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Weihnachten

Wir feiern ein Weihnachten, welches absurder nicht sein könnte. Ein Kind wird geboren, der Heiland, mit dessen Vater er selbst und der heilige Geist eine unauflösliche Einheit darstellen. Am Kreuze verliert er es zwar, bleibt aber dennoch Schöpfer des Lebens. Vater, Sohn und Heiliger Geist sind alles in einem und auch das Ganze in Allem.

Dieses offenbare Paradoxon ist erstaunlicherweise aber für unsere Existenz sinnstiftend, egal welcher Religion wir als Menschen angehören oder uns gar als Agnostiker bezeichnen. Stets findet eine Rückkopplung in einen Raum jenseits des Offensichtlichen statt. Geschichtlich und gegenwärtig gibt es zwar keine Einheitlichkeit der Benennung dieses Phänomens, aber selbst hochgeachtete Wissenschaftler halten parallele Erfahrungen für möglich und wir alle ahnen, dass es jenseits des Urknalls etwas gibt, das wissenschaftlich gesehen, eigentlich nicht sein kann, wir aber aus Gründen der eigenen Orientierung anerkennen müssen. Es dient der Absicherung unserer Existenz in dieser Welt. Es sollte uns nichts daran hindern, die ganze Schöpfungsgeschichte so wahrnehmungsmöglich, wie wir es zulassen, zu benennen.

Diese Benennung wird natürlich sehr subjektiv ausfallen müssen, da wir sie allenfalls durch deren Andeutungen erfahren, wir diese selbst durch Mutmaßungen ergänzen oder sogar trotzig unsere Festlegungen gerade aus dem Widerspruch zu angeblich gesicherten Erkenntnissen ableiten. Da unsere Ahnungen sich also nicht durch Redeweise verifizieren lassen, verteidigen wir unsere Behauptungen selbst als scheinbar gesicherte Erkenntnisse und schützen uns dadurch selbst vor dem Eingeständnis unserer Ahnungslosigkeit. Diese wühlt uns stetig auf, weil wir doch nicht von dem Versuch ablassen können, mittels Religion, Philosophie, Wissenschaft und Technik in Erklärungssphären vorzudringen, die es uns erlauben könnten, das Menschheitsrätsel zu lösen.

Aber letztlich verschaffen wir uns durch Geburt und Tod doch die Gewissheit unserer Existenz und erfahren durch das Rätsel unseres Seins einen spirituellen ewigen Sinn. Es ist also Weihnachten!

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Begegnung

Schau, da läuft er also auf der gegenüberliegenden Straßenseite, ihr Mann. Wo er denn hin will? Sie versucht, ihn auf sich aufmerksam zu machen. Er eilt aber vorwärts, ohne sie zu bemerken. Rufen ist zwecklos. Er würde sie weder hören, noch verstehen, der Straßenlärm übertönt jede Stimme.

An der nächsten, mit einer Ampelanlage versehenen Kreuzung, ergibt sich dann doch eine Chance zur Kontaktaufnahme. Er kreuzt die Straße in ihre Richtung, während sie ihm hurtig entgegengeht, aber auf der Straßenmitte anhält: es ist doch nicht ihr Mann, aber sie kennt diese Person ganz genau! Sie bricht ihre Straßenquerung ab, kehrt um und folgt diesem nur scheinbar Fremden, um sich seiner Identität zu vergewissern. Nachdem sie ihn eingeholt hat, spricht sie ihn an: „Verzeihen Sie, ich kenne Sie, Sie sind doch ein Arbeitskollege meines Mannes“. Dieser sagt „aha“, was sie dazu bringt, ihm genauer zu erklären, für wen sie ihn halte. Dabei macht die Person keine Anstalten weiterzugehen, bleibt einfach stehen und wirft in ihre Ausführungen nur ab und zu ein „aha“ ein. Nachdem sie ihn ausführlich belehrt hat, wer er sei, verabschieden sie sich beide voneinander und gehen ihrer Wege. Als sie abends ihren Mann von dem Ereignis berichtet, sagt dieser „aha“, schaut weiter fern und isst den wirklich köstlichen Borschtsch, den sie ihm bereitet hat. Damit ist das Vorkommnis eigentlich abgearbeitet. Allerdings noch nicht ganz.

Am Wochenende fahren sie – wie oft – auf ihre Datsche. Sie ist verblüfft. Ihr Nachbar ist offensichtlich der Mann, den sie zunächst für ihren Mann gehalten hatte, aber eigentlich ein Arbeitskollege ihres Mannes hätte sein sollen. Da ist sie sich weiterhin sehr sicher. Als sie aneinander vorbeigehen, grüßen sie sich, mehr haben sie nicht zu sagen.

Wo ist denn hier die Pointe? Geht es um ein Missverständnis oder darum, dass wir sehen, was wir sehen sollen oder sehen wollen? In unserem Beispiel geht es um eine private Verwechslung, im politischen Leben aber etwa um Täuschung oder Selbsttäuschung mit einschneidenden Folgen. Für wen halten wir den, der uns begegnet? Halten wir an seiner ihm zugedachten Identität fest, und zwar auch dann, wenn wir es bereits besser wissen, wer er ist? Es sind zwar meist Vorkommnisse aus unserem Alltagsleben, die dazu beitragen könnten, mit unseren Mutmaßungen vorsichtiger umzugehen, aber auch nur dann, wenn wir zu Erkenntnissen bereit sind.   

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Bauchgefühl

In Corona-Zeiten erfahren wir, dass alle Umstände, die von Menschen bestimmt unser Leben beeinflussen, gegeneinander in Stellung gebracht werden. Politik versus Wissenschaft, Wissenschaft versus Bauchgefühl und Bauchgefühl versus Verstand.

Wenn alle Zustände gegeneinander antreten müssen, bleibt es nicht aus, dass alle als unzulänglich angesehen werden. In Corona-Zeiten werden allen öffentlichen Stellen, die unser Handeln bestimmen, allenfalls ausreichende Noten erteilt werden, jedoch meist mangelhaft oder ungenügend. Der Verstand will uns sagen, dass diese Einschätzungen auf einem Benotungssystem beruhen, welches wir anwenden, um unsere eigene Hilflosigkeit zu kaschieren.

Unser Bauchgefühl verrät uns, dass wir durchaus verstehen, dass infolge fehlender wissenschaftlicher Erkenntnisse und umfassender Informationen getroffene Entscheidungen nachvollziehbar sind, wobei das selbe Bauchgefühl dennoch gegen Unzulänglichkeiten protestiert, die bei der Erkenntnis im Zuge der Bewältigung von Problemen stets bestehen und auch nicht einfach verschwinden. Das Bauchgefühl sucht aber unablässig nach Schuldigen: „Es kann doch nicht wahr sein…!“

Dies ist Ausdruck solch einer Baucherfahrung, dabei fühlt der Bauch nichts, sondern wir geben unserer Unmöglichkeit, alles zu verstehen, eine emotional nachvollziehbare Heimat. Unser Verstand würde sich dem Bauchgefühl aber verweigern, denn er erkennt die Zusammenhänge, vermag Probleme einzuschätzen und vermag das Ganze zu erkennen, was dem Bauch regelmäßig nicht zugänglich ist.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Sprache

„Small is beautiful“ oder „less is beautiful“. Manchmal passen wohlmeinende Erkenntnisse nicht, insbesondere dann nicht, wenn es um die Sprache geht. Sicher hat die allgemeine Ermahnung „Reden ist Silber und Schweigen ist Gold“ ihren Charme, wenn man das unablässige Geplapper der Menschen bedenkt, das man zumindest zuweilen auch gern als „Sprachdurchfall“ bezeichnen könnte.

Wenn aber etwas gesagt sein muss, dann in einer Sprache, die das ausdrücken kann. Die Sprache hat viele Erscheinungsformen. Eine davon ist geprägt von Personen, die in der Öffentlichkeit stehen, Politikern zum Beispiel, Teilnehmern an Talkshows und Moderatoren. Ihre Sprache soll nicht nur verständlich sein, sondern jederzeit abrufbar und widerspruchsfrei. Diese Sprache kennt wenig Worte und ist von Versatzstücken geprägt, die so oder so zusammengesetzt werden können und einen Sinn nur deshalb erzeugen, weil wir uns in diese Sprache eingehört haben. Die Vertrautheit mit dieser Sprache ist ihr eigentliches Geheimnis, nicht der Inhalt oder ihr Klang.

Menschen, die in der Öffentlichkeit stehen, benutzen eine Sprache, die aus Begriffen, aber wenigen Wörtern besteht, um sich unantastbar zu machen, sich nicht zu verfangen in Überlegungen, nicht hinweggetragen zu werden zur Sprachlosigkeit, wenn ein neuer, unerwarteter Gedanke aufscheint. Diese Sicherheit teilen sie mit dem Zuhörer, und zwar auch dann, wenn überhaupt nichts zu sagen ist. Diesem Sprachverhalten ist dasjenige von Podiumsdiskutanten sehr verwandt. Sie sind vorbereitet und können oft stichwortgenau – um welches Stichwort es sich hierbei handelt, ist völlig gleichgültig – können sie ihre Sätze beginnen und verstehen diese so zu formen, als hätten sie sich mit nichts intensiver auseinandergesetzt als gerade mit dieser Frage. Kein eigener Satz wirkt unvollendet, die Quelle des eigenen Sprachvermögens scheint unerschöpflich. Der Wettbewerb besteht im hohen Sprachanteil. Der ganze Raum wird erfüllt von Stichwörtern. Aber diese Sprache ist nicht komplex, reflexiv oder geöffnet. Es wird vor allem die Erwartungshaltung der Zuhörer bedient, auch wenn das Ergebnis der Reflexionen am Horizont verschwindet.

Es ist alles gesagt, aber noch nicht von mir. Die meisten Redner holen kaum Luft, um zu sprechen, getragen von der Angst, dass ihnen Andere ins Wort fallen könnten, dass etwas noch nicht gesagt worden sei. Doch wenn es um mehr geht als nur eine sichere Unterhaltung, kann dann die Sprache überhaupt noch Begleiter sein? Ein Gedanke entwickelt sich in seiner Komplexität, ist geprägt von Ratio, Emotionen, Erfahrungen und Einschätzungen. Die Letzteren können fragwürdig und nicht bis zum Ende gedacht sein. Wie vermitteln wir aber das Komplexe, das Offene, den für andere Menschen zugänglichen Gedanken?

Die Sprache müsste dabei eine Verabredung eingehen mit der Einstellung des Menschen. Diese Sprache würde Angebote unterbreiten, wäre vielfältig, beherbergte Worte und Begriffe aus dem gesamten Bereich des Möglichen. Diese Form des Spracheinsatzes würde nicht auf viele Worte und Begriffe der gleichen Art drängen, sondern auf wenige Worte unterschiedlichsten Ursprungs. Der seine Gedanken so verschickt, spricht nicht schnell, sondern überlegt, hat möglicherweise nicht sofort eine Antwort oder verzichtet vorläufig darauf, stellt selbst Fragen und sich selbst mit seinen Ansichten anderen zur Disposition und also infrage. Er bleibt dabei souverän, selbst beim Sprechen, unabhängig von der latenten Einschätzung, hält Pausen und ist sich immer dessen bewusst, dass er nicht alles weiß und damit auch nicht zu allem etwas zu sagen hat.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski