Archiv für den Monat: März 2016

Armut

Mit den statistischen Angaben im letzten Armutsbericht, der sich auf den Erkenntnisstand 2014 bezieht, will ich mich an dieser Stelle nicht im Detail befassen. Die Messlatte für Armut ist in diesem Bericht jedoch gesetzt und daraus ergeben sich Folgerungen für unsere Gesellschaft, im Kleinen wie im Großen. Stimmt der Report? Ich habe da meine Zweifel.

Arm ist nicht nur der statistisch bedürftige Mensch, sondern jeder, der sich Verpflichtungen gegenüber sieht, denen er nicht gewachsen ist, die er nicht erfüllen kann. Das ist nicht statistisch erfassbar, sondern höchst individuell. Für Kinder in der Großstadt sind möglicherweise weitaus höhere finanzielle Aufwendungen zu erbringen, als für diejenigen, die auf dem Land leben. Dabei kann auch eine Rolle spielen, ob die Kinder in der Familie von den Großeltern oder sonstigen nahen Angehörigen betreut werden oder auch ergänzende Betreuung durch Stunden- oder Tageskräfte erforderlich ist.

Krankheiten und Pflegeaufwand schaffen finanzielle Abhängigkeiten, die meist weit über das durch Gesetz und Krankenkasse Zugebilligte hinausgreifen. Ein Mensch mit auch guten monatlichen Einkünften kann arm sein, wenn die Aufwendungen, die erforderlich sind, seine eigenen finanziellen Möglichkeiten übersteigen. Soweit Aspekte der finanziellen Armut.

Armut aber allein daran festzumachen, scheint mir unzureichend. Die wirkliche Armut entzieht sich der statistischen Betrachtung, schafft aber zuweilen eine Trostlosigkeit, die allumfassend ist. Aus dem Korb der Beispiele ist die Vereinsamung herauszugreifen, die durch Wegfall von Bezugspersonen, Partnern und Freunden entsteht. In diesem Korb liegen aber auch unzureichende Bildungschancen, fehlende schulische Entwicklung, Beschäftigungslosigkeit, kulturelle Armut, Perspektivlosigkeit und Diskriminierung.

Armut beleidigt die Würde des Menschen, dessen Unantastbarkeit nach Artikel 1 des Grundgesetzes garantiert wird. Nicht nur von Staats wegen, sondern in einer philanthropischen Gesellschaft sind alle Menschen dazu aufgerufen, der Armut entgegenzutreten, wo immer sie auftauchen möge. Erinnert sich noch jemand gelegentlich an das Freiheitsgelübde, welches mit den Glocken des Rathauses Schöneberg täglich verkündet wurde? Das passt auch hier im Widerstand gegen Armut.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Ecce Homo

Ja, ich bin ein Mensch und das halte ich aus? Jetzt, während der Flüchtlingskrise, strömen via Internet oder Fernsehen pausenlos Bilder auf uns ein, die Menschen in verheerender Situation zeigen, frierend, hungernd, arbeits- und beschäftigungslos, auf der Flucht, ältere und junge Menschen, Familien insgesamt. Wie halten Menschen, wie hält der einzelne Mensch dies aus, wie hält er es aus, gedemütigt, vertrieben, beschossen und verletzt zu werden? Wie hält er es aus, keine Bleibeperspektive nirgendwo zu haben, selbst dann nicht, wenn er Asylchancen hat? Was wird aus einem Menschen, der nichts zu tun hat? Wie kann ein Mensch die Strapazen von Gefängnis und Folter ertragen, auch dann, wenn er unschuldig ist?

Ja, es gibt erschütternde Bezeugungen derer, die Holocaust und KZ-Aufenthalte überstanden haben, seien sie Juden, Christen oder Andersgläubige. Aber all dies klingt oft so abstrakt, so verständig und unnah. Für viele von uns ist die Transzendierung des Leides durch den Opfertod Jesus Christus ermöglicht worden. Der Gekreuzigte hängt ohne Andeutung eines Schauderns in Wohnzimmern, Kneipen, Kirchen und Schulen. Gräueltaten überschwemmen allabendlich unsere Wohnzimmer. Leid persönlich und körperlich nah zu erfahren, ist wohl nur dem Leidenden selbst vorbehalten und schwer zu kommunizieren, weil das eigene Mitleiden weniger mit dem Einfühlen, als mit der Abwehr des Leidens zu tun hat.

Da wir uns auf das stellvertretende Leiden nicht verstehen, ermangelt es uns auch an einer evaluierbaren Basis dessen, was für Menschen hinnehmbar ist. Hiob hat Leid auf sich genommen und uns dadurch einen Spiegel eigener Möglichkeiten geboten. Mögen wir daran erkennen, was wir anderen nicht zumuten dürfen, um unserer eigenen Unfähigkeit des Leidens wegen. Wir haben kein Recht, anderen, auch ungeplant, das zufügen zu lassen, was wir für uns selbst stets vermeiden wollen.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Andris Nelsons

Als die Musik beschloss, einen körperlichen Ausdruck zu finden, fiel ihre Wahl auf Andris Nelsons. Bei der Bekanntgabe dieser Wahl will ich keineswegs seine solide Ausbildung, seine internationalen Erfolge, sein Renommee übergehen, mich aber ganz auf den Menschen Andris Nelsons und seine Musik konzentrieren. Diese entspringt seiner Natürlichkeit, die sich bei Begegnungen mit ihm schon darin äußert, dass nicht ein weltberühmter Dirigent einem fast den Atem nimmt, sondern ein Mensch mit mir den Raum für eine Zeit teilt, der offen und empfangsbereit für sein Gegenüber ist.

Es mag schon sein, dass er beim Dirigieren, insbesondere dann, wenn der Orchestergraben dem Publikum die Einsicht verdeckt, auf den bloßen Füßen stehend, sein Orchester führt. Mit beiden Beinen auf dem Boden erledigt er dann die Arbeit. Dabei wechseln Anspannung und Entspannung, opulente Freude am Spiel mit spitzfindiger Genauigkeit. Er streichelt die Streicher, lockt die Flöten und organisiert die Prallheit des gesamten Klangkörpers. Jede Nuance des Spiels macht er bildhaft und sichtbar für sein Publikum. Was ist er? Ein Transmitter, ein Übersetzer, vielleicht ein Medium der Musik, aber eigenwillig zugleich und keineswegs gefügig dem Komponisten oder dem Orchester. Er ist Entdecker aller Möglichkeiten und kongenialer Vollender des Werkes des komponistischen Schöpfers. Er führt kenntnisreich und mit Zuneigung. Es ist eine Freude, ihm beim Dirigieren zuzuschauen.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Virtuelle Realität

Die Einstellung der Kamera weist uns den Weg zu einem Verbrechen, das gleich geschehen wird. Wir erkennen die Bedrohung und können doch nicht eingreifen. Wir sind die Zuschauer. 3-D-Effekte machen zudem unsere Wahrnehmung fast greifbar. Und doch, nur Illusion. Es gibt nichts zu greifen oder zu gestalten. Es ist nur Film. Eine andere Welt. Diese andere Welt rückt uns noch näher durch Brillen, die das Geschehen sozusagen direkt in unseren Kopf hineinverlagern, kaum noch Distanz zulassen zwischen Geschehen und unserer Wahrnehmung.

Was macht das mit uns? In der realen Welt dürfen wir stets auch dann noch Akteure sein, wenn wir keine Chance haben. Wir können versuchen, wegzulaufen, uns zu ducken, Gegenaktionen einleiten. Wir können versuchen, Dinge argumentativ zu verändern, eine gefährliche Situation zu beruhigen oder eskalieren lassen.

Im wirklichen Leben sind wir immer Handelnde, selbst dann, wenn wir uns passiv verhalten. Was geschieht, wenn wir selbst nur Nutzer fremder Bilder geworden sind und diese Bilder noch nicht mal unsere eigenen darstellen, keine Ausgeburt unserer Phantasie und unserer Träume sind?

Ja, wir können den Stecker ziehen, die virtuelle Welt abschalten, zumindest für den Moment, wohlwissend aber, dass diese virtuelle Welt auch ohne unser Eingreifen existiert und sich alles merkt. Sie merkt sich unsere Gewohnheiten des An- und Abschaltens, des präferierten Erlebens bzw. unseres Lebens in der virtuellen Realität. Auch wenn wir in dieser nicht wirklich handeln, sondern allenfalls ersatzweise ohne Vollzugsmeldung in die reale Welt, schaffen dann nicht doch die Erfahrungen in der virtuellen Welt Handlungsmuster für die reale?

Wie sind die Interdependenzen zwischen der realen und der virtuellen Welt ausgestaltet und wie bleibt unsere Identität erhalten trotz des Aufenthalts in verschiedenen Räumen mit unterschiedlichen Erlebnisoptionen. In der virtuellen Welt können scheinbar Dinge gelingen, die in der realen Welt völlig undenkbar sind. Wie bleiben wir uns dieser Unterschiede bewusst? Wir müssen uns immer wieder von neuem entscheiden. Wer überwiegend sein Leben in der virtuellen Realität zubringt, wird zunehmend Fremder in der analogen Realität werden. So verlockend die virtuelle Realität aber ist, sie ersetzt nie das richtige Leben, welches so herrlich unvorsichtig und chaotisch ist.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Heil Cäsar, heil Internet

Die Position des Herrschers ist besetzt. Das Internet. Was dem Menschen bisher nicht gelungen ist, das Internet hat es erreicht. Die Weltherrschaft, und zwar ungestört von Kriegen, wirtschaftlichen Aufschwüngen und Flauten, Katastrophen und Hungersnöten. Das Netz herrscht und dank seiner Partizipationsfunktion sind die Untertanen immer mit an Bord. Wer das Herrschaftssystem akzeptiert, darf das soziale Netzwerk nutzen. Dieses bezeugt durch Massenentscheid, was richtig oder falsch ist, schafft die Muster und formuliert die Erklärungen für eine schwierige Welt in geduldiger Gleichgültigkeit.

Das Netz passt sich stets den Usern an, fördert, was eine Mehrheit will, verwirft, was nur Wenige interessiert und vermittelt das wohlige Gefühl der Anwesenheit, ohne persönlich allzu viel Verantwortung übernehmen zu müssen.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Big Data

Kürzlich war ich Gast einer Veranstaltung des VBKI mit folgender Ankündigung: „Big Data – neue Chancen für Information und Partizipation oder Ende von Selbstbestimmung und Bürgerfreiheit?“ Ich war erstaunt. Keiner der Podiumsteilnehmer sprach von etwas anderem als Datenschutz. Wie schütze ich meine Daten, wie schütze ich die Daten des Staates, wie schütze ich meine Daten vor der Übernahme durch andere Staaten, vor allem aber durch globale wirtschaftliche Netze wie Facebook.

Quintessenz: Es ist schlimm, aber eigentlich können wir da gar nichts dagegen machen. Das Netz sei weltweit nicht zu kontrollieren. Facebook sei zudem einfach zu mächtig und da wir alle Facebook-Nutzer seien, könnten wir Facebook nicht verbieten. Also: Ausnahmerechte für die Netze? Wie verzagt die Politiker und wir alle sind, zeigt sich schon im Ansatz dieser Kapitulation. Wer über die Regeln im Straßenverkehr zu befinden hat, fährt womöglich selbst Auto und ist gleichwohl befähigt, gesetzgeberisch zu wirken. Was für den Straßenverkehr gilt, sollte auch für sämtliche Netze gelten.

Wir benötigen eine gesellschaftliche Verabredung und deren Umsetzung durch die dazu berufenen Organe unseres Staates und ggf. Europas. Die Hauptschwierigkeit im entspannten Umgang mit dem Netz liegt im privaten Bereich begründet. Wir sind es selbst, die eine unbändige Lust auf Informationen haben und die es überhaupt nicht kümmert, ob und wie diese Informationen zustande gekommen sind. Was wir allerdings nicht wollen, dass andere auf die gleiche Art und Weise in den Besitz dieser Informationen gelangen und damit ihren eigenen von uns nicht mehr kontrollierbaren Umgang damit pflegen.

Unser Kontrollverlust macht uns Angst. Würden wir allerdings auf Internetinformationen verzichten können oder wollen, würde sich schnell eine bessere Verhandlungsbasis mit den Netzanbietern finden lassen. Denn das Netz lebt von unserer Neugier. Dass wir damit auch Risiken eingehen, muss uns klar sein, aber nicht jede Tratschtante oder Kupplerin, ob sie Facebook, Yahoo oder Google heißt, ist besonders sympathisch, nur weil sie Marktmacht besitzt. Es geht hier ums Geschäft. Darin ist sie erfolgreich, weil wir so gerne geschwätzig und neugierig sind. Das ist überhaupt nicht schlimm, sondern schafft auch Perspektiven mit Hilfe von Big Data.

Ich erinnere dabei nur an die Möglichkeit, eine Plattform zu schaffen für Schwarmintelligenz, Crowdfunding und Bürgerbeteiligung. Wenn das Maß der Netzursurpation über die Kontrollmöglichkeit der Anbieter hinausgreift, dann werden auch diese sehen, dass das Netz letztlich Allgemeingut ist wie Straßen, Wege und die Welt insgesamt.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Mühsal ● Leben

Der Eindruck mag täuschen, aber es scheint mir, dass wenige Menschen ihr Leben positiv einschätzen. Antworte ich auf Nachfrage, dass es mir blendend gehe, stößt diese Antwort meist auf Skepsis, man misstraut mir. „Normal“ ist eine akzeptable Antwort, aber viele Menschen ziehen es vor, auf eine Nachfrage hin lieber über ihr Leben zu klagen, seien es körperliche Unzulänglichkeiten oder organisatorische Schwierigkeiten. Die dabei zum Ausdruck gebrachte Überforderung signalisiert offenbar den Normalzustand. Und trotzdem müssen wir leben bzw. dürfen wir leben und wollen auch Leben um jeden Preis. Der Preis ist hoch angesichts unseres Konsums an Alkohol, Zigaretten oder Drogen. Der Preis ist aber auch bei denen hoch, die sich versuchen, fit zu halten durch Sport, Askese oder Meditation und dabei übertreiben. Kein Mensch weiß, ob seine Rechnung wirklich aufgeht.

Was ist denn so schwer am Leben? Vielleicht die Einsamkeit, die jeder spürt, auch wenn er umgeben ist von Freunden und Familie. Jeder Mensch weiß von Tod, Krieg und Chaos, den täglichen Mühen, wirtschaftlichen Einschränkungen und Gängelungen durch Behörden und anderen staatlichen Einrichtungen. Das Leben als Missverständnis im Spannungsfeld zwischen hohen Erwartungen und Mittelmäßigkeit. Und dann die Anstrengung, das stete Bemühen, etwas zu erreichen, das Glück verheißt, aber dennoch auf Distanz bleibt.

Trotz dieser ganzen Last, das Leben ist schön! Schön am Leben ist zunächst die Möglichkeit, uns zu bewähren, zu lernen und zu reifen an der Familie und der Gesellschaft. Das Leben ist voller Überraschungen, schafft Begegnungen mit anderen Menschen, stellt uns Aufgaben und gewährt uns Erfolge. In der Selbstausbildung werden wir uns des Lebens bewusst, seiner Schönheit, das durch Jahreszeiten bestimmte Erleben der Natur und die steten Entwicklungen neuen Lebens. Das Schöne am Leben ist auch die Liebe, die uns zugeteilt wird, die wir auch anderen zukommen lassen können.

Wenn wir abzuwägen hätten zwischen dem Mühsal des Lebens und der Güte des Lebens, bleiben uns die schönen Momente gegenwärtig. Wir sind ja auf die Welt gekommen, um für immer zu bleiben. Als Erfahrung für andere Menschen, in deren Erinnerung durch das, was wir bewirkt haben oder einfach durch unser Dagewesensein. Allein der Umstand des Daseins macht das Leben eines jeden Menschen so wertvoll. Deshalb haben wir allen Grund, jeden Menschen für seine Anwesenheit, sein Leben zu danken.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Der Sinn des Erinnerns

Erinnerst Du Dich noch daran, wie Omi zu Deinem Geburtstag diese wunderbare Schwarzwälder Kirschtorte gemacht hat? Erinnerst du dich an deinen ersten Schultag, an deinen ersten Hochzeitstag, an die Geburt des ersten Kindes, dessen Einschulung und die vielen Urlaube, die ihr gemeinsam verbracht habt?

Unsere Welt ist voll des Erinnerns an Vorkommnisse, die uns beeindruckt haben, unser Leben bestimmten und prägten. Diese Ereignisse laden ein zum Erzählen und Wiedererzählen, verdichten unser Leben selbst zu einer wunderbaren langen Geschichte. Erzählen beruht auf Erinnern.

Was aber geschieht, wenn das Erinnern überflüssig geworden ist, weil wir in der Lage sind, alles sofort und für alle Ewigkeit zu dokumentieren? Smartphone macht es möglich, Whatsapp, Sms und Facebook verewigen Erinnerungsmomente zu bleibenden Dokumenten. Darauf können wir bei Bedarf zurückgreifen. Wofür ist dann das Erinnern noch von Nutzen?

Wenn wir im Hier und Jetzt leben, geht uns vielleicht sogar die Fähigkeit des Erinnerns abhanden. Wenn einerseits alles in Echtzeit vollzogen, verbreitet und dokumentiert werden kann, besteht andererseits die Möglichkeit, darauf jederzeit wieder Zugriff zu nehmen, wenn es gewünscht oder erforderlich sein sollte. Diese Gewissheit zwingt uns nicht mehr, Erinnerungsbücher, Fotoalben und Tagebucheintragungen zu fertigen. Das jederzeit Verfügbare ist doch im Cloud des Internets. Damit ist es immer da und vielleicht für immer verloren. Unser Kopf, unsere Seele, unsere Sprache dürsten aber weiter nach Erinnerungen, die wir weitergeben können von Generation zu Generation. Deshalb ist eine analoge Parallelwelt auch erhaltenswert, des Erinnerns wegen.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Was vermögende Menschen wirklich bewegt

Ein Mensch, der zu Lebzeiten ein Vermögen erworben hat, will es in der Regel sichern. Derjenige, der von Todes wegen vermögend geworden ist, sieht sich in der Regel in der Pflicht, dieses ebenfalls zu erhalten und an seine Erben weiterzugeben. Aber auch das Gegenteil kann richtig sein, wenn die Regeln zum Umgang mit Vermögen nicht erlernt wurden. Vermögen, welches durch Spekulationen erworben wird, kann in gleicher Weise zwischen den Fingern verrinnen. Vermögen ist das Ergebnis geronnener Arbeit oder Wagniskapital.

Von der Regel ausgehend, bewegt den vermögenden Menschen, sein Vermögen zu erhalten, Erträge zu erzielen und dieses so zu bewirtschaften, dass er selbst und seine Familie bis zu seinem Lebensende und ggf. darüber hinaus gesichert sind.

Neben der Lebenssicherung durch Vermögen bewegt ihn aber auch die Möglichkeit, das Vermögen zumindest teilweise einzusetzen, um Lebensziele im wirtschaftlichen und philanthropischen Bereich zu verwirklichen. Nebst der Erprobung eigener Fähigkeiten und Umsetzung von Interessen bewegen ihn dabei auch gesamtgesellschaftliche Anliegen, für die er eine Verantwortung übernommen hat. Bleibendes zu schaffen, ist für den vermögenden Menschen schon deshalb wichtig, weil er weiß, dass Vermögen an sich keine Anerkennung bringt und nach dem Tode bedeutungslos geworden ist.

Was zählt, ist, was der vermögende Mensch mit seinem Vermögen bewirkt, sei es durch gemeinnützige Stiftungen, Familienstiftungen oder jede andere Form nachhaltigen Engagements. Sicherung der Familie und der nächsten Generation nebst dem Bewirken von bleibenden Zuwendungen zum Beispiel im Rahmen von Stiftungen verleihen dem Vermögen Sinn.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Der Sinn der Leere oder Langeweile

Vor langer Zeit, als Kind, da lag ich im Garten, stundenlang unter einem Apfelbaum oder stand am Bahngleis und schaute den Zügen nach, die vorüberfuhren. Es war mir langweilig. Langweilig waren auch die Sonntagnachmittage. Offensichtliches geschah nicht und doch geschah enorm viel in mir. Es entwickelten sich Gedanken, Bilder tauchten auf und verschwanden. Ich konnte mir schon das Ende der langweiligen Zeit ausmalen, wenn ich mich mit Freunden treffen oder etwas Leckeres zu Abend essen würde. Die Langeweile war eine großartige Vorbereitungszeit für Ereignisse. Ich könnte nicht behaupten, dass ich mir Langeweile gewünscht hätte, ich glaube, kein Kind wünscht sich dergleichen. Tritt sie dennoch ein, kann ein Kind damit umgehen.

Und wie sieht es mit der Langeweile in der Erwachsenenwelt aus? Ich behaupte, wir nehmen Sie überhaupt nicht mehr selbstkritisch wahr, sondern verkleiden Langeweile in der Gesellschaft durch unauffällige Erscheinungsformen wie Socialising und Fingerfood. Das Bekenntnis zu einer anderen Form der Langeweile, der persönlichen, ist gesellschaftlich problematisch. Wir dürfen sie allenfalls mit Meditation umschreiben, das angebliche Besinnen auf das Wesentliche. Soweit dies ärztlich angeordnet ist oder sogar betrieblich geboten, haben wir auch keine Probleme bei der Akzeptanz. Aber wehe, wir kämen auf den Gedanken, ohne gesellschaftlichen Anlass uns zur Langeweile als persönliche Errungenschaft zu bekennen. Dieser Virus müsste schnellstmöglich bekämpft werden, denn was so ansteckend wirken könnte, muss einfach krank sein.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski