzumachen, scheint mir unzureichend. Die wirkliche Armut entzieht sich der statistischen Betrachtung, schafft aber zuweilen eine Trostlosigkeit, die allumfassend ist. Aus dem Korb der Beispiele ist die Vereinsamung herauszugreifen, die durch Wegfall von Bezugspersonen, Partnern und Freunden entsteht. In diesem Korb liegen aber auch unzureichende Bildungschancen, fehlende schulische Entwicklung, Beschäftigungslosigkeit, kulturelle Armut, Perspektivlosigkeit und Diskriminierung.
Armut beleidigt die Würde des Menschen, dessen Unantastbarkeit nach Artikel 1 des Grundgesetzes garantiert wird. Nicht nur von Staats wegen, sondern in einer philanthropischen Gesellschaft sind alle Menschen dazu aufgerufen, der Armut entgegenzutreten, wo immer sie auftauchen möge. Erinnert sich noch jemand gelegentlich an das Freiheitsgelübde, welches mit den Glocken des Rathauses Schöneberg täglich verkündet wurde? Das passt auch hier im Widerstand gegen Armut.
Hans Eike von Oppeln-Bronikowski