Archiv des Autors: Sabine Büttner

Immobilien/Wohnen

Wohnen als ein Menschenrecht. Das erscheint heute schon als eine Selbstverständlichkeit. Schon seit längerem wird Fortschritt auch daran gemessen, dass wir das Richtige tun und damit Geld verdienen. Das gilt gleichermaßen für das Bauen und Vermieten. Daran hat sich nichts geändert. Aber, vielleicht hat sich geändert, dass neben Bauherrn und Vermieter der Mieter in den Fokus der Betrachtungen gerät als ein weiterer Stakeholder, der seine Stimme erhebt. Wie passen profitables und wirtschaftlich vernünftiges Bauen sowie Vermieterinteressen und Mieterinteressen an einer bedarfsgerechten Wohnung zusammen?

Um all dies auf einen Nenner zu bringen, ist es erforderlich und möglich, ESG und SDG zu beherzigen, Nachhaltigkeit hochzuhalten und so zu profitieren. Hilfereich ist dabei, den Raum für den Einsatz dieser Möglichkeiten neu zu denken, die Chancen zu nutzen und deren Potentiale voll auszuschöpfen. Ein Beispiel, das sicher uns allen geläufig ist: Eigentum symbolisiert eigentlich nur totes Kapital. Man muss also Verfügungsmacht besitzen, um mit Eigentum Geld zu verdienen.

Entschließen wir uns dazu, diese Verfügungsmacht zu teilen und davon zu profitieren, dass auch andere profitieren, so erweitern wir unsere Möglichkeiten des gewinnbringenden Einsatzes. Schon in der Vergangenheit hatten wir gängige Modelle der Zweckverwirklichung im Immobilienbereich, zum Beispiel Genossenschaften. Heute treten hinzu Stiftungen, Gesellschaften mit gebundenem Vermögen, auch Verantwortungseigentum genannt, oder auch hybride Konstruktionen, die Teil des Verwirklichungsprozesses selbst sind und zu multilateralem Profit beitragen.

Ich denke dabei zum Beispiel an Konstruktionen in der Verbindung mit Erbbaurechten, aber auch und das vor allem, an neue ganzheitliche Überlegungen, die etwas schlagwortartig mit „Quartierbuilding“ benannt werden können. Wie ist das zu verstehen, worin liegen deren Vorteile?

Zunächst in einem neuen, die Lebenssituation des Mieters erfassenden Vertrag zwischen diesem und dem Vermieter. Es soll bedarfsgerechter Wohnraum geschaffen werden, aber auch eine Verbindung von Bauen und Dienstleistungen und schließlich das Bauen an sich unter Berücksichtigung recycelbarer Materialien, von Verkehrswegen, Infrastruktur insgesamt, Flexibilität, Kostenoptimierung bei angestrebter Effizienz und sachgerechte Verteilung der Lasten. Es gibt hier kein umfassendes, allein seligmachendes Konzept, denn es gibt viele spezifische Standortbedingungen, die bei der Problemlösung berücksichtigt werden müssen. Aber, und dies ist ein entscheidender Treiber für solche Vorhaben: Das Quartier stellt eine bleibende Verantwortungsgemeinschaft dar, die Veränderungen, wechselnde Anforderungen und die Fluktuation von Mietern als zeitgemäß begreift und sich bereits bei der Entstehung darauf einrichtet. Stifterhäuser á la Fugger haben früher einmal ihren Sinn erfüllt, sind aber heute nicht mehr zeitgemäß.

Über alle möglichen Varianten dazu, Beispiele des Gelingens und neue Herausforderungen werden und müssen wir sprechen. Es geht mir aber um die Hinleitung zu einem der dringendsten Probleme unserer Zeit angesichts der Krisen, die uns u. a. Verkehr, Ressourcenverknappung und Energieprobleme bescheren. Sie fordern uns dazu auf weiterzugehen und Chancen gerade in einer angestrengten, aber auch durch Herausforderungen veränderbaren Welt zu sehen.

Unterschätzen wir dabei weder die Möglichkeiten, noch die Schwierigkeiten. Gehen wir diesen Weg und gerade viele junge Menschen tun dies, indem sie tätigem Handeln den Vorzug vor Venture Capital und Exitstrukturen geben. Sie fordern zu recht den Staat heraus, der sich – teilweise sicher aus gutem Grund – auch für zuständig hält, aber aufgrund von Bürokratien, Steuerregimen, stadtplanerischen Einschränkungen und Vergabeproblemen Schwierigkeiten damit hat, die notwendige grundsätzliche Orientierung des Menschen für seine und vor allem auch die Zukunft seiner Kinder in einem Plan orientierungsfest zu gestalten.

Deshalb müssen wir unsere Kinder schon früh als Träger von Rechten mit einbinden, aber auch die Eltern, denn Elternbildung schafft Kinderbildung. Der Bildungsauftrag, der in den zu schaffenden Quartieren verwirklicht werden soll, ist essentiell für die gedeihliche Zukunft dieser sowohl Pflicht- als auch Verantwortungsgemeinschaft. Zu den Infrastrukturmöglichkeiten eines Quartiers gehören neben Bildung auch die historisch bewährten Aufgaben, das Arbeiten, das Denken und das Handeln, also auch den Beruf sowie Sport und Freizeit mit dem Wohnen zu koordinieren.

Allerdings muss bei aller Euphorie für eine umfassende Wohn-, Lebens- und Arbeitssituation auch darauf geachtet werden, dass die Offenheit, d. h. der Zuzug anderer Menschen und Veränderungen im Wohnverhalten gewährleistet bleiben, ja, sogar gefördert werden. Die Kommunikation der Quartiere untereinander und ihre Fähigkeiten, sich nicht nur konzeptionell, sondern auch mit Wohnungstausch etc. neue Möglichkeiten zu schaffen, ist dabei ein Gradmesser für das Funktionieren eines solchen Konzeptes. Je mehr „Working Places“, Ateliers und sonstige das Leben beeinflussende Lösungsangebote auch im Bereich Kultur, Pflege und Bildung derartige Quartiere aufweisen, umso einfacher wird sein, die Gemeinschaft lebendig zu gestalten, zu bewahren und so auf Dauer friedlich miteinander umzugehen.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

German Angst

Angst war oft schon Gegenstand meiner Betrachtungen in Blogbeiträgen. „German Angst“ noch nie. Wieso? Vermutlich deshalb, weil „German Angst“ ein Begriff ist, den andere als Ausdruck für unsere Befindlichkeit als Deutsche geprägt haben, wir aber uns diesen nicht zu eigen machen wollen oder können. Der Begriff „German Angst“ strahlt etwas Befremdliches aus, etwas, das geeignet ist, uns verächtlich zu machen und unsere Schwierigkeiten, mit der Welt zurechtzukommen, als verwunderlich beschreiben soll.

Unsere Angst vor allem bietet gleich auch das deutsche Gegenmittel: „Hab dich doch nicht so!“ Wie es mit den Ängsten anderer Menschen weltweit bestellt ist, weiß ich, wie viele Deutsche, auch nicht. Es gibt sicher Ängste, die alle Menschen teilen und die mit Armut und Umweltzerstörung in Verbindung gebracht werden können, um nur zwei herausragende Themen zu nennen.

Bei Asterix und Obelix gibt es die stete Angst, dass einem das Dach auf den Kopf fallen könnte. Bei uns scheint es so, als gäbe es vor allem eine Art Angst, die durch mangelndes Zutrauen in die eigenen Fähigkeiten hervorgerufen wird. „The German Angst“ scheint also vor allem eine allumfassende Angst zu sein, die allerdings im Einzelfall wieder gebändigt und überwunden werden kann.

Sie beruht auf hoher Sensibilität, aber auch Erfahrungswissen. So oft und so leicht wurden die Deutschen schon Opfer ihrer eigenen Hybris. Sie glauben, dass sie sich keine weiteren Fehler leisten können und schicken daher ihre Angst vor, damit sie mögliche Irritationen schon von vornherein ausräumt.

Gelingt das? Ich habe da meine Zweifel. Ich glaube, dass Zuversicht, Unbekümmertheit und Mut, die Gefahren erkennen, einkalkulieren, aber nicht Besitz und Seele und Geist ergreifen lassen, viel bessere Ratgeber sind, als Angst, die schließlich danach trachtet, etwas zu verhindern, anstatt es zu ermöglichen. So aber kann weder persönlich, noch gesellschaftlich eine vertrauensvolle Zukunft gestaltet werden. Die Zuversichtlichen, die meinen, dass schon immer alles gut gegangen sei, haben wahrscheinlich recht. Wer wagt, gewinnt, oder?

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Zumutung

Stellen wir uns vor, es gäbe nur einen einzigen Menschen auf dieser Welt, ganz klar, niemand könnte dessen Existenz bezeugen. Er würde leben, als sei er nicht geboren. Dies schon deshalb, weil er machen könnte, was er will und niemand wäre in der Lage, dies zu sehen, zu hören und zu spüren. Der einzige Mensch müsste keine Rücksichten nehmen, weil Rücksicht die Anwesenheit zumindest eines weiteren Menschen voraussetzt. Diesen einzigen Menschen gibt es also nicht. Das wissen wir genau.

Wir sind viele und sehen, hören und spüren den anderen Menschen. Wir erfahren, was dieser macht, beruflich und privat, zum Beispiel grillen, Technobeat hören und feiern. Wenn wir dies alles auch und möglichst zur gleichen Zeit wollen, ist alles in Ordnung, gibt es keine Probleme, denn es herrscht Übereinstimmung bei den Wünschen, Zielen und deren Verwirklichung. Wenn wir aber nicht wollen, was ein anderer will, ist es eine Zumutung.

Zumutungen entstehen dadurch, dass ein anderer Mensch so handelt, als sei er, entgegen aller möglichen Wahrnehmungen, alleine auf der Welt, womit auch jegliche Notwendigkeit der Rücksichtnahme entfalle, weil niemand einen hört, sieht oder fühlt. Obwohl uns die Absurdität dieses Vorhabens geläufig ist, kommt es oft zu den beschriebenen Zumutungen, weil viele, ja die meisten Menschen so handeln, als seien sie allein auf der Welt.

Dabei bräuchten sie sich nur umzuschauen, um ihren Irrtum zu erkennen. Aber, es ist kein Irrtum, nein, sie wissen sehr wohl Bescheid, aber sie tun dennoch so, als seien sie allein auf der Welt. Sie trauen sich dies, weil alles andere, d. h. auch die anderen Menschen, ihnen völlig egal sind, weil sie keine Rücksicht nehmen wollen, weil sie, nein nicht nur sie, sondern auch alles beherrschen wollen, das Ohr, die Nase, den Mund, den Verstand, das Gefühl und das Gemüt eines anderen Menschen.

Das Motto: Ich kann machen, was ich will, auch mit den anderen Menschen. Aber die sollen bloß nicht kommen, wehe! Wer mich hindern will, der kriegt Krieg! Rücksicht ist nicht meine Sache, man wird doch noch seinen Spaß haben dürfen. Meine Ansprüche lasse ich mir nicht nehmen. Wenn sich irgendjemand gestört fühlt, dann soll er gehen.

Wohin? Das ist mir doch egal!

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Vermächtnis

Nicht nur in Testamenten werden vom Erblasser Vermächtnisse ausgesetzt, die dann sein Erbe zu verwirklichen hat, sondern auch jedes Bild, jedes Kunstwerk, jeder Text und auch jedes Zeichen stellt ein Vermächtnis seines Urhebers dar. Doch, was verkörpert dieses, welche Bedeutung ist darin verborgen und wer ist der Adressat seines Vermächtnisses?

Manche Vermächtnisse, also Zuwendungen, sind unkompliziert zuzuordnen, wenn der Adressat genannt wird, dies selbst dann, wenn der Adressatenkreis, wie zum Beispiel bei Kunstwerken und in der Literatur, sehr weit gefasst und anonym sein sollte. Wie verhält es sich aber mit höchstpersönlichen Gestaltungen, zum Beispiel Tattoos, Piercings, Ohrtunnel und anderen körpernahen Modellierungen?

Stellen auch diese Vermächtnisse ihren Urheber dar und welche Rückbezüglichkeit ist mit einem solchen Vermächtnis beabsichtigt? Wie verhält es sich mit einem selbstbestimmten Geschlecht, sei dies sexuell oder sozial, ist auch dies ein Vermächtnis und dann an wen gerichtet und aus welchem Grunde?

Vermächtnisse zeigen Wirkung, aber der Urheber will auch etwas Persönliches bewahren, wer sich schneidet oder tätowieren lässt oder ein anderes Geschlecht wählt, als demjenigen, dem er anzugehören scheint. Auf sich aufmerksam zu machen, sich zu verstecken oder sich zu verkleiden und ein ewiges Zeichen der Existenz zu setzen, all das dürfte diesem körperlichen Vermächtnis innewohnend sein. Aber es ist auch ein Akt der Solidarität mit denen, die ähnliche Vermächtnisse aussetzen und sich so ihre Einzigartigkeit und Vielfältigkeit in der Gemeinschaft mit anderen versichern.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Kriegslogik

Dass es mit dem Morden in der Ukraine zu Ende geht und dieses Einhalten die Rückkehr unserer Energiesicherheit gewährleistet, dürfte ein weit verbreiteter Wunsch in Deutschland sein. Es besteht folglich zur Zeit ein „Hoch“ für diplomatisch diplomierte Meinungsbürger, die Waffenstillstand und Frieden fordern und dabei freigiebig fremdes Gut, also die Ukraine, verteilen wollen. Die Krim soll ohnehin bei Russland verbleiben, denn dieses entspricht den Verhältnissen.

Sie kann also weg, der Donbass scheint eher russisch zu sein oder sowjetisch, zudem Industriegebiet, also schmutzig, undurchsichtig, bedenken wir also den Klimaschutz und die künftigen Anstrengungen, diesen zu erhalten bzw. wieder aufzubauen, sollen doch die Russen den Ärger haben, der Donbass kann weg. Die Westukraine war diese nicht vielleicht auch ein bisschen österreichisch?! Das behalten wir, aber da wir noch nicht genau wissen, wie dieses „behalten wir“ aussieht, bevorzugen wir die Sicherung durch Schaffung eines UN-Mandatsgebiets, einer Sonderzone, einem Puffer. Die Welt kann sich dann darum kümmern, aber endlich wird es wieder Frieden geben.

Die so reden, sind keine Zyniker, sondern Menschen, die schlicht ihre Interessen vertreten und dies bar jeglicher Erkenntnis und in völliger Ahnungslosigkeit tun, aber ihren Gefühlen vertrauend. Sie verkennen allerdings dabei, dass der Kriegsherr Putin der erste Beamte eines autoritären russischen Staates ist, dessen Macht durch Strukturen, die er selbst mit geschaffen hat, gefestigt wurde. Nicht Ideologien oder Terror sind Putins Herrschaftsinstrument. Er ist weder Stalin, noch Hitler.

Auch wenn der eine oder andere Russe ihn vergöttern mag, darauf wird er sich nicht verlassen können, sondern allein auf seine Polizei, die willfährige Justiz und das Militär. Seine Macht ist strukturell verankert und daher schwer auflösbar, weil hierfür die Zustimmung der in den Strukturen handelnden Personen erforderlich wäre. Werden sie aber ihre Zustimmung erteilen und, wann werden sie dies tun?

Wahrscheinlich dann, wenn sie sehen, dass Putin scheitert, wenn sie sehen, dass der Ukrainekrieg auf einer Fehleinschätzung ihres Kriegsherrn und seiner Gefolgschaft beruht, dann, wenn sie erhebliche Nachteile erleiden und die Jugend keine Perspektiven mehr für sich erkennt. Narrative sind beliebig oft und vielfältig erzählbar, aber werden die Strukturen Russlands beschädigt, ist Putin am Ende.

Einen Waffenstillstand und ein verkündeter Friede spielt Putin dagegen in die Hände und stärkt seine Position. Solange Putin die Sinnlosigkeit des von ihm entfesselten Krieges nicht wahrnimmt und entsprechend handelt, geht das mörderische Spiel weiter, augenblicklich noch in der Ukraine, aber dann vielleicht auch in Estland und Litauen, wer weiß?

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Krieg

Meine Mutter, die zu Beginn des 2. Weltkrieges gerade 17 Jahre alt geworden war, erzählte mir von ihren Wahrnehmungen an jenem Tag, an dem die deutsche Wehrmacht auf Befehl Hitlers Polen überfiel und damit diesen mörderischen 2. Weltkrieg auslöste. Es war, so sagte sie, ein strahlend schöner Tag und dann weiter: „Ich ging mit meinen Freundinnen ins Strandbad Wannensee. Das Wetter war herrlich und wir hatten viel Spaß miteinander.“ Meine Mutter war damals einfach ein junges Mädchen, das Spaß haben wollte, naiv und erwartungsfroh auf das Leben, frei von jeder Vorstellung, was dieser Überfall einmal auch für sie bedeuten werde.

Dieses Bild der vergnügten jungen Frauen beschäftigt mich und findet seine Deckung mit Bildern aus Odessa und anderen Städten der Ukraine, aber selbstverständlich auch Russlands: lachende, tanzende, übermütige und sich des Lebens freuende junge Menschen. Kann dies angesichts des Schreckens sein? Ja, so meine ich, das kann es und macht Hoffnung, Hoffnung auf Leben, denn diese jungen Menschen sind nicht für den Tod geboren worden. Der gewaltsame Tod, der ihnen drohen könnte, ist ein ungeheures Verbrechen, Verrat an dem ihnen gegebenen Lebensversprechen.

Ihr Lachen und Frohsein angesichts des Schreckens stellt eine Anklage gegen diejenigen dar, die Kriege beginnen und führen. Ihr Lachen entlastet uns allerdings nicht, sondern macht die Bürde noch schwerer, als sie ist, wenn wir uns unserer Schuld bewusst werden. Erinnern wir uns: Kriege können wir nur führen, weil wir geboren wurden, Mütter uns genährt und uns Raum zur Entfaltung und Erprobung unserer Fähigkeiten gegeben haben.

Wir wurden, was wir sind, mit Hilfe und Unterstützung unserer Eltern und anderer Menschen, die mit uns lachen, feiern und dafür gesorgt haben, dass unsere Bedürfnisse gestillt werden. Jetzt aber, da wir erwachsen geworden sind, halten wir uns, zumindest einig von uns, in der Rolle von Tätern und deren Unterstützer für berechtigt, das Leben anderer Menschen, z. B. der Jugendlichen, die wir doch einmal selbst waren, zu zerstören.

Wie ist das möglich, wo ist da die Logik? Die Jugendlichen haben recht, wenn sie uns auslachen, wenn sie lachen, weil sie mächtiger sind, als wir, „die Täter“. Sie lachen uns ins Gesicht, sie lachen uns aus, weil sie leben wollen und dabei wissen, dass auch wir bald tot sein werden, ihr Tod uns also keine Vorteile, kein ewiges Leben verschafft.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Authentizität

Wir werden überschwemmt von Nachrichten, Botschaften politischen und wissenschaftlichen Inhalts, werden informiert über Erkenntnisse in der Biowissenschaft, der Klimaforschung, der fortschreitenden Digitalisierung unserer Welt.

Eine Fülle von Informationen bemächtigen sich unserer Gedanken und Gefühle, erfahren eben genau durch unsere Wahrnehmung ihre Authentizität. Ohne uns und unsere Wahrnehmung wären alle Informationen völlig nutzlos, es sei denn, wir favorisierten den Informationsaustausch künstlicher Intelligenzen unter gleichzeitigem Verzicht auf jede menschliche Einmischung.

Ich bin allen medialen Formaten dankbar, die zwar meist nicht zielgerichtet, aber opulent im Angebot meine Wahrnehmungsbedürfnisse zu stillen versuchen. Auch wenn der Hunger nach noch mehr Informationen ständig wächst, vernetze ich mich so mit allem Wissen, das wiederum meine Zellen in Schwingungen versetzt, das Feuer in meinem Gehirn so zu entfachen vermag, dass ich den Wunsch verspüre, Blogbeiträge zu schreiben. Diese Blogbeiträge sind bereits Verarbeitungsprodukte meinerseits aus vorgekauten und verarbeiteten Produkten Anderer.

Primäre Informationsbedürfnisse werden durch meine Blogbeiträge nicht gestillt, aber möglicherweise Informationen aus der Aufbereitung von Gedanken und Gefühlen weitergegeben, die geeignet sein können, einen potentiellen anonymen Adressaten seinerseits zu Erkenntnissen zu verhelfen. Wenn ich von Organoiden höre und von Optogenetik lese, verstehe ich natürlich nur das, was ich lesen und begreifen kann, aber meine Einschätzungen sind dennoch Botschaften der Begeisterung oder der Angst, die beeinflussend wirken können.

Deshalb scheint es mir wichtig zu sein, das Leben als Lernprozess zu begreifen und sich zuweilen auch in Blogbeiträgen auszudrücken, und zwar selbst dann, wenn man davon ausgehen muss, dass die meisten Beiträge von Suchmaschinen angeklickt werden. Aber selbst dann, wenn niemand meine Beiträge lesen würde – was offenbar nicht stimmt – bleibt festzustellen, dass jeder – also auch jeder nicht offensichtlich wahrgenommene Gedanke – das gemeinsame menschliche Gedächtnis zu bereichern in der Lage ist. Deshalb werde ich weiter schreiben, aus Pflichtgefühl.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Fragen

Wieso, weshalb, warum, wer nicht fragt, bleibt dumm! Wer kennt nicht diesen eindringlichen Appell aus der Sesamstraße? Kinder wissen zu fragen. Ihre Fragen sind wie kleine Torpedos. Sie durchlöchern uns. Sie reihen Fragen an Fragen, bis wir oft nicht mehr weiterwissen, erschöpft sind, aber die Kinder keineswegs.

Mit Fragen erschließen sie sich ihr Leben, diese Welt und sie sind sparsam mit Antworten. Irgendwann dreht sich der Wind. Statt Fragen nun Aussagen, Behauptungen, Meinungen. Die Kinder sind damit in der Erwachsenenwelt angekommen und genießen ihre Deutungsmacht. In allen Etappen des Erwachsenwerdens wird diese rigoroser, tatsächlich wissend oder auch rechthaberisch.

Dies geht einher mit einer sich entwickelnden Fraglosigkeit, die allerdings kaum geeignet sein dürfte, um neue Erkenntnisbereiche zu erschließen. Wer nicht fragt, bleibt dumm. Wie auch das frühe Kind sollte sich der Erwachsene nicht scheuen, seine Berufs- und Privatwelt mit Fragen um Antworten zu bitten, die wieder Fragen auslösen können mit dem Ziel, nicht nur den eigenen Horizont zu erweitern, sondern auch andere an Findungsprozessen teilnehmen zu lassen. Ein fragender Mensch zeigt auch, wenn seine Frage nicht nur rhetorisch gemeint war, Interesse an anderen Menschen, dessen Wissen und Meinungen.

Ein sich stets nur selbst veröffentlichender Mensch erfährt kaum Neues, sondern verharrt ggf. mit den Parallelmeinungen anderer in seiner Blase. Fragen hingegen erweitern Erkenntnismöglichkeiten, stärken das Wissen und vermitteln Bildung. Es ist richtig, dass Fragen viel anstrengender sind als Antworten, da der Fragende sich auf eine Antwort konzentrieren muss. Fragen setzen Verständnis voraus und dieses Verständnis muss geübt sein.

Das, was Kindern so leichtfällt, müssen wir fragenden Erwachsenen wieder lernen. Wir müssen lernen, die Antwort auf unsere Frage nicht vorwegzunehmen, sondern auf diese zu warten, sie zu begutachten, zu prüfen und einzufügen in unser Menschen- und Weltbild. Sind wir Erwachsenen dieser hochkomplexen Herausforderung gewachsen? Fragen wir doch bei bester Gelegenheit einmal bei den Kindern nach.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Woke

„Wokeness“ heißt eine neue Internetherausforderung. Ist dies eine Erwachungsbewegung, abgeleitet von „Awake“? oder verbirgt sich dahinter „Awareness“? Alles nicht ganz klar, aber der Bereich der Möglichkeiten ist groß. Es scheint darum zu gehen, sich seiner eigenen Empfindlichkeit bewusst zu werden und diese Empfindlichkeit bei sich und anderen zu verteidigen und dabei sämtliche Ungerechtigkeiten, die der Seele, dem Körper und dem Geist zugefügt werden könnten, aufzudecken und zu verfolgen.

Welchem Maßstab aber folgt die eigene Integrität? Muss ich mir meiner eigenen Unfehlbarkeit bewusst sein, um die Fehler anderer aufzuspüren? Es ist biblisch überliefert, dass, wer den Splitter im Auge des Bruders sieht, aber den Balken im eigenen Auge nicht, seine eigene Anklage gefährdet. Ist das nicht ein generelles Problem sämtlicher Rechthaber? Darf es auf der anderen Seite dem Beschuldigten gelingen, sein Fehlverhalten damit zu erklären, dass auch vor allem der Andere schuld sei?

Das ist ein schwieriges Unterfangen und fordert von jedem Bezichtigenden den verantwortungsvollen Hinweis ab, sich nicht generell über den anderen erheben zu wollen, sondern lediglich einen Umstand zu benennen, der gemessen an der jedem Menschen zustehenden Integrität problematisch oder nicht hinnehmbar sei. Dieser Balanceakt ist schwierig und kann nicht gänzlich bewältigt werden. Nachsicht und Demut sind die unerlässlichen Wegbegleiter jedes Anzeigenden.

Auf keinen Fall kann jemand selbst Richter dessen sein, was er zu Gehör bringt, sondern die Verantwortung muss geteilt bleiben. Die Mediation und die Verhandelbarkeit müssen möglich sein. Was ein Mensch tut, ist offensichtlich, aber, was er empfindet oder denkt, kann nur durch Verständnis ergründet werden. Verständnis bedeutet nicht Billigung, sondern die Bereitschaft zu verstehen, und zwar auch dann, wenn eine Akzeptanz nicht möglich ist.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Gender

Die Genderisierung unseres Lebens ist schon eine merkwürdige Angelegenheit, die mich beeindruckt, weil ich sie begreifen, aber nicht verstehen kann. Ich bin nicht „etwas“ und habe bei aller Selbstbetrachtung bisher nicht erkannt, dass ich gattungsmäßig sämtlichen Zuständen zu entsprechen habe. Dabei ist dies, so entnehme ich den Anforderungen, keine Entscheidung meinerseits, sondern verpflichtend und soll mittels der Sprache so auf mich einwirken, dass ich mich zumindest als Teil eines Ganzen empfinde.

Die Sprache ist dabei nur das prozessuale Mittel, um zu erreichen, dass wir alle nicht nur respektvoll miteinander umgehen, sondern uns auch nicht aussondern. Zu begreifen ist dabei allerdings wenig, dass in der Regel in Medien nur von dem Verbrecher oder dem Täter gesprochen wird und Verbrecherin nicht präsumtiv, sondern nur dann vorkommt, wenn im Einzelfall dies zur Debatte stehen sollte. Vielleicht handelt es sich hierbei um einen nicht abgeschlossenen Lern- oder Verstetigungsprozess.

Auch, wenn fast schon ermattet der Hinweis erfolgt, dass ein Student oder eine Studentin etwas anderes sei, als ein Studierender, weil Letzteres eine Tätigkeit darstelle, also prozessual wirke, trägt dies nicht zur Einschränkung des aufgenommenen Korrektureifers bei. Sprache ist sicher zum Gebrauch dar, aber stellt auch eine Herausforderung dar, über Sachverhalte nachzudenken, wie zum Beispiel über Denkmäler. Es ist vom Wachstum der Sprache die Rede und ihre Einzigartigkeit, die einem gesellschaftlichen Konsens entspricht. Besteht für das Gendern ein gesellschaftlicher Konsens? Ich weiß es nicht.

Wir müssen uns allerdings kritisch damit auseinandersetzen, welche Verluste damit einhergehen können, dass wir nicht nur die gegenwärtige Sprache, sondern auch all das, was bisher schon gesagt wurde, versuchen zu korrigieren, ungeschehen zu machen oder so zu verändern, dass es den gegenwärtigen Genderverpflichtungen entspricht. Bisher muss ich erkennen, dass die Anpassungsbereitschaft nicht Halt davor macht, bereits veröffentlichte Texte von der Genderisierung zu verschonen. Bisher konnte ich aber nicht feststellen, dass auch Gedichte in den Bannstrahl der gendergerechten Betrachtung gelangt sind.

Dies könnte sich ändern, zum Beispiel bei dem „Zauberlehrling“ von Johann Wolfgang Goethe, weil nicht einzusehen ist, dass es sich um einen Zauberlehrling und nicht um eine Zauberauszubildende handelt. Der Hexenmeister ist selbstverständlich auch eine Hexenmeisterin und in der vorletzten Strophe des Gedichts könnte man auch texten:

Herr*in und Meister*in! hör mich rufen! –
Ach, da kommt der/die Meister*in!
Herr*in, die Not ist groß!
Die ich rief, die Geister
Werd ich nun nicht los.

Auch Matthias Claudius würde mit seinem „Abendlied“ nicht ungeprüft davonkommen, und zwar schon deshalb, weil er nur Brüder und keine Schwestern kennt, nur einen kranken Nachbarn und keine kranke Nachbarin. Ich versage mir hier, viele weitere Beispiele aufzulisten, denn sicher wird bald eine engagierte Arbeitsgruppe sich auch die Gedichte vornehmen, was ich insofern als überaus erfreulich empfinde, als dass die Korrektur auch stets mit der Lektüre einhergeht und in Zeiten, in denen Gedichte kaum noch rezipiert werden, so eine Renaissance ihrer Wahrnehmungen geschieht.

Aber: Noch eins aus Kurt Tucholsky „Augen in der Gross-Stadt“:


Es kann ein Feind*in sein,
es kann ein Freund*in sein,
es kann im Kampfe dein(e)
Genosse*in sein.
Es sieht hinüber
Und zieht vorüber …
Zwei fremde Augen, ein kurzer Blick,
die Braue, Pupillen, die Lider.
Was war das?
Von der großen Menschheit ein Stück!
Vorbei, verwehrt, nie wieder.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski