Archiv für den Monat: Juli 2016

Nachrichten

Isolation. Keine Nachricht erreicht dich. Du wirst verrückt. Nachricht ist die Form der einseitigen Kommunikation, die dir vermittelt, dass es da draußen noch etwas gibt außer dir selbst. Damit kannst du dich beschäftigen. Deine Gedanken arbeiten und dies ist nicht nur für deinen Kopf, sondern für deine ganze Physis von enormer Bedeutung. Auch, wenn es sonst nichts mehr gibt außer diese Nachricht. Du schöpfst Hoffnung, ganz egal wie die Nachricht inhaltlich beschaffen ist.

Beliebt ist, zunächst die schlechte Nachricht anzubieten, um anschließend die gute zu verkünden. Beide wiegen gleich schwer oder leicht. Du sitzt zum Beispiel alleine auf einer Insel und erfährst, dass dich zu deinen Lebzeiten kein Schiff mehr retten wird. Was machst Du? Du spielst weiter mit dem Zufall wie beim Lotto oder arrangierst Dich mit der Ausweglosigkeit deiner Situation.

Nachrichten stören Ungewissheiten, ob sie richtig oder falsch sind. Natürlich manipulieren Nachrichten. Manchmal scheinen sie dafür gemacht. Selbst seriöse Nachrichten bergen oft einen erzählerischen Kern. Die Nachricht ist durch den Empfänger ausdeutbar. Sie hat nicht für alle Menschen dieselbe Bedeutung. Eine einzelne Nachricht ist fragwürdig und möglicherweise falsch. Das Geschnatter aller Nachrichten ist allerdings richtig, vermittelt durch die hohe Subjektivität des Herstellungsprozesses eine Objektivität, die dir Gewissheit verschafft.

Wenn alle darauf tippen, dass Deutschland auch im Jahre 2016 Europameister im Fußball wird, dann kannst du dich darauf verlassen. So viele Medien können einfach nicht lügen. Oder doch? Es ist anders gekommen.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Kids on demand

Kids on demand klingt verlockend. Ich besorge mir mein Kind, wenn mir die Umstände dafür geeignet erscheinen. Fachmännisch wird dieser Vorgang auch „Social Freezing“ genannt. Es klingt zwar stark nach Erfrorenem, meint aber Eizellen unter Opportunitätsgesichtspunkten solange einzufrieren, bis für die austragende Mutter der genehme Empfängniskorridor freigeräumt ist.

Berufliche und familiäre Einschränkungen sind dann beseitigt und Altersbeschränkungen aufgehoben. Es gibt ja schon über 60jährige Frauen, die Babys austragen. Wenn wir ohnehin alle älter werden, warum dann nicht irgendwann Mutter mit 90 oder 100. Alles ist möglich und wir führen Regie.

Sehen wir einmal von den religiösen Einschränkungen dieser  Allmachtsfantasien ab, müssen wir gleichwohl diesen Kindererzeugungsprozess unter individuellen und sozialen Gesichtspunkten betrachten. Wenn der opportune Kinderkanal freigemacht wird, wer glaubt dann eigentlich noch an eine persönliche Verfügungsmacht über Eizellen und Körper. Es wird die politische Kontrolle und diejenige der Arbeitgeber geben, die es allenfalls frühverrenteten Frau gestattet werden, ein Kind auszutragen.

Auf das Timing kommt es an. Nicht mehr die individuelle Entscheidung, sondern der soziale Konsens bestimmt darüber, wann welche Kinder auf die Welt kommen. Wer Vater ist, bestimmt dann auch nicht mehr der erregte Zustand, sondern Kalkül. Dynastien können geplant werden. Aber, kann man sich Kinder wie Welpen anschaffen? Sie sind keine rührenden Alterserrungenschaften. Sie sind weder Statussymbole, noch allein gesellschaftliche Notwendigkeiten.

Kinder sind originäre Menschen des Zufalls mit Insignien eines wunderbaren, würdevollen und langen Lebens. Wenn dies mangels gemeinschaftlicher elterlicher Orientierung, die durch Zuneigung und Liebe begründet ist, nicht gewährleistet sein kann, dann ist auch die Zeugung selbst entbehrlich. Was technisch geht, ist menschlich höchst problematisch, weil es die Selbstdefinition des würdigen Menschen in Frage stelle.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Wahlrecht

In einem bemerkenswerten Interview, welches die Rechtsanwältin und frühere Justizsenatorin Dr. Lore Maria Peschel-Gutzeit in den Heften 4 und 5 aus 2016 dem Berliner Anwaltsblatt gewährt hat, forderte sie ein Wahlrecht auch für junge Menschen von Geburt an. Das Stimmrecht der Kinder sei tatsächlich zu gewähren, aber treuhänderisch von denjenigen, die für sie Verantwortung tragen, wahrzunehmen. Dies sind in der Regel die Eltern. Als ich ihre Ausführungen in dem Interview las, war ich hin- und hergerissen.

Bei vernünftigen Eltern habe ich überhaupt nichts dagegen, dass sie auch das Stimmrecht für ihre Kinder ausüben. Aber, was passiert, wenn sie sich nicht einigen können, über den sachgerechten Umgang mit dem Stimmrecht streiten oder es nicht ausüben, obwohl ihre Kinder einen Anspruch darauf haben sollen. Ab welchem Alter kann ein Kind sein Wahlrecht selbst wahrnehmen? Wann ist ein junger Mensch tatsächlich mündig? Die familiäre, wie auch gesellschaftliche Einübung in ein späteres selbstverantwortliches Leben ist mühevoll und stellt ein Kind vor große Herausforderungen.

Ist dies aber ein Grund, Kindern das Wahlrecht zu versagen? Viele Fragen sind angstgesteuert. Die Wahlstimmen der Kinder könnten in falsche Hände kommen, die Machtverhältnisse verschieben und kinderreichen Familien mehr Einfluss zukommen lassen. Dies würde wiederum Einfluss auf die Sozialgesetzgebung und Lebenssicherung für die nächste Generation nehmen. Rechtfertigen aber diese Unwägbarkeiten die Ablehnung des Kinderwahlrechts? Kein Kind hat den Aufenthalt in unserer Welt gewählt, übernimmt aber zugleich mit der Geburt – wenn auch zunächst nicht rechtlich – so aber schon tatsächlich Verpflichtungen in unserer Gesellschaft, die später Wirkung zeigen werden. Das Kind wächst in seine Verantwortung und trägt bereits ab seiner Geburt einen Teil der gemeinsam zu schulternden Last, die im Generationenvertrag festgeschrieben ist.

Mehr Demokratie wagen, so lautete die Mahnung der SPD in den End-60er-Jahren. Der Slogan war damals richtig und fordert uns auch heute noch heraus, das gesellschaftliche Modell nicht als statisch zu begreifen, sondern Veränderungen und Wagnisse zuzulassen. Das Wahlrecht für Kinder und junge Menschen ist kein revolutionärer Akt, sondern entspricht der Vernunft einer gesellschaftlichen Entwicklung. Fragwürdig ist oft alles nur solange, bis es selbstverständlich ist, gesellschaftliche Anerkennung gefunden hat.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Brexit

Großbritannien verlässt die EU. Das mag unvernünftig sein oder auch nicht. Vernunft war selten politisch. Eine Entscheidung wurde durch Politiker ermöglicht, die selbst nicht den Mumm hatten, zu den souveränen Entscheidungsprozessen der parlamentarischen Demokratie zu stehen. Sie überließen die Entscheidung dem Volk. Das Volk?

Von 70 % der Bevölkerung hatte die Hälfte, etwa 35 % für den Austritt Großbritanniens aus der EU gestimmt, die restlichen dagegen oder blieben in der Frage indifferent. Eigentlich müssten sie wohl auch als Neinstimmen gezählt werden oder nicht? Wie auch immer, die Entscheidung ist gefällt und genau so vernünftig oder unvernünftig wie jede Entscheidung eines Potentaten von Gottes Herrlichkeit.

Etwas ist geschehen. Möglicherweise wäre die Wahl 5 Jahre zuvor oder 5 Jahre später völlig anders ausgefallen. Möglicherweise würde die Wahl auch anders ausfallen, wenn die Kinder und die Jugendlichen ein Wahlrecht besäßen, denn sie müssen das Schlamassel ja ausbaden. Mit dem Instrument der Volksbefragung kann jedenfalls eine Minderheit regelmäßig die Mehrheit vor sich hertreiben und muss noch nicht einmal befürchten, die politische Verantwortung für die Entscheidung zu übernehmen. Jetzt sollen die Politiker wieder dafür sorgen, dass die Entscheidung erfolgreich für die Briten umgesetzt wird. Wäre das nicht klug, über jede einzelne Maßnahme wiederum das entscheidungsfreudige Volk abstimmen zu lassen?

Bei so viel offenbarem Sachverstand des Souveräns ist zu erwarten, dass er auch überschaut, welche Handlungsalternativen sich aus dem Austritt ergeben. Für uns Resteuropäer wird es interessant sein, wie sich die Teilvölker in Nordirland und Schottland verhalten werden, die mehrheitlich für den Verbleib in der EU gestimmt haben. Vielleicht löst sich Großbritannien auf und Teilstaaten nehmen andere Optionen wahr. Vielleicht gilt dies künftig auch für Spanien, Belgien, Frankreich und Deutschland. Alles ist offen, weil der Souverän so herrlich unberechenbar bleibt.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Leere

Leere wird zuweilen als schöpferisch beschrieben. In der Leere können sich Gedanken entwickeln, die Impulse setzen für wichtige Erkenntnisse. Zuweilen hat Leere aber auch mit Ermattung zu tun, sich leer zu fühlen bedeutet dann, unproduktiv zu sein, leistungsunfähig und unmotiviert. Leere beim Menschen signalisiert aber gelegentlich auch Ratlosigkeit angesichts der prallen Welt voller Versprechungen, die ihrerseits für leer gehalten werden oder sich als solche herausstellen.

Die Leere korrespondiert dann mit der Entfremdung, der Erkenntnis, unter anderen Menschen zu leben, zu reagieren und zu funktionieren, ohne selbst wahrgenommen zu werden und unfähig, den Anderen ebenfalls wahrzunehmen. In dieser Leere funktioniert die Kommunikation trotz aller Gesten und Geschwätzigkeit nicht mehr. Mensch, werde wesentlich. Die Wesentlichkeit eines Menschen vermag die Leere zu füllen, den Platz zu besetzen, der der Leere eingeräumt wurde.

Wenn wir Menschen wieder Durst empfinden nach Inhalten, und zwar nicht nur in Bezug auf die Erklärung unseres Seins, sondern auch nach Gestaltung unseres Seins, dann ist die Leere eine notwendige Voraussetzung, um mit Mut und Veränderungswille jenseits der Selbstbespiegelung Neues zu entdecken.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Nur ein Lächeln

Geht es nicht uns allen so? Wir stehen in der U-Bahn. Rushhour. Keine Plätze frei. Taschen, Rucksäcke über der Schulter und miese Laune wegen allem. Dann lächelt uns jemand an –ein Kind, eine Frau, ein Mann – bittet um Verzeihung, weil wir vielleicht bedrängt wurden oder bietet den Sitzplatz an. Nur ein Lächeln, eine Höflichkeit oder ein freundliches Wort und wir selbst sind wie verwandelt.

Beschwingt sind wir bereit, die erfahrene Freundlichkeit an andere weiterzugeben und denken oft lange Zeit noch gerne an dieses Lächeln zurück. Das Lächeln kann vieles bedeuten, Einverständnis, Anerkennung, Zuneigung, Wahrnehmung, verschafft aber auch dem Lächelnden Respekt, garantiert Distanz und bestätigt menschliche Zugehörig­keit. Ein Lächeln vermag Worte zu ersetzen, versöhnt und vermeidet Missverständnisse. Es wird behauptet, dass im Lächeln die Seele ihren Ausdruck findet.

Das mag übertrieben sein, aber im Lächeln findet Wesentlichkeit statt. Wer lächelt, gibt etwas von sich preis, tut dies aber so souverän, dass Nachteile ausbleiben. Lächeln ist ein Verständigungsmodul und wird unter anderem perpetuiert im Smiley des Internetaustausches zwischen Menschen. Leider kommt dieses Lächeln dabei oft inflationär vor und verkehrt sogar die Wirkung in das Ge­genteil. Das Unterlassen der Gewährung eines Smileys vermittelt Ablehnung, mehrere Smileys dagegen signalisieren die Behauptung einer wirklichen Zuwendung. Fünfmal tippen und schon sind fünf Smileys produziert, wobei ein Lächeln von Angesicht zu Angesicht auch durch 100 Seiten Smileys nicht übertroffen werden kann.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Beschäftigung

Junge Menschen haben häufig ein distanziertes Verhältnis zur Ausbildung. Dies beruht zum einen auf einer zu langen Ausbildungsdauer, zum anderen auf dem Misstrauen gegenüber der Richtigkeit und Verlässlichkeit von Ausbildungsinhalten. Kinder und Jugendliche sind im Zuge ihrer Entwicklung einer steten Veränderung unterworfen. Ihr Lebensumfeld entwickelt sich jedoch nicht oder nur schwerfällig.

Die Modelle bleiben die alten. Sie passen sich den jungen Menschen nicht an. Junge Menschen sind flexibel und digital aufgerüstet. Der Unterschied von Umfeld und eigener Erwartungshaltung führt zur Frustration, denn für den jungen Menschen ist es immer Zeit für den Aufbruch. Jugendliche wollen sich bewähren, ihre Kräfte messen.

Damit sind nicht nur die körperlichen Kräfte, sondern auch ihre emotionalen und geistigen Kräfte gemeint. Es ist oft zu beobachten, dass sogenannte bildungsfeindliche und scheinbar aggressiv ablehnende Kinder und Jugendliche sofort zur „Sache“ gehen, wenn es ein Problem gibt, welches sie lösen können. Sie wollen gerne etwas tun, aber die Reaktion der Erwachsenen ist häufig: „Das kannst Du noch nicht, dafür bist Du noch viel zu jung und unerfahren.“

Mit solchen Reaktionen machen wir generationenübergreifend Fehler. Wir können unsere Kinder und Jugendliche nicht für uns gewinnen, wenn wir ihnen keine Beschäftigung geben, sondern glauben, ihr Kopf müsse mit Lehrstoff vollgestopft werden, dann kämen sie nicht auf dumme Gedanken. Aber dann schlagen sie doch plötzlich aufeinander ein, quälen einander, verprügeln Lehrer, rauchen und trinken, schneiden sich tiefe Wunden ins Fleisch und brüllen Parolen.

Das haben weder die Gesellschaft noch die Eltern gewollt. Darauf kommt es aber überhaupt nicht an. Die Jugendlichen gestalten ihren Raum oft deshalb nicht, weil wir glauben, ihnen diesen zuweisen zu müssen. Für sie ist dieser durch uns vorgeschriebene Raum aber oft eng, lieblos und ohne Ideale. Wir aber müssen unseren Kindern und Jugendlichen Möglichkeiten eröffnen, sich selbst auszuprobieren und zu beweisen. Nur damit erkennen sie ihre eigenen Fähigkeiten. Auf etwas stolz zu sein und Anerkennung zu erfahren, ist für alle Menschen wichtig, besonders aber für Kinder und Jugendliche, weil Selbstzweifel oft in Aggressionen umschlägt. Dies mit verheerenden Folgen für den Jugendlichen selbst, seine Familie und die ganze Gesellschaft.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Altersarmut

Davor habe ich Angst: Altersarmut. Ach Quatsch, sage ich dann, über 40 Jahre gearbeitet und noch immer leistungsfähig, viel Steuern gezahlt und zuweilen auch anderen geholfen. Da muss Armut im Alter doch ein Fremdwort sein. Ob ich mich vielleicht täusche?

Irgendwann im Alter funktioniert das nicht mehr mit der Innenansicht der eigenen Leistungsfähigkeit und der Außensicht, das heißt die Einschätzung meiner Leistungsfähigkeit durch andere. Das Auseinanderdriften der Anschauungen geschieht nicht von einem Tag auf den anderen, das ist ein Prozess. Je mehr ich darauf beharre, dass ich zwar älter geworden bin, aber mich eigentlich nicht geändert habe, schallt es zurück: „Toll, wie Du Dich noch gehalten hast“ oder „man sieht Ihnen Ihr Alter aber wirklich noch nicht an. Wie lange machen Sie noch? Haben Sie Hobbys? Spielen Sie etwa Golf?“

Signale sind das. Wenn ich genau hinhöre, merke ich, dass sie mich loswerden wollen. Das geschieht nicht auf brutale Art und Weise, sondern es entstehen Parallelwelten in Kirchengemeinden, Rudervereinen und Parteien. Man darf Senior sein, nein man muss Senior sein, Kaffee trinken mit anderen Senioren, basteln und in der Altherrenriege aufgestellt werden.

Soziale Entkopplung auf besonders heimtückische Art. „Ich will Ihnen nicht mehr so viel zumuten.“ Dabei sind wir lästig, wir älteren Menschen. Wir wollen zwar nicht aufhören zu arbeiten, beziehen aber bereits die Rente, die unsere Kinder und Enkelkinder erarbeiten müssen. Von wegen Solidarität. Jede Generation ist sich die nächste, alles, was ich für meine Kinder und den Staat aufgewandt habe, ist längst verbraucht und vergessen, vielleicht war ich ein AAA-Steuerzahler, aber jetzt ist Zapfenstreich. Und den blasen andere, gerne auch laut.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski