Archiv der Kategorie: Soziales

Hier finden Sie meine Gedanken, Ideen und Anreize zu gegenwärtigen und vergangenen sozialen Themen, die mich und meine Umwelt bewegen.

Enttäuschung

Von den Menschen bin ich enttäuscht. Noch als Kind hatte ich mir das Leben wunderbar ausgemalt. Meine Kinderbücher erlaubten dies. Das waren die 50er Jahre des letzten Jahrhunderts. Heute, viele Jahre später, wenn ich auf mein Leben zurückblicke, darf ich bekennen, dass mein bisheriges den Umständen nach großartig war: keine Kriege, kein Hunger, Familie und Erfolg im Beruf. Also, alles stimmte!?

Naja … . Ich hatte mir keine anderen Umstände, aber das Verhalten der Menschen anders vorgestellt. Ich hatte mir vorgestellt, dass sie gerne und mit Freude leben, ernsthaft und gewissenhaft ihren Aufgaben und Pflichten nachgehen und alle Verabredungen einhalten. Meine Vorstellung von den Menschen war durch die „Hasenschule“ genauso geprägt, wie durch Garry Coupers „Lederstrumpf“ oder „Der kleine Prinz„. Überall gab es Schwierigkeiten, aber diese Schwierigkeiten wurden gelöst durch aufrichtige und hilfsbereite Menschen.

Nicht, dass es diese Menschen nicht gibt, aber das Vertrauen in sie insgesamt habe ich verloren, seit ich wahrnahm, wie egozentrisch und anspruchsorientiert der größte Teil der Menschen ist. Dieser Teil der Menschen macht nicht den Eindruck, dass er besonders glücklich sei, aber kann dennoch nicht davon ablassen, an nichts anderes zu denken, als sein Wohlergehen. Dieses äußert sich im Konsum, Neid und Behinderung anderer Menschen bei ihrer Entwicklung.

Früher hatte ich gedacht, diese Menschen seien Verführte, dann aber festgestellt, dass sie sich absichtsvoll so verhalten. Dieses Verhalten vor sich zu rechtfertigen und anderen dann noch als ihr gutes Recht aufzuoktroyieren, das macht betroffen. Für jedes Unterlassen, für jede Gemeinheit und für jede Tatenlosigkeit gibt es stets eine rechtfertigende Begründung. Der Andere ist immer schuld. Die Spirale der Armseligkeit menschlichen Verhaltens bohrt in das Leben eine klaffende Wunde, die nur durch Rückzug, Distanz und anhaltende Verwunderung etwas verdeckt werden kann. Die Ohnmacht, wenig tun zu können, um die Enttäuschung auszugleichen, schmerzt sehr.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Meinungsmacht

Neulich Nacht war ich auf der A 20 unterwegs, als ein Unfall den Verkehr zum Erliegen brachte. Um die durch die Warterei entstehende Langeweile zu überspielen, ließen meine Frau und ich die Radioprogramme durchlaufen, bis wir schließlich bei Radio Fritz landeten. In einer Sendung, die sich Blue Moon nennt, haben Zuhörer die Möglichkeit, mit Radiomoderatoren über aktuelle gesellschaftliche Themen zu diskutieren. Ein Anrufer aus Sachsen beschwerte sich darüber, dass Flüchtlinge hier alles erhielten, auch Fahrräder und Kinderwagen, sie es selbst aber schwer hätten mit der Abzahlung der Kredite für ihr neugebautes Haus und die Kosten, die immer weiter steigen. Nichts sei gerecht und die Regierung habe keinen Plan.

Als die Moderatorin den Anrufer fragte, wo er sich denn für seine Behauptungen informiere, da meinte er bei Facebook und erklärte Widersprüche zwischen seiner Aussage und der Wirklichkeit, zum Beispiel zum Thema, dass die Flüchtlinge nicht faul seien, sondern zunächst nicht arbeiten dürften, mit dem Hinweis: „Das ist halt meine Meinung.“ Nach einiger Zeit verschwand er aufs Klo und seine Frau übernahm das Telefon mit der Erklärung, sie habe zwar eine andere Meinung als ihr Mann, die doch dann seiner sehr ähnlich war, um ebenfalls zu schließen: „Das ist halt meine Meinung.“

Was hat mir diese Blue Moon-Stunde vermittelt? Eins, und das sehr nachdrücklich: Es geht gar nicht um richtig oder falsch, Lüge oder Wirklichkeit, es geht nur darum, eine Meinung zu haben. So war es für mich auch erklärlich, dass der Anrufer und seine Frau trotz aller Widersprüche und der wachsenden Fassungslosigkeit auf Seiten der Moderatoren in keiner Weise die Geduld verloren, sondern auch im Falle grotesker Widersprüche ihrer Behauptungen schlicht erklärten, dass dies ihre Meinung sei. Eine Meinung ist also auf keinerlei Wahrheit angewiesen, auch nicht darauf, etwas widerlegen zu wollen. Eine Meinung ist eine Meinung. Die Meinung kann heute so und an einem anderen Tag wieder anders ausfallen, sie ist an reale Vorkommnisse nicht gebunden und auch durch Argumente nicht beeinflussbar.

Der Inhalt einer Meinung kann vernünftig sein, aber auch völlig blödsinnig. Die Meinung kennt kein Gewicht, keinen Maßstab oder Gedächtnis. Die Meinung ist so ungebunden, wie die sie umgebende Luft. Sie ist leicht, wie ein Wölkchen und verschwindet, wenn sie abgeregnet ist.

Das poetische Bild kann allerdings nicht darüber wegtäuschen, dass dann, wenn nur die Meinung eines Einzelnen noch keinen Schaden anzurichten vermag, doch die auf gleiche Art und Weise erzeugte Meinung vieler sturmwetterartigen Charakter aufweisen kann. Wenn viele einer Meinung sind, bedeutet es zwar nicht, dass deren Meinung irgendeinen inneren Zusammenhang aufweist, aber sie verfinstern gleichzeitig den Himmel so, dass dringend Schutz gesucht werden muss vor dem sich entladenen Gewitter.

Es ist doch klar, dass AfD, Pegida und andere Gruppierungen von der Meinungsmacht fasziniert sind, die keine Argumente benötigt, jedenfalls keine stichhaltigen, sondern sich treiben lässt von der Meinung der Menschen. Sie sind die Stimme des Volkes, so sagen sie und das ist schon eine gewaltige Stimme, die ihre Meinung kundtut. Und die Stimme wird immer lauter, das Grollen unüberhörbar. Wenn dann irgendwann nach Blitz, Regen, Sturm und Verwüstung der Himmel wieder klar sein sollte, sagen die Menschen: ich habe doch nur meine Meinung gesagt, das darf man doch wohl, ohne dafür zur Rechenschaft gezogen zu werden.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Nachsicht

Gott vergibt… Django nie! Wenigstens die Älteren unter uns erinnern sich noch an diesen grandiosen Film von Giuseppe Colizzi. Wir Zuschauer waren alle einverstanden mit Django und seiner Unerbittlichkeit, mit der er alle Schurken aus dem Weg räumte. Nehmen wir dies als Metapher für unser Leben im Allgemeinen. Sind wir bereit zu vergeben?

So einfach lässt sich diese Frage nicht beantworten. Bestimmte Taten kann man nicht vergeben. Das planvolle Morden im Dritten Reich oder das Wüten des Pol-Pot-Regimes in Kambodscha. Hier kann die ungeheuerliche Tat nur als Mahnung dienen, um uns davon abzuhalten, sie immer wieder zu begehen. Ich habe jetzt natürlich zwei sehr bekannte Beispiele für Taten benannt, die nicht vergeben werden können. Es muss aber nicht die Dimension eines Genozid sein, dass Taten unvergebbar werden.

Jede absichtsvolle Beschädigung eines Menschen, um ihn daran zu hindern, ein selbstbestimmtes Leben zu führen, ist unverzeihbar. Die Zeit mag darüber hinweggehen und dem Geschehenen seine Aktualität nehmen, aber die Störung der Integrität eines Menschen bleibt in unser aller Gedächtnis ewig vorhanden. Eine Skandalisierung des Nichtvergebenkönnens erfolgt merkwürdigerweise dort, wo ein Vergeben problemlos möglich ist.

Mehrere markante Politikerinnen und Politiker sollen ihre Doktorarbeit gefälscht oder darin nicht richtig zitiert haben. Es geht auch um gefälschte Lebensläufe und nicht abgeführte Steuern. Überall dort, wo Skandalisierung ein mächtiges Zugpferd für die Missetat darstellen kann, ist jede Nachsicht offenbar vergeblich. Was hat uns der frühere Verteidigungsminister zu Guttenberg denn eigentlich angetan? Er hat, als er noch jünger war, eine Doktorarbeit gefälscht und damit sich selbst geschadet. Als es aufflog, musste er gehen. Er wurde aber nicht Politiker oder gar Verteidigungsminister, weil er eine Doktorarbeit geschrieben hat.

Und doch, wenn es darum geht, einen Beleg für einen Schurken in Nadelstreifen zu finden, wird er benannt und gleichzeitig darauf verwiesen, wie er so selbstgefällig als Minister am Times Square posiert hätte. Gleiches ließe sich von Annette Schavan berichten oder anderen bekannten Persönlichkeiten, die irgendwann einen, wenn auch entscheidenden Fehler, in ihrem Leben getan haben. Die Verdienste von Frau Schavan um unser Gemeinwesen sind unbestreitbar und dennoch ist sie medial „Persona non grata“.

Worauf beruht diese Unnachsichtigkeit gegenüber anderen, insbesondere im öffentlichen Leben stehenden Menschen, eine Unnachsichtigkeit, die wir gegenüber unserem eigenen Fehlverhalten niemals entwickelt haben. Das gerade scheint mir der springende Punkt zu sein. Indem wir andere Verfehlungen bezichtigen und diese Bezichtigungen lebendig halten, sind wir in der Lage, von unserer eigenen Unzulänglichkeit im alltäglichen Umgang mit anderen Menschen und Institutionen abzulenken.

Der nicht erkannte Tierquäler, Falschbezieher von Sozialleistungen oder Kinderpornokonsument aus dem Internet findet an seiner Verhaltensweise meist nichts Unanständiges, um selbst desto nachdrücklicher keine Nachsicht denjenigen zu gewähren, die Ähnliches im öffentlichen Raum getan haben. Diese Bigotterie wird nicht aufzulösen sein, aber man sollte sich dessen bewusst bleiben, wenn man leichtfertig in den Chor derjenigen einstimmt, die unnachsichtige Bestrafung anderer für deren Vergehen fordern, statt sich selbst an die Regeln zu halten.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Was bleibt

Bei jeder mir bekannten Trauerfeier fällt irgendwann der Satz: Der Verstorbene wird ewig in unserem Gedächtnis bleiben, wir werden ihm ein dauerndes Andenken bewahren und seine Taten bleiben uns Vermächtnis. Das hört sich gut an, stimmt es aber auch?

Ich habe da meine Zweifel. Zwar mag ein Großteil der Menschen sich wünschen, ihre kleine Welt oder auch die große Welt möge sie im bleibenden Gedächtnis behalten, aber tatsächlich ist dies nur wenigen vorbehalten. Es handelt sich dabei fast ausnahmslos um Persönlichkeiten aus der Kultur im weitesten Sinne, Wissenschaftler, namhaft, historisch, wichtige Politiker und Verbrecher. Nicht unerwähnt bleiben darf allerdings das höchst persönliche Erinnern innerhalb der Familie, welches aber eine Generation meist auch nicht überdauert.

Wenn die postmortale Anerkennung fast umgehend erlischt und doch die Anerkennung anderer Menschen und in der Gesellschaft eines unserer wichtigsten Anliegen überhaupt ist, lohnt sich dann angesichts der Todesprognose überhaupt der Aufwand, mit großem Engagement für sich und auch für andere Menschen zu leben?

Ich meine, ja. Zwar ist jede Geburt zunächst und vor allem ein höchst persönliches familiäres Ereignis, aber auch ein gesellschaftliches. Jedem von uns, der in die Welt kommt, wird bereits mit der Geburt eine Aufgabe zugewiesen, die im Laufe des Lebens zu erfüllen sein wird. Die Rolle, die wir spielen, mag auf den ersten Blick nebensächlich wir­ken, sie ist es aber nicht. Eine Gesellschaft kann nur so funktionieren, dass alle an ihr teilhaben, jeder seinen Beitrag leistet und damit andere und sich selbst in den Lebensbildungsprozess mit einschließt. Ohne diese Leistung jedes Einzelnen von uns, kann das Menschenwerk nicht gelingen, wobei allerdings auch eine Vollendung niemals zur Debatte steht. Wir spielen un­sere Rolle und wenn es dann an der Zeit ist, übernimmt ein anderer. Die Übergänge sind nicht abrupt, sondern fließend.

Wissen und Erfahrung werden weitergegeben, prägen die genetische Matrix, um auch künftigen Generationen Gelegenheit zu geben, ein sinnerfülltes Leben zu führen. Aber, gerade weil die Bedeutung jedes einzelnen Menschen für unsere Gemeinschaft von so herausragender Bedeutung ist, dürfen wir nicht nachlassen, jedem Menschen bereits zu Lebzeiten ein solch hohes Maß an Anerkennung und Respekt zu erweisen, dass Nachrufe nur das Echo unserer Wertschätzung sind.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

I have a dream

I have a dream, so beschwor Martin Luther King 1963 seine amerikanischen Landsleute, damit sie sich bewegen, einen Ruck geben in Richtung Gleichheit, Freiheit und Würde aller Menschen, ganz egal, wie sie aussehen und woher sie kommen. Martin Luther King wurde ermordet und mehr als 40 Jahre später wird in den USA weiter gemordet, die andere Hautfarbe genügt.

Der Aktion auf der einen Seite folgt die Reaktion auf der anderen Seite, ermordete Polizeibeamte und dann wieder dunkelhäutige Menschen usw. Der amtierende Präsident Obama ruft zur Versöhnung auf und sein zukünftiger potenzieller Nachfolger Trump kündigt an, alle diejenigen aus den USA zu vertreiben und mundtot zu machen, die nicht seiner Meinung sind.

Da findet er sich in guter Übereinstimmung mit weiteren Autokraten dieser Welt, die Demokratie als Rekrutierungsveranstaltung für ihre eigenen Gefolgsleute sehen. Wenn diese die Todesstrafe wollen, dann führen wir sie halt ein. Richter weg, Staatsanwälte weg. Die große Säuberung ist allenthalben angesagt. Auf ein paar Tote kommt es dabei nicht an. Die sind doch nur Kollateralschaden.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Wahlrecht

In einem bemerkenswerten Interview, welches die Rechtsanwältin und frühere Justizsenatorin Dr. Lore Maria Peschel-Gutzeit in den Heften 4 und 5 aus 2016 dem Berliner Anwaltsblatt gewährt hat, forderte sie ein Wahlrecht auch für junge Menschen von Geburt an. Das Stimmrecht der Kinder sei tatsächlich zu gewähren, aber treuhänderisch von denjenigen, die für sie Verantwortung tragen, wahrzunehmen. Dies sind in der Regel die Eltern. Als ich ihre Ausführungen in dem Interview las, war ich hin- und hergerissen.

Bei vernünftigen Eltern habe ich überhaupt nichts dagegen, dass sie auch das Stimmrecht für ihre Kinder ausüben. Aber, was passiert, wenn sie sich nicht einigen können, über den sachgerechten Umgang mit dem Stimmrecht streiten oder es nicht ausüben, obwohl ihre Kinder einen Anspruch darauf haben sollen. Ab welchem Alter kann ein Kind sein Wahlrecht selbst wahrnehmen? Wann ist ein junger Mensch tatsächlich mündig? Die familiäre, wie auch gesellschaftliche Einübung in ein späteres selbstverantwortliches Leben ist mühevoll und stellt ein Kind vor große Herausforderungen.

Ist dies aber ein Grund, Kindern das Wahlrecht zu versagen? Viele Fragen sind angstgesteuert. Die Wahlstimmen der Kinder könnten in falsche Hände kommen, die Machtverhältnisse verschieben und kinderreichen Familien mehr Einfluss zukommen lassen. Dies würde wiederum Einfluss auf die Sozialgesetzgebung und Lebenssicherung für die nächste Generation nehmen. Rechtfertigen aber diese Unwägbarkeiten die Ablehnung des Kinderwahlrechts? Kein Kind hat den Aufenthalt in unserer Welt gewählt, übernimmt aber zugleich mit der Geburt – wenn auch zunächst nicht rechtlich – so aber schon tatsächlich Verpflichtungen in unserer Gesellschaft, die später Wirkung zeigen werden. Das Kind wächst in seine Verantwortung und trägt bereits ab seiner Geburt einen Teil der gemeinsam zu schulternden Last, die im Generationenvertrag festgeschrieben ist.

Mehr Demokratie wagen, so lautete die Mahnung der SPD in den End-60er-Jahren. Der Slogan war damals richtig und fordert uns auch heute noch heraus, das gesellschaftliche Modell nicht als statisch zu begreifen, sondern Veränderungen und Wagnisse zuzulassen. Das Wahlrecht für Kinder und junge Menschen ist kein revolutionärer Akt, sondern entspricht der Vernunft einer gesellschaftlichen Entwicklung. Fragwürdig ist oft alles nur solange, bis es selbstverständlich ist, gesellschaftliche Anerkennung gefunden hat.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Brexit

Großbritannien verlässt die EU. Das mag unvernünftig sein oder auch nicht. Vernunft war selten politisch. Eine Entscheidung wurde durch Politiker ermöglicht, die selbst nicht den Mumm hatten, zu den souveränen Entscheidungsprozessen der parlamentarischen Demokratie zu stehen. Sie überließen die Entscheidung dem Volk. Das Volk?

Von 70 % der Bevölkerung hatte die Hälfte, etwa 35 % für den Austritt Großbritanniens aus der EU gestimmt, die restlichen dagegen oder blieben in der Frage indifferent. Eigentlich müssten sie wohl auch als Neinstimmen gezählt werden oder nicht? Wie auch immer, die Entscheidung ist gefällt und genau so vernünftig oder unvernünftig wie jede Entscheidung eines Potentaten von Gottes Herrlichkeit.

Etwas ist geschehen. Möglicherweise wäre die Wahl 5 Jahre zuvor oder 5 Jahre später völlig anders ausgefallen. Möglicherweise würde die Wahl auch anders ausfallen, wenn die Kinder und die Jugendlichen ein Wahlrecht besäßen, denn sie müssen das Schlamassel ja ausbaden. Mit dem Instrument der Volksbefragung kann jedenfalls eine Minderheit regelmäßig die Mehrheit vor sich hertreiben und muss noch nicht einmal befürchten, die politische Verantwortung für die Entscheidung zu übernehmen. Jetzt sollen die Politiker wieder dafür sorgen, dass die Entscheidung erfolgreich für die Briten umgesetzt wird. Wäre das nicht klug, über jede einzelne Maßnahme wiederum das entscheidungsfreudige Volk abstimmen zu lassen?

Bei so viel offenbarem Sachverstand des Souveräns ist zu erwarten, dass er auch überschaut, welche Handlungsalternativen sich aus dem Austritt ergeben. Für uns Resteuropäer wird es interessant sein, wie sich die Teilvölker in Nordirland und Schottland verhalten werden, die mehrheitlich für den Verbleib in der EU gestimmt haben. Vielleicht löst sich Großbritannien auf und Teilstaaten nehmen andere Optionen wahr. Vielleicht gilt dies künftig auch für Spanien, Belgien, Frankreich und Deutschland. Alles ist offen, weil der Souverän so herrlich unberechenbar bleibt.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Nur ein Lächeln

Geht es nicht uns allen so? Wir stehen in der U-Bahn. Rushhour. Keine Plätze frei. Taschen, Rucksäcke über der Schulter und miese Laune wegen allem. Dann lächelt uns jemand an –ein Kind, eine Frau, ein Mann – bittet um Verzeihung, weil wir vielleicht bedrängt wurden oder bietet den Sitzplatz an. Nur ein Lächeln, eine Höflichkeit oder ein freundliches Wort und wir selbst sind wie verwandelt.

Beschwingt sind wir bereit, die erfahrene Freundlichkeit an andere weiterzugeben und denken oft lange Zeit noch gerne an dieses Lächeln zurück. Das Lächeln kann vieles bedeuten, Einverständnis, Anerkennung, Zuneigung, Wahrnehmung, verschafft aber auch dem Lächelnden Respekt, garantiert Distanz und bestätigt menschliche Zugehörig­keit. Ein Lächeln vermag Worte zu ersetzen, versöhnt und vermeidet Missverständnisse. Es wird behauptet, dass im Lächeln die Seele ihren Ausdruck findet.

Das mag übertrieben sein, aber im Lächeln findet Wesentlichkeit statt. Wer lächelt, gibt etwas von sich preis, tut dies aber so souverän, dass Nachteile ausbleiben. Lächeln ist ein Verständigungsmodul und wird unter anderem perpetuiert im Smiley des Internetaustausches zwischen Menschen. Leider kommt dieses Lächeln dabei oft inflationär vor und verkehrt sogar die Wirkung in das Ge­genteil. Das Unterlassen der Gewährung eines Smileys vermittelt Ablehnung, mehrere Smileys dagegen signalisieren die Behauptung einer wirklichen Zuwendung. Fünfmal tippen und schon sind fünf Smileys produziert, wobei ein Lächeln von Angesicht zu Angesicht auch durch 100 Seiten Smileys nicht übertroffen werden kann.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Beschäftigung

Junge Menschen haben häufig ein distanziertes Verhältnis zur Ausbildung. Dies beruht zum einen auf einer zu langen Ausbildungsdauer, zum anderen auf dem Misstrauen gegenüber der Richtigkeit und Verlässlichkeit von Ausbildungsinhalten. Kinder und Jugendliche sind im Zuge ihrer Entwicklung einer steten Veränderung unterworfen. Ihr Lebensumfeld entwickelt sich jedoch nicht oder nur schwerfällig.

Die Modelle bleiben die alten. Sie passen sich den jungen Menschen nicht an. Junge Menschen sind flexibel und digital aufgerüstet. Der Unterschied von Umfeld und eigener Erwartungshaltung führt zur Frustration, denn für den jungen Menschen ist es immer Zeit für den Aufbruch. Jugendliche wollen sich bewähren, ihre Kräfte messen.

Damit sind nicht nur die körperlichen Kräfte, sondern auch ihre emotionalen und geistigen Kräfte gemeint. Es ist oft zu beobachten, dass sogenannte bildungsfeindliche und scheinbar aggressiv ablehnende Kinder und Jugendliche sofort zur „Sache“ gehen, wenn es ein Problem gibt, welches sie lösen können. Sie wollen gerne etwas tun, aber die Reaktion der Erwachsenen ist häufig: „Das kannst Du noch nicht, dafür bist Du noch viel zu jung und unerfahren.“

Mit solchen Reaktionen machen wir generationenübergreifend Fehler. Wir können unsere Kinder und Jugendliche nicht für uns gewinnen, wenn wir ihnen keine Beschäftigung geben, sondern glauben, ihr Kopf müsse mit Lehrstoff vollgestopft werden, dann kämen sie nicht auf dumme Gedanken. Aber dann schlagen sie doch plötzlich aufeinander ein, quälen einander, verprügeln Lehrer, rauchen und trinken, schneiden sich tiefe Wunden ins Fleisch und brüllen Parolen.

Das haben weder die Gesellschaft noch die Eltern gewollt. Darauf kommt es aber überhaupt nicht an. Die Jugendlichen gestalten ihren Raum oft deshalb nicht, weil wir glauben, ihnen diesen zuweisen zu müssen. Für sie ist dieser durch uns vorgeschriebene Raum aber oft eng, lieblos und ohne Ideale. Wir aber müssen unseren Kindern und Jugendlichen Möglichkeiten eröffnen, sich selbst auszuprobieren und zu beweisen. Nur damit erkennen sie ihre eigenen Fähigkeiten. Auf etwas stolz zu sein und Anerkennung zu erfahren, ist für alle Menschen wichtig, besonders aber für Kinder und Jugendliche, weil Selbstzweifel oft in Aggressionen umschlägt. Dies mit verheerenden Folgen für den Jugendlichen selbst, seine Familie und die ganze Gesellschaft.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Altersarmut

Davor habe ich Angst: Altersarmut. Ach Quatsch, sage ich dann, über 40 Jahre gearbeitet und noch immer leistungsfähig, viel Steuern gezahlt und zuweilen auch anderen geholfen. Da muss Armut im Alter doch ein Fremdwort sein. Ob ich mich vielleicht täusche?

Irgendwann im Alter funktioniert das nicht mehr mit der Innenansicht der eigenen Leistungsfähigkeit und der Außensicht, das heißt die Einschätzung meiner Leistungsfähigkeit durch andere. Das Auseinanderdriften der Anschauungen geschieht nicht von einem Tag auf den anderen, das ist ein Prozess. Je mehr ich darauf beharre, dass ich zwar älter geworden bin, aber mich eigentlich nicht geändert habe, schallt es zurück: „Toll, wie Du Dich noch gehalten hast“ oder „man sieht Ihnen Ihr Alter aber wirklich noch nicht an. Wie lange machen Sie noch? Haben Sie Hobbys? Spielen Sie etwa Golf?“

Signale sind das. Wenn ich genau hinhöre, merke ich, dass sie mich loswerden wollen. Das geschieht nicht auf brutale Art und Weise, sondern es entstehen Parallelwelten in Kirchengemeinden, Rudervereinen und Parteien. Man darf Senior sein, nein man muss Senior sein, Kaffee trinken mit anderen Senioren, basteln und in der Altherrenriege aufgestellt werden.

Soziale Entkopplung auf besonders heimtückische Art. „Ich will Ihnen nicht mehr so viel zumuten.“ Dabei sind wir lästig, wir älteren Menschen. Wir wollen zwar nicht aufhören zu arbeiten, beziehen aber bereits die Rente, die unsere Kinder und Enkelkinder erarbeiten müssen. Von wegen Solidarität. Jede Generation ist sich die nächste, alles, was ich für meine Kinder und den Staat aufgewandt habe, ist längst verbraucht und vergessen, vielleicht war ich ein AAA-Steuerzahler, aber jetzt ist Zapfenstreich. Und den blasen andere, gerne auch laut.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski