Archiv der Kategorie: Gesellschaft

Hier finden Sie meine Gedanken, Ideen und Anreize zu gegenwärtigen und vergangenen gesellschaftsrelevanten Themen, die mich und meine Umwelt bewegen.

Klimakatastrophe

Wie wollen wir die Klimakatastrophe verhindern? Durch Festkleben auf der Straße? Durch gezielte Würfe von Brei auf Bilder in Museen? Müssen wir uns hier nicht fragen, wer von solchen Aktionen so beeindruckt wird, dass er im Rahmen des ihm Möglichen alles unternimmt, um die Klimakatastrophe zu verhindern? Dass die Klimakatastrophe höchstwahrscheinlich kommen wird, davon sind die meisten Wissenschaftler, Politiker und auch Menschen weltweit überzeugt.

An wen richten sich also dann Straßenblockaden und Gemüsebreiwürfe? Rütteln sie vielleicht den noch nicht ganz überzeugten Mitbürger auf? Möglich. Ist das aber wirkungsvoll? Da habe ich meine Zweifel. Ich befürchte vielmehr, dass die Aktionen, einmal abgesehen von der öffentlich geteilten Empörung der Autofahrer und Museumsbesucher, völlig vergeblich sind. Ich hege vielmehr den Verdacht, dass es den Handelnden vor allem darum gehen könnte, sich selbst zu entlasten, zu verdeutlichen, dass sie sich künftig nicht mehr dafür verantwortlich erachten, sollte der Katastrophenfall eintreten.

Diese Aktionsform der Freisprechung ist geschichtlich und religiös verbürgt, deshalb leicht verständlich, aber stellt keine Möglichkeit dar, persönlich oder kollektiv der Katastrophe zu entgehen. Die Katastrophe wird auch diejenigen treffen, die sich zu Recht oder zu Unrecht weniger schuldig fühlen. Tatsächlich unschuldig kann allerdings kein Mensch, keine Politik, kein Staat oder wirtschaftliche Einrichtung sein. Wir alle haben uns kenntnisreich in diese Auseinandersetzung hineinmanövriert.

Es herrscht Krieg, und zwar Klimakrieg. Nachdem die Natur eine Zeit lang zur Kenntnis nehmen musste, wie wir sie ausbeuten, uns ihrer Ressourcen bemächtigen und sie auf jede nur denkbare Art und Weise verwunden, hat sie selbst den Spieß umgedreht und uns den Krieg erklärt, uns in einen Kampf gezwungen, den wir allen Prognosen zufolge verlieren werden. Wenn dies unser Erkenntnisbild ist, was können wir, was müssen wir tun, um diesen Krieg zu beenden?

Sehen wir dies einmal so: Die Antwort liegt in unserer langen Erfahrung mit Kriegen begründet. Wir Menschen hatten schon oft Gelegenheit, diese Kriege aus Einsicht oder den Umständen entsprechend zu beenden. Warum nutzen wir also dann nicht unsere Erfahrung und fordern diejenigen, die Kriege führen und auch Kriege beenden können, uns bei der Prüfung aller Möglichkeiten zu unterstützen?

Aber auch noch weitere Erfahrungen könnten uns bei der Katastrophenbewältigung hilfreich sein, und zwar die der Pandemie, aktuell die Corona-Pandemie. Auch hier haben wir gelernt, welche Maßnahmen hilfreich sein könnten, um die Katastrophe zu verhindern. Plötzlich war diese Erkenntnis da und es gab auch zumindest ansatz- und zeitweise eine internationale Gemeinsamkeit bei der Überwindung der Pandemie. Warum sollte es nicht gelingen, bei einer noch weitreichenderen Katastrophe, also der Klimakatastrophe, dieselben Mechaniken in Gang zu setzen?

Ich befürchte, weil wir im Gegensatz zu Kriegen und Pandemien noch keine Erfahrung mit Klimakatastrophen und deren Wirkungsweisen haben. Ich glaube, dies unter anderem an der Selbstgefälligkeit, mit der alle Beteiligten bisher mit dieser Katastrophe umgehen, festmachen zu können. Die Natur ist nicht der Aggressor, den Planeten gilt es, nicht zu bekämpfen, aber vielleicht betrachten wir uns als ein Virus, welches ein Interesse daran hat zu überleben und nach einem Ausweg sucht, angesichts der Fähigkeit unserer Umwelt, unseres Planeten und der Sonne, uns zu vernichten.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Lügen

„Etwas ist faul im Staate Dänemark.“ So lässt Shakespeare Marcellus in seiner Tragödie „Hamlet“ klagen. Ist etwas faul im Staate Deutschland? Diesen Eindruck müssen wir gewinnen, ganz egal, welche Medien wir konsumieren oder wem wir zuhören. Überall ist von Lügen, Betrug, Korruption und vergifteten, rassistischen, sexualisierten und antisemitischen Tiraden die Rede. Auf den Straßen skandieren Personen, erklären sich zum Volk, ob Montagsdemonstrationen oder auch Gelegenheitsdemonstrationen, sie verbreiten ihre Ansichten, dass wir vergiftet, ins KZ gesteckt, ausgeplündert, hintergangen, abgezockt und um unsere Freiheit gebracht werden.

Lesen, sehen oder hören wir zu, ganz egal, wir erfahren, dass Deutschland eine einzige Orgie der staatlichen Gewalt und des Betruges, des Raubes und der Lüge sei. Stimmt das aber für Deutschland, dem tolerantesten, liberalsten, weltoffensten Land der Welt, wo jede Person von morgens bis abends alles denken und sagen kann, was sie will, soweit sie damit nicht gegen den Grundkonsens unserer Gesellschaft verstößt, Verleumdungen und Beleidigungen vermeidet und keine Gewalt anwendet?

Die Antwort der darauf angesprochenen Person lautet: „Das stimme zwar schon, aber …“ Dann folgt eine Pause. Aber was? Was hat diese trotz aller Freiheiten verbreitete Unzufriedenheit vieler Menschen ausgelöst und was bewirkt sie? Die Meisten von uns meinen: Lass sie doch reden! Es gibt aber auch viele, die begreifen, dass das permanente Schüren von Misstrauen gegenüber anderen Menschen, den Politikern und Institutionen eine Erosion des demokratischen Zusammenhalts unserer Gesellschaft herbeiführen könnte.

Denjenigen, denen Streit, Hass und Missgunst Lebenselixier ist, mag dies gerade recht sein, aber für die Mehrheit unserer Gesellschaft, die im kritischen Respekt voreinander gemeinsam die Zukunft gestalten, ist dies ein lebensvernichtendes Szenario. Stimmt. Wir Menschen sind seit unserer Entstehung mit allen Eigenschaften, den schlechten und den guten, ausgestattet, aber in der Lage, diese im gemeinsamen Interesse in Schach zu halten.

Problematisch ist aber die Vervielfältigung, die abfällige Ansichten und Meinungen durch Medien erfahren, die, um ihre eigene Wirksamkeit zu erhöhen, das Problematische verbreiten, Skepsis sähen und Lösungen als unnahbar erscheinen lassen. Diese Vermengung von persönlichem Anerkennungsstreben mit der Zurverfügungstellung von Verbreitungsplattformen kann sich für unsere Gesellschaft weltweit, aber auch in Deutschland als zersetzend erweisen.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Hallo

„Hallo“, das klingt wie ein Weckruf. Dabei bin ich schon längst wach, „aber hallo“! Hallo hier, hallo dort, landesweit „Hallot“ es durch Deutschland. Überall, ob beim Supermarkt oder auf der Arbeitsstelle werde ich darauf aufmerksam gemacht, dass außer mir sich dort noch jemand befindet, der durch sein „Hallo“ signalisiert, dass er mich wahrnimmt und darauf besteht, ihn wahrzunehmen. Das gilt für Mann und Frau gleichermaßen.

„Hallo“ ist absolut gendergerecht und auch biologisch völlig neutral. Es ist für Tiere und Pflanzen aber noch ungeeignet, solange diese unserer Sprache nicht mächtig sind. Telefonate beginnen mit „hallo“ und Briefe oft neuerdings auch. Warum nicht einfach darauf verzichtet wird, verstehe ich allerdings nicht. Ich bin doch wach und habe auch mitbekommen, dass eine Person etwas von mir will.

Es muss kein „Grüß Gott“ sein, aber ein herzliches „guten Tag“ oder Vergleichbares und der Tageszeit angepasst, würde ich mir schon wünschen. Ich fühle mich geehrt, wenn ich so angesprochen werde und verzichte gerne auf die dem Hallo oft folgende völlig unpersönliche Du-Vertraulichkeit.

Ich bin nicht irgendeine Person da draußen, sondern jemand, der persönlich wahrgenommen und geschätzt werden will. „Hallo“ verweigert mir diese Anerkennung. Vielleicht folgt auf „Hallo“ aber bald auch nur noch ein „Hi“, dann ein Zischlaut oder gar nichts mehr. Ich würde mich nicht wundern.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Wohlstandsverdruss

Deutschland in Feierlaune! Nach pandemischen Jahren und trotz des Krieges in der Ukraine und wissend um die auf uns zukommenden Einschränkungen aufgrund Energieverknappung und zwingenden Umweltschutzmaßnahmen, die Biergärten und Straßenlokale sind voll besetzt, Events boomen und wer noch nicht gefeiert hat, der feiert jetzt!

Und doch scheint etwas nicht zu stimmen. Die Szene mutet zwanghaft an, trotziges Feiern, gibt es das? Ich glaube ja. Nichts ist mehr, wie vor der Pandemie und dem Krieg in Ukraine. Davor erschien alles so selbstverständlich. Klimaschutz, naja, aber so schlimm wird es nicht werden und wir schaffen das!

Das waren Merkel-Jahre und wir blieben gelassen. Da hat sich etwas geändert. An 2019 können wir nicht anknüpfen, die Merkel-Jahre sind vorbei, die Zuversicht ist verloren. Den Mundschutz sind wir vorübergehend los, aber wir bleiben gezeichnet durch die Jahre der Pandemie. Wir sind misstrauisch geworden. Verwundert und hartnäckig, an alte Rituale uns erinnernd, klammern wir uns an alle möglichen Festivitäten, als seien sie Strohhalme, die uns das Überleben sichern.

Wir wollen festhalten an gewohnten Besitzständen, sind aber unsicher, wie lange uns die Gnade des Wohlergehens noch gewährt wird. Der uns so vertraute Wohlstand wird durch Kriege, Bedrohungen, Zinserhöhungen, Lieferkettenprobleme und schließlich auch durch gravierende Energie- und klimabedingte Einschränkungen belastet.

Noch wäre es falsch, dies offen zu bekennen, aber gerade der Wohlstand hat uns diese Misere eingebrockt. Es ist viel leichter, das Licht einzuschalten, als es auszuschalten, auf ein paar Bequemlichkeiten verzichten zu müssen, als in der Erwartung zu leben, sich erheblich einschränken zu müssen. Einschränkungen, die wir erfahren, begreifen wir als politisches Versagen und Eingriff in unsere Persönlichkeitsrechte. Wir sind es gewohnt, Ansprüche zu formulieren und nun werden wir mit einem Pflichtenheft konfrontiert? Ist vielleicht daran der Wohlstand schuld? Nachdem wir uns der Antworten aller übrigen „Verdächtigen“ vergegenwärtigt haben, fangen wir an, den Wohlstand selbst als einen möglichen Auslöser unserer Misere zu begreifen.

Verbesserungen der Lebensbedingungen, Fortschritt und Wohlstand, all dies schien sich zu bedingen, jeden Tag waren wir in Feierlaune. Nun wird uns aber bewusst, wie trügerisch dieser Wohlstand ist, dass er nicht zu halten bereit ist, was er verspricht und unsere Feiern eher denjenigen auf einem Vulkan ähneln, als dem Siegesfest nach einer überstandenen Pandemie.

Es gibt Menschen und die scheinen nicht wenige zu sein, die sind diesen Wohlstand satt und wünschen sich eher ein verlässliches, auskömmliches, verantwortbares und solidarisches Menschenleben für ihre Kinder und sich selbst. Auch dies kann Wohlstand sein, auch wenn er nicht tage- und nächtelang auf Straßen und Plätzen gefeiert wird.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

German Angst

Angst war oft schon Gegenstand meiner Betrachtungen in Blogbeiträgen. „German Angst“ noch nie. Wieso? Vermutlich deshalb, weil „German Angst“ ein Begriff ist, den andere als Ausdruck für unsere Befindlichkeit als Deutsche geprägt haben, wir aber uns diesen nicht zu eigen machen wollen oder können. Der Begriff „German Angst“ strahlt etwas Befremdliches aus, etwas, das geeignet ist, uns verächtlich zu machen und unsere Schwierigkeiten, mit der Welt zurechtzukommen, als verwunderlich beschreiben soll.

Unsere Angst vor allem bietet gleich auch das deutsche Gegenmittel: „Hab dich doch nicht so!“ Wie es mit den Ängsten anderer Menschen weltweit bestellt ist, weiß ich, wie viele Deutsche, auch nicht. Es gibt sicher Ängste, die alle Menschen teilen und die mit Armut und Umweltzerstörung in Verbindung gebracht werden können, um nur zwei herausragende Themen zu nennen.

Bei Asterix und Obelix gibt es die stete Angst, dass einem das Dach auf den Kopf fallen könnte. Bei uns scheint es so, als gäbe es vor allem eine Art Angst, die durch mangelndes Zutrauen in die eigenen Fähigkeiten hervorgerufen wird. „The German Angst“ scheint also vor allem eine allumfassende Angst zu sein, die allerdings im Einzelfall wieder gebändigt und überwunden werden kann.

Sie beruht auf hoher Sensibilität, aber auch Erfahrungswissen. So oft und so leicht wurden die Deutschen schon Opfer ihrer eigenen Hybris. Sie glauben, dass sie sich keine weiteren Fehler leisten können und schicken daher ihre Angst vor, damit sie mögliche Irritationen schon von vornherein ausräumt.

Gelingt das? Ich habe da meine Zweifel. Ich glaube, dass Zuversicht, Unbekümmertheit und Mut, die Gefahren erkennen, einkalkulieren, aber nicht Besitz und Seele und Geist ergreifen lassen, viel bessere Ratgeber sind, als Angst, die schließlich danach trachtet, etwas zu verhindern, anstatt es zu ermöglichen. So aber kann weder persönlich, noch gesellschaftlich eine vertrauensvolle Zukunft gestaltet werden. Die Zuversichtlichen, die meinen, dass schon immer alles gut gegangen sei, haben wahrscheinlich recht. Wer wagt, gewinnt, oder?

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Zumutung

Stellen wir uns vor, es gäbe nur einen einzigen Menschen auf dieser Welt, ganz klar, niemand könnte dessen Existenz bezeugen. Er würde leben, als sei er nicht geboren. Dies schon deshalb, weil er machen könnte, was er will und niemand wäre in der Lage, dies zu sehen, zu hören und zu spüren. Der einzige Mensch müsste keine Rücksichten nehmen, weil Rücksicht die Anwesenheit zumindest eines weiteren Menschen voraussetzt. Diesen einzigen Menschen gibt es also nicht. Das wissen wir genau.

Wir sind viele und sehen, hören und spüren den anderen Menschen. Wir erfahren, was dieser macht, beruflich und privat, zum Beispiel grillen, Technobeat hören und feiern. Wenn wir dies alles auch und möglichst zur gleichen Zeit wollen, ist alles in Ordnung, gibt es keine Probleme, denn es herrscht Übereinstimmung bei den Wünschen, Zielen und deren Verwirklichung. Wenn wir aber nicht wollen, was ein anderer will, ist es eine Zumutung.

Zumutungen entstehen dadurch, dass ein anderer Mensch so handelt, als sei er, entgegen aller möglichen Wahrnehmungen, alleine auf der Welt, womit auch jegliche Notwendigkeit der Rücksichtnahme entfalle, weil niemand einen hört, sieht oder fühlt. Obwohl uns die Absurdität dieses Vorhabens geläufig ist, kommt es oft zu den beschriebenen Zumutungen, weil viele, ja die meisten Menschen so handeln, als seien sie allein auf der Welt.

Dabei bräuchten sie sich nur umzuschauen, um ihren Irrtum zu erkennen. Aber, es ist kein Irrtum, nein, sie wissen sehr wohl Bescheid, aber sie tun dennoch so, als seien sie allein auf der Welt. Sie trauen sich dies, weil alles andere, d. h. auch die anderen Menschen, ihnen völlig egal sind, weil sie keine Rücksicht nehmen wollen, weil sie, nein nicht nur sie, sondern auch alles beherrschen wollen, das Ohr, die Nase, den Mund, den Verstand, das Gefühl und das Gemüt eines anderen Menschen.

Das Motto: Ich kann machen, was ich will, auch mit den anderen Menschen. Aber die sollen bloß nicht kommen, wehe! Wer mich hindern will, der kriegt Krieg! Rücksicht ist nicht meine Sache, man wird doch noch seinen Spaß haben dürfen. Meine Ansprüche lasse ich mir nicht nehmen. Wenn sich irgendjemand gestört fühlt, dann soll er gehen.

Wohin? Das ist mir doch egal!

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Vermächtnis

Nicht nur in Testamenten werden vom Erblasser Vermächtnisse ausgesetzt, die dann sein Erbe zu verwirklichen hat, sondern auch jedes Bild, jedes Kunstwerk, jeder Text und auch jedes Zeichen stellt ein Vermächtnis seines Urhebers dar. Doch, was verkörpert dieses, welche Bedeutung ist darin verborgen und wer ist der Adressat seines Vermächtnisses?

Manche Vermächtnisse, also Zuwendungen, sind unkompliziert zuzuordnen, wenn der Adressat genannt wird, dies selbst dann, wenn der Adressatenkreis, wie zum Beispiel bei Kunstwerken und in der Literatur, sehr weit gefasst und anonym sein sollte. Wie verhält es sich aber mit höchstpersönlichen Gestaltungen, zum Beispiel Tattoos, Piercings, Ohrtunnel und anderen körpernahen Modellierungen?

Stellen auch diese Vermächtnisse ihren Urheber dar und welche Rückbezüglichkeit ist mit einem solchen Vermächtnis beabsichtigt? Wie verhält es sich mit einem selbstbestimmten Geschlecht, sei dies sexuell oder sozial, ist auch dies ein Vermächtnis und dann an wen gerichtet und aus welchem Grunde?

Vermächtnisse zeigen Wirkung, aber der Urheber will auch etwas Persönliches bewahren, wer sich schneidet oder tätowieren lässt oder ein anderes Geschlecht wählt, als demjenigen, dem er anzugehören scheint. Auf sich aufmerksam zu machen, sich zu verstecken oder sich zu verkleiden und ein ewiges Zeichen der Existenz zu setzen, all das dürfte diesem körperlichen Vermächtnis innewohnend sein. Aber es ist auch ein Akt der Solidarität mit denen, die ähnliche Vermächtnisse aussetzen und sich so ihre Einzigartigkeit und Vielfältigkeit in der Gemeinschaft mit anderen versichern.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Kriegslogik

Dass es mit dem Morden in der Ukraine zu Ende geht und dieses Einhalten die Rückkehr unserer Energiesicherheit gewährleistet, dürfte ein weit verbreiteter Wunsch in Deutschland sein. Es besteht folglich zur Zeit ein „Hoch“ für diplomatisch diplomierte Meinungsbürger, die Waffenstillstand und Frieden fordern und dabei freigiebig fremdes Gut, also die Ukraine, verteilen wollen. Die Krim soll ohnehin bei Russland verbleiben, denn dieses entspricht den Verhältnissen.

Sie kann also weg, der Donbass scheint eher russisch zu sein oder sowjetisch, zudem Industriegebiet, also schmutzig, undurchsichtig, bedenken wir also den Klimaschutz und die künftigen Anstrengungen, diesen zu erhalten bzw. wieder aufzubauen, sollen doch die Russen den Ärger haben, der Donbass kann weg. Die Westukraine war diese nicht vielleicht auch ein bisschen österreichisch?! Das behalten wir, aber da wir noch nicht genau wissen, wie dieses „behalten wir“ aussieht, bevorzugen wir die Sicherung durch Schaffung eines UN-Mandatsgebiets, einer Sonderzone, einem Puffer. Die Welt kann sich dann darum kümmern, aber endlich wird es wieder Frieden geben.

Die so reden, sind keine Zyniker, sondern Menschen, die schlicht ihre Interessen vertreten und dies bar jeglicher Erkenntnis und in völliger Ahnungslosigkeit tun, aber ihren Gefühlen vertrauend. Sie verkennen allerdings dabei, dass der Kriegsherr Putin der erste Beamte eines autoritären russischen Staates ist, dessen Macht durch Strukturen, die er selbst mit geschaffen hat, gefestigt wurde. Nicht Ideologien oder Terror sind Putins Herrschaftsinstrument. Er ist weder Stalin, noch Hitler.

Auch wenn der eine oder andere Russe ihn vergöttern mag, darauf wird er sich nicht verlassen können, sondern allein auf seine Polizei, die willfährige Justiz und das Militär. Seine Macht ist strukturell verankert und daher schwer auflösbar, weil hierfür die Zustimmung der in den Strukturen handelnden Personen erforderlich wäre. Werden sie aber ihre Zustimmung erteilen und, wann werden sie dies tun?

Wahrscheinlich dann, wenn sie sehen, dass Putin scheitert, wenn sie sehen, dass der Ukrainekrieg auf einer Fehleinschätzung ihres Kriegsherrn und seiner Gefolgschaft beruht, dann, wenn sie erhebliche Nachteile erleiden und die Jugend keine Perspektiven mehr für sich erkennt. Narrative sind beliebig oft und vielfältig erzählbar, aber werden die Strukturen Russlands beschädigt, ist Putin am Ende.

Einen Waffenstillstand und ein verkündeter Friede spielt Putin dagegen in die Hände und stärkt seine Position. Solange Putin die Sinnlosigkeit des von ihm entfesselten Krieges nicht wahrnimmt und entsprechend handelt, geht das mörderische Spiel weiter, augenblicklich noch in der Ukraine, aber dann vielleicht auch in Estland und Litauen, wer weiß?

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Krieg

Meine Mutter, die zu Beginn des 2. Weltkrieges gerade 17 Jahre alt geworden war, erzählte mir von ihren Wahrnehmungen an jenem Tag, an dem die deutsche Wehrmacht auf Befehl Hitlers Polen überfiel und damit diesen mörderischen 2. Weltkrieg auslöste. Es war, so sagte sie, ein strahlend schöner Tag und dann weiter: „Ich ging mit meinen Freundinnen ins Strandbad Wannensee. Das Wetter war herrlich und wir hatten viel Spaß miteinander.“ Meine Mutter war damals einfach ein junges Mädchen, das Spaß haben wollte, naiv und erwartungsfroh auf das Leben, frei von jeder Vorstellung, was dieser Überfall einmal auch für sie bedeuten werde.

Dieses Bild der vergnügten jungen Frauen beschäftigt mich und findet seine Deckung mit Bildern aus Odessa und anderen Städten der Ukraine, aber selbstverständlich auch Russlands: lachende, tanzende, übermütige und sich des Lebens freuende junge Menschen. Kann dies angesichts des Schreckens sein? Ja, so meine ich, das kann es und macht Hoffnung, Hoffnung auf Leben, denn diese jungen Menschen sind nicht für den Tod geboren worden. Der gewaltsame Tod, der ihnen drohen könnte, ist ein ungeheures Verbrechen, Verrat an dem ihnen gegebenen Lebensversprechen.

Ihr Lachen und Frohsein angesichts des Schreckens stellt eine Anklage gegen diejenigen dar, die Kriege beginnen und führen. Ihr Lachen entlastet uns allerdings nicht, sondern macht die Bürde noch schwerer, als sie ist, wenn wir uns unserer Schuld bewusst werden. Erinnern wir uns: Kriege können wir nur führen, weil wir geboren wurden, Mütter uns genährt und uns Raum zur Entfaltung und Erprobung unserer Fähigkeiten gegeben haben.

Wir wurden, was wir sind, mit Hilfe und Unterstützung unserer Eltern und anderer Menschen, die mit uns lachen, feiern und dafür gesorgt haben, dass unsere Bedürfnisse gestillt werden. Jetzt aber, da wir erwachsen geworden sind, halten wir uns, zumindest einig von uns, in der Rolle von Tätern und deren Unterstützer für berechtigt, das Leben anderer Menschen, z. B. der Jugendlichen, die wir doch einmal selbst waren, zu zerstören.

Wie ist das möglich, wo ist da die Logik? Die Jugendlichen haben recht, wenn sie uns auslachen, wenn sie lachen, weil sie mächtiger sind, als wir, „die Täter“. Sie lachen uns ins Gesicht, sie lachen uns aus, weil sie leben wollen und dabei wissen, dass auch wir bald tot sein werden, ihr Tod uns also keine Vorteile, kein ewiges Leben verschafft.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Authentizität

Wir werden überschwemmt von Nachrichten, Botschaften politischen und wissenschaftlichen Inhalts, werden informiert über Erkenntnisse in der Biowissenschaft, der Klimaforschung, der fortschreitenden Digitalisierung unserer Welt.

Eine Fülle von Informationen bemächtigen sich unserer Gedanken und Gefühle, erfahren eben genau durch unsere Wahrnehmung ihre Authentizität. Ohne uns und unsere Wahrnehmung wären alle Informationen völlig nutzlos, es sei denn, wir favorisierten den Informationsaustausch künstlicher Intelligenzen unter gleichzeitigem Verzicht auf jede menschliche Einmischung.

Ich bin allen medialen Formaten dankbar, die zwar meist nicht zielgerichtet, aber opulent im Angebot meine Wahrnehmungsbedürfnisse zu stillen versuchen. Auch wenn der Hunger nach noch mehr Informationen ständig wächst, vernetze ich mich so mit allem Wissen, das wiederum meine Zellen in Schwingungen versetzt, das Feuer in meinem Gehirn so zu entfachen vermag, dass ich den Wunsch verspüre, Blogbeiträge zu schreiben. Diese Blogbeiträge sind bereits Verarbeitungsprodukte meinerseits aus vorgekauten und verarbeiteten Produkten Anderer.

Primäre Informationsbedürfnisse werden durch meine Blogbeiträge nicht gestillt, aber möglicherweise Informationen aus der Aufbereitung von Gedanken und Gefühlen weitergegeben, die geeignet sein können, einen potentiellen anonymen Adressaten seinerseits zu Erkenntnissen zu verhelfen. Wenn ich von Organoiden höre und von Optogenetik lese, verstehe ich natürlich nur das, was ich lesen und begreifen kann, aber meine Einschätzungen sind dennoch Botschaften der Begeisterung oder der Angst, die beeinflussend wirken können.

Deshalb scheint es mir wichtig zu sein, das Leben als Lernprozess zu begreifen und sich zuweilen auch in Blogbeiträgen auszudrücken, und zwar selbst dann, wenn man davon ausgehen muss, dass die meisten Beiträge von Suchmaschinen angeklickt werden. Aber selbst dann, wenn niemand meine Beiträge lesen würde – was offenbar nicht stimmt – bleibt festzustellen, dass jeder – also auch jeder nicht offensichtlich wahrgenommene Gedanke – das gemeinsame menschliche Gedächtnis zu bereichern in der Lage ist. Deshalb werde ich weiter schreiben, aus Pflichtgefühl.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski