Nicht nur in Testamenten werden vom Erblasser Vermächtnisse ausgesetzt, die dann sein Erbe zu verwirklichen hat, sondern auch jedes Bild, jedes Kunstwerk, jeder Text und auch jedes Zeichen stellt ein Vermächtnis seines Urhebers dar. Doch, was verkörpert dieses, welche Bedeutung ist darin verborgen und wer ist der Adressat seines Vermächtnisses?
Manche Vermächtnisse, also Zuwendungen, sind unkompliziert zuzuordnen, wenn der Adressat genannt wird, dies selbst dann, wenn der Adressatenkreis, wie zum Beispiel bei Kunstwerken und in der Literatur, sehr weit gefasst und anonym sein sollte. Wie verhält es sich aber mit höchstpersönlichen Gestaltungen, zum Beispiel Tattoos, Piercings, Ohrtunnel und anderen körpernahen Modellierungen?
Stellen auch diese Vermächtnisse ihren Urheber dar und welche Rückbezüglichkeit ist mit einem solchen Vermächtnis beabsichtigt? Wie verhält es sich mit einem selbstbestimmten Geschlecht, sei dies sexuell oder sozial, ist auch dies ein Vermächtnis und dann an wen gerichtet und aus welchem Grunde?
Vermächtnisse zeigen Wirkung, aber der Urheber will auch etwas Persönliches bewahren, wer sich schneidet oder tätowieren lässt oder ein anderes Geschlecht wählt, als demjenigen, dem er anzugehören scheint. Auf sich aufmerksam zu machen, sich zu verstecken oder sich zu verkleiden und ein ewiges Zeichen der Existenz zu setzen, all das dürfte diesem körperlichen Vermächtnis innewohnend sein. Aber es ist auch ein Akt der Solidarität mit denen, die ähnliche Vermächtnisse aussetzen und sich so ihre Einzigartigkeit und Vielfältigkeit in der Gemeinschaft mit anderen versichern.
Hans Eike von Oppeln-Bronikowski