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Erkenntnis

Ohne den Willen, zur Erkenntnis zu gelangen, ist Denken sinnlos. Dabei beruhen Erkenntnisse nicht allein auf einem kognitiven Prozess, sondern werden auch emotional und sinnlich bestimmt. Erkenntnis ergibt sich aus der Möglichkeit, etwas wahrzunehmen, was dann denkend verarbeitet werden kann. Erschöpfte sich das Denken in der Repetition des wahrnehmbaren Offensichtlichen, wäre das Denken vergeblich, wie auch ein emotional aufgeladenes Denken wirklichkeitsfremd und ziellos wäre.

Das durch Erkenntnis genährte Denken erweist sich aber auch dann als vergeblich, wenn es wirkungslos, d. h. eine Option ohne zu Handeln ist. Andererseits ist jedes Handeln, das nicht auf einem durch das Denken ausgelöstes Erkennen beruht, gefährlich, weil es nur ein Ausprobieren von Möglichkeiten wäre.

So verhält es sich aber tatsächlich mit etlichen Verhaltensweisen, die durchaus eine allgemeine und wirkungsvolle Verbreitung erfahren, ohne dass erkennbar ist, auf welchem Erkenntnis- und deren Verarbeitungsprozess sie beruhen. Losgelöst vom methodischen Zwang des Erkennens, floaten sie den öffentlichen Raum, verbreiten sich schnell und bilden Klumpen, die erkenntnis-avers sind, aber dazu beitragen, dass sich eine allgemeine Meinungs- und Verhaltensdystopie über den Menschen, der Gesellschaft und unseren ganzen Planeten ausbreitet, die lähmen, aber vor allem erheblich zur Entfachung von Aggressivität unter den Menschen beitragen kann.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Denken

„Querdenker“, ein wahrhaft süffiger Begriff, der allgemein verständliche Zuweisungen in den Personen jener Menschen erfuhr, die während der Corona-Pandemie einerseits ihr Recht einforderten, sich nicht impfen zu lassen, andererseits häufig ohnehin den Staat und sämtliche Politiker als korrupt, gekauft und inkompetent brandmarkten. Ihre Proteste gegen alle diejenigen, die etwas anderes meinten, als sie, versehen sie mit dem Hinweis, dass das richtige Denken bei ihnen aufgehoben sei. Ist dies nachvollziehbar?

Ich denke nicht. „Denken“ und „meinen“ schließen sich nicht aus, sind aber nicht dasselbe. Auch Emotionen und Denken teilen gleiche auslösende Momente. Dass aber „querdenkt“, wer etwas anderes denkt, als andere, erscheint mir nicht schlüssig. Ein kollektives Denken dürfte genauso aussichtslos sein, wie ein paralleles Denken. Wenn Denkende Informationen haben, werden sie diese verarbeiten, um dann die Ergebnisse ihres Denkens ggf. auf Übereinstimmung mit dem Denken anderer Menschen zu überprüfen. Das Ausgangspotential des Denkens ist ein umfassendes Angebot, denn auch diejenigen, die sich nicht als „Querdenker“ bezeichnen würden, haben die Möglichkeit über genau das Gleiche wie „Querdenker“ nachzudenken. Sie kommen nur möglicherweise zu anderen Schlüssen. Sind damit diejenigen, die bei gleicher Ausgangslage in einer anderen Richtung denken, „Querdenker“? Das leuchtet mir nicht ein.

„Querdenker“ könnte vielleicht derjenige sein, der denkend etwas so quer stellt, dass ein anderer Mensch in seinem Denkprozess zu einem ganz anderen Ergebnis kommt. Vielleicht könnte man Emanuel Kant als ein „Querdenker“ bezeichnen, der vielen geläufigen Denkerwartungen bei gleicher Ausgangslage und gleichen Denkinstrumenten zu abweichenden Ergebnissen verhalf.

Die sogenannten Querdenker stellen dagegen Behauptungen auf, die sie mit ihrem angeblichen Wissen rechtfertigen wollen, ohne zunächst eine stringente Ableitung a priori vom Tatsächlichen zwecks einer sicheren Möglichkeit der Überprüfung vorzunehmen. Die Meinung, dass sich etwas so verhält, wie sie es darstellen, ersetzt bei den sogenannten „Querdenkern“ ihre Schlüssigkeitsprüfung.

Sachverhalte sind aber keine Kopfgeburten, sondern schaffen Faktenlagen, die zwar verschieden ausgedeutet werden können, ohne deren Substanz in Frage zu stellen. Hier könnte „Quer-Denken“ ansetzen und eine Vielzahl von Möglichkeiten eröffnen. Wie heißt es bei Kant?: „Sapere aude“.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Denkfabrik

Sind manche Menschen unfähig, überhaupt zu denken, haben sie aufgehört zu denken oder benötigen sie nur eine Anleitung zum Denken? Sind andere Menschen, die in Denkschulen, Denkfabriken oder Denkbanken organisiert sind, im Grunde ihres Wesens für das Denken zuständig, weil wir ohne deren Hilfe und Anleitung zum richtigen Denken ein erwartbares Denkpensum überhaupt nicht erledigen könnten? Sind – so wage ich es kaum zu denken – manche Menschen auch denkfaul, herzensfroh, dass andere für sie denken? Könnte es vielleicht aber auch so sein, dass sozusagen in vorauseilender Erwartungshaltung manche so von ihrem Denken überzeugt sind, dass sie meinen, dass andere ohne ihre Gedanken nicht zurechtkämen und sie daher die Weichen zum sinnvollen Denken anderer Menschen zu stellen hätten oder deren Denken durch ihr eigenes Denken sogar überflüssig machen könnten, also das Eigendenken ersetzen könnten durch das Fremddenken? Aber, wer benötigt dies? Besteht für dieses Vorhaben eine Nachfrage? Wahrscheinlich schon.

Gedankenmärkte boomen. Ratgeber jeder Art zum richtigen Denken sind Bestseller, unzählige Talkshows und Podiumsdiskussionen vermitteln eine Flut von Gedanken. Manche davon sind in der Tat originell, die meisten aber bekannt und rückbezüglich, also in dem Sinne, als würde ich denken und sagen, was andere schon gedacht und gesagt haben. Schon deshalb müssten sie richtig sein. Man müsste ihnen also vertrauen können. So werden die Gedanken wie der alte Wein in „neuen Schläuchen“ attraktiv verpackt, als Neuerung gepriesen, unbeschadet jeden Realitätsstresses, der beweisen könnte, dass der Urheber des angeblich so neuen Gedankens sich schlicht und einfach einer neuen Begrifflichkeit bedient hat, um Gedankenprodukte auf den Markt zu bringen.

Gedanken, die in einem Sinnzusammenhang stehen, müssen das Denken anderer Menschen mitbedenken und sich einfügen in ein System des Denkens, das keinen Alleinstellungsanspruch für sich erhebt, denn im Angebot des Mitdenkens liegt eine Aufforderung an alle Denkwilligen, sich ebenfalls kritisch oder unterstützend mit ihrem Denkpotential in den institutionellen Prozess einzubringen. Das ist eine gute Möglichkeit, der Vereinsamung des Denkens zu begegnen und dabei auch unter Berücksichtigung der Umstände den ganzheitlichen Aspekt des Denkens zur Geltung zu bringen.

Denken ist nicht nur ein kognitiver, rationaler Vorgang, sondern auch ein emotionaler und schließt mehr ein, als die eigene Verortung im Denken, die durch Denkfabrikate geschaffen werden. Produkte jenseits unseres Verstandes, jenseits unseres Wissens und Erfahrung sind gefragt. Sie mehren unsere Vielfalt des Denkens, um auf diese zu gegebener Zeit bei entsprechender Nachfrage zurückgreifen zu können.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Ahnung

Nicht, dass es in der Vergangenheit nicht auch schon Erkenntnisse gegeben hätte, die trotz ihrer Behauptung allein auf Vermutungen beruhten. Aber grundsätzlich sind sich alle Menschen darin einig, dass unser Wissen auf einem Denken fußt, dass in der Lage ist, erwiesene Tatsachen zu schätzen. So feindlich sich Geistes- und Naturwissenschaften gegeneinander gebärden mögen, so recht ähnlich sind sie sich dennoch bei der Wahl der Mittel, mit denen sie ihren Werkstoff bearbeiten.

Ihr Werkstoff ist eine Wirklichkeit, von der die Naturwissenschaften behaupten, sie sei fassbar, sei real. Paradoxerweise sagen die Geisteswissenschaften dasselbe, werden aber von den Naturwissenschaften mit der Behauptung konfrontiert, sie erfänden nur eine Wirklichkeit, um sie zu bearbeiten. Die Geisteswissenschaften wollen ihrerseits nicht nachstehen, sondern verblüffen mit der Aussage, dass nicht wirklich sei, was wirklich erscheine.

Das erbost nun jeden Naturwissenschaftler, obwohl er für sich selbst nicht ausschließen kann, dass er die Geisteswissenschaften benötigt, um überhaupt den Sinn seines Erforschens der Wirklichkeit zu erklären. Wie soll man aber die Kohärenz in allem erkennen, wenn man nur das Zerlegen gelernt hat?

Denken und Handeln sind die geläufigen Werkzeuge der Erkenntnis, die stets an Grenzen stößt, weil sie dem Fühlen, der Ahnung, dem Ungewissen und Ungefähren, das sich unfertig mitteilt und keine Formung hat und bereit ist, ungesichert zu bleiben, keine Berechtigung zubilligen will. Für das Unfassbare, für das normativ nicht zu Ordnende, haben wir keine Sprache. Wir könnten es Platz nehmen lassen, neben unseren Gedanken in der Hoffnung, dass es bereit ist, etwas Entscheidendes mitzuteilen.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Was nichts kostet, ist nichts wert

Die Piratenpartei vertritt den Grundsatz der Offenheit und Freiheit im Netz und erledigt so ganz nebenbei den Grundsatz des Urheberrechts. Urheberrecht bedeutet dabei nicht nur das Recht, selbst zu bestimmen, was mit den eigenen schöpferischen Leistungen geschieht, sondern auch darauf zu bestehen, dass diese Leistungen, soweit auch andere einverständlich mit dem Urheber darüber verfügen, auch entsprechend vergütet werden. Was nichts kostet, ist nichts wert. Der Volksmund hat dies eindeutig formuliert. An dieser Eindeutigkeit kommen auch diejenigen nicht vorbei, die mit der Totalität der Informationsgesellschaft drohen und die Netzfreiheit als feststehende Tatsache proklamieren. Die Realwirtschaft kann sich ins Fäustchen lachen. Die Verletzung eines Betriebsgeheimnisses ist nach wie vor die Verletzung eines Betriebsgeheimnisses und strafbar. Die Verletzung des Rechts an einer schöpferischen Leistung – sei es durch Plagiat oder „Copy and Paste“ – stellt heute im Bewusstsein vieler Menschen allenfalls noch ein moralisch vorwerfbares Verhalten dar. Aber auch diese Einstellung wird verschwinden, wenn fortschreitend eine Vielzahl von Netzusern die Bedenkenträger diffamieren und ihre selbsterkorenen Rechte einfordern.

Aber, wer will dann in unserer Gesellschaft noch schaffen oder denken? Bin ich verpflichtet, für andere noch zu denken, wenn diese mir nicht nur meine Gedanken rauben, sondern sich auch weigern, für das, was ich so geschaffen habe, noch etwas zu bezahlen? Schon heute gewinnt man den Eindruck, dass Denken allenfalls belohnt wird. Denken als die Narretei einiger unverbesserlicher Streber nach Einsicht und Aufbrüchen. Das Produkt des Denkens erfährt schon deshalb keine Anerkennung, weil die Denker selbst noch nicht bereit sind, notfalls von ihrem Streikrecht Gebrauch zu machen. Wissen und Informationen alleine vermögen nichts. Erst durch das Denken, nicht die Internetverknüpfung, sondern die persönliche Abgleichung der Informationen im Denkprozess selbst wird das Produkt geschaffen, welches andere in die Lage zu versetzen vermag, den Prototypen als handhabbares Gesetz auszuformulieren. Deshalb ist es so wichtig, dass das Denken eine eindeutige Verankerung im Wertesystem unserer Gesellschaft findet, also angemessen bezahlt wird. Ganz egal, ob die Neider dies ungerecht empfinden, sollte jeder, der zu denken bereit ist, sich bei einer Wahrnehmungsgesellschaft registrieren lassen dürfen, Anspruch auf eine Flatfee haben und darüber hinaus noch teilnehmen an den Denkabgaben, die in unserer Gesellschaft gemeinschaftlich erbracht werden müssen. Denken muss sich wieder lohnen.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski