Subjekt – Objekt

Ob wir Kant, Hegel, Fichte, Schelling, Platon, Schopenhauer oder die Religionsstifter befragen, stets bekommen wir ein abschließendes Urteil, das zwar Zweifel zulässt, aber einbindet in gewonnene Erkenntnisse.

„Aber was ist der Mensch im Kreise des Ions, ein Alles oder Nichts, ein fast verstummter Ton? Wer verbirgt sich hinter Leuchtreklamen? Wo ist der Gott, der sich dir selbst verlieh? Gott und Teufel haben gleiche Namen, die Wahrheit Mensch erfährst du nie.“

So erfinde ich mich in jeder Reflexion über mich selbst, die Natur, andere Menschen und alle Dinge an sich immer wieder neu zu meinem passenden Zweck. Unerschöpflich ist so das Begreifen, der Zweifel und der Irrtum.

Wir wissen nichts, sondern nur das Bemühen um Wissen verschafft uns Energie, Freiheit und Erfahrung auch da, wo eine Vollendung der Erkenntnis versagen muss. Wir sind zwar, was wir sind, aber dabei auch etwas, das wir nicht begreifen können. Finden wir uns damit ab.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Vertraut sein

Wem kann ich vertrauen? Von dieser Frage hängt im Leben aller Menschen viel ab. Die gesamte Werbung ist auf Vertrauen aufgebaut und auch unser persönliches Werben um andere Menschen, die uns nahe sind oder uns näher kommen sollen. Oft bleibt uns Menschen nichts anderes übrig, als zu vertrauen, denn Vertrauen schafft zumindest Hoffnung.

Es gibt Momente, die das Vertrauen rechtfertigen, aber rechtsverbindlich wird es dadurch nicht. Vertrauen beruht nicht auf Anspruch, sondern auf Gewährung und setzt darauf, dass derjenige, der Vertrauen begehrt, souverän im Interesse des Vertrauenden handelt. Er muss großzügig, aufklärend und verantwortungsbewusst damit umgehen können.

Trotz des sorgsamen Umgangs mit gewährtem Vertrauen, muss der Vertrauensnehmer einkalkulieren, dass das in ihn gesetzte Vertrauen objektiv nicht gerechtfertigt war. Dann muss er nach Lösungen suchen, um dem Vertrauenden Genugtuung ggf. Kompensation und Ersatz zu verschaffen.

Was in wirtschaftlichen Funktionszusammenhängen Erfolg haben mag, scheitert meist in persönlichen Beziehungen. Eine gestörte Vertrautheit, die auf Verabredungen beruht, ist nicht kompensierbar. Eine letztgültige Vertraulichkeit zwischen Menschen scheitert schon an ihrer Behauptung. Nähe beruht auf Souveränität und Achtsamkeit. Durch Nähe wird das Maß an Fremdheit bestimmt. Je detaillierter diese erarbeitet wird, desto geringer wird die Fremdheit und rechtfertigt Vertrauen.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Wagnis

Greta Thunbergs vor der UN-Vollversammlung und in Frageform gekleidete Anschuldigung „How dare you?“ wird in die Geschichte eingehen. Sie bekommt dafür viel Zustimmung und kaum jemand vermag sich dem emotionalen Impuls dieses Satzes zu entziehen. Doch stellt sich die Frage, ob diese Anklage gerechtfertigt ist und gegen wen sie sich richtet, sollte sie nicht nur einen allgemeinen Weckruf darstellen, dass sich in Sachen Klimaschutz etwas dringend ändern müsse.

Wenn die Generation angesprochen sein sollte, die derzeit noch das wirtschaftliche und politische Handeln bestimmt, dürfte die rationale Aussagekraft gering sein. Eingriffe in Natur und Umwelt zu deren Lasten und zu Lasten allen Lebens auf unserem Planeten hat es immer schon gegeben und beruht auf dem unerbittlichen Fortschrittswillen der Menschheit, der sich nicht auf eine Generation individualisieren lässt. Es ist Schlimmes passiert und auch Gutes.

In allen Bereichen unseres Lebens hat er Bildung, Wohlstand, Bevölkerungszuwachs und Nahrung für fast 10 Milliarden Menschen ermöglicht. Dieser von Menschen gewollte Transformationsprozess verlangte Opfer und wir waren zumindest bisher bereit, diese zu erbringen. So haben sich die Menschen, die Gesellschaften und alle Stakeholder entsprechend ihren Möglichkeiten einerseits opportunistisch, andererseits aber auch verantwortlich gezeigt.

Wie wird nun die kommende Generation diese Verantwortlichkeit wahrnehmen, wenn sie sich nicht auf Schuldzuweisungen beschränken will? Die Ziele scheinen klar zu sein. Es geht darum, sozusagen im allerletzten Augenblick programmatisch die Weichen für die Erhaltung des Planeten für kommende Generationen und alle Lebewesen auf diesem Planeten zu stellen. Um Antworten dafür zu finden, wie dies geschehen soll, werden die künftig Verantwortlichen nicht umhinkönnen, nicht nur ihre Ziele zu formulieren, sondern auch zu beschreiben, was sie vorhaben und wie das zu erwartende Ergebnis ausfallen wird.

Müssen die Produktionsprozesse zurückgefahren werden? Ist eine Reduktion der Menschen auf diesem Planeten zugunsten anderer Lebewesen erforderlich? Ist eine auf Agrarökonomie basierende Lebensgemeinschaft zukunftsfähig? Bisher war der Konsum der Treiber und zumindest seit Beginn des 19. Jahrhunderts auch der Garant des Fortschritts. Ist Konsum verzichtbar oder zumindest weitgehendst einschränkbar? Was geschieht dann mit Unternehmen? Welche Relevanz werden Gewinnerzielungsabsichten aufweisen oder werden wir Tauschgesellschaften favorisieren? Wer aber stellt die zu tauschenden Produkte her? Und selbst wenn wir alles begreifen, sind wir dann dazu bereit, etwas zu verändern, und zwar so, dass nicht andere, sondern wir selbst für die Konsequenzen einzustehen haben?

Der Fragenkatalog ist nur angerissen, ich darf allerdings zumindest vorläufige Antworten auf diese Zukunftsfragen, und zwar nicht nur im Hinblick auf die kleinen Schritte, sondern als Entwurf eines Zukunftsplanes erwarten, der von uns allen, der ganzen Menschheit verabschiedet werden kann, um unser planetarisches Habitat für kommende Generationen zumindest eine Zeit lang noch zu erhalten.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Gehirn

Was ist am Gehirn so einzigartig, dass man ihm die Entscheidungsmacht über unser Dasein zumisst? Was vermag denn das Gehirn, wenn der Körper versagt? Wenn die Zufuhr an Traubenzucker und Sauerstoff unterbunden ist, hat das Gehirn ein großes Problem. Das ist die substantielle Seite dieser Abhängigkeit, erklärt aber nicht, was Geist ist und was das Gehirn vermag. Wenn es mehr ist, als nur Substanz, dann können wir dem Gehirn eine ahnungsvolle Bedeutung zumessen, die nicht allein von der Funktion bestimmt wird. Wenn das Gehirn nicht nur körperlicher Funktionsträger ist, dann vielleicht der spirituelle Nukleus unseres Seins?

Den körperlichen Tod gibt es, aber wie steht es mit dem metaphysischen? Kann Wesen jemals tot sein? Ist Wesen nicht vielleicht ein geistiger Zustand an sich und unserer Diskretion anvertraut? Wir kommen uns, d. h. unserem Gehirn nicht gänzlich auf die Schliche. Wir reißen, definieren Geist, Seele und Leib auseinander, um sie möglichst schnell wieder zusammenzuführen, in dem Bestreben, nichts falsch zu machen, unsere Identität zu schützen.

Ob das richtig oder falsch ist, vermag ich nicht zu entscheiden. Auf viele Körperteile vermögen wir zu verzichten, auf unser Gehirn nicht. Versagt es, wird der Gehirntod festgestellt und dann ist es aus mit dem Menschsein. Ist das so richtig? Ich wage das zu bezweifeln. Unser Sein endet nicht, wenn unser Körper aufgegeben hat und selbst dann nicht, wenn Ärzte den Hirntod feststellten, sondern erst dann, wenn der Mensch nicht nur seine Körperlichkeit, sondern auch sein Wesen verlassen hat. So ist es erklärbar, dass „fast Tote“, die zum Leben zurückfinden, sich als Sterbende selbst von außen betrachtet haben und die Anwesenheit eines gerade Verstorbenen, oft noch längere Zeit im Raum wahrgenommen wird.

Viele Menschen empfinden den Tod als absurd. Ist das so? Das Leben mag absurd sein, der Tod könnte dagegen ein äußerst kreativer Akt der Purgation darstellen, denn Neues entsteht und bietet Menschen Gelegenheit, sich in ein allumfassendes Gewesensein zu verabschieden. Religionen schaffen es nicht mehr, Menschen einen religionsspezifischen allumfassenden Himmel zu bieten. Vielleicht gelingt es aber, sich darüber zu verständigen, dass der Mensch immer bleibend die Matrix seines Lebens geprägt und zum Nutzen aller vergeistigt hat.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Zimperlich

Ältere Menschen erinnern sich sicher noch an die Ermahnung des Kindes: „Sei doch nicht so zimperlich!“ Dieser Ausdruck scheint gänzlich aus unserem Wortschatz verschwunden zu sein. Aber, wenn man sich erinnert, weiß man doch noch ganz genau, was damit gemeint ist. Das so angesprochene Kind sollte mit dem Jammern und Klagen aufhören und den augenblicklichen Schmerz oder Kummer überwinden. Es half oft, zwar nicht deshalb, weil damit der Schmerz oder der Kummer weg waren, sondern weil das angesprochene Kind nicht zimperlich, also wehleidig sein wollte.

Nach einer früher weit verbreiteten Ansicht galt, dass man Sorge, Kummer und Schmerz nicht öffentlich zeigt, eigene Dinge für sich behält oder in der Familie belässt und Haltung bewahrte. Mit gutem Grund hat sich die Gesellschaft hier geöffnet und gestattet es dem Menschen, seine Gefühle vor anderen auszubreiten.

Aber, und dies sollte hier bedacht werden, wäre es vielleicht ganz gut, wenn nicht jeder seinen Sorgen, seinem Kummer und seinem Schmerz einen besonderen Stellenwert beimessen würde, sondern erkennt, dass es allen Menschen so geht oder so gehen könnte. Wenn wir auf Krisen schauen, dann können diese sehr persönlich sein, aber auch alle Menschen betreffen.

Betroffenheit ist ein persönliches Erlebnis, aber auch ein gemeinschaftliches. Wir können uns im Kummer über unsere Situation verlieren oder uns einen Ruck geben und dabei selbst ermahnen: „Sei doch nicht so zimperlich!“ Damit wird das Problem sicher nicht beseitigt, aber wir haben ein weiteres Werkzeug, mit diesem fachmännisch und nicht nur emotional umzugehen.

Eine Gesellschaft, die aus Menschen besteht, die sich ermahnen, nicht so zimperlich zu sein, ergreift nach jeder Krise die Initiative, trocknet ihre Tränen, wagt wieder ein Lächeln und macht weiter. Passt die Ermahnung also heute noch? Sicher.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Querdenker

Als ich dank der Medien von der Querdenker-Bewegung erfuhr, war ich überrascht und auch neugierig. Es überraschte mich weniger, dass diese Bewegung Bill Gates für das Corona-Virus verantwortlich machte und es überraschte mich auch nicht zu erfahren, dass die Bundesregierung Konzentrationslager für uns alle anlege, damit der Freiheitswille der Bürger gebrochen und jeder geimpft wird. Derartige Wahrnehmungen sind in der stammesgeschichtlichen DNA der Menschen festgelegt und helfen Gruppen zur Identität in fordernden Zeiten.

Dass das Corona-Virus nicht für alle, aber für viele Menschen eine große Herausforderung darstellt, ist bekannt. Wenn sie nicht selbst sterben, so doch Angehörige und Freunde, die Meisten leiden, manche nicht. So war es bei den Menschen schon immer und wird es auch künftig bleiben. Was mich wirklich bei der Querdenker-Bewegung überraschte, war also nicht der Gegenstand ihres Denkens, sondern der Umstand, dass sie „quer“ denken.

Ich wusste bisher nicht, dass es ein vertikales und ein horizontales Denken gibt, wie mir auch ein vertikales und horizontales Hören bzw. Sehen nicht geläufig waren. Ich dachte, es käme auf das gesamte Sichtfeld, alle Sinne also, die Wahrnehmung insgesamt an. Auch vertikales oder horizontales Fühlen, welches den Emotionalhaushalt belebt, konnte ich mir bisher quer nicht vorstellen. Geht das, quer zu fühlen?

Bisher habe ich das alles einheitlich gesehen, muss allerdings bekennen, dass ich es durchaus faszinierend finde, die Ordnung zu sprengen und auch das Denken als Anschauungsfrage zu etikettieren. Ich denke, also bin ich. So meinte Descartes. Hat er dies nun horizontal oder vertikal gedacht? Neben horizontal und vertikal gibt es ja auch das Denken in Kreisen oder Ellipsen, das asymptotische Denken, das infinite Denken, das Denken ohne Anfang und Ende, das eingeschlossene Denken und das offene Denken.

Ich muss gestehen, dass mir bei so vielen Denkmöglichkeiten doch recht mulmig wird und ich doch etwas überrascht bin, dass sich eine Gruppe von Menschen damit begnügt, quer zu denken und das „Quere“ als etwas Manifestes anzusehen, wobei wir bisher zu wissen glaubten, dass Denken als Methode gerade eine Begrenzung des Denkens und deren strukturelle Festlegung nicht zulässt. Ich bin gespannt, was noch kommt, Um mit dem mir bekannten Lyriker Ernst S. Steffen zu schließen: „Irgendwann wird man mich zu Ende denken und dann bekomme ich die … verlorenen … Jahre zurück.“

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Wozu?

Die öffentlichen Medien und vor allem das Internet sorgen für eine Unübersichtlichkeit von Wissen und Meinungen, die kaum ein Mensch mehr zu entwirren in der Lage sein dürfte. Um Übersicht zu gewinnen und zu erhalten, benötigt der Mensch Fakten, eine Möglichkeit, diese einzuordnen und sich so ein persönliches System der Verlässlichkeit zu schaffen. Um zu einer sicheren Einschätzung zu gelangen, ist Selbstvertrauen nötig, welches ausschließlich strukturiert zu nutzen ist.

Wie soll dies aber angesichts von TikTok, Instagram, WhatsApp und anderen digitalen Flipperspielen vom Menschen erwartet werden können? Diese Formate befeuern in Minuten-, oft sogar nur in Sekundentakten Menschen, die sogenannten „User“, mit irgendwelchen verbalen oder bildlichen Informationen, die zwar Emotionen zu beeinflussen in der Lage sind, aber ihrer Frequenz und Beliebigkeit geschuldet, keinen Erkenntnisprozesse in Gang setzen, die dem Menschen erlauben, Ereignisse systemisch bei sich selbst rückzuversichern.

Wenn dies kritisch zu betrachten ist, wie ich dies hier mache, warum geschieht es dann doch und wozu soll es führen? Stellt es möglicherweise eine gewünschte Entlastung des Menschen vor eigenen Erkenntnissen dar? Wird stattdessen ein beruhigendes Format für Einschätzungen jenseits der individuellen und menschlichen Verarbeitung geschaffen, die eine gesellschaftliche Allgemeinverbindlichkeit hervorbringt, das soziale Miteinander stärkt und es jedem Nutzer der digitalen Angebote erlaubt, seine eigene Meinung durch diese Rückvergewisserung mit anderen Menschen emotional aufzuladen und sich dabei wohl zu fühlen? Was bedeutet es, wenn wir Menschen konsequent dank der medialen Befeuerung vom eigenen Denken und Empfinden entlastet werden?

Sicher wird dies zunächst als Fortschritt wahrgenommen, da jede Errungenschaft die Singularität des menschlichen Seins bestätigt. Was geschieht aber dann, wenn die menschlichen Fähigkeiten des Abwägens, des Einschätzens und des Widerspruchs dabei verkümmern und wir uns den Formaten ergeben haben? Das Menschheitsrätsel haben Philosophen, Vertreter von Religion und Wissenschaftler sich stets gestellt und zu lüften versucht. Das Rätsel wird unlösbar sein, was wiederum die Chance bietet, darauf zu vertrauen, dass weitere Kräfte darauf wirken, die Kapitulation vor der medialen Kakophonie zu verhindern.

Es wird wieder die Frage nach der Zufriedenheit des Menschen mit seiner Existenz, seinem Staunen und seinen Fähigkeiten und natürlich auch seiner Genügsamkeit gestellt werden. Denn wozu soll der Mensch denn zu etwas Anderem werden, als das, was er ist?

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Kontaktbereichsbeamter

Wer erinnert sich nicht gern, zuweilen auch etwas wehmütig, an unsere Kontaktbereichsbeamten. Sie hatten ihr Revier, welches sie Tag für Tag abliefen, oft stehen blieben, in Ruhe Straßen, Höfe und Häuserfronten musterten, dabei nicht abgeneigt waren, Passanten Auskunft zu geben oder mit interessierten Bürgern zu sprechen. Es gab emotionale, sogar herzliche Begegnungen. Die Kontaktbereichsbeamten waren den Menschen täglich gegenwärtig. Dann fehlten sie eines Tages plötzlich. Ausgemustert. Sie wurden als überflüssig angesehen, als gestrig und sie wurden mit Spitzeln, Blockwarten und mit einer Art Hausmeister verglichen.

Da sie keine spezifischen Aufgaben hatten, wie zum Beispiel falsch parkende Autos aufzuschreiben, Delikte aufzuklären oder den Verkehr zu regeln, schienen sie sich als überflüssig, zudem kostenträchtig und damit nutzlos zu erweisen. Weit gefehlt. Aus meiner Sicht erfüllten sie die wichtigste Funktion auf der Straße, die eine Gemeinde und ein Staat leisten kann: Sie schafften Vertrauen. Sie schafften Vertrauen, nicht gegenüber einer imaginären Obrigkeit, sondern unter den Bürgern selbst. Ein solches Vertrauen gewährleistet keine Präsenz von Polizeibeamten in geschlossenen Fahrzeugen, die vielleicht zwei Mal am Tage, in einer Straße patrouillieren.

Sie können so nur das Offensichtliche wahrnehmen, erfahren aber nichts über ihren kurzen visuellen Eindruck hinaus. Mit dem Schwinden des Kontaktes zwischen Polizeibeamten und Bürgern werden auch Konflikte geschaffen, weil man sie persönlich nicht mehr kennt. Aufgrund der mangelnden Erfahrung und des fehlenden persönlichen Umgangs ist es mehr als verständlich – so bedauerlich dies auch ist – dass Polizeibeamten zunehmend nur noch in ihrer obrigkeitsstaatlichen Funktion wahrgenommen werden.

Dadurch schwinden Hemmungen sich mit ihnen als Gegner auseinanderzusetzen. Auch ich kann mich nicht erinnern, dass ich in den letzten Jahren jemals bewusst mit einem Polizeibeamten ein Wort gewechselt hätte. Selbst die vielen Polizeibeamten, die vor öffentlichen und sonstigen gefährdeten Einrichtungen stehen, sind in das Geschehen außerhalb ihres Auftrages kaum eingebunden. Sie sind Statisten im Bereich öffentlicher Wahrnehmung.

Ich gehe allerdings davon aus, dass gerade im Interesse einer Konfliktvermeidung nicht nur die Bürger, sondern auch die Polizeibeamten ein größeres Interesse daran haben könnten, einander näher zu sein, mehr voneinander zu erfahren und sich gut miteinander aufgehoben zu wissen. Fazit: Ich plädiere für eine Wiederbelebung der segensreichen Tätigkeit der Kontaktbereichsbeamten.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Partizipation

Im Zuge der Inhaltsfindung für den künftigen Sinn des Humboldt Forums im Berliner Schloss schlug ich vor, dieses zu einer Begegnungsstätte der Bürger auszugestalten, mit dem Ziel, einer in größerer Runde aktuelle Themen zu behandeln, dabei auch Vorschläge für unser Zusammenleben zu erarbeiten und diese dann in einer Art Contrat Social zu verabschieden. Ich stieß auf Zustimmung, unter anderem durch den früheren Umweltminister und Afrika-Beauftragten Klaus Töpfer, aber auch auf Skepsis und Ablehnung aus der Kultur- und Stadtpolitik. Die Ablehnung war leicht durchschaubar.

Man wollte das Humboldt-Forum künftig zu Museumszwecken nutzen und wollte darin auch ein partizipatives, weil aufklärerisches Moment sehen. Der Museumsbesucher würde sich mit den Kulturen der Welt auf eindringlichste Art und Weise durch den Besuch von Ausstellungen, Gesprächen und sonstigen Veranstaltungen auseinandersetzen.

Dass dies sehr begrüßenswert ist, will ich überhaupt nicht in Frage stellen. Diese Argumentation verkennt allerdings völlig die Notwendigkeit, dass zur Sicherung unserer Kultur und unserer Demokratie eine Bürgerbeteiligung außerhalb der Wahlen unabdingbar ist. Wir sehen leidvoll, dass Themen, wie Migration, Heimat, städtische Prioritäten, kulturelle Anliegen, Klimaschutz, Gesundheit und digitale Vernetzung fast ausschließlich in Fachkreisen und in politischen Gremien diskutiert werden, aber nicht in Bürgerformaten, wie zum Beispiel Bürgerparlamenten oder Bürgerversammlungen, in denen durch Selbstermächtigung auch diejenigen Bürger zu Wort kommen, deren Rechte meist nur hypothetisch bestehen oder sich in Fragerechten erschöpfen. Meinungsumfragen können zudem die Möglichkeiten wirklicher Bürgerbeteiligungen nicht ersetzen.

Man muss diesen Partizipationsmodellen noch nicht einmal normative Kraft beiordnen, um die Legitimität der daraus gewonnenen Ergebnisse anzuerkennen. Ich nehme wahr, dass mangels geeigneter Alternative sich solche Bürgerforen leider auf die Straße verlagern und als abschreckende Beispiele für bürgerliche Partizipation herhalten müssen. Aber gerade darin, dass dies geschieht, liegt das vorstehend von mir beschriebene Versäumnis unserer Gesellschaft.

Die Menschen wollen ihren Gedanken einen Ausdruck geben und finden dafür keinen anderen Ort mehr, als die Straße. Die Straße ist indes völlig ungeeignet ein Bürgerforum zu bieten. Ein kontinuierlicher Prozess der Gestaltung findet dort nicht statt, sondern das eigentlich Beredenswerte erschöpft sich in Demonstrationen und emotional vorgetragener Meinungen, die medial aufgeheizt die Politiker zum Handeln zwingen sollen. Diese reagieren mit Betroffenheit, gelegentlich Verständnis für diese Meinungen und schließlich bei einem Übermaß an Wahrnehmung vermeintlicher Rechte mit Gewalt.

So kann aber Partizipation nicht gelingen, weder in einer Meinungsdiktatur, noch in politischer Besserwisserei. Zudem besteht die Gefahr, die wir durchaus erkennen, dass Aufwiegler, Spinner und Opportunisten sämtlicher Couleur dieses Defizit ausnutzen, um Klientel für Zwecke zu mobilisieren, die überhaupt nichts mit konstruktiver und verantwortungsbewusster Partizipation zu tun haben.

Das Schloss und dabei das Humboldt-Forum auf dem Gelände des abgerissenen Palastes der Republik wäre ein idealer Ort gewesen und könnte es vielleicht in der Zukunft doch noch sein, Bürgerbeteiligungen zu ermöglichen, die weitläufig in unserer Welt schon in Städten und Landkommunen funktioniert haben. Die menschliche Gemeinschaft und dies nicht nur im privaten, sondern auch im öffentlichen Bereich ist unverzichtbar dafür, dass wir die Welt friedfertig, fortschrittlich und lebenswert erhalten.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Tradition

Unserem Zeitverständnis entsprechen die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft. Deshalb ist es schwer, in bestimmten wesentlichen Fragen des Zusammenlebens auf unserem Planeten eine Übereinstimmung zu finden. Wenn die Zukunft eine geringe oder überhaupt keine Rolle spielt, können Klimakrisen, Naturkatastrophen, überhaupt Szenarien, mit der sich unsere Kinder und Enkelkinder auseinanderzusetzen haben, in keiner Weise aufschrecken.

Das mangelnde Verständnis für die Zukunft führt konsequent zur eingeschränkten Tätigkeit in der Gegenwart. Alle Kulturen fühlen sich zwar aufgerufen, die Gegenwart zu gestalten, aber mit ganz unterschiedlichen Voraussetzungen. Während zukunftsgewandte Kulturen die kommenden Generationen mit bedenken, bedienen sich Kulturen, bei denen nur Vergangenheit und Gegenwart zählen, der überlieferten Erfahrungen als Instrument der Gegenwartsbewältigung.

Die Vergangenheit ist sicher ein guter Lehrmeister, wenn es darum geht, aus Irrtümern und Fehlern Schlüsse zu ziehen und zu lernen, wie alles besser gemacht werden könnte. Wenn allerdings die Vergangenheit nur die Blaupause für die Gegenwart darstellt im Sinne einer Selbstvergewisserung, dass unsere Väter und Mütter schon die richtigen Entscheidungen getroffen hätten und auch alles gut gegangen sei, so verkennt diese Betrachtungsweise, dass sich Gegenwart und Zukunft ohne Rücksicht auf vergangene Gewissheiten entwickeln wird.

Klimakrisen, wie die derzeitige, gab es in der Weltgeschichte zwar auch schon, waren aber von Menschen nicht erlebbar, weil sie noch nicht vorhanden waren. Schon eine agrarisch geprägte Menschengesellschaft entsprach nicht mehr einer Gesellschaft zu Zeiten der industriellen Revolution und diese ist auch nicht mit unserer heutigen vorwiegend digital geprägten Gesellschaft vergleichbar. Wer aus der Tradition nicht das Bemühen um Zukunft abzuleiten vermag, wird vermutlich scheitern.

Darin besteht zudem das heute erkennbare Problem fundamentalistischer Religionen, denn sie verschließen sich der Zukunft. Das Christentum hat offensichtlich ein anderes Zeitverständnis und bedient sich der Tradition als Versicherung der Zukunft der Menschen auf dem Weg zu ihrer Erlösung. Insofern sind christliche Religionen in der Regel zukunftsgewandt und könnten versucht sein, Phänomene, wie die Digitalisierung in den religiösen Vorstellungskodex zu integrieren.

Das Problem dabei ist allerdings, dass Religionen, die generell keine weiteren Götter zulassen, eine große Konkurrenz in gottähnlichen Avataren haben, die sich im Internet entwickeln könnten. Die christliche Religion überzeugt den Menschen davon, dass der Mensch Gottes Werk sei und ihm alle Eigenschaften verliehen sind, die ihn zum Menschen machen einschließlich Sprache, Emotionen und Handlungsweisen.

KI, AI, Chatbots und jedes roboterähnliche Wesen verweisen auf eine Schöpfungsgeschichte, die den Menschen selbst ermächtigt und eine religiöse Vergewisserung unnötig macht. Während christliche Religionen noch hilflos mit dieser ungenauen Zukunft umgehen, haben traditionalistische Religionen sich zur Unterdrückung und Abwehr entschieden. Traditionell haben alle Religionen und Kulturen etwa das gleiche Verständnis vom Menschen, unterscheiden sich aber fundamental in der Gegenwarts- und Zukunftsbetrachtung.

Die Zukunft zu begreifen ist aber unerlässlich, um in der Gegenwart so zu handeln, dass unsere Kinder und Enkelkinder eine Zukunft haben. Trotz allem kulturellen Verständnis ist die Zukunft kein religiöses oder philosophisches Phänomen, sondern sehr real.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski