Feierlich verkünden Politiker bei Gelegenheit, dass die Würde des Menschen unantastbar sei. Dies ist sogar unter Artikel 1 unseres Grundgesetzes verbürgt, und zwar als ein direkter Anspruch gegenüber dem Staat. Der Staat hat unsere Würde zu achten und alles zu unterlassen, was dieses Grundrecht beeinträchtigt.
Was macht nun die Würde eines Menschen aus? Zum einen geht es um seine persönlichen Belange wie Schutz vor Gewalt, ungestörtem Leben unter Beachtung der Rechtsordnung und den Erhalt materieller Lebensgrundlagen als auch garantierter Respekt vor seiner Selbstbestimmung als Mensch.
Das scheint mir aber durch SGB II nicht gewährleistet zu sein. Alles ist dort reglementiert, von der Grundsicherung bis zu Verschonungsbeiträgen. Was einem Menschen einerseits gewährt wird, kann ihm unter Umständen woanders wieder abgezogen werden. Es geht dabei auch um einmalige Ausstattungszuwendungen und Abschläge. Die als Sozialfälle hiervon betroffenen Menschen wissen viel weniger von den Grundlagen all der im Sozialgesetzbuch festgeschriebenen Anordnungen als die in den Sozialämtern tätigen Angestellten des öffentlichen Dienstes.
Sie kennen aber deren Wirkung. Die Wirkung ist Entmündigung. Wie oft auch als Konsument, wird hier der bedürftige Mensch zum Gestaltungssubjekt mächtiger staatlicher Anonymität. Ist diese Form der Ausgeliefertheit gegenüber staatlicher Macht noch mit der Würde des Menschen vereinbar? Ich glaube nicht. Ich glaube, dass wir anfangen müssen, die Bedeutung des Menschen in unserer Gesellschaft völlig urteilsfrei neu zu erfassen und in einer sich ändernden Wirklichkeit zu erproben. Wir müssen dem Menschen zutrauen, für sich selbst verantwortlich zu sein, Anspruchsverhalten nicht als Maßstab zu begreifen. Er muss vielmehr selbstbewusst einschätzen, was er für sich selbst und andere leisten kann.
Gefordert ist die Familie, die Gemeinschaft und schließlich wir alle. Jeder Mensch hat ein Recht auf ein würdevolles Leben, materiell und ideell. Die Würde des Menschen erfordert, dass man ihm Wohnraum zur Verfügung stellt, Kindergärten und Schulen ausrüstet, damit sie dem Bildungsauftrag gerecht werden können. Er muss Gelegenheit zur Beschäftigung haben, für die es sich lohnt zu leben. Wir müssen heraus aus der Beliebigkeit, aus der Bevormundung und dem Versuch, mit materiellen Zuwendungen nach Gutsherrenart den Menschen gefügig zu halten.
SGB II gehört abgeschafft. Grundeinkommen allein ist auch keine Lösung. Wir benötigen ein gesamtgesellschaftliches Modell aus familiärer Verantwortung, gesellschaftlicher Sinn, Beschäftigung, Pflege und Bildung. Mit den alten kapitalistischen Ansätzen ist das nicht zu schaffen, wagen wir daher einen Blick in eine Zeit philanthropischer Lösungsmöglichkeiten.
Hans Eike von Oppeln-Bronikowski