Archiv für den Monat: Juni 2017

Gelassenheit

Ich denke, um des Denkens willen. Ich denke prozessorientiert. Ich denke zielgerichtet, aber abstrakt. Ich denke als Anliegen. Ich denke ergebnisorientiert. Ich denke für Andere. Ich denke alles einschließend, also umfassend. Ich denke die Gefühle nutzend. Ich denke Gefühle. Ich denke fließend. Ich denke Blockaden. Ich denke vor. Ich denke nach. Gedankenlos.

Denken verboten. Denken langweilig. Ich denke vergeblich. Ich denke an den Empfänger der Gedanken. Ich denke an mich. Ich denke morgens, abends und nachts. Ich denke im Bett, auf dem Klo, im Bad. Ich denke Blödsinn. Ich denke Kluges. Ich denke, um zu denken. Ich denke zeitlos, sinnlos, entfernungslos, weit, nah, auf den Punkt. Ich denke frei. Ich denke verkrampft. Ich denke mit Vorurteilen. Ich schichte Gedanken ab. Ich baue Gedanken auf. Ich lasse mich von Gedanken treiben. Ich denke selbst. Ich lasse andere denken. Ich habe keinen Bezug zu meinen Gedanken.

Meine Gedanken haben sich verselbstständigt. Vom Denken wird es mir schwindlig. Vom Denken wird mir stumpf. Ich denke, also bin ich? Ich denke, dass ich bin. Ich bin auch ohne zu denken. Gibt es einen Sinn des Denkens? Gibt es einen sich selbst denkenden Sinn? Methodenlehre des Denkens ist die Philosophie. Der Zirkus des Denkens ist die Religion. Das Denken besitzt eine unendliche Spielwiese der Mutmaßungen. Das Denken weist eine Richtung, aber keine Ergebnisse. Durch das Denken werden Probleme nicht gelöst, sondern geschaffen. Fühlen, Denken und Handeln sind miteinander verwandt, aber nicht vertraut. Kann Denken hilfreich sein? Kann ich durch Denken Einfluss auf etwas nehmen?

Kann mir jemand oder ein Umstand beim Denken helfen? Denken als Zeitvertreib. Denken als Prozess – des Träumens – des Fühlens – des Empfindens. Denken als Synapsengeflunkere. Maschinendenken. Computerdenken. Internetdenken. Denken als gesellschaftliche Bereicherung. Gemeinsames Denken. Ich habe mal so gedacht… Denken als l´art pour l´art. Denken ohne Vorkenntnisse. Plötzlicher Denkeinfall. Denkfalle. Denkexzess. Denkblockade. Eine Maschine hat es gut. Sie ist vom Denken befreit.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Normal 4.0

Wir alle, also auch ich, sind begierig darauf aus, Anderen die Welt zu erklären. Ohne dieses Sendungsbewusstsein gäbe es auch diese Blogbeiträge nicht. Obwohl ich weiß, dass es unendlich viele Fachzeitschriften, Kommentare zu allen Lebenssachverhalten und Verhaltensanweisungen gibt, sehe ich offenbar noch eine Lücke, die gefüllt werden müsste. Ob dies anmaßend ist, muss der Leser entscheiden.

Ich versuche, Argumente vorzulegen, an denen meine Leser sich reiben können, provoziere gerne Widerspruch und sehe mich doch der Normalität verpflichtet. Die Menschen, meine Leser, sind normal, vergnügt, launisch, witzig, sorgenvoll, ängstlich und mutig. Genauso wie ich. Mein Leser und ich sind wie kommunizierende Röhren. Ich erfahre über meinen Beruf, den Umgang mit anderen Menschen, meine Familie und die Medien und Lektüre von Büchern und Zeitschriften, was alle bewegt und mache mir darüber selbst Gedanken. Es macht mich besorgt zu erfahren, wie sehr sich Menschen von Ratgebern abhängig gemacht haben und dem Judiz, ihres Bauches, also ihrer eigenen Beurteilung, immer weniger vertrauen. Das betrifft sowohl die Kindererziehung, als auch den gesamtgesellschaftlichen Umgang miteinander.

Nicht die Werte sind verrutscht, sondern, gesteuert von Medien, unser Selbstbewusstsein im Umgang mit den täglichen Anforderungen. Warum liefern wir uns Ratgebern und Rattenfängern so gerne aus?

Die Normalität 4.0 ist offenbar noch komplexer. Sie ist wesentlich beeinflusst durch Formate, die außerhalb unseres eigenen Begreifens entstanden sind. Ich denke dabei natürlich an die Digitalisierung unserer Welt, aber auch die Verzagtheit, überhaupt einen eigenen Standpunkt einzunehmen, um sich daran messen zu lassen. Normal ist es, Fehler in der Kindererziehung zu machen oder Fehler im Umgang mit anderen Menschen, dann aber zu seinen Fehlern zu stehen und sie bei Bedarf wieder zu korrigieren. Normal ist, verletzlich zu sein, aber nicht verletzend. Normalität ist Gelassenheit im Umgang mit anderen Menschen und sich selbst.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Arbeit

Arbeit ist weder ein Menschenrecht, noch eine Menschenpflicht. Arbeit wird durch das Ver­sprechen aufgeladen, dafür eine Gegenleistung zu erlangen, die es dem Menschen ermöglicht zu leben. Arbeit, wie wir sie kennen, ist kein Naturgesetz und kein Lebensbegriff. Tiere arbeiten nicht, wenn wir sie nicht in Arbeit bringen und in der vorindustriellen Zeit haben die Menschen nicht auf die uns heute bekannte Art und Weise gearbeitet, sondern sich im Sinne ihrer Lebenserhaltung beschäftigt.

Der Tag der Arbeit ist auch kein Verpflichtungstag für den Arbeiter, sondern will an seinen Schutz erinnern. Sklaverei, Ausbeutung anderer Menschen zur Gewinnmaximierung Einzelner oder Gruppen hat es immer gegeben. Diese Form der Unterwerfung ist dem Machtbegriff und nicht der Arbeit zuzuordnen. Auch Ausbeutung und Selbstausbeutung sind keine notwendigen, das Leben zwingend begleitenden Verhaltensweisen.

Der Arbeit verwandt, aber nicht dasselbe, ist die Beschäftigung des Menschen. Die ganze Komplexität des menschlichen Verhaltens vom Denken angefangen, über Fühlen und Handeln, ist darauf gerichtet, sich zu beschäftigen. Die Beschäftigung des Menschen ist nicht an Arbeit gekoppelt, sondern betrifft die Familie genauso wie sportliche Betätigung, Gartenpflege oder das Lesen eines Buches. Der Mensch ist in eigener Verantwortung auf Arbeit nicht angewiesen.

Wenn stolz von Politikern oder Unternehmensinhabern verkündet wird, man habe wieder etliche Frauen, aber auch Männer in Arbeit gebracht, wird vergessen darauf hinzuweisen, dass dies nur geschieht, um durch diese einen Mehrwert zu erzielen. Dieser einzige Grund wird verschleiert durch die Behauptung, die Arbeit der Frau trüge emanzipatorischen Charakter und der Mensch müsse arbeiten, um sich und seine Familie zu unterhalten. Wenn aber Arbeit als gesellschaftliche Verabredung so unumgänglich sein sollte, wie es behauptet wird, was wird dann mit den Menschen geschehen, wenn es diese Arbeit nicht mehr gibt bzw. von Maschinen übernommen werden kann?

Die Propagandisten der Arbeit haben hierauf keine Antwort. Es gibt keine Beweise dafür, dass der Mensch arbeiten muss, um glücklich zu sein. Der Mensch erfährt seine Wertschätzung nicht durch Arbeit, sondern er erfährt sie durch Nachfrage nach seiner Person, die Anerkennung seines Verhaltens in der Familie, unter Freunden und in der Gesellschaft. Der nicht arbeitend beschäftigte Mensch erfährt die Möglichkeiten seines sinnstiftenden Handelns durch das Nichtstun, das Sehen und Erfahren und die Zeit als eine Möglichkeit der Ausdehnung seiner Kräfte und des sich Kümmern als eine neue sinnstiftende Beschäftigung.

Wenn es nicht abschätzig gemeint wäre, dürfte man diese Utopie, die einmal Wirklichkeit werden wird, als Schlaraffia bezeichnen. Ein Garant für das Funktionieren einer solchen Gesellschaft ist dann die Einsicht, das Geben und Fördern keine Last, sondern eine gesellschaftliche Bereicherung darstellt. Es ist wichtig, in einer freien Gesellschaft schon heute eine Umsteuerung vorzunehmen. Damit soll verhindert werden, dass wir eine Zukunft ohne Arbeit als Bedrohung und nicht als verheißungsvolle Herausforderung begreifen.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Stimmungen

Abend- oder Morgenstimmungen berühren uns, vermitteln das Gefühl des Aufbruchs in einen neuen Tag oder in den Feierabend. Stimmungen vermitteln sich sehr persönlich, erfassen aber zuweilen auch ganze Gruppen von Menschen, die gemeinsam ihre Empfindungen ausloten. Stimmungen wirken auf das Gefühl.

Wenn ein Mensch gut oder schlecht gestimmt ist, können die Ursachen zwar rational erfassbar sein, äußern sich aber durch ihre Gefühle, die dann Verhaltensweisen bestimmen können. Das Gestimmtsein von Menschen und die Stimmungen, die in ihnen durch äußere Einflüsse erzielt werden, verarbeiten komplexe Erfahrungen der visuellen, akustischen, sensorischen und manuellen Wahrnehmung. Weil sich im Gestimmtsein, in der erzeugten Stimmung und in der Wirkung, die etwas Anderes in uns entfaltet, eine umfassende Erfahrung offenbart, die unser Handeln auslöst, sind Stimmungen als Treiber des öffentlichen Raumes nicht wegzudenken.

Wirtschaftliche und politische Prozesse werden wesentlich durch Stimmungen beeinflusst. Müssen wir dies für bedenklich erachten? Wir haben die Bilder vor Augen, die uns die Medien von der Vorgehensweise des amerikanischen Präsidenten Donald Trump vermitteln. Wir gewinnen den Eindruck, sein politisches Handeln sei wesentlich von Stimmungen beeinflusst und diese auch einem ständigen Wandel unterworfen. Dies mag sein. Es lässt sich aber auch ein positiver Aspekt seiner Stimmungsführerschaft feststellen.

Stimmungen reagieren sensibel auf Möglichkeiten, beharren nicht auf die rigide Durchführung einer Maßnahme, weil sie als richtig behauptet wird, auch wenn andere Aspekte dagegensprechen. Die Flexibilität der Stimmung entspricht dem Stimmungsumschwung, den man beklagen kann, der aber auch wieder neue Möglichkeiten der Reaktion eröffnet.

Stimmungen sind eher der Seismograf gesellschaftlicher Entwicklungen als Programme, denen die Wirklichkeit unterworfen werden soll, und zwar auch dann, wenn die Erprobung erbringt, dass es so nicht geht. Bleiben wir also frohgestimmt trotz aller Unstimmigkeiten in dieser Welt und genießen unsere stimmungsvollen Tage.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Sterbehilfe

Aktive Sterbehilfe ist in Deutschland verboten. Noch. Wie ist dies zu rechtfertigen? Greift man nicht auf die sattsam gängigen Verbotsargumente zurück, kann man neue überzeugende Argumente nicht feststellen. Selbsttötung ist in Deutschland nicht mehr verboten. Aber, der Mensch, der sich töten will, kommt in Deutschland an keine Mittel heran, die ihm einen schmerzfreien Tod ermöglichen könnten.

Die Ärzte verschreiben keine endgültig wirksamen Schlafmittel und auch Gifte, die endgültig wirken, sind für den Todsuchenden kaum zu erlangen. Derjenige, der sterben will, muss heute zum Beispiel in die Schweiz fahren und dort einen Cocktail entgegennehmen, der ihm den Tod zu bringen vermag. Mit Erschrecken hatten wir vernommen, dass ein suizidal eingestellter Pilot eine Verkehrsmaschine zum Absturz brachte, um selbst nicht mehr weiterleben zu müssen.

Manche springen in Selbsttötungsabsichten von Brücken und Gebäuden oder rasen mit dem Auto in den Abgrund. Es gibt keine Gewähr dafür, dass sie dies bei entsprechendem alternativen Angebot nicht auch machen würden, aber zumindest bestünde die Chance, dass sie sich die Freiheit nähmen, effektiv aus dem Leben zu scheiden und dabei andere Menschen nicht zu gefährden.

Es zeichnet die Verantwortung des Menschen aus, dass er selbstbestimmt ist und sich in Würde annimmt. Wenn es keine gesellschaftlich bestimmten Erhaltungsvorschriften für den Menschen um jeden Preis mehr gibt, kann er auch die Dispositionen treffen, die für ihn eindeutig sind, zumal, wenn Schmerz und Demenz ihn zu beeinträchtigen drohen. Vorsorgevollmachten delegieren diese endgültige Verantwortung auf andere Menschen und Ärzte. Sie sollen berechtigt sein, lebensverkürzende Maßnahmen einzuleiten.

Dabei wird übersehen, dass andere Menschen gerade nicht die Verantwortung übernehmen können und nicht die Freiheit haben, über das Lebensende des ihnen Anvertrauten zu befinden. Einen anderen Menschen zu töten, ist strafbar, auch aufgrund einer Vorsorgevollmacht. Der Handelnde ist somit Täter und muss sich dieser Rolle sehr wohl bewusst sein, selbst dann, wenn er durch die schriftlichen Anordnungen des Vollmachtgebers einigermaßen exkulpiert wird. Die Unsicherheit könnte etwas gedämpft werden, wenn man dem Menschen den Zugang zu seinem Tod in Deutschland erleichtern würde.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Disruption

Disruption wird in der Wirtschaft gehandelt wie ein Versprechen. Disruptiv Industry. Wir machen alles anders, wir machen alles neu, durchbrechen gängige Denkmodelle. Ach wirklich? Was ist daran wirklich neu, abgesehen von der englischsprachigen Anmutung. Seit ihrem Bestehen ist die Menschheit immer wieder andere Wege gegangen, wenn die Umstände dazu zwangen oder Aufbruchssignale ertönten.

Auch Design Thinking ist nicht neu und bringt doch zum Ausdruck, dass der Einzelne in der Gruppe effektiver zu denken vermag. Solange die Ergebnisse nicht hinterfragt werden, reihen sich alle Menschen in die scheinbar erfolgreichen Prozesse ein. Alles nicht so hoch zu hängen, wäre eine geeignete Antwort, aber kein geeignetes Geschäftsmodell. Ich bin durchaus für alles, was digital angeboten wird und auch davon überzeugt, dass das beginnende digitale Zeitalter neue Bewältigungsinstrumente benötigt.

Wir müssen dabei aber nicht nur bedenken, wo der Mensch dabei bleibt, sondern auch im gesellschaftlichen Hinterkopf behalten, dass wir retardierende Wesen sind. Weder unser Körper, unser Geist, noch unsere Seele können stets Quantensprünge machen, geschweige denn uns von allen Gewohnheiten, Ritualen und bewährten Mustern verabschieden. So verlockend die Versprechungen sind, müssen wir um unser selbst Willen, zur Erhaltung der Menschheit etwas zurückstecken und nicht jede Mode mitmachen.

Es ist nicht Silicon Valley und die dort entwickelten Möglichkeiten, die uns in unserem Selbstverständnis als Menschen bedrohen, sondern – um bewusst in der englischen Ausdrucksweise hier zu verbleiben – unsere Cowerdness, unsere Infragestellung eigener Leistungsfähigkeit, obwohl gerade diese uns jederzeit mit brennendem Herzen die Herausforderung annehmen lassen könnte. Kann es denn nicht sein, dass ein werte- und geschichtsbewusstes Europa viel mehr leisten könnte als ein amerikanischen „Anything Goes“? Ich bin neugierig auf eine Zukunft, in der wir mit Geist, Körper und Seele neu gestaltend denken.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Vampirismus

Neulich habe ich gelesen, dass es Forschern der Stanford Universität gelungen sei, die Lebenszeituhr so präzise zu beschreiben, dass eine im Menschen selbst verborgene Uhr leicht abzulesen sei. Wie alt bin, wie alt kann ich werden? Keine Frage der äußeren Umstände mehr, sondern der Gene und des Bluts. Alten Mäusen hat man bereits das Blut jüngerer zugeführt und dabei festgestellt, dass die Stammzellaktivitäten der älteren Mäuse angeregt werden. Die Mäuse haben sich erheblich verjüngt.

Was für Mäuse gilt, gilt bald auch für Menschen. Der Run auf Jungblut wird erheblich zunehmen und etliche werden ihre eigenen frühkindlichen Blutkonserven einfrieren, um später darüber bei Bedarf wieder verfügen zu können. Ob das alles klappen wird, wissen die Forscher natürlich jetzt noch nicht, werden es aber in ein paar Jahren herausgefunden haben. Es wird dann so sein, dass das „Jungbaden“ im Blute möglich wird und der Vampirismus in Hochform aufläuft.

Auf rätselhafte Art und Weise wird dadurch bestätigt, was wir alles im Hinblick auf Veränderungen schon kennen. Längst bevor die wissenschaftlichen Arbeiten aus Stanford dies belegten, war in den Mythen und Sagen bereits klar, was jetzt möglich zu werden scheint. Graf Dracula und die Sagenvampire werden mit Knoblauch und ins Herz gerammten Holzpflöcken bekämpft, denn sonst haben die Untoten ein langes Leben.

Werden künftige Menschen oder auch Maschinen zu ähnlich drastischen Mitteln greifen müssen, um den ewig sich erneuernden Menschen wieder loszuwerden? Von kommenden Generationen wird man nicht mehr reden können, wenn alle Menschen abhängig von der Frischblutzufuhr sich erneuern und ewig leben. Kriege, Krankheiten und Unfälle werden umständehalber die einzigen lebensbeendenden Maßnahmen darstellen. Lebenszyklen sind unbekannt, es sei denn, sie werden künstlich vorgegeben. Für jeden Menschen oder nur für Gruppen? Und wer stellt die Uhr neu? Die Maschinen?

Bewahrheitet sich das, was erste Forschungsergebnisse vermuten lassen, gibt es kein „geborgtes Leben“ mehr, eine andere Gesellschaft mit völlig neuen Herausforderungen und Perspektiven beherrscht dann den Planeten, wenn es ihn noch eine Weile geben sollte. Gott sei Dank werde ich das nicht mehr erleben.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

 

Kochen (Teil 2)

Die Ergebnisse sind schon sichtbar und belasten nicht nur jeden von uns persönlich, sondern auch die ganze Gesellschaft. Di­abetes grassiert selbst bei jungen Menschen, Kreislauferkrankungen und Anfälligkeiten für andere Infekte sind auf der Tagesordnung. Abgesehen von steigenden Kosten der Krankenfürsorge steigen auch die Kosten der Umweltbelastung durch Ressourcenverschwendung und Verpackungsmüll.

Und dabei gibt es eine einfache Alternative: selbst kochen. Selbst kochen für sich selbst und die ganze Familie. Das ist viel einfacher, als die meisten Menschen denken, insbesondere dann, wenn sie noch niemals gekocht haben. Die Meisten meinen, ein Kochbuch, eine Anleitung sei erforderlich. Überhaupt nicht! Kochen muss nicht erlernt werden, Rezepte sind nicht nützlich. Es genügt etwas Mut, Wille und Kontrolle. Zutaten sind das Gemüse der Saison, ein Kochtopf – möglichst ein Dampfkochtopf – etwas Wasser und ca. 20 min. Geduld, bis die Zutaten gegart sind.

Überhaupt keine Hexerei! Alles schmeckt köstlich – auch den Kindern. Kochen geht fast ausnahmslos ohne Kochbuch, Reste lassen sich wunderbar verarbeiten und es lässt sich hervorragend experimentieren mit allen sonstigen Zutaten, die sich in der Küche so zufällig anfinden.

Für die tägliche Mahlzeit sind Sterneköche schlechte Ratgeber, sie zwingen zur ausführlichen Vorauswahl, zum Kochbuch und zur strikten Einhaltung der Vorgaben. Alles nicht wichtig, wenn man aus dem Handgelenk herausarbeitet und wunderbare Speisen zaubert, die immer wieder variieren, wegen ihrer Zutaten geheimnisvoll sind und natürlich gut schmecken. Kürbis mit roter Beete und Schafskäse in der Pfanne, Mohrrüben mit Kartoffeln und Erbsen, Bohnen in einer Honig-Paprika-Sauce, alles geht und wir wissen, was wir essen. Viel Vergnügen und guten Appetit.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Kochen (Teil 1)

Ich koche für Dein Leben gern! Es ist etwas erschreckend zu erfahren, dass überhaupt nur noch 1/3 der deutschen erwachsenen Bevölkerung kocht. Das ist erstaunlich, weil Kochsendungen einen hohen Anteil am Programmangebot des Fernsehens bieten. Kochbücher sind sehr beliebt und von den ausgeklügelsten Rezepten liest man querbeet durch alle Zeitschriften und Zeitungen. Und doch: Der moderne Mensch scheint nicht mehr zu kochen, sondern geht entweder ins Restaurant, lässt sich bekochen oder reißt zu Hause die Verpackungstüten von Fertiggerichten auf. Convenience Food ist das Stichwort für modernes Konsumverhalten in Sachen Essen. Es vermittelt die Vorzüge einer passgerechten Ernährung, die auf Zeit und Umstände reagiert, gut schmeckt und deren Überbleibsel schnell zu entsorgen sind. Die Verpackung dient als Teller, das Besteck wird oft schon mitgeliefert. Es entfällt der Abwasch. Der Mensch kann sich schnell wieder seiner Arbeit oder dem Vergnügen zuwenden. Auch Gäste können anstrengungslos bewirtet werden. Selbstmachen ist anscheinend nicht mehr in.

Wenn eine ganze Gesellschaft sich im Mainstream befindet, prüft sie auch nicht mehr nach, ob das Verhalten gesundheitlich noch tragbar und umweltverträglich ist. Die Bilanz könnte sich als erschreckend erweisen. Schon ein Blick auf die Zusammensetzung des Essens und seiner Begleitstoffe dürften die Menschen aufhorchen lassen. Die Zusammenstellung der Zutaten kommt nicht nur aus EU-Ländern. Der Weltmarkt steht offen für das, was wir essen sollen. Mohrrüben aus China oder Ägypten, Kohl aus Neuseeland und Salat aus Bolivien. Die ganze Welt als einziges Anbaufeld – Lieferanten der Essenszutaten handeln nur unter dem Aspekt der Wirtschaftlichkeit und Gewinnmaximierung. Das ist leider selbstverständlich geworden. Was die Zutaten ge­schmacklich nicht vermögen, wird durch Fettzugaben, Zucker und Aromen ge­schaffen. Wir täuschen so unseren Geschmackssinn und auch unseren Körper.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Vollständigkeitswahn

Zuweilen nehme ich an Kongressen, Gesprächsrunden oder Seminaren teil. Die Meisten haben zeitliche Ausdehnungen von mehreren Stunden und Tagen. Nach Begrüßungen und Einführung in die jeweiligen Themenbereiche kommen dann mehrere Referenten zu Wort. Üblicherweise nennt man dies dann Podiumsdiskussionen.

Zu Veranstaltungen, bei denen ein bestimmter zeit­licher Rahmen nicht vorgegeben ist, gehe ich überhaupt nicht mehr. Aber selbst dann, wenn ein solcher Rahmen besteht, ist er oft nur Anhaltspunkt für die Länge einer Veranstaltung, scheint aber die Agierenden selbst nicht zu binden. Bei Veranstaltungen, die den selbst gesetzten Rahmen um mehr als 20 Minuten überziehen, verschwinde ich. Selbst der verlockende Hinweis, dass es anschließend noch Fingerfood gäbe, kann mich davon nicht abhalten. Mir ist keine Veranstaltung bekannt, bei der es darum geht, eher die Einschätzung des Publikums zu erfahren, als sich selbst möglichst ausufernd zu präsentieren.

Das Publikum ist natürlich wichtig, denn ohne das Publikum gäbe es diese Veranstaltungen nicht. Wenn die Referenten zu Beginn ihres Vortrages erklären, sich zu beschränken und das Thema eingekreist zu haben, dabei sogar ihre Armbanduhr auf das Pult legen, kann der Zuhörer davon überzeugt sein, dass selbst vorgegebene Zeitrahmen nicht eingehalten werden.

Bei vielen Referaten herrscht der Vollständigkeitswahn. Möglichst viele Detailinformationen werden in den Vortrag gepackt und den Zuhörern auferlegt. Dabei wird übersehen, dass auch ein umfassender Vortrag nicht beglaubigt, dass tatsächlich viel inhaltlich gesagt wird. Das inhaltliche Sagen korrespondiert mit dem Verständnis der Zuhörer, die oft mit der Fülle der Details überhaupt nichts anfangen können. Nach geraumer Zeit erlahmt ohnehin die Möglichkeit des kohärenten Zuhörens, d. h. einzelne bekannte Erinnerungsmomente strukturieren den gesamten Vortrag aus Sicht des Zuhörers.

Ich bin überzeugt, dass nach einem mehrstündigen Kongressgeschehen kein Kongressteilnehmer mehr genau weiß, was er gehört hat. Er könnte zwar nachlesen, aber das ist mühsam. Zudem gibt es die nächste und übernächste Veranstaltung und irgendwann bleibt nur noch die Reminiszenz an das vernommene Wort.

Von besonderer Heimtücke sind Podiumsveranstaltungen unter der Führung eines medial erprobten Moderators. Er hat sich mit einem umfassenden Fragenkatalog auf diesen Moment vorbereitet und wird nicht aufhören, alle seine Fragen abzuarbeiten und dabei auch seine Wertung mit einfließen zu lassen. Da die meist vielzähligen Podiumsteilnehmer – man möchte ja auch keinen übersehen – nur themenweise auf die Podiumsdiskussion vorbereitet wurden, ergeben sich ihre Antworten situativ und improvisiert. Die meisten sind davon überzeugt, dass sie das Thema ohnehin völlig im Griff haben, denn sie wurden ja als Experten geladen.

Wenn der Moderator irgendwann eine bestimmte Unruhe im Zuhörerraum festgestellt hat, leitet er über zur Fragerunde, wobei die Zuhörer ermahnt werden, nur Fragen zu stellen und keine Co-Referate zu halten. Das gelingt nicht immer, aber schnell ist es auch wieder zu Ende mit der Publikumsbeteiligung, um anschließend noch weitere Schlussrunden auf dem Podium zu drehen. Zuletzt fasst der Moderator noch einmal zusammen, was thematisch vorgegeben war. Eine Kakofonie von Wiederholungen, Meinungen und längst bekannten Umständen klärt nicht auf, sondern verhindern Erkenntnisse.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski