Selbst zu denken ist zuweilen langweilig, offenbar anstrengend, auf jeden Fall überflüssig. Wieso? Weil wir andere haben, die für uns denken, sogenannten „Think Tanks“, aber auch solche, die sich „Denkbank“ nennen. Es wird ausreichend für uns gedacht. Also sparen wir uns das Denken und stecken unsere Energie vielmehr in die Entgegennahme und die Verwertung des für uns Vorgedachten.
Ist das nicht auch anstrengend? Kann schon sein. Wir müssen das von anderen für uns Gedachte verinnerlichen. Zur Auswahl steht, was uns gefällt, aber auch das, was eher den anderen gefällt. Also treffen wir eine Auswahl mit dem „Like-Button“. Der Gedanke mit den meisten „Like-Klicks“ stimmt, „Hundert pro“!
Moment mal, ich habe da einen Einwand. Woher will denn mein Finger, wenn er den Like-Button berührt, wissen, welche Qualität der Gedanke, den er gerade anerkennt, hat? Haben etwa mein Finger und die Finger der anderen Like-Button-Berührer aufklärerische Fähigkeiten? Ja, es muss so sein, je mehr Finger zustimmen, desto richtiger muss ein Gedanke sein und wird damit verbindlich. Aber genug der Dystopie!
Ich kläre auf! Selbst zu denken ist weder langweilig, noch anstrengend. Selber denken kostet nicht nur Energie, sondern wird selbst zur Energie, wenn wir uns in den Wettstreit mit anderen Gedanken begeben, daraus Bereicherung erfahren und damit lernen, uns diesen anzupassen oder diesen zu widerstehen. Die Aufklärung vollzieht sich prozessual allmählich, wird gespeist von Informationen, der Konkurrenz vieler Ansichten und dem steten Ausgleich eigener und fremder Gedanken. Dabei weist nicht der abstrakte Gedanke die stärkste Qualität auf, sondern steht in Konkurrenz zu Gefühlen, die ebenso starke Argumente vorbringen können. Gedanken und Gefühle finden die für sie passende Bühne und ihre Werkzeuge im Schreiben, Reden und Handeln. Die Aufklärung findet statt, allerdings nicht in der scheinbaren Komfortzone des „Like-Buttons“.
Hans Eike von Oppeln-Bronikowski