Archiv der Kategorie: Gesellschaft

Hier finden Sie meine Gedanken, Ideen und Anreize zu gegenwärtigen und vergangenen gesellschaftsrelevanten Themen, die mich und meine Umwelt bewegen.

Unbegrenzt

Die Annahme der Eingrenzung beruht auf der Erfahrung des Menschen, dass alles einen Anfang habe. Das Ende wird dabei von ihm mitgedacht. Geburt und Tod verbürgen die Richtigkeit dieser Annahmen. Sie verschaffen uns auch die existentielle Sicherheit des Daseins inmitten der Begrenztheit.

Was würde es aber für uns bedeuten, wenn dieses „Stirb und Werde“ in der Kosmologie des Seins tatsächlich nur eine untergeordnete Rolle spielte und das Ganze weder einen Anfang noch ein Ende hatte? Warum muss denn etwas anfangen und warum muss etwas zu Ende gehen? Könnte nicht auch alles in allem endlos sein, sich in der Grenzenlosigkeit ergänzen, spiegeln, immer wieder entstehen und untergehen, wobei jegliche Bestimmtheit aufgehoben ist?

Das Ewige, das wir zwar nicht greifen, aber ahnen können, kennt doch weder Anfang noch Ende, ermöglicht alles oder nichts. Der Ewigkeit ist mit keinerlei Berechnung beizukommen, weil eine Totalität, die sich jeglicher Bestimmung entzieht, sich auch nicht begrifflich rechtfertigen lässt.

So mag auch ein pulsierender Weltraum vielleicht keine Vergangenheit und auch keine beschreibbare Zukunft haben, entspricht aber unseren konkreten Erfahrungen und Anschauungen in der jeweiligen Zeit. Diese formen grenzenlos unser Bewusstsein und schaffen die Konkretisierung eines in seinem Wesen unerklärbaren Phänomens allen Seins und Sinnes.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Heinz Dürr Nachruf

Der Schwabe Friedrich Hölderlin sagte einst mal, dass der Tod ein Bote des Lebens sei und der Weimarer Johann Wolfgang Goethe ergänzte: „Mein Leben war das ewige Wälzen eines Steins, der immer von neuem gehoben werden musste.“ Das passt für Heinz Dürr, der auch den Schriftsteller und Dichter Goethe sehr verehrte.

Die Familie Dürr hat ihrer Traueranzeige den damit korrespondierenden Spruch vorangestellt, dass wir uns Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen sollten. Das Leben war für Heinz Dürr eine Aufgabe, die er pflichtgemäß zu erledigen hatte. Dieses Wälzen eines Steines, um im Bild Goethes zu bleiben, machte ihn zuweilen rastlos und ungeduldig. Die Ungeduld, die ihn trieb war aber konstruktiv, denn es gab immer viel für ihn zu tun. Er hatte sich der Arbeit verschrieben beim Aufbau der Dürr AG, als Verhandlungsführer bei Tarifkonflikten, als AEG- und Bahn-Chef, im „Forum für erneuerbare Energie“ zusammen mit der Schlecht-Stiftung in Stuttgart, in seiner eigenen Stiftung, der Heinz und Heide Dürr Stiftung, der Walther Rathenau-Gesellschaft und in vielen sonstigen ehrenamtlichen, privaten und öffentlichen Verpflichtungen.

Er war ein außerordentlich kluger und wichtiger Gesprächspartner, Ratgeber und guter Freund, voll Empathie, Witz und Wärme. Es war erfrischend, mit ihm zu sprechen und von ihm angesprochen zu werden. Jeder von uns hat diese Erfahrung gemacht. Er liebte Gedankenexperimente, hatte sich mit AI und KI auseinandergesetzt, auch etliche Bücher geschrieben und dabei zuweilen Cato, Ray Kurzweil und natürlich auch Walther Rathenau als seine Sparring-Partner für fiktionalen Gespräche bemüht.

Wie in „Die Physiologie der Geschäfte“ faszinierte Heinz Dürr im Sinne der Schriften von Walther Rathenau „Die kommenden Dinge“ – ebenfalls von Walter Rathenau – und was zu tun sei, um Fortschritt menschlich zu gestalten. Der Mensch sei kein Geschäftsmodell und Bildung von Anfang an sowie kulturelle Erfahrungen waren ihm genauso wichtig, wie wirtschaftliche Erfolge. Deshalb kümmert sich die Heinz und Heide Dürr Stiftung erfolgreich mit ihrem Early-Excellence-Programm um Kindergärten und Familien deutschlandweit, ferner um Autorentheater und andere kulturelle Vorhaben, aber auch um seltene Krankheiten, um nur einige der Aktivitäten der Stiftung zu nennen.

Bis zuletzt war Heinz Dürr nicht nur geschätzter Gesprächspartner für große Unternehmen, sondern auch in der Start-Up-Szene beratend aktiv. Er war ein integrer Mensch, der das beständige und entschiedene Handeln liebte.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Denkfabrik

Sind manche Menschen unfähig, überhaupt zu denken, haben sie aufgehört zu denken oder benötigen sie nur eine Anleitung zum Denken? Sind andere Menschen, die in Denkschulen, Denkfabriken oder Denkbanken organisiert sind, im Grunde ihres Wesens für das Denken zuständig, weil wir ohne deren Hilfe und Anleitung zum richtigen Denken ein erwartbares Denkpensum überhaupt nicht erledigen könnten? Sind – so wage ich es kaum zu denken – manche Menschen auch denkfaul, herzensfroh, dass andere für sie denken? Könnte es vielleicht aber auch so sein, dass sozusagen in vorauseilender Erwartungshaltung manche so von ihrem Denken überzeugt sind, dass sie meinen, dass andere ohne ihre Gedanken nicht zurechtkämen und sie daher die Weichen zum sinnvollen Denken anderer Menschen zu stellen hätten oder deren Denken durch ihr eigenes Denken sogar überflüssig machen könnten, also das Eigendenken ersetzen könnten durch das Fremddenken? Aber, wer benötigt dies? Besteht für dieses Vorhaben eine Nachfrage? Wahrscheinlich schon.

Gedankenmärkte boomen. Ratgeber jeder Art zum richtigen Denken sind Bestseller, unzählige Talkshows und Podiumsdiskussionen vermitteln eine Flut von Gedanken. Manche davon sind in der Tat originell, die meisten aber bekannt und rückbezüglich, also in dem Sinne, als würde ich denken und sagen, was andere schon gedacht und gesagt haben. Schon deshalb müssten sie richtig sein. Man müsste ihnen also vertrauen können. So werden die Gedanken wie der alte Wein in „neuen Schläuchen“ attraktiv verpackt, als Neuerung gepriesen, unbeschadet jeden Realitätsstresses, der beweisen könnte, dass der Urheber des angeblich so neuen Gedankens sich schlicht und einfach einer neuen Begrifflichkeit bedient hat, um Gedankenprodukte auf den Markt zu bringen.

Gedanken, die in einem Sinnzusammenhang stehen, müssen das Denken anderer Menschen mitbedenken und sich einfügen in ein System des Denkens, das keinen Alleinstellungsanspruch für sich erhebt, denn im Angebot des Mitdenkens liegt eine Aufforderung an alle Denkwilligen, sich ebenfalls kritisch oder unterstützend mit ihrem Denkpotential in den institutionellen Prozess einzubringen. Das ist eine gute Möglichkeit, der Vereinsamung des Denkens zu begegnen und dabei auch unter Berücksichtigung der Umstände den ganzheitlichen Aspekt des Denkens zur Geltung zu bringen.

Denken ist nicht nur ein kognitiver, rationaler Vorgang, sondern auch ein emotionaler und schließt mehr ein, als die eigene Verortung im Denken, die durch Denkfabrikate geschaffen werden. Produkte jenseits unseres Verstandes, jenseits unseres Wissens und Erfahrung sind gefragt. Sie mehren unsere Vielfalt des Denkens, um auf diese zu gegebener Zeit bei entsprechender Nachfrage zurückgreifen zu können.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Media Overflow

Sollte ich etwa behaupten, dass es ein mediales Überangebot gäbe, würden mir wahrscheinlich etliche Menschen zustimmen. Einmal unterstellt, dies wäre richtig, so kommt es dabei, so meine ich, weniger auf das vielfältige Medienangebot an sich an, sondern vielmehr auf dessen Wirkung im Empfängerbereich. Die Empfänger, das sind letztlich wir, als die Konsumer aller medialen Botschaften.

Und wer sind wir? Wir sind die Menschen, die hochbegabt und emsig die technischen Voraussetzungen geschaffen haben, die das hohe Medienangebot ermöglichen und uns dessen Konsum auch zur Verfügung stellen. Und genau da scheint mir auch ein Problem aufzutauchen. Es ist so mit dem Konsum jeglicher Ware: Irgendwann macht er uns satt, wir haben genug davon und erkranken sogar an ihr. All dies ist auch bei dem Konsum von Medienartikeln nicht ausgeschlossen. Deshalb gibt es zunehmend Warnhinweise und nicht nur solche, die sich an Kinder richten.

Aber, wo beginnt das schwer konsumierbare, also schwer verdaubare Angebot? Meines Erachtens bereits mit dem medialen Erstkontakt. Weshalb? Weil wir Menschen weder über die Speicher, noch über ausreichende Verarbeitungsfähigkeit verfügen, differenziert und ganzheitlich permanente Medienangebote abrufbar zu speichern und zu verarbeiten. Wir behelfen uns mit der flüchtigen Lektüre, dem Wegdrücken von Informationen und der Einschaltung von KI zu deren jederzeitiger Reproduktion. Damit versuchen wir, einen Teil unseres eigenen an sich erforderlichen medialen Verarbeitungsprozesses auszulagern, allerdings ohne dabei zu berücksichtigen, dass dies vielleicht nur dann möglich sein kann, wenn uns bei Bedarf das richtige Stichwort wieder einfällt oder irgendjemand oder irgendetwas uns sagt, wo wir welche Informationen hinterlegt haben.

Dessen ungeachtet – so meine ich – nutzen Informationen sich auch ab, d. h. je mehr Informationen wir empfangen, desto mehr verlieren sie an Komplexität, erstarren in einem Muster, das uns selbst lediglich als Bestätigung des bereits Gehörten oder Gesehenen dient und passgerecht geformt wird. Dabei handelt es sich um einen sehr menschennahen Prozess der Vereinfachung und Bestätigung. Je umfassender das mediale Angebot ist, umso bereitwilliger filtern wir das nur uns Bekannte heraus und für den Rest gilt: ab in die Tonne.

So versuchen wir, der eigenen und letztlich auch der kollektiven medialen Überforderung zu entgehen und einen Rest von Sicherheit angesichts des ungeheuren medialen Angebots zu bewahren. Denn kein Mensch ist in der Lage, alles, was ihm medial angeboten wird, aufzunehmen, zu begreifen und gar zu verarbeiten. Die damit verbundene, aber unterdrückte Unsicherheit verstärkt den Prozess des individuellen Widerstandes gegen bestimmte Informationen und deren gemeinschaftlichen medialen Akzeptanz.

Dies schafft Konformität im medialen Konsum, in der Speicherung und der Verarbeitung. Damit wirken Medien entgegen ihrer Intentionen im Ergebnis antiliberal, ja, es ist sogar zu befürchten, dass die demokratische Pluralität und auch die individuelle Wesenheit des Menschen durch das Überangebot an medialem Einfluss erheblichen Schaden nimmt.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Mehrwert

Profit und Gewinne zu machen, scheint eine wichtige Maxime unseres Lebens zu sein. Was den Mehrwert nicht erfüllt, scheint nicht geeignet zu sein, unser Engagement wesentlich zu fördern. Menschheitsgeschichte sei Fortschrittsgeschichte und ohne die Schaffung eines Mehrwerts, der durch Profit gemessen wird, glauben wir, die Menschheitsgeschichte nicht fortschreiben zu können. Könnten wir aber das bisherige Denken verlassen, die Grundlagen unserer Betrachtungen neu bewerten und zu einer Änderung unserer Verhaltensweisen gelangen? Zunächst stellt sich dazu die Frage, warum sollten wir dies tun, wenn unsere bisherige Verhaltensweise uns ausreichend erfolgreich erscheint? Vielleicht deshalb, weil wir auch wahrnehmen, dass das Schaffen von Profit zum Selbstzweck ressourcenverschwendend ist und den Klima- und Naturschutz schwer belastet.

Eine eingehende Betrachtung der Grundlage unseres Lebens könnte uns also zum Nachdenken und zum Verändern unserer Verhaltensweise bringen. Wir wollen in der Regel kein nutzloses Leben führen, sondern suchen Erfüllung unserer persönlichen und beruflichen Ziele. Wir streben so die Absicherung unseres Lebens an. Dabei erforschen wir verschiedene Phasen unseres Menschseins von der Kindheit, über die Jugend bis zum Alter, bestimmt vom Wunsch nach Lebenssicherung unter Einsatz unserer individuellen Fähigkeiten. Im Vordergrund steht dabei ein sinnerfülltes und nutzbringendes Leben, das auch anders als durch Gewinn und Profit bestimmt werden kann.

Einen wirtschaftlichen Gewinn aus unseren Vorhaben zu ziehen, ist soweit nicht schädlich, als unser Gewinn dem Vorhaben selbst zugutekommt und nicht der Entwicklung von Macht und Gier dient. Da Letzteres selbst dann, wenn es nicht zu kriegerischen Auseinandersetzungen führt, oft Triebfeder des Handelns ist, stellt sich die Frage, ob sich nicht auch Alternativen so begründen lassen, dass der Mensch sich mit seiner Existenzsicherung begnügt und seine weiteren Kräfte dafür einsetzt, dass der Erfolg seines Handelns nicht nur ihm selbst, sondern vor allem der Sache und anderen Menschen zugutekommt.

Dafür müsste allerdings das bisherige System in den Bereichen Erbrecht, Vermögensmehrung und Machterhalt um jeden Preis auf den Prüfstand gestellt werden. Neue Organisationsformen wären zu erproben, die zwar Existenzsicherung erlauben, aber gleichwohl keine Verfestigung von Eigentums- und Vermögensstrukturen vorgeben und den Menschen von der Hybris entlasten, lebenslang ein hohes steuerbegünstigtes Eigenvermögen zu mehren. Mit Stiftungen, stiftungsähnlichen Gebilden, wie Verantwortungseigentum und Generationenbanken bzw. -sparkassen sind bereits Entwicklungen aufgezeigt worden, die hier erfolgversprechend sein könnten.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Gewalt

Das Wunder seiner Geburt hat jedem Menschen das Leben versprochen, dass ihm im eigenen und unser aller Interesse die Chance eröffnen soll, seinen Beitrag für sich und die gesamte Menschheit zu leisten. Um dies zu ermöglichen, muss der werdende Mensch aufnahmefähig und aufnahmebereit, wissens- und lernbegierig sein.

Diese Prägung erfährt das Kind allerdings nicht nur durch Eigenermächtigung, sondern vor allem durch andere Menschen, zunächst seine Eltern, aber auch religiöse, staatliche und sonstige weltanschauliche Institutionen. Das Lebens- und Weltbild eines Kindes ist also auch fremd- und nicht nur eigenbestimmt und bleibt es durch das ganze Leben hinweg, je nachdem, ob und wie der Mensch erkennt, welche Vorteile ihm ein an die Verhältnisse anderer Menschen angepasstes Verhalten bringen. Da ein Kind, also ein werdender Mensch, demzufolge auch nicht getötet werden will, entwickelt es aus sich selbst heraus auch nicht das Bedürfnis, andere Menschen zu töten.

Sowohl ein Kind zu töten, als auch nur zuzulassen, dass werdendes Leben getötet wird, anstatt für dessen Schutz einzustehen, ist ein fundamentales Vergehen gegen alles Sein. Ein Leben zu töten, bevor es überhaupt Gelegenheit hatte, seine Prägung zu erfahren und seine Bedeutung für das Menschsein zu ermessen, widerspricht also dem Lebensprinzip.

Gewalt gegen Menschen in der Form von Terror mag politisch möglicherweise opportun sein, aber menschlich nicht zu rechtfertigen, weil es also dem Wesenskern des Seins widerspricht. Kein Tier tötet ein anderes Tier aus Hass. Es ist also nicht seiensimmanent und keine fundamentale menschliche Eigenschaft, Gewalt und Terror auszuüben, sondern Ursache dessen sind Selbstermächtigungen wie Macht und Gier als Motor aller Grausamkeiten, die von dem Ausübenden selbst je nach Opportunität religiös, wirtschaftlich oder politisch gerechtfertigt werden.

Das mag im eigenen „Echoraum“ zunächst gelingen, aber die historischen Vorbilder des Terrors zeigen, dass Zeiten der Unsicherheit und der Ratlosigkeit sich allmählich selbst erschöpfen, wenn die Friedhöfe wachsen, der Nachschub an Soldatinnen und Soldaten versiegt, der Reichtum schwindet und das Leben aller bedrängt wird.

Gewalt und Terror führen nicht nur unmittelbar zum Verlust von Menschenleben, sondern zerstören auch die Umwelt, gefährden den Klimaschutz und führen uns so drastisch vor Augen, dass kein Gott mehr Erbarmen mit den Terror ausübenden Verbrechern haben wird, selbst wenn diejenigen schließlich erkennen, dass sie nur nützliche Idioten anderer, mittelbarer Täter waren, nun aber die Konsequenzen ihres Handelns tragen müssen.

Gewalt beginnt bereits mit dem Gedanken daran, diese zuzulassen.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Zerstörungslust

„Macht kaputt, was euch kaputt macht.“ Wie lässt sich dieser Aufruf begründen? Vielleicht damit, dass der Mensch ein Recht hat, das zu zerstören, was nach seiner Einschätzung ihn angreifen und zerstören könnte. Da von Auspuffgasen bis zur digitalen Transformation es über­haupt nichts gibt, was den Menschen nicht belasten und zumindest seine Gesundheit auch psy­chisch zerstören könnte, muss der Mensch seine Umwelt grundsätzlich als feindlich und zer­störerisch wahrnehmen. Ergo hat er das Recht zu zerstören, was ihn kaputt macht!

Worauf ba­siert aber diese Gewaltbereitschaft, die nicht nur der einzelne Mensch als Opfer und Täter erfährt, son­dern auch Staaten, Gesellschaften und Völker? Ist Gewalt seiensimmanent? Betrachtet man die Menschheitsgeschichte, kann man sich der Frage nicht entziehen, ob Gewalt nicht Teil der menschlichen Identität ist. Ist sie aber für unsere Wesensbestimmung notwendig?

Diese Frage dürfte geschichtlich dahingehend zu beantworten sein, dass es darauf ankommt. Gewalt ist im­mer schon ein Instrument der Absicherung gewesen, soll Platz schaffen für das eigene Ge­schlecht und die eigenen Nachkommen. Was sich für das Geschlecht trotz großer Opfer früher als hilfreich erwies, wurde für Völker und Staaten ebenfalls als Handlungsmaxime übernommen. Gemeinsam sind die Menschen stärker, als jeder Mensch für sich allein. Von der puren Lust an der Zerstörung ist eine solche Verhaltensweise nicht geprägt, dennoch dienen die archaischen Ver­haltensmuster als Blaupausen für Gewaltakte, deren Rechtfertigung auf der unbewiesenen Behauptung einer Bedrohung und eines potentiellen Angriffes beruht.

Derzeit erleben wir dies zum Beispiel in dem Krieg zwischen Russland und der Ukraine. Was könnte die Ukraine in Russland denn kaputt machen, was den Krieg Russlands gegen die Ukraine hätte rechtfertigen können? Nach meiner Einschätzung nichts, objektive Umstände sind nicht erkennbar. Dennoch baut Russland durch seinen Feldherrn Putin eine Gewaltkulisse auf, wonach in der Ukraine Faschisten regierten, die beseitigt werden müssten und zudem nur ein Präventionskrieg mit der Zerstörung der Ukraine das Nato-Bündnis davon abhalten könnte, seinerseits Krieg mit Russland zu führen.

Die Paranoia eines Feldherrn, die sich auf einen Teil seines Volkes überträgt, reicht also aus, die Be­gründung dafür zu liefern, dass ein Staat zerstört und seine Bewohner getötet werden sollten. Dieses, jederzeit auf alle Konflikte übertragbare Muster eines Konflikts, kann nicht aufgehoben werden, solange der Mensch glaubt, auch aus einer gewaltbereiten Konkurrenzsituation Vorteile für die eigene Machtsicherung und Zuwachs eines Gewinns abschöpfen zu können.

Der Appell, kaputt zu machen, was einen selbst kaputt macht, offenbart den Menschen als ein gieriges Wesen, das die Schuld bei anderen konstruiert und gewaltbereit handelt, um der Selbsterkenntnis und der Eigenverantwortung dafür zu entgehen, dass er das Leben anderer allein zu seinem eigenen Vorteil zerstört und dafür noch eine passende Erzählung erfindet.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Selbstsuggestion

Alles ist ungerecht, die Politiker unfähig und die Wirtschaft korrupt. So will ich es auf den Punkt bringen. Der Mensch äußert seine Überzeugung, dass es ihm noch niemals so schlecht gegangen ist, wie jetzt, er auch keine Hoffnungen auf Besserung sieht und deshalb irgendjemand kräftig aufräumen müsse. Worauf beruht nun diese Erkenntnis, die viele Bürger heutzutage so kraftvoll äußern? Beruht sie auf eigenen Recherchen, ist sie faktenbegründet oder hat sie sich auf Erfahrungen basierend auch bewahrheitet?

Da habe ich meine Zweifel. Zugegeben, die Medien strotzen von Vorwürfen gegen Politiker, Wirtschaftsführer, überhaupt alle, die im öffentlichen Raum irgendein Mandat innehaben. Diese Form des „Aufmischens“ der Meinungen im öffentlichen Raum ist medienimmanent und grundsätzlich auch gerechtfertigt, um Aufmerksamkeiten zu binden und schließlich auch eigene Geschäfte damit zu machen.

Weil jeder Mensch auf seine Vorteile aus ist, liegt es nahe zu unterstellen, dass ein Mensch, auch wenn er mit Anderen Bürger eines gemeinsamen Staates ist, alle Äußerungen über diese politischen und gesellschaftlichen Einrichtungen für vertretbar hält, die ihm argumentativ oder materiell nützlich erscheinen. Es geht im Leben um Aufmerksamkeit und Wahrnehmung.

Viele recherchierte Behauptungen im öffentlichen Raum stellen sich im Falle einer Überprüfung als nicht kongruent mit der Wirklichkeit dar. Allerdings sind die Ergebnisse von Überprüfungen kaum geeignet, einen Sinneswandel bei den potentiell auf Korrekturen angesprochenen Menschen zu bewirken. Warum nicht?

Ich denke, dass der Mensch die eigenen Möglichkeiten nutzt, Informationen, die er aus unterschiedlichen Quellen erhält, derart zu melangieren und schließlich in seiner Überzeugung so zu verfestigen, dass er von deren Wahrheit auch dann überzeugt ist, wenn alle Fakten dagegensprechen sollten und andere Menschen denselben zu beurteilenden Sachverhalt in ihrer Mehrheit komplett anderes wahrnehmen.

Die durch Selbstsuggestion erworbenen Erkenntnisse manifestieren sich zum Programm des eigenen Egos. Dies verträgt sich mit dem Paradoxon, dass viele von der Schlechtigkeit dieser Welt überzeugten Menschen zustimmen, dass sie zwar in Deutschland im besten Land der Welt leben, ihrer Zustimmung jedoch stets ein zur Bekenntnis relativierendes „Aber …“ beifügen.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Zuwendung

Das Vermächtnis ist das Versprechen einer besonderen Zuwendung, die sehr oft in Testamenten abgegeben wird. Dann sind sie meist sehr direkt gehalten und begünstigen eine Person oder Einrichtung mit einem Anspruch, der nach dem Willen des verstorbenen Erblassers durch seine Erben erfüllt werden soll.

Vermächtnisse benötigen allerdings kein Testament, um wirken zu können, denn auch ein Schriftsteller oder Komponist kann das von ihm geschaffene Werk bestimmten oder allen Menschen überlassen, ohne jemals genau zu wissen, wem dieses Vermächtnis zugutekommt. Niemand muss ein Vermächtnis annehmen, wenn es aber geschieht, dann ist der Wille des Vermächtnisgebers für dessen Ausgestaltung und seiner Nutzung rechtlich verbindlich. Alle mit dem Vermächtnis verbundenen Auflagen und Regeln sind zu befolgen und somit auch die Bedingungen, unter denen es ggf. an einen Nachvermächtnisnehmer weiterzugeben ist.

Ein mit Bedingungen und Auflagen versehenes Vermächtnis ist ein verpflichtendes Geschenk, dass dem Zuwendungsempfänger zwar zugutekommt, aber stets auch daran erinnert, von wem er seine Nutzungsrechte ableitet. Somit soll gewährleistet sein, dass dem Beschenkten stets der Wohltäter und sein Werk in Erinnerung bleiben und er das Zugewandte auch nicht in einer Selbstanmaßung nützt, die dem mutmaßlichen Willen des Vermächtnisgebers widersprochen hätte.

Zu bedenken ist allerdings, dass Zuwendungsempfänger in der Regel darauf setzen, dass Zuwendungsgeber nicht mehr in der Lage sind, darüber zu wachen, wie mit dem Vermächtnis umgegangen wird und in einer Art Selbstermächtigung die Ablösung vom Willen des Vermächtnisgebers betreiben. Nur dort, wo eine Dauervollstreckung des Willens des Vermächtnisgebers gewährleistet ist, kann einer solchen Entwicklung begegnet werden. Dann besteht allerdings die Gefahr, dass infolge fehlender Anpassungsfähigkeit der im Vermächtnis zum Ausdruck gebrachte Willen nicht mehr zeitgemäß ist und so das Interesse des oder der Zuwendungsempfänger schwindet, die Zuwendung angemessen wirtschaftlich oder ideell zu honorieren.

Deshalb erscheint es mir sinnvoll, Vermächtnisse mit Gestaltungsklauseln zu versehen, die es zwar erlauben, dass die so Begünstigten ihren zeitweiligen Nutzen aus der Zuwendung ziehen, dies aber nur, wenn sie dem Zuwendenden etwas zurückgeben, zumindest wertschätzend.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Zauberberg

Thomas Manns Bildungsroman kam mir in den Sinn, als mir von Patienten von einer Einrichtung berichtet wurde, die nicht in den luftigen Bergen der Schweiz liegt, sondern ohne Tageslicht im Keller der Charité. Dort werden keine Tuberkulose-Kranken versorgt, sondern der Versuch unternommen, sehr kranke Krebspatienten mit Hilfe von Strahlentherapien so zu behandeln, dass sie eine außerordentlich große Chance haben, wieder geheilt ins Leben zurückzukehren.

Auch, wenn der Aufenthalt der Patienten nur ambulant erfolgt und auf wenige Monate begrenzt ist, ist es doch offenbar so, dass Prozesse in Gang gesetzt werden, die alle Teilnehmer in unverhoffter Weise zu einer Gemeinschaft auf Zeit werden lassen. Diese Gemeinschaft schließt Ärzte, Angehörige des Pflegepersonals und Verwaltungskräfte mit ein. Es entsteht durch Blickkontakte, allmählich auch durch sprachliche Kommunikation eine Vertrautheit, die persönliche Nachfragen zum Befinden, zu Urlaubsplänen und sonstigen privaten Vorkommnissen zulassen.

Zögerlich zwar, aber durch den längeren Aufenthalt ständig gesteigert, entsteht ein wechselseitiges Interesse, welches auch begünstigt, dass sich die Patienten ohne Vorbehalte den Ärzten und dem Pflegepersonal anvertrauen. Distanziertheit, Scham und jede Form des persönlichen Widerstandes schwinden allmählich. Es ist unwahrscheinlich, dass Patienten, die auf die Dauer von etwa drei Monaten stets werktäglich zur etwa gleichen Zeit diese Abteilung aufsuchen, sich zuvor schon einmal begegnet sind. Es treffen sich also sehr fremde Menschen, gezeichnet von der Anspannung einer beginnenden Therapie, die sich regelmäßig auf etwa 40 Bestrahlungen insgesamt u. a. mit hohem Energieeinsatz der extrem teuren, aber effektiven Geräte belaufen.

Jedem Neuankömmling ist seine Unsicherheit, Sorge vor dem, was passieren wird, anzumerken. Es bleibt die Skepsis gegenüber der richtigen Behandlungsart, die Angst vor der Wirkung auf die inneren Organe, bange Erwartungen, ob der beabsichtigte Erfolg sich später auch einstellen wird. Es sind jüngere und ältere Patienten dabei, sie kommen aus den unterschiedlichsten Familien und gingen bzw. gehen auch unterschiedlichsten Berufen nach, seien diese Polizisten, Staatssekretäre, Taxifahrer, Ärzte oder Anwälte. Einige sind auch schon Rentner oder Pensionäre.

Was alle Beteiligten vom ersten Tag des Betretens dieser Unterwelt an eint, ist die Unausweichlichkeit des täglichen Rituals im Interesse einer möglichen Genesung. Wenn jeder darum weiß, schwinden plötzlich alle Grenzen der Verständigung. Mit dem Grüßen fängt es an, dann folgt schnell der Übergang in ein vertrauliches Du. Woher man kommt, spielt bei der Art und Weise der Begegnung überhaupt keine Rolle mehr. Man lernt sich kennen, indem man sich über das tägliche Befinden auch in intimsten körperlichen Bereichen austauscht, über Erschöpfungen, Schmerzen und Missbehagen spricht.

Die Zeit, die man jeden Tag miteinander verbringen muss, wird so auch eine Zeit, die man miteinander verbringen will, weil jeder teilnehmende Patient Gesprächspartner findet, die ebenfalls Zeit und Muße haben werden, sich einander zu widmen. Es geht dabei nicht nur um Offensichtliches, Allgemeines, sondern vor allem auch um sehr persönliche durch Empfindungen gesteuerte Angelegenheiten.

Aus dem Kennenlernen entwickeln sich Kumpel- und Kameradschaften, zuweilen auch Freundschaften, die weit über die gemeinsamen Momente im Tiefgeschoss hinausgreifen. Die „Drei von der Tankstelle“ hießen zum Beispiel Patienten, die nicht nur anderen Betroffenen, sondern auch vielen Angehörigen der Station durch die Intensität ihrer morgendlichen gemeinsamen Gespräche aufgefallen waren und auch diese es sehr bedauerten, dass mit Beendigung der Therapie sich diese Gruppe zwangsläufig auflöste. Die „Drei von der Tankstelle“ sind aber weiterhin freundschaftlich miteinander verbunden, pflegen zudem ihre Kontakte auch zu den Angehörigen dieser Krebstherapiestation. Dem Einsatz der dort Beschäftigten im Interesse ihrer Gesundheit verdanken sie sehr viel.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski