Archiv der Kategorie: Gesellschaft

Hier finden Sie meine Gedanken, Ideen und Anreize zu gegenwärtigen und vergangenen gesellschaftsrelevanten Themen, die mich und meine Umwelt bewegen.

Erinnerungen

Erinnerungen bilden das Menschheitsgedächtnis. Sie sind im Besitz jedes einzelnen Menschen, werden von Generation zu Generation weitergegeben und erfahren ihre verbindliche Festlegung sowohl in Gegenständen, als auch in medialen Formaten jeglicher Art.

Erinnerungen werden nicht nur sprachlich und bildlich weitergegeben, sondern auch durch Gefühle und Stimmungen. Erinnerungen prägen unsere Fähigkeiten, zu Erkenntnissen zu gelangen und Entscheidungen zu treffen. Das durch Erinnerungen gefütterte Weltgedächtnis ist unverzichtbar. Es ist deshalb existenziell, dass alle Menschen ihren Beitrag dazu leisten.

Das geschieht bewusst oder unbewusst, durch ein Handeln oder Unterlassen, aber oft nicht mit dem Wissen um die Sinnhaftigkeit des Handelns. Dabei kann jeder, der seinen Kindern aus seinem Leben erzählt, mit ihnen singt oder spielt, erheblich zu einer bleibenden Erinnerung nicht nur für das Kind, sondern für die ganze Familie und schließlich die Menschheit beitragen.

Das Gute, das wir schaffen, bleibt der Erinnerung erhalten, aber auch alles Böse und Schreckliche, ob sich dieses in einem persönlichen Verbrechen oder in einem kollektiven Krieg manifestiert. Deshalb sollten wir die Beiträge, die wir zur Erinnerung abliefern, sehr sorgsam und gewissenhaft gestalten, immer wissend oder ahnend, dass sie relevant sein dürften.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Ansichten

Anstatt sich eine Meinung anhand von eigenen Erfahrungen im Abgleich mit objektiven Gegebenheiten kontinuierlich zu erarbeiten, erlauben ein paar Klicks, sich eine Meinung aus dem Internet herunterzuladen. Eine Meinung zu haben, ist damit keine individuelle Leistung mehr, sondern die Konfirmation einer Ansicht, die etliche Menschen teilen. Die größte Schwierigkeit für jeden Einzelnen besteht nun darin, diese Meinung, deren Ausmaß er überhaupt nicht abschätzen kann, so aufzubereiten, dass sie persönlich zu werden scheint.

Um dieses Ziel zu erreichen, muss die erworbene Meinung veranlasst werden, jedem Zweifel zu widerstehen und für sich Wahrheit zu reklamieren. Der Begriff „Ansicht“, der Wegbereiter für die Meinung ist, bestätigt wortimmanent, dass es weitere, also andere Sichten auf einen bestimmten Betrachtungsgegenstand geben könnte. Der Begriff „Wahrheit“ kann dies allerdings nicht zulassen, denn Wahrheit ist intolerant, d. h. beansprucht den Absolutheitsanspruch.

Um diesem zu genügen, ist daher der Begriff „alternative Wahrheit“ geprägt worden, d. h. die Wahrheit weist Deutungsmöglichkeiten aus, die in ihren Vielfältigkeiten jede Meinung als stimmig bestätigt. Damit erfährt der seine Meinung äußernde Mensch seine umfassende Absicherung. Niemals kann er mit seiner Meinung falsch liegen. Seine Ansicht ist immer die richtige.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

ChatGPT

Seit etwa 10 Jahren schreibe ich beständig Blogbeiträge, von denen etwa drei bis fünf Ausführungen zu verschiedenen Themen monatlich ins Internet gestellt werden. Auf Kommentarfunktionen zu meinen Beiträgen habe ich verzichtet, lasse mir aber stets von meinem Administrator dieser Beiträge berichten, dass sie jährlich ca. 80.000 bis 130.000 „Klicks“ mit einer durchschnittlichen Verweildauer von 2,2 Minuten erfahren.

Als ich davon erstmalig hörte, war ich sehr überrascht, denn nur einige Bekannte und Freunde haben mir erzählt, dass sie hin und wieder, zuweilen aber auch häufiger, meine Beiträge lesen, zumindest aber zur Kenntnis nehmen würden. Auch aus meiner Sicht darf man die Erwartungen nicht sehr hoch setzen, weil wir alle, also auch ich, von dem „Overflow“ an Informationen und Meinungen bereits ermüdet sind.

Nun erfahren meine Blogbeiträge eine für mich überraschende neue Dimension, und zwar durch ChatGPT. Ich muss mich mit der Vorstellung auseinandersetzen, dass das digitale Netzwerk und die Neuronen dieses Programms längst auch sämtliche Informationen meiner Blogbeiträge seit deren Beginn gescannt und mutmaßlich auch verarbeitet haben. Angesichts der unzähligen Blogs anderer Menschen und Informationen bei Twitter, Instagramm, Facebook usw. haben diese Informationen wieder den Wettbewerb mit anderen aufgenommen, um dann zu sehen, welche sich letztlich durchsetzen.

Ich stelle mir ein gigantisches neuronales Potpourri von Europa bis Neuseeland vor und ahne, dass ich, wie alle anderen Menschen, mit dieser Entwicklung etwas zu tun habe. Will ich das aber? Besteht nicht die Gefahr, dass aus meinen Behauptungen, die ich in meinen Beiträgen aufstelle, durch die Bearbeitung Gewissheiten werden? Kann es sein, dass ChatGPT eine gigantische „Umformungsmaschine“ ist, deren Sättigungsgrad nie erreicht sein wird und dabei gleichmütig alle Gedanken der Menschen zu einem eigenen Produkt macht, ganz egal, wer die Urheberschaft eigentlich für sich in Anspruch nehmen kann? Was sollte man der Maschine aber vorwerfen, wenn man sie dabei erwischt, dass sie Plagiate produziert, Ideen, Meinungen und sogar Tatsachen verfälscht?

Es geht dabei nicht nur um „Fakes“, sondern auch um Nuancen des Eindrucks von Stimmungen. Alles ist relevant, ob Kommata oder Doppelpunkte, Frage oder Ausrufezeichen! Es wäre ein Irrtum zu glauben, erst war die Sprache, dann war der Mensch. Die Aussage kann vor dem Gedanken nicht bestehen. Unter Einsatz von ChatGPT verändert sich nicht nur das Bibliothekswesen, sondern wir uns selbst. Wir sind im Begriff, den Schöpferstatus für all das, was wir einmal selbst geschaffen haben, zu verlieren und uns zum Handlanger der Maschine und von ihr abhängig zu machen.

Waren es damals Alexander der Große und Ptolemaios, die durch die Gegend zogen und Bücher für ihre Bibliothek in Alexandria raubten, um zu wissen, was die Menschen weltweit dachten und aufschrieben, so erfahren wir nun „ehrfurchtsvoll“ das Wortgemisch der Maschinen. Dem Zeitgeist ist nicht zu entgehen und bekanntermaßen schafft sich jede Zeit ihr eigenes Gewand.

Also sollte ich praktisch reagieren: Wenn ich bei ChatGPT meinen Namen eingebe, mit welchem Text muss ich rechnen? Wenn ich die Eingaben wiederhole, kann ich mit Varianten des Textes rechnen? Ich bedenke dabei, dass in Sekundenschnelle nun alle Texte entstehen könnten, für die ich mir in der Summe 10 Jahre Zeit gelassen habe.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Blockade

Es ist mir ein freudiges Anliegen zu denken und dabei mich von Gehörtem, Gelesenem, Gesehenem und Gespürtem inspirieren zu lassen. So lasse ich mich treiben in der Flut meiner Gedanken, die sich meist unverhofft verdichten und etwas entstehen lassen, was ich annehmen oder verwerfen sollte.

Wenn ich spüre, dass das, was sich andeutet, betrachtenswert ist, dann rufe ich alle weiteren mir verfügbaren Gedanken herbei und beginne mit dem Verdichten der umherschwirrenden Gedanken. Ich will verstehen, sie abgleichen mit meinen sonstigen Erfahrungen und Einschätzungen, um herauszufinden, ob etwas auftaucht, das es wert ist, über den Augenblick hinaus bewahrt zu werden.

Leider erlebe ich zuweilen, dass meine Gedanken bei allem heftigen Bemühen, dies zu verhindern, an Grenzen geraten. Es scheint zunächst alles auf dem besten Weg zu sein und dann: die Blockade.

Worauf beruht diese Begrenztheit meines Denkens? Vielleicht ist es die fehlende Erfahrung, das ungenügende Wissen oder auch ein nur immanentes Denkverbot? Dürfen wir Menschen nicht die absolute Kontrolle über unsere Gedanken und die Schöpfungsmacht für eine umfassende Einsicht besitzen? Dürfen wir die Unendlichkeit einer sich selbsterklärenden Gedankenlosigkeit dank umfassender Erkenntnisse nicht erfahren? Ist die Begrenztheit unseres Denkens der Begrenztheit unserer Sinne geschuldet?

Ich ahne, dass ich trotz aller vermutbaren Vergeblichkeiten meines Bemühens weiterhin versuchen werde, die Blockaden, die sich meinen Gedanken entgegenstellen, zu brechen. Ich bin allerdings dankbar dafür, dass es diese Blockaden gibt, denn sonst wären angesichts der vermutbaren Beliebigkeit meine Gedanken beschäftigungslos.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Demokratie

Was verstehen wir unter Demokratie?

Was ist demokratisch und welche Rechte und Pflichten lassen sich hieraus ableiten? Lässt sich durch den Aufruf, mehr Demokratie zu wagen, die Welt gerechter gestalten, die Klimakatastrophe verhindern, Hungersnöte vermeiden und jedem die gleiche Chance der Teilhabe am öffentlichen Leben verschaffen?

Demokratie ist beides, ein Ordnungsrecht und ein emotionaler Kampfbegriff. Wer etwas durchsetzen will, schafft sich dadurch Legitimation, dass er eine demokratische Anforderung für sein Tun behauptet. Dabei geht es bei der Demokratie in erster Linie um Verteilung der Macht und deren Festigung in den Strukturen, die dem Durchsetzungswillen von Einzelnen und Gruppen Legitimation verleihen soll.

Nicht Zustände begründen aber die Demokratie, sondern Prozesse, in denen Menschen darum ringen, etwas zu gestalten, was ggf. dann Mehrheiten Dank ihrer Stimmen beschließen und dabei Minderheiten berücksichtigen. Die gesamtgesellschaftliche Einbindung unter staatlicher Führerschaft, schafft die Rechtsgewähr für demokratische Prozesse. Dies gelingt am besten, wenn zwischen der Bürgerschaft und dem Staat vertragliche Verabredungen getroffen werden, die dem beiderseitigen Rollenverständnis entsprechen.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Hiob

Hiob, so verrät uns die Bibel, legt sich mit Gott an, hält das, was ihm im Leben widerfährt und für das er Gott verantwortlich macht, für ungerecht und grundlos. Er ist den Prüfungen Gottes nicht gewachsen, erkennt seine Fehler, wird demütig und verändert seine Einstellung und sein Verhalten. Gott belohnt ihn daraufhin mit Zuneigung und Prosperität.

Beispiele aus der Bibel sind nicht unmittelbar übertragbar auf unser Zusammenleben, aber da die Bibel von Menschen für Menschen geschrieben wurde, können wir auch aus diesem Buch der Erfahrungen, die Menschen schon seit langer Zeit gemacht haben, lernen. Die „Hiobsbotschaft“ ist uns als feststehende Begrifflichkeit bekannt. Auch heute empfangen wir viele derartige Botschaften, z. B. zu Krieg, Zerstörung, Artensterben, Klimakatastrophen, Hungersnöten und Krankheiten. Eine unendliche Liste von Plagen, die uns heute heimsuchen, haben bereits ihre Ankündigungen in Schriften, die tausende von Jahren alt sind.

Auch wir halten die Katastrophen, die über uns kommen, für nicht gerecht, beklagen uns über diese, bezichtigen andere oder irgendwelche Mächte, die uns das eingebrockt haben sollen und fordern kurzfristige Abhilfen von denselben. Unsere eigene Verantwortung, unsere Demut, unser Wille, die Plagen als selbstverschuldet anzunehmen, uns zu ihnen zu bekennen und aus der Erkenntnis heraus etwas zu verändern, wie steht es damit?

Sehr schlecht! Immer ist es angeblich nicht der richtige Zeitpunkt und man selbst sieht sich stets als Opfer, hilflos und voll Wut und Hass angesichts der vermeintlichen Ungerechtigkeit. Und wenn das Erkennen beginnt, was dann? Es beginnt wie ein Hürdenlauf.

Die erste Hürde ist besonders schwer zu überwinden, weil es unsinnig erscheint, für den schwierigen Hürden-Parcour verantwortlich zu sein, um dann selbst springen zu müssen. Es sind unter anderem die Hürden: Noch nicht! Und wann? Mit welchen Mitteln? Wozu? Warum ich? Aber mit jedem Sprung kann es mir gelingen, eine Hürde besser zu überwinden und mich dem Ziel, erleichtert von der Last meiner Versäumnisse und Fehler, zu nähern. Wie auch Hiob erhalte ich schließlich im Ziel meine Belohnung dafür, dass ich den Herausforderungen und Prüfungen mutig und entschlossen begegnet bin. Dass der Weg das Ziel ist, das weiß ich, wie jeder andere Mensch, auch schon längst.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Kräftemessen

Armdrücken, Fingerhakeln oder auch Autorennen in der Innenstadt. Die Beispiele umfassen sämtliche Bereiche unseres Lebens. Meist bestimmt der Wettbewerb unser Tun. Der Mitwettbewerber ist unser Konkurrent, ermöglicht uns aber die eigene Leistung, weil er das Kräftemessen zulässt, ja dieses um seinetwillen will, aber auch, um unseretwillen. Denn würden wir den Wettbewerb verweigern, keine Lust haben mitzumachen, würde sein Handeln durch unsere Verweigerung sinnlos werden. Wir Menschen schöpfen nicht nur aus der Anerkennung, sondern aus dem Wettbewerb Kraft, Machtzuwachs, Neuerungen und Selbstverwirklichungen. Wir messen uns mit anderen Menschen, um dadurch zu erfahren, welchen Stellenwert wir selbst im Leben haben.

Gäbe es keine Konkurrenz, keinen Wettbewerb und könnten wir uns nicht mit anderen Menschen messen, führe die allgemeine Zurückhaltung zum Verlust jeglicher Kreativität. Dies würde den Fortschritt verhindern, aber auch paradoxerweise viel Leid ersparen. Im internationalen Wettbewerb findet das Kräftemessen auf militärischem Gebiet, der Diplomatie, aber auch der Wirtschaft statt. Ließe sich der Prozess des Kräftemessens thematisch auf ein Gebiet wie den Umweltschutz und der Erhaltung des Planeten fixieren, könnte der Wettbewerb auch maßgebliche positive Entwicklungen hervorrufen.

Da Kräftemessen aber auch stets eine Machtausübungsoption beinhaltet, ist naheliegend, dass jeder Wettbewerb, selbst auf einem erwünschten Gebiet, unfriedlich ausgehen könnte. Deshalb wird es immer erforderlich sein, den Wettbewerb durch Regeln und Gesetze so einzuhegen, dass das Kräftemessen stets nur in einem kontrollierten bzw. kontrollierbaren Raum stattfindet. Verträge können dabei hilfreich sein, aber im Konfliktverhalten kommt es vor allem auf den Willen der Schiedsrichter an, für eine Ausgewogenheit des Kräftemessens zu sorgen.

Dies vermögen sie nur dann, wenn sie über Gestaltungsmacht verfügen und von den Wettbewerbern anerkannt werden. Soweit Menschen bzw. die von ihnen eingesetzten Einrichtungen berufen sein sollten, das Kräftemessen der Wettbewerber zu beurteilen, sollten auch deren Eigeninteresse und Manipulierbarkeit bedacht werden. Es ist wahrscheinlich, dass eines Tages der Wettbewerb einen digitalen, aber nicht rechtlichen Ordnungsrahmen erhält. Vielleicht ist dies dann sein Ende.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Erwartungshaltung

Do ut des: Gib, dann wird dir gegeben. Erwartungshaltung? Ich gebe und erwarte dann, dass mir gegeben wird. Und wenn dies nicht geschieht? Wie verhalte ich mich dann? Wie verhält es sich überhaupt mit Vorleistungen? Führen sie erwartbar zur erwünschten Kompensation des eigenen Einsatzes? Erwartungshaltungen gründen sich auf Ausgleichserfahrungen, und zwar, dass Unwuchten zumindest auf Dauer keinen Bestand haben.

Wenn aber diese Erfahrungen durch Prognosen widerlegt werden? Ein trauriges Beispiel der Gegenwart: Wir könnten die Erwartung haben, dass Russland, wenn die Ukraine diesem Land die Krim oder sogar den Donbass auf Dauer abtritt, in einen Friedensschluss einwilligt, also den Krieg beendet. Dies könnte unsere Erwartungshaltung sein, ist sie aber begründet? Stimmt es denn tatsächlich, dass, wenn ich gebe, mir gegeben wird? Diese Hoffnung ist zwar prinzipiell berechtigt und insofern dieser Wunsch nachvollziehbar, aber die von Menschen gestaltete Wirklichkeit bestätigt die Erfüllung dieses Wunsches nicht.

Bei kriegerischen Auseinandersetzungen über Gebiete und Menschen verhält es sich wie in der Wirtschaft, zwischen Staaten oder überhaupt im menschlichen Zusammenleben an sich. Einem Ausgleich wird nur dann zugestimmt, wenn der anderen Partei nichts mehr anderes übrigbleibt oder der Ausgleich weniger als die Gegenleistung erfordert.

Nur Macht, Vorteilsgewährung und weitere prägende Umstände, wie Katastrophen, Hungersnöte und unvermeidbare rechtliche Einhegungen von Sachverhalten können zumindest auf Zeit dafür sorgen, dass Ausgleichsleistungen erwartbar werden. Wer in der Hoffnung gibt, dafür kompensiert zu werden, wird enttäuscht. Wer ohne Erwartungshaltung gibt, weil er das Geben als gerecht empfindet, zeigt unerwartet Haltung, schafft Nachdenklichkeit und könnte sogar belohnt werden.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Ende

Vom Lebensende her gedacht, wie lässt sich der Sinn des Lebens beschreiben? Noch eben liegt das ganze Leben vor einem und plötzlich begreift man, dass die eigenen Kinder gealtert sind und der Enkel oder die Enkelin bereits kurz vor der Volljährigkeit stehen, sehr schön, aber deren Kinder, also die eigenen Urenkel wird man vielleicht nicht mehr erleben dürfen. Die Gewissheit des Lebensendes kommt nicht allmählich, sondern plötzlich und unerwartet. Dies ist für viele Menschen sehr verstörend. Es sind nicht nur die körperlichen Schmerzen, die den alten Menschen plagen, sondern auch der Verlust der Konzentration und die Einsamkeit, die sich mit dem fortschreitenden Verlust von Freunden und Bekannten einstellt.

Auch, wenn der Rückbau der Lebensleistung allmählich erfolgt, die plötzliche Wahrnehmung überrascht und löst Hilflosigkeit aus. Es ist doch noch nicht so lange her, da war man gefragt, konnte sich nicht retten vor jedweder Inanspruchnahme, dann kam das unvermeidliche Abschiedsfest und man muss begreifen: Jetzt ist Schluss. Da sitzt nun der Mensch mit seiner gesamten Lebensleistung, nach der niemand mehr fragen wird.

Nun folgen die Einschränkungen, die den Menschen auch wirtschaftlich hart treffen können, weil die Rente oder Pension nicht ausreicht, um den gewohnten Lebensunterhalt zu bestreiten. Bei den Wohlhabenden steigen andererseits die Aktienrenditen, genauso wie die Erträge aus den erworbenen Immobilien. Die Sammlung der Kunstwerke, der Oldtimer, wie auch der Bestand seltener Pfeifen ist beachtlich angewachsen, aber nun, was fängt der Mensch mit all dem an, was er Zeit seines Lebens erspart und gehortet hat? Soll er verschenken, vererben und dann an wen und wozu?

Diese Last, die so plötzlich, wie sein Greisentum über den Menschen gekommen ist, bedrückt ihn. Es bleibt eine Option, diese Last an die Kinder und Kindeskinder testamentarisch weiterzugeben, eine andere hätte darin bestanden, diese Last zu Lebzeiten bereits zu vermeiden, nichts zu tun, was die Nachkommen und schließlich den alten Menschen selbst an seinem Lebensende in Bedrängnis hätte bringen können. Diese Last wiegt schwer und ist jetzt kaum mehr abzuschütteln. Mit dieser Last schafft man sich weder Freunde noch Dankbarkeit, sondern säht Neid, Missgunst und provoziert bei den Nachkommen ein Verhalten, das man Zeit seines Lebens gerade vermeiden wollte.

Es sind aber nicht nur die materiellen Dinge, die den Menschen an seinem Lebensende bedrängen, sondern alle längerfristigen Engagements, die es zu beenden gilt. Sich dieser Gewissheit bewusst zu werden, ist schmerzlich, der Verlust der Kontrolle und der Notwendigkeit des Rückbaus, statt des Aufbaus der bisher den Lebensrhythmus bestimmte. Die wenigsten Menschen können das bevorstehende Ende und den von der Natur geforderten Abschied von Gewohnheiten und angeblichen Sicherheiten ertragen.

Sie behaupten Kraft ihres Willens, ihr Ende überwinden zu können, beharren auf ihrer Leistungsfähigkeit, kleben fest an Arbeit und Vermögen, trotzen scheinbar  mutig ihrer schwindenden Zeit, verlieren aber gleichwohl jede Übersicht in allen ihren Vorhaben und allmählich auch das Wohlwollen ihrer Familie und Freunde, weil sie sich beharrlich weigern oder versäumen, vom Ende her zu denken und sich strategisch klug einzuschränken, demütig zurückzuziehen, anderen das Spielfeld zu überlassen und sich daran zu freuen, dass ihr Alter gelingt, wenn sie beizeiten anfangen, sich zu bescheiden.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Belichtungsmesser

Mit Hilfe eines Belichtungsmessers misst der Fotograf die Lichtverhältnisse an einem bestimmten Ort und zu einer bestimmten Jahres- und Tageszeit. Da ihm sehr wohl bewusst ist, dass sich die Verhältnisse ständig ändern und eine fehlerhafte Messung des Lichtes den Film über- bzw. unterbelichten könnte, hat er sein Messgerät stets bei sich, um sich gegen fehlerhafte Belichtungen, die eine unzutreffende Wiedergabe des Bildes zur Folge hätten, abzusichern.

Zeitraum, Umstände und Belichtungsdauer haben einen maßgeblichen Einfluss darauf, wie der abzubildende Zustand auf dem Filmmaterial wiedergegeben wird. Filme vergilben, Formen verblassen und Konturen verlieren ihre ursprüngliche Schärfe und Prägnanz. Aber nicht nur technisch, aufgrund des eingesetzten Materials, sondern auch gegenständlich verändert sich die Beziehung zwischen dem Fotografen, dem abgebildeten Motiv und dem Betrachter.

Waren die Posen der abzubildenden Personen in der Frühzeit der Fotografie infolge Guckkastentechnologie und Fotoplatten noch gestellt, so gewöhnten sich spätere Generationen an Snapshots und Slow Motion und schließlich auch daran, dass Dank der augmented reality die Darstellung auf dem Foto von der Wirklichkeit stark voneinander abweichen kann. Dass die Wirklichkeit die Erfindung des Auges, des Sinnes, des Verstandes und der Illusion sein kann, daran haben wir uns gewöhnt. Wir schälen Ereignisse und Umstände aus ihrer Zeit und belichten diese erneut, dies aber in unserer Zeit. Wir nehmen dabei in Kauf, dass wir das, was wir vorfinden, also die abzulichtenden Personen, als auch deren Zeit und Umstände in der Jetzt-Zeit belichten und so etwas wiedergeben, was durchaus unserem jetzigen Zeitgeist zu entsprechen vermag, aber wegen der inzwischen geänderten Lichtverhältnisse nicht stimmt, also ein Fake, eine Erfindung unserer Möglichkeiten einer variablen Abbildung ist.

Wir können die Vergangenheit nicht korrekt in der Jetzt-Zeit rekonstruieren, mit Hilfe unserer heutigen Messgeräte die Lichtverhältnisse nicht so modellieren, dass das längst vergangene Ereignis mit unseren heutigen Vorstellungen und Wahrnehmungen in Übereinstimmung zu bringen ist. Wir müssen uns eingestehen, dass Zeit und Umstände sich ändern, Fotos verblassen und aus heutiger Zeit nicht mehr stimmig ist, was einmal akzeptabel erschien. Das bedeutet keineswegs einen unkritischen Umgang mit verflossenen Umständen und Ereignissen, sondern das Eingeständnis, dass heutige Belichtungsmesser keine verlässlichen Aussagen zu den Zeit- und Ortsumständen der Vergangenheit liefern können. Schon gar nicht können wir Menschen heute die Lichtverhältnisse, die eine Filmbelichtung bestimmen, post factum korrigieren.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski