Archiv für den Monat: Dezember 2019

Dataismus

Was unter Dataismus verstanden werden soll, muss noch geklärt werden. Was Dadaismus ist, wissen inzwischen etliche Menschen, die sich mit Geschichte und Kultur befassen. Eine der Hauptmerkmale des Dadaismus ist die Dekonstruktion, d. h. die planmäßige oder mutwillige Zerlegung vertrauter Vorgänge, um Bilder zu erzeugen in den Bereichen Kunst, Literatur und Musik, damit sie sich einer geänderten Betrachtung erschließen.

Wie verhält es sich mit dem Dataismus? Auf welcher Dekonstruktionsgrundlage bewegt sich dieser Ismus? Vermögen wir vom Dataismus zu sprechen, weil die Daten die Zerlegung vertrauter Sprache, Bilder und Musik in elektronische Impulse ermöglichen? Aber selbst, wenn man dies bejahen würde, kämen dann nicht Zweifel auf, ob Dadaismus und Dataismus sich vertragen, denn während Dadaismus die Dekonstruktion von Systemen propagiert, beruft sich Dataismus notwendigerweise auf Regeln, sprich Algorithmen.

Dadaismus reflektiert die Form und schafft dort Brüche und Veränderungen, die sich auf die Inhalte auswirken, während Dataismus sich formstreng gebärdet und inhaltlich verwaltet, was an Daten angeboten wird. Allein die technische Dekonstruktion schafft nichts Neues, ist aber in seiner Wirkung weit mehr, als ein reflektiver Dadaismus zulassen konnte.

Die Absurdität des Dataismus beruht in der unendlichen Verfügbarkeit von Daten, die sich systemisch kontrolliert in unermesslicher Vielfalt verbünden, auseinandergehen, sich vertrauen und verraten, Wahrheiten technisch behaupten oder liefern, ohne daran Anteil zu nehmen. Im Sinne einer Entgrenzung des Denkens und Fühlens kommen sich Dadaismus und Dataismus allenfalls asymptotisch nahe.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Genau

Wer kann mir erklären, was „genau“ ist? Die Impulse der Weltzeituhr? Und was teilt sie mir genau mit? Dass die implantierten Algorithmen exakt das erwartete Ergebnis bringen? Das ist erwartbar? Und was erwarten wir so von der Genauigkeit im Alltag? Dass Schichtsirenen oder Kirchenglocken punkt 12.00 Uhr aufheulen bzw. läuten, um die gedachte Hälfte des Tages anzuzeigen?

Aber, was ist dann schon genau? Manchmal geschieht dies etwas vor 12.00 Uhr, das andere Mal mit einer bestimmten Zeitverzögerung, die vielleicht der Mechanik geschuldet ist. In der Realität können wir es mit der Genauigkeit nicht so genau nehmen. Wahrscheinlich haben wir uns daher menschenweit, zumindest in Deutschland, verabredet, fast jeden Satz mit dem Schlusspunkt: genau! zu versehen.

Was ist das für eine Genauigkeit, die wir damit meinen? Ist es eine Form der Bekräftigung oder die Hoffnung, dass das auf die Reise geschickte Argument verstanden wird? Genau dies ist für mich völlig unklar. In einer Welt, wo fast alles ungefähr ist, bis auf vielleicht die Algorithmen, erscheint mir „genau“ wie eine Hilferuf, ein Strohhalm, an dem ich mich klammern kann, wissend, dass ich selbst nichts weiß und ich meine Unwissenheit dadurch mit anderen teile, dass ich diese mit „genau“ bekräftige.

Genau ist die Schwester von „alles klar“. Mit beiden Begriffen vermag ich die Lästigkeit des Verstehens abzuwimmeln, halte Nachfragen für überflüssig, fördere das Vergessen oder ermögliche inhaltsleere Tweets, Blogs oder Whats-App-Nachrichten. Was auch immer.

Mit ´genau´ und ´alles klar´ verlasse ich behänd irgendeine Aussage und eile zur nächsten, um schließlich völlig unbelastet das zu denken, zu machen oder zu fühlen, was mich eigentlich jenseits aller Genauigkeit und jenseits von Klarheit umtreibt. Ich bin wieder frei, zumindest bis zur nächsten Herausforderung. Genau. Alles klar? Hm.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

turn around

Wie wäre es damit, dass wir einmal ganz anders denken. Dies könnte so geschehen, dass nicht wir ein Geschäftsmodell haben, welches wir umsetzen wollen, um daraus für uns Profite zu ziehen, sondern das Modell von denjenigen bestimmt wird, die es angeht: den Mietern, den Pflegebedürftigen, den Verbrauchern und Erholungssuchenden, um nur einen Teil des potentiellen Klientels zu benennen.

Es geht mit anderen Worten um Stakeholder Value „first“, Shareholder Value „second“. Es geht darum, den Akteuren nicht nur ein ausgeformtes Duldungsrecht zu gewähren, sondern sie in das Zentrum des Handelns zu stellen. Wohnen, Essen, Trinken, Arbeiten und Kommunikation sind Primärrechte eines jeden Menschen, die er einfordern kann. Zurückzuweichen haben dabei sämtliche Profitinteressen derjenigen, die in der Lage sind, entsprechende Vorsorgen zu gestalten.

Im Shareholder-Kontext des Kapitalismus sind die Bedürfnisse der Menschen der Impuls für ein Geschäftsmodell, das in erster Linie nicht darauf gerichtet ist, diese Bedürfnisse zu befriedigen, sondern dies der Bedürfnisbefriedigung Gewinne zu erzielen. Viele halten ein solches Modell für alternativlos, weil sie glauben, dass nur dann Menschen bereit sind, etwas zu tun, wenn sie den Eigennutzen, den sie daraus ziehen, vorab kalkulieren können. Dabei schränken sie aufgrund Kurzsichtigkeit die Möglichkeit umfassendere Gewinne zu erzielen, erheblich ein.

Die vorbeschriebene Art der Gewinnerzielung geht oft einher mit Misstrauen, Argwohn und Konfrontation. In einer Verantwortungsgemeinschaft von Stakeholdern dagegen ist es durchaus denkbar, dass die Gewährung von Leistungen rekompensiert wird mit Anerkennung, Verlässlichkeit, Respekt und Ehrlichkeit, um nur einige Aspekte zu nennen. Die Vorteile liegen auf der Hand.

Von den Leistungserwartungen der Stakeholder aus gedacht, verringern sich die Reibungsverluste und werden im konkreten Fall zum Beispiel Abfall vermieden, Wohnraum erhalten, überhaupt eine sozialverträgliche Umwelt gestaltet. Hier wurde bisher wenig erprobt, und zwar deshalb, weil viele immer noch glauben, dass nur die Erwerbssucht der Menschen und das Versprechen eines lebseitigen monetären Zugewinns motivierend sein kann.

Dabei könnte ein Umdenken unerwartete Potentiale freisetzen, Abgrenzungen öffnen und zu einem Miteinander führen, das wir dringend benötigen, um Zukunftsaufgaben zu lösen, für die der jetzige Kapitalismus nicht geschaffen ist.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Inter-Journey II

Vor Jahrzehnten lernte ich, mich in meinem Körper zu bewegen und Kontakt aufzunehmen mit meinen Organen, insbesondere dann, wenn sie vorübergehend gestört waren. Ich nahm so Schmerzen in den Füßen wahr, begab mich mental dorthin, besprach die Situation und wir, also mein Bewusstsein und das Organ, fanden eine Lösung.

Inter-Journey beruht auf einem Bewusstseinstraining und es kann die Frage erlaubt sein, ob wir die Fähigkeit im Körper mit eigenen Organen Kontakt aufzunehmen nicht auch auf unser Bewusstsein, ggf. auf andere Lebewesen und die Natur insgesamt ausdehnen können. Wir sind in unserem Bewusstsein unbegrenzt und auch in der Natur und mit der Natur ein und dasselbe. Immerzu definieren wir aber unsere Grenzen und unsere Abgrenzungen, damit wir wohlgestaltet unser Leben in endlos erprobten Ritualen bewältigen können.

So wie viele es vermeiden, sich selbst in ihrem Körper zu begegnen und zum Beispiel mit dem Darm Kontakt aufzunehmen, nachdem wir gerade einen Doppelcheeseburger gegessen haben. So vermeiden wir auch, uns in das Tier hinein zu empfinden, was getötet werden musste, damit uns der Burger schmeckt. Es geht mir bei dieser Betrachtung gar nicht darum, für Vegetarier oder Veganer zu werben, sondern generell das Bewusstsein für die Vorgänge allgemein zu fördern und darauf zu drängen, dass wir durch Reisen in unser Inneres durch Wahrnehmung komplexer Zusammenhänge mehr erfahren, als nur einen Schmerz, ein Gefühl der Sättigung oder des Überdrusses. Es gilt, immer wieder etwas zu entdecken, vorzudringen in bisher nicht bedachte Räume, die mit einer entsprechenden Selbstermächtigung zu einer reflektierten Reise eröffnet werden können.

Natürlich erfordert dies Mut, weil auf dieser Expedition ins eigene Bewusstsein auch Unangenehmes zu Tage treten kann, aber insgesamt verschafft die Erweiterung von Erkenntnissen Freude und schließlich auch Glück.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Würde

Kaum ein Artikel des Grundgesetzes wird so viel bemüht, wie Artikel 1 GG: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Diese Bestimmung postuliert nicht nur den Abwehranspruch des Bürgers gegen den Staat und die Rechtsgewährung durch den Staat, sondern entspringt auch einem humanistischen Ideal, dass im Kollektiv die Würde jedes einzelnen Menschen zu erhalten ist.

Nichts ist dagegen zu sagen, aber was bei dieser Betrachtung vergessen wird, ist, dass der Mensch, dem die Würde zuteil wird, auch den Anspruch darauf erheben muss. Selten habe ich gehört, dass ein Mensch von sich sagt, dass er seine Würde beanspruche. Ein Mensch, der das tut, verlässt mit diesem Anspruch den Bereich der Zuweisung im gesellschaftlichen System und gefährdet dadurch die „väterliche“ Aufsicht.

Der seiner Würde bewusste Mensch beansprucht Teilhaberschaft, Freiheit und Verantwortung. Jede staatliche Zuweisung fordert zum Widerspruch auf und jede durch Sinn begründbare Einschränkung seiner Freiheit kann er annehmen oder ablehnen. Dies gilt im Übrigen nicht nur für das Verhältnis zum Staat, sondern auch im Verhältnis zu jeglicher Ideologie, Religion und sonstigen Lenkungsstrukturen.

Ein sich seiner Würde bewusster Mensch lässt eine Zuweisung als „abgehängt“ genauso wenig zu, wie die eine „Heuschrecke“ zu sein. Es ist vielmehr seine durch Verantwortung definierte Selbst- und Kollektivwahrnehmung, die sein Bewusstsein und sein Handeln bestimmt. Zweifellos ist ein sich seiner Würde bewusster Mensch schwerer zu manipulieren und zu steuern, als ein solcher, dem die Würde nur noch als Trostpflaster in einer ungerecht empfundenen und vom Konsum, Sozialhilfe und Hartz-IV bestimmten Gesellschaft verbleibt.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Wohnung

Nach meiner Auffassung wird die Geschichte des Wohnens völlig falsch erzählt. Die gängige Geschichte ist, dass es Eigentümer von Häusern oder Wohnungen gibt und diese als Vermieter Wohnungssuchenden ihre Wohnungen zur Nutzung auf Zeit überlassen. Das stellt die Wirkgeschichte des Wohnens eigentlich auf den Kopf. Betrachtet man den Vorgang richtig, ist der Handelnde nicht der Vermieter, sondern der Mieter, der zwecknotwendigerweise Dritte, wie den Eigentümer bzw. Vermieter benötigt, um seine Wohnbedürfnisse zu befriedigen.

Um das Vorhaben des Mieters umzusetzen, stellt sich die Frage, was andere leisten können, sollen oder müssen und was der Mieter selbst zu leisten im Stande ist, um seine Wohnbedürfnisse zu befriedigen. Dabei geht es auch um die Suche einer geeigneten Wohnung, Berücksichtigung spezieller Bedürfnisse und Interessen, um die zu zahlenden Entgelte, Finanzierung, Darlehen, Ausbau und Unterhaltung.

Es ist wichtig, wie die Geschichte des Wohnens in der Gesellschaft erzählt wird. Der Mieter ist nicht Bittsteller und der Vermieter auch nicht der Despot, sondern es handelt sich um eine Übereinkunft auf gesellschaftlicher Ebene, menschliche Grundbedürfnisse wie Wasser und Energie zu gewährleisten. Es geht aber auch um Glücksmomente, denn Wohnen, das nicht als Belastung empfunden wird und auch nicht in erster Linie der Profitgier von Vermietern dient, schafft Selbstbewusstsein, unternehmerische Bereitschaft und Zufriedenheit.

Wie die Gewährleistung von Bildung gehört auch die Gewährleistung von Wohnen zu den grundlegendsten Verpflichtungen unserer Gesellschaft und kann nicht allein vom Geld, Zufällen und vom Vermieter abhängig gemacht werden.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski