Recht erfährt erst dann seine Sachverhalte gestaltende Fähigkeit, wenn es von dem Adressaten als verbindlich angenommen wird, sich dieser also mit dem Rechtssetzenden verabredet, es zu beachten und umzusetzen.
Das setzt zunächst die Legitimität der rechtssetzenden Instanz voraus. Diese Legitimität gewinnt sie durch einen Prozess der gesellschaftlichen Verabredung, die formal und inhaltlich eine verbindliche Grundlage im Prozess der Rechtsgewährung und seiner Annahmen schafft.
Als Mittler sind Parlamente, Regierungen, Präsidenten, Versammlungen, Bürgerbegehren und Gerichte berufen. Dies aber nur dann, wenn die Art und Weise der Rechtsgestaltung auch dem Judiz der potentiellen Anwender entspricht. Erst dieses begründet die Bereitschaft, nach einem inzident erfolgenden Überprüfungsverfahren, mit den eigenen Erwartungen und einen Plausibilitätscheck, das angebotene Recht auch dann zu akzeptieren, wenn sich Unschärfen herausstellen sollten.
Judiz bedeutet, dass Recht nicht nur persönlich als vernünftig wahrgenommen wird, sondern zur kognitiven Erfassung auch das Rechtsempfinden sowohl individuell als auch kollektiv bedient werden kann. Das zwingt Rechtsgestalter stets zu einer schlüssigen Begründung, die mehr verlangt, als auf Tatsachen hinzuweisen oder auch eine etwa vorhandene Regelungsmacht auszuspielen.
Wird dieser Umstand, der unserer Selbstüberzeugungslogik entspricht, nicht beachtet, wird ein dissonanter Rechtsbefolgungszwang geschaffen und so statt einem selbstbewussten Rechtsbefolgungswillen eine persönliche sowie gesellschaftliche Schizophrenie hervorrufen. Dann ist zu erwarten, dass die Rechtsadressaten volatil auf jedes Gebot oder Verbot so reagieren, wie es eben die Machtverhältnisse erlauben. Durch die Erosion jeglicher Legitimität schiebt sich Opportunität an die Stelle des Rechts, bestimmt das Maß an gesellschaftlicher Verrohung und erodiert jegliche Bereitschaft, Geboten oder Verboten verantwortungsvoll zu entsprechen.
Hans Eike von Oppeln-Bronikowski