Archiv der Kategorie: Gesellschaft

Hier finden Sie meine Gedanken, Ideen und Anreize zu gegenwärtigen und vergangenen gesellschaftsrelevanten Themen, die mich und meine Umwelt bewegen.

Bildung

Wie im Falle des Begriffspaars Besitz und Eigentum, geht auch bei Wissen und Bildung einiges durcheinander. Besitz bedeutet die Herrschaftsgewalt an einer Sache, Eigentum deren rechtliche Zuordnung. Bei rechtmäßigem Besitz kann der Besitzer selbst den Eigentümer von der Verfügungsgewalt ausschließen.

Wissen ist die umfassende Sachherrschaft von uns Menschen an allen Gedanken, Empfindungen und Erfahrungen, seien diese historisch oder gegenwärtig. Bildung wird mit der Zueignung des Wissens durch jeden einzelnen Menschen entsprechend seiner Fähigkeiten und Möglichkeiten begründet. Deshalb können Elternhäuser, Kindergärten, Schulen und Universitäten nur insoweit Bildungseinrichtungen sein, als sie emotional, logisch und intellektuell die Voraussetzungen dafür schaffen, dass der Mensch auf sehr subjektive Art und Weise aufnahmefähig und empfangsbereit für Wissen wird.

Kein Computer, kein Internet und Datenstrom bewirkt die Bildung eines Menschen, sondern allein dessen Reaktion auf alle Wissensangebote. Bildung ist ein kommunikativer Augenblick der Wissensaufnahme, der Reflexion und der Verinnerlichung, um sich der Wahrnehmung zu versichern.

Ohne eine gesellschaftliche Verankerung ist Bildung nicht denkbar. Bildung ist eine Erfahrung, die alle Menschen miteinander in Dankbarkeit teilen sollten, weil jeder einzelne Mensch wissend dazu beiträgt.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Sharing

Unsere Begriffswelt strotzt vor Anglizismen. Dennoch habe ich nicht das deutsche Wort „teilen“ hier gewählt, sondern Sharing. Sharing ist mehr als Teilen. Es umfasst das gemeinsame Teilen. Unter Sharing-Economy verstehen wir eine Wirtschaftsform, die sich dadurch mitteilt, dass alle am Produktionsprozess beteiligten Menschen ihren Erfolg miteinander teilen. Bei der Sharing-Economy ist der Konsument, wie auch der Produzent gleichermaßen in der Pflicht, etwas zu gestalten, das sinnvoll ist und alle bereichert, den Konsumenten, wie den Produzenten, den Distributer genauso wie den Investor. Es geht um ein gemeinsames Anliegen.

Themen gemeinsamer Anliegen finden sich bei der Müllvermeidung, wie bei der Lebensmittelrettung, dem Klimaschutz und der Mehrfachnutzung von Böden und Gerätschaften. Der Gedanke der Share-Economy ist übertragbar in fast alle Bereiche menschlichen Zusammenlebens, um den größtmöglichen Nutzen für alle aus vorhandenen Ressourcen und deren Handhabung zu schaffen.

Auch, wenn Mehrwerte und Profite entstehen, Leistungsanreize geschaffen werden und Fortschritt willkommen ist, entspricht es der Logik, bisheriges, auch nutzbringendes Verhalten zu überprüfen und dieses neuen Herausforderungen anzupassen. So findet Sharing künftig zum Beispiel auch darin seinen Ausdruck, dass in Restaurants statt prall gefüllter Teller Schüsseln auf den Tisch kommen und die Gäste das, was sie nicht essen können oder wollen, mitnehmen und auf der Straße verteilen. Dies geschieht in vielen Ländern aus religiösen oder sittlichen Gründen, jedoch noch nicht bei uns.

Sharing heißt aber, Verantwortung zu übernehmen für sich selbst, für andere und für die Sache. Zu teilen ist gerecht und ein Zukunftsversprechen für unsere Kinder und Enkelkinder. Deshalb wünschen wir uns das Essen aus Schüsseln und „doggy bags“.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Gesellschaftliche Herausforderung

In einem neuzeitlichen Konversionsprozess wird die Gesellschaft mit folgenden Herausforderungen konfrontiert:

Fremdheit unter den Bevölkerungsgruppen, Integrationsunfähigkeit einerseits und Zurückweisung anderer Lebensformen, Anschlussversagen, Verstärkung des Aggressionsverhaltens   bei Fundamentalisten und Randgruppen

  • existenzielle Herausforderung des Menschen infolge des Klimawandels mit der Konsequenz zunehmender Auseinandersetzungen über Zukunftsfragen auch im nichtstaatlichen Raum; nachhaltige Erhaltung der Natur als Grundlage des Lebens auf diesem Planeten
  • fortschreitende Technologisierung unseres Lebens aufgrund wissenschaftlichen Fortschritts mit der Folge religiöser Überhöhungen und/oder nihilistischer Tendenzen
  • Gestaltung der weltweiten Internet-Community ohne eindeutige Regulierung dieses Bereiches
  • neuzeitliche Migrationsformen und in Folge dessen die Wiederbelebung massiver Verteilungskämpfe
  • Veränderung des erwerbsorientierten Lebens durch Anwachsen der Alterspyramide und Schaffung neuer Herausforderungen an unser Lebens- und Alterssicherungspaket
  • globaler Impact und regionaler Behauptungswille der Bürger
  • Subsidiarität staatlichen Handelns bei einem erstarkten bürgerschaftlichen Engagement einschließlich dessen Verwirklichungen durch Stiftungen, sonstige philanthropische Einrichtungen, Bürgerproteste, Bürgerversammlungen und sonstigen Aktionen
  • gesellschaftliches Ungleichgewicht infolge extensiver Marktmacht von Banken und Wirtschaftsunternehmen
  • Demokratiedefizite; eigenverantwortliches Handeln versus staatliche Bevormundung; Stärkung der Familienstrukturen
  • Wege aus der Endkulturalisierung unserer Gesellschaft durch Bildungsschwund, durch Ruhelosigkeit und mediale Überflutung

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Menschenrechte

Dass Menschen Rechte haben, diese Ansicht wird heute schon von vielen Mitmenschen geteilt. Was das aber bedeutet, darüber herrscht weitgehend Unklarheit. Ist das Menschenrecht ein Naturrecht oder werden Menschenrechte verliehen? Vom Staat, von Gesellschaften oder Organisationen? Sind Menschenrechte Universalrechte oder speziell ausgestattete Normen für Menschen?

Über diese und weitere Fragen, die sich in diesem Zusammenhang stellen, gibt es ausufernde historische, politische, rechtliche, natur- und geisteswissenschaftliche Abhandlungen. Aber, so wage ich zu fragen, kommt es denn vielleicht auf etwas viel Wichtigeres als die Klärung dieser Frage an, und zwar auf das Menschliche an sich, das sicher auf den rechtlichen Schutzraum oft nicht verzichten kann, aber vor allem einem viel tieferen Verständnis vom Menschen folgt, zur Selbstbehauptung weder Rechte, noch Pflichten benötigt, natürlich auch keine Garantien und sonstige Versprechen. Ecce Homo. Seht, da ist der Mensch.

Als Mensch, Teil der Natur und des Universums, dieser Gewissheit wohnt die Anschauung eines Selbstverständnisses der menschlichen Existenz zugrunde, die Wahrnehmung einer Aura des Schutzes und der Unversehrbarkeit durch andere Menschen, und zwar unabhängig davon, ob deren verletzende Aktivitäten aus ihrer Sicht gerechtfertigt erscheinen oder nicht. Indem sie Anderen zu nahetreten, sie verletzen oder auf sie einwirken, beschädigen sie nicht nur die psychische, geistige und physische Gestalt des Mitmenschen, sondern stellen sich selbst als Mensch in Frage. Es ist so, dass jede Angriffshandlung auf einen anderen Menschen selbstbeschädigend wirkt. Dies nicht nur individuell, sondern auch insgesamt traumatisierend.

Möge dies jeder bedenken, der aus politischen, religiösen oder sonstigen Gründen sich in irgendeiner Form eines anderen Menschen bemächtigt. Er entkommt seiner Selbstbeschädigung nicht, er schließt sich auf Dauer heimatlos aus der menschlichen Gemeinschaft aus, es sei denn, er begreift, um was es im menschlichen Leben geht, und zwar um alles und nicht um ihn oder irgendeine Anschauung vom Anderen, seien diese subjektiv oder kollektiv hervorgebracht.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Philanthropie als Motor der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung

Land auf, Land ab ist davon die Rede, dass der Innovationsstandort Berlin verbessert werden müsse. Eine Verknüpfung der Kreativen mit den „Machern“, die Ideen wirtschaftlich umsetzen können, sei notwendig. Es müssten weitere Ausbildungsstandorte und vor allem solche der wirtschaftsnahen Umsetzung von wissenschaftlichen Erkenntnissen geschaffen werden. Es heißt auch, in Berlin müsste eine neue Industrie entstehen.

Für die wirtschaftliche Entwicklung sei es außerordentlich wichtig, Patente zu erzeugen und für weit gefächerte staatliche und europäische Fördermaßnahmen zu sorgen. Wie das alles geschehen soll und welchen Nutzen unser Gemeinwesen von horrenden Investitionen in immer neue Standorte haben wird, hinterfragt niemand. Das wirkliche Ziel ist derart im Nebel, dass es leicht fällt, sich unterzuhaken und gemeinsam zu beschwören, was im Interesse einer wirtschaftlichen Entwicklung unbedingt von Nutzen sei. Da der Zusammenschluss von Kreativität und wirtschaftlicher Ausbeute so verheißungsvoll klingt, wird in Kauf genommen, dass ein solches Vorhaben völlig übersteuert ist, keiner den Nutzen dieses komplexen Gedankens erklären kann und schließlich überhaupt nicht nach den Protagonisten derartiger Überlegungen gefragt wird.

Die Jugend ist heute auch nicht kreativer, als die Jugend es früher war. Kreativität kann man nicht verordnen. Sie ist vielleicht in ihrer Pluralität gar nicht so wichtig, wie sie bedeutungsschwer in den Worten mancher Politiker anklingt. Die Jugend ist daran interessiert, wie alle Generationen davor auch, sich einigermaßen wirtschaftlich zu entwickeln, ein soziales Netz zu pflegen, ein Familienleben zu gestalten und individuellen Freizeitaktivitäten nachzugehen. Um diesem Lebenszweck gewachsen zu sein, ist die Jugend generell fleißig und betriebsam, lässt mit anderen Worten Industria walten, um sich gemeinschaftlich und auch individuell in diesem Leben behaupten zu können. Das war schon immer so. Unser Leben hat sich aber verändert. Technisch ist es durch die Computerwelt, wirtschaftlich durch Massenproduktion und sozial durch eine sich entwickelnde Bürgergesellschaft bestimmt.

Das ist der Jugend sehr wohl bewusst und deshalb sind sehr viele Jugendliche auch via Internet außerordentlich daran interessiert, das Potenzial philanthropischer Einrichtungen zu ergründen. Eine der ganz großen Möglichkeiten philanthropischer Einrichtungen ist zunächst deren Ungebundenheit und Freiheit von unmittelbarer staatlicher Bevormundung. Der Staat ist für gesellschaftlichen Fortschritt nicht zuständig, sondern seine Bürger, individuell und in der Gemeinschaft. Im philanthropischen Bereich werden eine Fülle von Dienstleistungsformen unterschiedlichster Art entwickelt, auch Werte und Patente geschaffen, die eingesetzt werden können.

Der philanthropische Bereich gewährt Arbeitsplätze, stellt Minikredite, auch Venture Capital zur Verfügung und lässt es vor allem zu, über die Grenzen der Realwirtschaft hinaus multiple Fähigkeiten zu erproben. Die Philanthropie sollte von der Realwirtschaft profitieren, weil Handlungsabläufe verbessert und der Gesamtauftritt effektiver gestaltet werden könnten. Andererseits verfolgt die Philanthropie nicht nur profitwirtschaftliche Gesichtspunkte mit dem Ziel, das Erworbene finanziell zu erhalten und zu mehren, sondern versucht zu vermitteln, dass Geben bereichert, der Einsatz für andere sich auszahlt und die Seinsbestätigung durch Zuwendungen erfolgreich ist. Das erkennen Jugendliche sehr genau und gerade die Verbindung zwischen ideeller Zielsetzung und wirtschaftlicher Betätigungsmöglichkeit erlaubt es Jugendlichen, ihre gesamten vielfältigen Fähigkeiten und Potenziale, also ihre Kreativität, auszuspielen. Sie können grenzenlos spinnen, neue Erfahrungen normativ bändigen und dadurch für wirkliche Innovationen in unserer Gesellschaft sorgen. Wertvoll ist das, was der Mensch als wertvoll erkennt. Wenn der Mensch die Kraft der Philanthropie zu erkennen vermag, steht die Tür weit auf für ganz neue sinnbildende Erfahrungen für alle Generationen, die jungen und die alten Kreativen.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Generation Z

Kürzlich war ich Gast einer Veranstaltung, die sich mit den Chancen und Perspektiven der Ge­neration Z beschäftigte. Generation Z dürften die 16- bis 24jährigen der jetzigen Generation sein. Genau weiß dies allerdings niemand, da Altersabgrenzungen immer problematisch sind. Gespannt dürfen wir natürlich darauf sein, wer nach der Generation Z heranwächst. Vielleicht eine Generation Alpha oder irgendeine Zifferngeneration. Wer kann, wer will das schon wissen.

Eine Generation definiert sich, so will man glauben. Eine Generation wird definiert. Das dürfte näher an der Wahrheit sein. Die Generation Z sei von den digitalen Kommunikationsmitteln geprägt, dadurch gleichzeitig gefordert und überfordert, kooperativ und doch bindungslos. Kurzum: eine Generation in der Wir-Findung, aber kreativ, talentiert, ausgestattet mit hohem Potential. Es sei eine gesellschaftliche Aufgabe, die Talente und Fähigkeiten zu entwickeln, Freiraum zu schaffen und alle kreativen Ansätze dieser Generation zu fördern.

Auch zwei Vertreter der Generation Z waren bei der Veranstaltung, etwas knurrig und selbstbewusst, aber durchaus zufrieden, mit dem, was sie hörten. Sie dachten sich wohl ihren Teil und spekulierten auf den Nutzen der verbalen Angebote für ihre Zwecke. Die Veranstaltung lief in einem etwas breiigen Verständnismodus ab. Wie wir dies auch schon in anderen Diskussionen mit und über Jugendliche erleben durften, geht es immer darum, dass wir sie verstehen, ihre Zukunftsängste begreifen, unser Versagen eingestehen und hoffen, dass die Strafe für uns nicht allzu drastisch ausfällt.

Ein ganz merkwürdiger Ablaufplan für die Entwicklung unserer Generation und der kommenden. Eher beiläufig als zentral ist von Struktur, Ordnung, Verantwortung – auch Selbstverantwortung – und Pflicht die Rede. Dabei schaffen gerade Ordnung und Pflicht diejenigen Organisationen, die geeignet sind, auch junge Menschen dazu zu befähigen, sich unter Zurückhaltung einzubringen in persönliche, gesellschaftliche und wirtschaftliche Prozesse, um ausbaufähige Positionen zu erlangen. Kreativität bis hin zum Talent für eine bestimmte Aufgabe kann sich doch nur dadurch entfalten, dass es einen Plan gibt.

Solange Anspruch und Wirklichkeit beziehungslos durch Bildungsplattformen mit öffentlichen Diskussionen geistern, können sie nichts beitragen zu Selbstbewusstsein und Eigenständigkeit einer Generation Z, Alpha oder eins. Es sind nicht die alten überkommenen Werte, die Hilfestellung leisten können. Erprobte Vorgaben, Rituale und Verhaltensanforderungen schaffen dem einzelnen Menschen und der Gesellschaft das notwendige Rüstzeug für die Zukunft.

Algorithmen sind keine Erfindungen der Neuzeit oder gar der Generation Z, sondern dem Menschen immanent seit jeher. Wir sollten daher nicht in der Disruption, sondern in der reflektierten Kontinuität Chancen für unsere Kinder und auch für uns sehen.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Vuka

Vuka bezeichnet Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambivalenz. Die Begriffe, die in diesem Akronym stecken, sollen unternehmerische Chancen in der Arbeitswelt bezeichnen. Details hierzu vermittelt unter anderem Wikipedia.

Zutreffenderweise wirken alle zusammenfassenden Wortschöpfungen gleichsam bedeutsam, d. h. der Begriffsempfänger lässt sich beeindrucken, versucht zu verstehen und wiederholt das Akronym solange bis es in seinen Gedanken festsitzt. Ob dies gleichermaßen für die dahinterstehenden Begrifflichkeiten gilt, ist fraglich. Aber selbst dann, trotz Wikipedia und weiterführenden Deutungswerken erschließt sich nicht ohne Weite­res der Sinn und vor allem der Nutzen des Begriffes. Wie verhält es sich mit Unsicherheiten, heute und früher? Wie verhält es sich mit Mehrdeutigkeiten, heute und früher? Verschafft Internet Macht, wie zum Beispiel beim „Generation Clash“ in Honkong? Schafft das Internet Abhängigkeit, wie in China oder weltweiten Anerkennungsfrust? Was werden die Jobs der Zukunft sein? Werden Beschäftigungsverhältnisse, wie wir sie kennen, keine Perspektive haben? Gibt es noch verlässliche Prognosen für das Wirtschaften in bekannten Bahnen?

Es ist schon erstaunlich, wie wir uns an Unsicherheiten abarbeiten, vorhandenen wie erfundenen. Wir versuchen uns in ständiger Selbstreflexion zu behaupten, misstrauen aber jeder Selbstversicherung unserer Wahrnehmung, unseres Urteils und dem Gestaltungswillen künftiger Generationen.

Kein Akronym kann hinlänglich die Wirklichkeit beschreiben, noch uns Rezepte für die Bewältigung der Zukunft liefern. Hilfreich wäre es, sich auf die eigene Kraft der Gedanken und Gefühle zu besinnen, um daraus soziale Muster zu formen, die betreutem Denken widerstehen und „Selbstoptimierung“ in einem verantwortlichen Umgang mit anderen Menschen und den Herausforderungen der neuen Zeit erlauben. Wir Menschen machen sicher nicht alles richtig, sind aber fähig, unpassende Verhaltensweisen zu korrigieren.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Dataismus

Was unter Dataismus verstanden werden soll, muss noch geklärt werden. Was Dadaismus ist, wissen inzwischen etliche Menschen, die sich mit Geschichte und Kultur befassen. Eine der Hauptmerkmale des Dadaismus ist die Dekonstruktion, d. h. die planmäßige oder mutwillige Zerlegung vertrauter Vorgänge, um Bilder zu erzeugen in den Bereichen Kunst, Literatur und Musik, damit sie sich einer geänderten Betrachtung erschließen.

Wie verhält es sich mit dem Dataismus? Auf welcher Dekonstruktionsgrundlage bewegt sich dieser Ismus? Vermögen wir vom Dataismus zu sprechen, weil die Daten die Zerlegung vertrauter Sprache, Bilder und Musik in elektronische Impulse ermöglichen? Aber selbst, wenn man dies bejahen würde, kämen dann nicht Zweifel auf, ob Dadaismus und Dataismus sich vertragen, denn während Dadaismus die Dekonstruktion von Systemen propagiert, beruft sich Dataismus notwendigerweise auf Regeln, sprich Algorithmen.

Dadaismus reflektiert die Form und schafft dort Brüche und Veränderungen, die sich auf die Inhalte auswirken, während Dataismus sich formstreng gebärdet und inhaltlich verwaltet, was an Daten angeboten wird. Allein die technische Dekonstruktion schafft nichts Neues, ist aber in seiner Wirkung weit mehr, als ein reflektiver Dadaismus zulassen konnte.

Die Absurdität des Dataismus beruht in der unendlichen Verfügbarkeit von Daten, die sich systemisch kontrolliert in unermesslicher Vielfalt verbünden, auseinandergehen, sich vertrauen und verraten, Wahrheiten technisch behaupten oder liefern, ohne daran Anteil zu nehmen. Im Sinne einer Entgrenzung des Denkens und Fühlens kommen sich Dadaismus und Dataismus allenfalls asymptotisch nahe.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Genau

Wer kann mir erklären, was „genau“ ist? Die Impulse der Weltzeituhr? Und was teilt sie mir genau mit? Dass die implantierten Algorithmen exakt das erwartete Ergebnis bringen? Das ist erwartbar? Und was erwarten wir so von der Genauigkeit im Alltag? Dass Schichtsirenen oder Kirchenglocken punkt 12.00 Uhr aufheulen bzw. läuten, um die gedachte Hälfte des Tages anzuzeigen?

Aber, was ist dann schon genau? Manchmal geschieht dies etwas vor 12.00 Uhr, das andere Mal mit einer bestimmten Zeitverzögerung, die vielleicht der Mechanik geschuldet ist. In der Realität können wir es mit der Genauigkeit nicht so genau nehmen. Wahrscheinlich haben wir uns daher menschenweit, zumindest in Deutschland, verabredet, fast jeden Satz mit dem Schlusspunkt: genau! zu versehen.

Was ist das für eine Genauigkeit, die wir damit meinen? Ist es eine Form der Bekräftigung oder die Hoffnung, dass das auf die Reise geschickte Argument verstanden wird? Genau dies ist für mich völlig unklar. In einer Welt, wo fast alles ungefähr ist, bis auf vielleicht die Algorithmen, erscheint mir „genau“ wie eine Hilferuf, ein Strohhalm, an dem ich mich klammern kann, wissend, dass ich selbst nichts weiß und ich meine Unwissenheit dadurch mit anderen teile, dass ich diese mit „genau“ bekräftige.

Genau ist die Schwester von „alles klar“. Mit beiden Begriffen vermag ich die Lästigkeit des Verstehens abzuwimmeln, halte Nachfragen für überflüssig, fördere das Vergessen oder ermögliche inhaltsleere Tweets, Blogs oder Whats-App-Nachrichten. Was auch immer.

Mit ´genau´ und ´alles klar´ verlasse ich behänd irgendeine Aussage und eile zur nächsten, um schließlich völlig unbelastet das zu denken, zu machen oder zu fühlen, was mich eigentlich jenseits aller Genauigkeit und jenseits von Klarheit umtreibt. Ich bin wieder frei, zumindest bis zur nächsten Herausforderung. Genau. Alles klar? Hm.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

turn around

Wie wäre es damit, dass wir einmal ganz anders denken. Dies könnte so geschehen, dass nicht wir ein Geschäftsmodell haben, welches wir umsetzen wollen, um daraus für uns Profite zu ziehen, sondern das Modell von denjenigen bestimmt wird, die es angeht: den Mietern, den Pflegebedürftigen, den Verbrauchern und Erholungssuchenden, um nur einen Teil des potentiellen Klientels zu benennen.

Es geht mit anderen Worten um Stakeholder Value „first“, Shareholder Value „second“. Es geht darum, den Akteuren nicht nur ein ausgeformtes Duldungsrecht zu gewähren, sondern sie in das Zentrum des Handelns zu stellen. Wohnen, Essen, Trinken, Arbeiten und Kommunikation sind Primärrechte eines jeden Menschen, die er einfordern kann. Zurückzuweichen haben dabei sämtliche Profitinteressen derjenigen, die in der Lage sind, entsprechende Vorsorgen zu gestalten.

Im Shareholder-Kontext des Kapitalismus sind die Bedürfnisse der Menschen der Impuls für ein Geschäftsmodell, das in erster Linie nicht darauf gerichtet ist, diese Bedürfnisse zu befriedigen, sondern dies der Bedürfnisbefriedigung Gewinne zu erzielen. Viele halten ein solches Modell für alternativlos, weil sie glauben, dass nur dann Menschen bereit sind, etwas zu tun, wenn sie den Eigennutzen, den sie daraus ziehen, vorab kalkulieren können. Dabei schränken sie aufgrund Kurzsichtigkeit die Möglichkeit umfassendere Gewinne zu erzielen, erheblich ein.

Die vorbeschriebene Art der Gewinnerzielung geht oft einher mit Misstrauen, Argwohn und Konfrontation. In einer Verantwortungsgemeinschaft von Stakeholdern dagegen ist es durchaus denkbar, dass die Gewährung von Leistungen rekompensiert wird mit Anerkennung, Verlässlichkeit, Respekt und Ehrlichkeit, um nur einige Aspekte zu nennen. Die Vorteile liegen auf der Hand.

Von den Leistungserwartungen der Stakeholder aus gedacht, verringern sich die Reibungsverluste und werden im konkreten Fall zum Beispiel Abfall vermieden, Wohnraum erhalten, überhaupt eine sozialverträgliche Umwelt gestaltet. Hier wurde bisher wenig erprobt, und zwar deshalb, weil viele immer noch glauben, dass nur die Erwerbssucht der Menschen und das Versprechen eines lebseitigen monetären Zugewinns motivierend sein kann.

Dabei könnte ein Umdenken unerwartete Potentiale freisetzen, Abgrenzungen öffnen und zu einem Miteinander führen, das wir dringend benötigen, um Zukunftsaufgaben zu lösen, für die der jetzige Kapitalismus nicht geschaffen ist.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski