Archiv der Kategorie: Soziales

Hier finden Sie meine Gedanken, Ideen und Anreize zu gegenwärtigen und vergangenen sozialen Themen, die mich und meine Umwelt bewegen.

Von der Hand gesprungen

Tod, wo ist Dein Stachel, heißt es beim ersten Korinther 15, Vers 15. Tod, wo ist Dein Sieg heißt es weiter. Egal. Tod ist Ende, aus. Rien ne va plus. Stillstand. Kein Herzschlag mehr, keine Hirnaktivitäten, keine Transaktionen sind mehr möglich; alles ist vorbei, nachwirkend nur Gefühle, Gedanken von Mitmenschen und Testamente.

Das Leben ist von der Hand gesprungen, wie die Schriftstellerin Rosemarie Bronikowski meint. Alle Lebensaufregungen haben zu einem Ende gefunden, aber waren sie vergeblich? Keineswegs. Bei Psalm 90, Vers 12 steht: „Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden.“ Wir müssen das Leben mehr vom Ende her denken, begreifen, dass die Ausbildung, die wir im Leben erfahren, wichtig dafür ist, dass wir am Schluss loslassen können.

Ein in der Selbstausbildung noch unvollendeter Mensch stirbt und hinterlässt meist eine Unordnung, die vergiftend nachwirken kann. Nicht Erbschaftsteuer und Verteilungsgerechtigkeit beim Nachlass erhält das Andenken an den Verstorbenen und den Sinn seines Lebens aufrecht, sondern seine Fähigkeit beizeiten, das Materielle von dem Immateriellen zu trennen und seinen nächsten Angehörigen und der Welt etwas zu hinterlassen, was das Leben wirklich ausmacht: Liebe, Schönheit und Demut.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Das Leben ist schön

Der bemerkenswerte Titel des Filmes von Roberto Benigni erinnert uns daran, das Leben trotz aller widriger Umstände mutvoll anzunehmen und uns dadurch zu bewähren. Das ist schnell gesagt, aber schwer getan. Vieles stinkt uns, wir sind genervt vom Wetter, dem Verkehr oder unseren Nachbarn. Wir haben zu wenig Geld, fühlen uns krank, übergangen, überhaupt schlecht behandelt. Die Liste der Befindlichkeiten, zu denen wir fähig sind, ist kaum zu erstellen.

Die meisten Befindlichkeiten sind dabei negativ besetzt. Es geht uns schlecht und das Leben ist überhaupt nicht schön. Wenn das alles so ist, warum leben wir dann und wie leben wir? Wir leben, weil wir geboren wurden. Wir haben uns das nicht ausgesucht. Auch wenn wir heute missmutig sind, so haben sich doch in den allermeisten Fällen bei unserer Geburt unsere Eltern über uns gefreut. Wir haben uns auch gefreut zu leben und dies durch alle zutraulichen Aktivitäten bei Aufnahme der Muttermilch bis zum Nachplappern des Gehörten zum Ausdruck gebracht.

Unsere Kindheit war meist schön, es sei denn, wir wurden systematisch unterdrückt und schlecht behandelt. Was hat dazu geführt, dass wir den Glauben an das Schöne am Leben auf der Strecke lassen? Die äußeren Umstände sind dies zwar auch, vor allem aber unsere eigene Ein­stellung, die routiniert schlechte Vorkommnisse addiert, die guten aber wie selbstverständlich aussondert. Wir sind auf das Unschöne fixiert. Missmut und Kritik kommt uns leicht über die Lippen, weniger aber Anerkennung und freudvolle Zustimmung.

Damit uns das Leben aber nicht nur zeigt, was es versagen kann, ist es erforderlich, dass wir es willkommen heißen, seine Schönheit behaupten, um dann den Beweis als Belohnung für unsere Zuversicht zu erfahren.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Planlos

Wir stehen kurz vor dem Wahljahr 2017. Die Kanzlerin hat erklärt, dass sie alles reiflich be­dacht hätte und nun doch entschlossen sei, als Kanzlerkandidatin 2017 anzutreten. Sie scheint alternativlos zu sein, aber Freude kommt nicht auf. Unbestritten sind die Verdienste Angela Merkels um Deutschland.

Es ist nicht wichtig, ob ein Politiker alles richtigmacht, wichtig ist allein, dass er bereit ist zu handeln und dies verantwortlich. Ich meine, dass Angela Merkel dies in aller Unaufgeregtheit sehr gut für Deutschland getan hat.  Deutschland hat an Ansehen durch sie gewonnen und blieb wirtschaftlich erstaunlich stabil, trotz aller die Wirtschaft belastenden Entscheidungen, wie beispielsweise den Ausstieg aus der Atomenergie oder internationale Verwerfungen.

Keiner hat Grund, sich aufzuregen, insbesondere nicht darüber, dass sie angeblich Immigranten in unser Sozialsystem geholt habe. Das sind diese Sorten von Lügen, die heute als Wahrheit verpackt eine die Politik lähmende Kraft entfalten könnten. Vielleicht ist es so gewollt und die mehrheitlich sich Ereifernden können vielleicht noch Verstärkung aus den USA erhalten. Von den USA zu lernen, kommt anscheinend wieder in Mode, wer hätte das gedacht.

Würde ich jetzt „keiner“ behaupten, wäre dies falsch. Wir haben das alle so gedacht. Eine Gesellschaft kann gut oder schlecht verwaltet werden. Sie ist sicherungsbedürftig, aber nicht krisenfest. Da könnte ein Problem zu Tage treten: Wir haben keine Pläne. Wir haben keine Pläne, an denen sich eine Regierung orientieren könnte. Wir haben keine Pläne, die Grundlage unseres gesellschaftlichen Handelns insgesamt sein müssten. Es gibt noch nicht einmal Vorschläge für Pläne, die dann diskutiert und in einem Contrat Social mit der Gesellschaft festgeschrieben werden könnten. Wir haben allenfalls liquide Handlungsperspektiven, die je nach Opportunität wieder zur Disposition gestellt werden. Erscheint die dem Chamäleon verwandte Anpassungsfähigkeit der Politiker auch auf den ersten Blick als sehr attraktiv, kann doch nicht übersehen werden, dass bei einer Vervielfachung unterschiedlichster Meinungen und Proteste eine Kakophonie entsteht, die die Gesellschaft insgesamt lähmt. Wir müssen wissen, was wir wollen und dürfen, die Deutungshoheit hier nicht linken und rechten Gruppierungen überlassen, die wohlfeil Pläne vorlegen, deren Realisierung allerdings an der Wirklichkeit scheitern werden.

Der Austritt aus der Nato ist ebenso unsinnig, wie Ausländer wieder vor die Tür zu setzen und schon gar nicht reinzulassen. Eine Gesellschaft, die nur noch gefühlt lebt, aber nicht mehr wirklich, ertrinkt in ihrer Gefühligkeit, anstatt sich selbst durch planvolles Handeln herauszufordern. Geht nicht, gibt es nicht.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Über dem Niveau

Auf Dauer ist das derzeitige Rentenniveau nicht zu halten. Darin sind sich Experten und Politiker einig. Statt die öffentliche Hand sollen Betriebsrenten richten, was der Generationenvertrag nicht mehr zu bieten vermag. Generationenvertrag? Dieses als sinnvolles Instrument der Rentensteuerung einmal erdachte Konstrukt taugt nicht mehr. Tatsächlich leeren sich die Rentenkassen und ein Versprechen in die Zukunft ist nicht mehr zu halten, sondern jeder ist sich selbst auch persönlich der Nächste, die Alten wie die Jungen, gesellschaftlich und privat.

Eine Solidargemeinschaft zu fordern, aber sie dennoch nicht zu bekommen, verschärft die ohnehin dramatische Situation. Worte reichen nicht. Gibt es tatsächlich Alternativen? Vielleicht die Einrichtung einer Generationenbank als Pflichtsparkasse. Das Programm lautet: Du bekommst, was Du zu Lebzeiten eingezahlt hast, sei es an erbrachten Eigenleistungen, sei es an Geld. Du kannst abheben, wenn Du Leistungen benötigst. Zum Beispiel hast Du Leistungen erbracht, die entsprechend bewertet werden und die als Rentenverstärkung nützen, wenn der Pflegeaufwand geringer ist als erwartet.

Ansonsten gilt: Wer Pflegeleistungen erbracht hat, bekommt ebenfalls Pflegeleistungen. Wer gegeben hat, dem wird gegeben. Eine Gesellschaft, die im Übrigen die Aufmerksamkeit wieder für sich entdeckt, wird auch Ehrenleistungen denjenigen nicht versagen, die sich um das Land, die Gesellschaft und ihre Bürger verdient gemacht haben. Dadurch werden Leistungsanreize auch für Menschen geschaffen, die sich mit eigenem Engagement sonst eher zurückgehalten hätten. Je selbstbewusster die Zivilgesellschaft dank der von ihr eingerichteten Generationenbank unter Solidargesichtspunkten selbst für eine würdige Alterssicherung sorgt, desto mehr entlastet dies nicht nur den Staat, sondern kräftigt auch die Bürgergesellschaft.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Unterforderung

Unterforderung schafft Überforderung. Neulich las ich, dass Menschen krank werden, wenn sie nicht genug zu arbeiten haben. Ein Arbeitnehmer hat sogar seinen Arbeitgeber wegen dessen Unterforderung bei der Arbeit verklagt. Auf den ersten Blick wirkt dies lächerlich, angesichts der zur Schau gestellten Neigung, die Freizeit zu feiern. Es ist aber keineswegs lächerlich.

Wir wissen ganz genau, dass im Ausbildungsprozess unterforderte Kinder daran scheitern, sich sprachlich, intellektuell und emotional zu entwickeln. Aus der Unterforderung entstehen Versagensängste, Frust und Gewalt. Der unterforderte Mensch trägt diese Bürde sein ganzes Leben lang. Er ist meist unsicher, befürchtet, dass sich die Umstände ändern könnten und er dann gefordert werde. Mit dieser ungewissen Forderung kommt er nicht zurecht.

Um sich seine Unterforderung nicht eingestehen zu müssen – meist erkennt er sie noch nicht einmal – beugt er der Forderung vor, indem er seine Überforderung behauptet. Diese scheinbare Überforderung ist der Maßstab seiner gesamten Reaktionsweise als kranker und nicht hinreichend versorgter Mensch und endet schließlich im Hass auf alle Anforderungen, die an ihn gestellt werden, und zwar auch dann, wenn sie ihn selbst nicht direkt betreffen. Der unterforderte Mensch fühlt sich übervorteilt, ausgenommen, ungerecht behandelt und schließlich auch noch ausgenützt. Seine Projektionsfläche sind alle anderen Menschen. Sich selbst will er die ihn umgebende Leere, in der er sich eingerichtet hat, nicht eingestehen.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Nahostkrieg

Dieser barbarische Krieg in Syrien verstört uns alle. Wir können die Bilder der Zerstörung, der fliehenden Menschen, des Terrors und des Todes nicht mehr sehen. Der Krieg und das Morden des IS soll endlich aufhören. Wir wünschen uns eine friedliche Welt in gesicherten Grenzen. Wir wünschen uns Anstand und Wohlstand. Wir sind besorgt über das Engagement der Russen und der Amerikaner in diesem Krieg und wollen auf keinen Fall mit hineingezogen werden.

Wir Europäer, nein wir Deutsche, sagen Schluss mit diesem Krieg, der uns Flüchtlinge beschert und Konsequenzen für uns haben kann. Es ist naheliegend, dass wir unsere Sicht auf die kriegerischen Auseinandersetzungen im Nahen Osten haben, aber unsere Sichtweise korrespondiert nicht unbedingt mit den Perspektiven der Menschen in den Kriegsgebieten und der Konfliktparteien.

Wir können uns gar nicht klarmachen, dass unsere Mentalität eine andere ist. Familienclans nehmen in diesen Ländern großen Einfluss und wollen ihre Macht erhalten. Es geht um wirtschaftliche Verteilungskämpfe und religiöse Führerschaft. Es geht aber auch um Menschen, denen oft ihr Stolz mehr bedeutet als Barmherzigkeit. Das Narrativ arabischer Völker ist mit Sicherheit kein europäisches, sondern eine solches, das in den Konfliktgebieten zu Hause ist. So furchtbar dies für unsere Ohren klingen mag, diese Geschichten müssen zu Ende geschrieben bzw. zu Ende gelebt werden.

Wir haben durch unsere Einmischung schon unendlich viel gestört und zerstört und können uns durch Perpetuierung unserer Einmischung nicht entlasten, sondern nur weiter schuldig machen. Einen europäischen, einen amerikanischen oder russischen Friedensplan wird es für die arabischen Länder niemals geben. Wir sind es, die mit unseren Strategien den Krieg immer weiter befeuern, mit Waffenlieferungen und Einmischung dafür sorgen, dass Israel geschützt – was richtig ist – aber Frieden aussichtslos bleibt.

Der Iran, Saudi-Arabien und Ägypten erkennen bereits jetzt, dass die Zerstörung keine weiteren Vorteile mehr bringt und werden den Krieg beenden, wenn wir uns aus ihm ebenfalls zurückziehen. Der Preis, den wir für unsere Einmischung bereits gezahlt haben, ist hoch. Er fällt noch höher aus, wenn wir so weitermachen, wie bisher. Einen Assad zu verhindern, ist menschlich verständlich, aber politisch absurd. Mit unseren Vorstellungen von Demokratie, Freiheit und Staatlichkeit haben diese Konflikte überhaupt nichts zu tun.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Der Mensch, das unbekannte Wesen

Kennen wir uns? Ich habe da mein Zweifel. Es scheint mir, dass in uns etwas steckt, was wir selbst nicht erkennen bzw. nicht erkennen wollen. Hat sich nicht jeder Mensch schon einmal dabei ertappt, dass er nicht nur schlecht über andere gedacht hat, sondern Menschen auch beschädigen wollte?

Ja, natürlich gibt es die soziale Kontrolle, die das Schlimmste verhindert. Wie sieht es aber mit der persönlichen Kontrollmöglichkeit aus? Bin ich, wenn ich etwas Schlechtes denke, ein schlechter Mensch? Kann ich, wenn ich einem anderen Menschen, die Pest an den Hals wünsche, noch harmlose Lieder mit meinen Kindern singen. Die öffentliche Wahrnehmung entspricht nur eingeschränkt dem Sein. Dieser Erkenntnis muss ich mich stellen, aber vermeiden, daraus falsche Schlüsse auf andere Menschen zu ziehen.

Jeder Mensch, auf den wir uns einlassen, weist die selbe Ambivalenz wie wir selbst auf und ist gerade deshalb – wie wir – auch darauf angewiesen, dass wir ihm Vertrauen schenken, damit er uns vertrauen kann. Was den Menschen in seiner Unberechenbarkeit ausmacht, ist nicht nur seine Erscheinung, sein physiologisches System, sein Verstand und sein Gefühl. Jede Zelle, jede genetische Botschaft, jede chemische und mechanische Irritation bestimmt den ganzen Menschen und sein Verhalten.

Das Schlimme ist wie das Gute, nicht das Ergebnis eines Gedanken- oder Empfindungsprozesses, sondern ein Aggregatzustand, der von äußerst komplexen Vorgängen gesteuert wird. Das mag nicht entschuldigen, aber erklären, weshalb Menschen oft auf eine für uns völlig unvorstellbare Weise reagieren, vor allem, wenn sie grausam sind. Auch, wenn wir das nicht verhindern können, hilft die Erkenntnis, die nicht moralisch belastet ist, mit der Bedrohung umzugehen, die dieser Mensch für uns alle und für sich darstellt. Die Erkenntnis entschuldigt nichts, da sie auf Vernunft beruht. Sie schafft Handlungsoptionen, die uns nachhaltig vor den Tätern in und außer uns schützen sollten.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Nächstenliebe

Liebe deinen Nächsten, wie dich selbst. So steht es in der Bibel bei Galater 5 14.2 „Mir wohl und keinem übel“ ist ein alter Familienspruch meiner Familie. Beides klingt wohlvertraut und beinhaltet eine Anforderung, der wir uns gerne gewachsen sehen würden, aber auch über etliche Gründe berichten könnten, warum es dennoch nicht klappt.

Warum klappt es nicht? Ich meine deshalb, weil es schwerfällt andere Menschen zu lieben. Es ist schon schwer, mit sich selbst auszukommen. Wenn wir also den eigens für uns erdachten Maßstab an anderen Menschen anlegen würden, dann wäre es mit der Liebe nicht weit her. Die meisten von uns sind mit sich selbst in der Liebe deshalb nicht vereint, weil sie keine Distanz zu sich selbst aufbauen können, sondern die Selbstbetrachtung ein stetes Rechtfertigungsmoment für Unzufriedenheit darstellt.

Fast jedem Menschen geht es schlecht, irgendwie. Wie soll da Liebe entstehen? Der Familienspruch trifft unsere Haltung schon eher. Ich wünsche, dass es mir gut geht. Und wenn das so ist, soll es anderen auch nicht schlecht gehen. Natürlich darf deren Gutgehen nicht dazu führen, dass es mir schlechter geht. Eine solche Einstellung hat etwas mit Realismus zu tun. Es gilt das Prinzip des „Check and Balances“ auch in allen menschlichen Beziehungen. Ich muss nicht nur erlauben, sondern auch mir wünschen, dass es anderen Menschen gut geht, denn nur so habe ich eine Chance, an deren Errungenschaft zumindest indirekt teilzuhaben. Diese Rückbezüglichkeit wird oft verkannt. Kämen die heute vielgescholtenen vermögenden Men­schen auf die Idee darüber zu reflektieren, dass es ihnen möglicherweise noch besserginge, wenn es den anderen auch gut geht, dann würden sie etwas dafür tun, diesen Zustand herbeizuführen.

Was steht dagegen? Sicher nicht die Vernunft, sondern das Gefühl. Das Gefühl lieber nichts zu teilen, denn man weiß ja nicht, was kommt, ist der Nächstenliebe sehr ähnlich. Beides ist unvernünftig. Aber intelligente Menschen gewinnen spätestens dann an Einsicht, wenn sie sich im gesellschaftlichen Spiegel sehen und mit dem Spiegelbild nicht zufrieden sind.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Rente

Solange ich zurückdenken kann, gibt es die Rentendiskussion. Dabei geht es stets um die Frage, wie lange Rente gezahlt wird und wer für diese künftig aufzukommen hat. Es ist vom Generationenvertrag die Rede und vor allem davon, dass leider die immer jüngste Generation zusätzlich anschaffen muss, um die Rente zu bezahlen. Die gegenwärtige Generation hält dies für eine Zumutung, hält aber still, wohlwissend, dass die nächste Generation auch schon anvisiert ist, um die Rente anzusparen, obwohl sie dies natürlich noch nicht weiss.

Niemals ist es sicher, ob dieser Generationenvertrag funktioniert, aber er wird als so gerecht empfunden, dass sogar, um dem Klientel wohl zu gefallen, verschiedene Renteneinstiegszeiten für vertretbar gehalten werden. Es ist von der Rente ab 63 die Rede, ab 67 oder schon von Frühverrentung ab 55. Neben der staatlichen Rente gibt es verschiedene andere betriebliche und altersbetriebliche Altersversorgungen. All dies kostet Milliarden. Wir sind es unseren Arbeitnehmern schuldig, weil es gerecht ist, dass sie ab einem bestimmten Alter nichts mehr tun.

Natürlich wollen wir sie auch loswerden. Sie sollen auch nichts mehr tun und der nächsten Generation Platz machen. So würden wir es natürlich niemals sagen. Sieht aber so Solidarität aus? Ich habe da meine Zweifel. Solidarisch ist es, denjenigen zu helfen, die nicht mehr arbeiten können, das Wollen dürfte dabei eher zweitrangig sein. Wir Menschen sind in der Pflicht, für uns zu sorgen, ob wir Jugendliche sind oder alte Menschen. Wenn wir nicht mehr können, brauchen wir die Unterstützung der Familie und die des Staates.

Es spielt keine Rolle, ob wir bis zum Alter von 70 oder 80 arbeiten oder dies schon mit 60 nicht mehr können. Wenn wir Hilfe benötigen, sind wir auf ein umfassendes Angebot angewiesen und können uns nicht abfinden mit Regelzuweisungen, die von Zeit zu Zeit minimal erhöht werden. Der menschengerechte Pflegeaufwand ist enorm und derjenige, der sein Leben lang gearbeitet hat, kann von seinen Kindern und subsidiär auch von der Gesellschaft verlangen, dass er würdevoll die Zeit bis zu seinem Tode verbringen darf.

Dies gilt im Übrigen nicht nur für diejenigen, die neben ihren Arbeitgebern auch in die Rentenkasse eingezahlt haben oder für Pensionäre, sondern für alle, die im Dienste der Gesellschaft tätig geworden sind, ob sie verrentet waren oder nicht. Auch, wenn es altmodisch klingen mag, ein Ehrensold, eine staatliche Unterstützung, die in keiner Weise der Rente nachsteht, hat auch derjenige verdient, der keine Rentenanwartschaften erworben, aber zum Beispiel als Selbständiger gearbeitet, hohe Steuern gezahlt hat und dann verarmt ist.

Das gilt auch für diejenigen, die freiwillig und ehrenamtlich einen Großteil ihrer Zeit für die Gesellschaft tätig geworden sind und diese Tätigkeit einer beruflichen vorgezogen haben. Ist ein Ehrensold für diese nicht angemessen? Solidarisches Handeln verlangt von der Gesellschaft nicht nur diejenigen zu bedenken, die dem Mainstream entsprechen und die Mehrheit sind, sondern auch denjenigen, hinter denen üblicherweise keine Rentenlobby steht. Eine solidarische Gesellschaft erkennt die Nöte aller Menschen und fühlt sich diesen verpflichtet.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Leitkultur

In einem Vortrag, den ich neulich hörte, beschrieb der Historiker Prof. Rödder als heute maßgebliche Leitkultur die Inklusion. Viele Zuhörer waren erstaunt, weil die meisten Nichtfachleute unter Inklusion die Eingliederung von Behinderten zum Beispiel in den Schulbetrieb mit anderen nichtbehinderten Kindern sehen. Dass der Begriff Inklusion so weit gefasst ist, dass er als Oberbegriff taugt, unter den sich unterschiedlichste Lebenssachverhalte subsummieren lassen, war auch mir nicht geläufig.

Eingedenk der Debatte darüber, ob es in Deutschland überhaupt eine Leitkultur gibt, erscheint es unmöglich, dass gerade Inklusion dazu taugen soll. Im gesellschaftlichen Sinne kann unter Inklusion integrale Bildung verstanden werden, die Eingliederung von Fremden und die Auflösung eines monozentristischen Weltbildes. Ist zunächst der Mann nicht mehr das Maß aller Dinge, dann später auch nicht der Mensch. Die Maschine holt uns ein. Manche, wie zum Beispiel Donald Trump haben dies instinktiv erkannt und wettern gegen alles, um das Mannsbild zu erhalten. Sie sind aber Excluder.

Auch in Deutschland gibt es inzwischen diese Haltung. Ob es gelingen wird, die Aufnahme von Fremden zurückzudrängen? Ich weiß es nicht. Aber taugt als Leitkultur ein Phänomen, das noch auf dem Prüfstand steht, der Prozess der Auseinandersetzung darüber andauert und auch die Befürworter noch verunsichert sind? Selbst diejenigen, die Fremde bei uns haben wollen, fügen ihrer Bekräftigung ein „ja aber“ bei. Zum Beispiel Schulen mit Jugendlichen unterschiedlicher Herkunft, bildungs- und körperlichen Voraussetzungen in einer Klasse: einverstanden, „ja aber“.

Multikulti war „in“, dann hieß es, geht doch nicht und jetzt sollen die, die zu uns kommen, Deutsch lernen und sich hier integrieren. Tun sie das aber auch? Wie steht es um die Inklusion, wenn wir insgeheim erwarten, die Flüchtlinge behalten ihre ehemals ausländische Identität und gehen später dann wieder nach Hause. Ist Inklusion ein Willensakt unserer Gesellschaft oder eine Zufallserscheinung, weil zum Beispiel diejenigen, die doch bleiben, sich hier integrieren müssen? Ich denke nur an die Gastarbeiter der 50er Jahre des letzten Jahrhunderts.

Eine Leitkultur der Inklusion nicht unter dem Aspekt des Anspruchs, sondern der einer Verwirklichung, vermag ich nicht zu erkennen. Wenn Inklusion alles umfassen soll also auch die Wirtschaft, die Kunst und das politische Verständnis, kann ich diesen Zusammenhalt schon gar nicht bejahen. Bei der Wirtschaft ist von destruktiven Entwicklungen die Rede, politisch geht die Bewegung weg von der Mitte und in der Kunst: „anything goes“. Wenn ich die Leitkultur von heute zu beschreiben hätte, würde ich behaupten, es gäbe keine. Es scheint mir, als würden wir versuchen, etwas zu finden, was uns zusammenhält, versuchen, die Voraussetzungen zu erarbeiten, die den Abschluss eines Contrat Social erlaubten. Es wäre höchste Zeit, eine europäische Kulturverfassung zu entwickeln. Auch wenn wir nicht die ganze Welt für unser Anliegen gewönnen, Deutschland allein ist viel zu klein, um auf alle Zeitfragen eine Antwort zu haben.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski