Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem anderen zu. So einfach geht das. In der Theorie. In Wirklichkeit? Nicht. Wir kennen alle Rücksichtslosigkeiten im Straßenverkehr: Autos gegen Radfahrer, Radfahrer gegen Fußgänger und Fußgänger gegen andere Fußgänger. Nachbarschaftsstreitigkeiten wegen Lärm und Feuerschalen. Verwahrlosungen in Parks und Grünanlagen, Verschmutzungen in U- und S-Bahn, Fehlinformationen und Korruption.
Warum fügen wir anderen Leid zu, obwohl wir wissen, dass wir jederzeit mit dem Revanchefoul rechnen müssen? Es gibt hierfür viele Erklärungsmuster, unter anderem soziale Herkunft, frühkindliche Erfahrungen und altersbedingte Absicherung des Lebenswerks.
Denkbar ist allerdings auch, dass wir uns zuweilen gerne widerwärtig verhalten, insbesondere dann, wenn wir anonym zu sein scheinen, zum Beispiel am Steuer unseres Autos. Auch in der Anonymität der U- und S-Bahn können wir in einem mit Menschen überfüllten Abteil ungeniert in der Nase bohren, denn den davon Angewiderten werden wir wohl kaum wieder begegnen. Zunehmend ist zu beobachten, dass die soziale Kontrolle verschwindet und damit Gedankenlosigkeit bzw. Rücksichtslosigkeit Platz greift. Wer will das schon erleben, aber wenn keiner anfängt, sich zu ändern, wird sich auch nichts ändern. Jammern wir also weiter, das Leben ist ja ohnehin zu kurz, um etwas zu tun.
Hans Eike von Oppeln-Bronikowski