Archiv für den Monat: April 2015

Krieg und Frieden (Teil 2)

Aus diesen Gründen würde der Mensch den Krieg nicht ab- schaffen. Er ist als globales Steuerungsinstrument viel zu wichtig. Deshalb sind auch seine Friedensbeteuerungen be- denklich. Die Masse geht auf die Straße und ruft „no war“. Das kann inbrünstig gemeint sein, zeigt aber nur die Attitüde: Der Mensch möchte mit dem Krieg nichts zu tun haben, weil er ihn aus den angeführten Gründen nicht für richtig hält. Die grundsätzliche Verweigerung des Krieges aus Gewissensgründen ist selten und offensichtlich kaum zu rechtfertigen. Du sollst nicht töten ist ein sehr wenig geachtetes Gebot, obwohl sich um dessen Einhaltung viele Theologen und ethisch orientierte Menschen verdient machen. Der Mensch ist allerdings weit davon entfernt dieses Gebot zu beherzigen; aber wir sind nicht auf die Welt gekommen, um von anderen wieder getötet zu werden.

Als meine Tochter anlässlich einer Friedensdemonstration in ihrem Kinderwagen forderte: „Ich will Krieg“, schauten viele Demonstranten so böse, dass ich mit der Verräterin sofort verschwand. Wir lachten uns ins Fäustchen und besuchten erleichtert eine Pizzeria. Wir mussten nicht mehr an der Demonstration teilnehmen. Es ist manchmal schwer, ein guter Mensch zu sein. Alle Friedensdemonstrationen meiner Jugend endeten – nachdem man sich das Tränengas aus dem Gesicht gewischt hatte – bei dem „Kommissar“, einem Topf Spaghetti Napoli und algerischem Rotwein. Sozusagen gab es die Kampfausrüstung, das Friedens-Set und das Après- Demonstrations-Equipment. Es liegt mir fern, mich darüber nur lustig zu machen. Alles hat seinen sozialen Sinn. Das Gemeinschaftsgefühl ist ungeheuer warm und die Antikriegsüberzeugung legitim. Es kämpft der Falsche gegen den Falschen und das muss doch gesagt werden. Niemals sind wir auf den Gedanken gekommen, dass der Krieg insgesamt ein wenig probates Mittel der Daseinsbewältigung ist. Die Freiheitskämpfe der unterdrückten Völker von Mozambique bis Palästina sind doch immer gerechtfertigt, oder?!

Wir haben spezielle Kriterien für Krieg. Wir knüpfen Kriege stets an Bedingungen. Diese werden von denjenigen erfüllt, denen unsere Sympathien gelten, von den anderen nicht. Amerikaner sind dabei meist unsympathisch. Nur im Zweiten Weltkrieg kamen sie recht gut weg. Sie haben medial übertrieben und das hängt ihnen heute noch nach. In gewisser Hinsicht war schon der Zweite Weltkrieg ein Kreuzzug gegen die Deutschen. So fühlen wir und sagen anderes. Die Amerikaner haben ihre Heiligen Kriege gegen das Böse in dieser Welt nie beendet. Sie sind sozusagen prädestiniert dafür, dieses zu bekämpfen. Vielleicht mögen wir das nicht, weil wir selbst besser wären. Wir, die Deutschen, haben keinen Grund, uns an den Amerikanern zu messen. Aber das spezielle amerikanische Gutgefühl verträgt sich nicht mit unserem. Eigentlich wollen wir besser sein als die Amerikaner und ziehen in den Krieg gegen ihre Kriege. Aber warum? Kein Kriegsgegner zeigt auf, wie er den Krieg tatsächlich vermeiden will. Dies nicht als taktische Handhabung, sondern als innere Einstellung. Kein Krieg bedeutet: Ich kann Krieg als Lösungsmittel in einer entwickelten globalen Gesellschaft nicht mehr akzeptieren. Jeder Wehrkundler würde vorrechnen, dass   eine solche kühne Aussage uns ins Verderben stürzen würde, denn alle Despoten dieser Welt warten schon darauf, dass die einen ihre Wange hinhalten, damit sie auf die andere schlagen können. Kommt es aber darauf an? Wenn wir ‚kriegen‘, kommen wir um. Wenn wir nicht ‚kriegen‘, kommen wir vielleicht auch um aber mit dem Vorteil einer Chance, davonzukommen.

Bei aller Kontroverse: Krieg wird bleiben und zwar deshalb, weil er unseren menschlichen Dispositionen nicht abträglich ist. Wir haben die planvolle Vernichtung unserer Erde zum Ziel. Die Apokalypse ist die traurige Erkenntnis der menschlichen Unfähigkeit, sich selbst zu beherrschen.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Krieg und Frieden (Teil 1)

Wie Himmel und Hölle, Mord und Totschlag, wecken auch Krieg und Frieden allgemeines Interesse. Fast jeder will sich auf eine Seite schlagen und seine Meinung bekannt geben. Wie alle anderen Begriffspaare folgen Krieg und Frieden der knappen Information, die der Mensch in dieser Welt bekommt. Auf den Impulsen an/aus beruht das Universum –   jedenfalls das menschliche. Gerade weil wir Menschen bei der Entscheidungsfindung zwischen den Möglichkeiten Leben und Vernichtung so wenig weitere Informationen benötigen, vermögen wir uns mühelos auf das Ergebnis einzulassen. Entweder ist man für den Frieden oder man ist für den Krieg. Dem Einwand, dass ich es mir mit dieser Darstellung zu einfach mache, begegne ich gerne folgendermaßen:

Es gibt etliche Menschen, die erklären, sie seien nur unter bestimmten Voraussetzungen für den Krieg. Es gibt auch diejenigen, die erklären, dass sie gegen den Krieg seien, weil bestimmte Voraussetzungen nicht vorlägen, obwohl die Kriegstreiber Gegenteiliges behaupteten. Sie sind Vorder- und Rückseite derselben Medaille. Die grundsätzliche Bereitschaft, Kriege zuzulassen, wird an Bedingungen geknüpft, deren Herbeiführung mehr oder weniger möglich ist. Dies ist ohne Weiteres nachvollziehbar. Es gibt Zeiträume des Lebens und es gibt Zeiträume des Todes. Wir legen jeweils den Schalter um. Damit verändern wir ökonomische, soziale und ethnische Bedingungen. Es ist überhaupt nicht zu leugnen, dass der Krieg eine reinigende Wirkung hat. Insgesamt können wir danach wieder neu anfangen und uns auch beim Überwinden des Krieges und seiner Folgen beweisen. Die mediale Wirksamkeit des Krieges überdauert Epochen, seine Opfer sind binnen Generationen vergessen. Kein Krieg hat bisher etwas gebracht. Dies ist so nicht richtig. Jeder Krieg schafft bessere oder schlechtere Voraussetzungen im Verteilungskampf, wirtschaftlichen Aufschwung und neue Verhältnisse. Die Frage ist allerdings, ob der Krieg deshalb gerechtfertigt ist oder ob es nicht auch andere Möglichkeiten der Konfliktbereinigung gäbe? Dies würde bedeuten, dass der Mensch zu komplexeren Modellen der Daseinsbewältigung fähig wäre. Gäbe es keine Kriege mehr, stagnierte die Umverteilung. Gäbe es keine Kriege mehr, würden Regionen so befriedet, dass sie sich dem Konsum entziehen würden. Gäbe es keine Kriege mehr, kämen diejenigen nicht mehr zum Zuge, die auch mal herrschen wollen. Gäbe es keine Kriege mehr, wären die Menschen unbequemer für die Oligarchen. Es käme Konkurrenz zum Zuge. Gäbe es keine Kriege mehr, bliebe der Feind weg und es müssten sich diejenigen, die handeln, der Verantwortung stellen. Gäbe es keine Kriege mehr, wäre die Waffenindustrie am Ende.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Alter (Teil 2)

Der junge Mensch empfindet seine Ausbildung zuweilen als Qual. Leidet unter Eifersucht genauso wie unter dem ersten Rendezvous. Er leidet darunter, dass ihm sein Lebenspartner wegläuft. Er leidet unter der Einsamkeit, unter der Zweisamkeit, unter seinen Kindern, unter seinem Job. Der jüngere Mensch ist ein Leidensmensch.

Aber, so triumphiert er: Ich bin jung, ich sterbe nicht so schnell. Er verlacht die Alten wegen ihrer Falten, den hängenden Brüsten und dem vorstehenden Bauch. Er verweist auf seinen Knackarsch. Ich will es mir nicht einfach machen und rufen: Nun warte einmal ab! Ich sage nur: Ist das so wichtig beziehungsweise anders? Ist die weiche Haut einer älteren Frau nicht schöner als die Pickel einer 17-Jährigen? Ist die Ruhe und Sanftheit eines älteren Mannes nicht aufregender als die Emphase eines 22-Jährigen? Sicher fordert die Fortpflanzung das Techtelmechtel zwischen jungen Menschen, wenn es aber um Genuss und Erotik geht, ist da nicht die späte Feier besonders schön?

Weder das Leben noch der Tod erschrecken den älteren Menschen mehr als den Jüngeren. Der jüngere Mensch stirbt sogar möglicherweise schneller als der ältere Mensch. Der ältere Mensch kann sich, nachdem er die Jugend überwunden hat, genüsslich Zeit lassen mit dem Ende. Er nimmt sich Zeit für alles: die Erfahrung, die Liebe, die Natur und vor allem seine Ausbildung.

Doch lasst uns im Triumph des Alters die Jugend nicht vergessen. Denn: wir müssen sie erst überwinden, um alt zu werden.
Ab und an wären wir auch gerne wieder jung. Stimmt’s?

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Alter (Teil 1)

Das Klischee vom alternden Menschen hält einer Überprüfung nicht stand. Er ist anders, als wir uns ihn vorstellen wollen. Wir wissen nichts von ihm. Wir sind sogar bereit, ihn lächerlich zu machen, weil wir ihn nicht einschüchtern können. Er lässt es zu, weil ihm der Spott der jüngeren Menschen gleichgültig ist.

Der ältere Mensch will aber nicht 20 oder 30 sein. Er sehnt sich keineswegs in die Rolle eines Teenagers zurück, sondern will allenfalls dann noch den Körper eines 20-Jährigen, wenn er die Fähigkeit seines Alters besser ausleben möchte. Im Gegensatz zur Ansicht jüngerer Menschen hat der ältere Mensch noch Potenzial. Sein Potenzial liegt in der Lebenserfahrung, in der Souveränität im Umgang mit Regeln und deren Durchbrechung. Die Souveränität des älteren Menschen liegt vor allem in dessen Unverwundbarkeit. Als Tschernobyl über uns alle hereinbrach, ging mein Vater unbekümmert in seinen Garten und erklärte der staunenden Familie, dass ihm der Atomregen nichts antun könne. Er hatte Recht, und wir wissen es. Das Kalkül des älteren Menschen ist seine Endlichkeit. Das Kalkül des jungen Menschen ist seine Unendlichkeit, die er täglich verteidigen muss. Das macht den jungen Menschen unfrei und oft genusslos. Der ältere Mensch begibt sich in keine Konkurrenzsituation. Er genießt meist. Der ältere Mensch genießt jeden Tag die Wärme, die Kälte, seinen Hunger, seinen Durst und seine Fähigkeit zu sehen, zu hören, zu riechen. Er hat Zeit, er ist gebildet, er hat möglicherweise Geld aber vor allem Freude. Freude am Lernen, Freude am Arbeiten, Freude an seinen Enkelkindern. Dagegen plagen sich seine Kinder in den besten Jahren mit ihren Kindern, also seinen Enkelkindern, sind im ständigen Kampf zwischen Erwerbssucht und Vergnügen gefangen. Sollte der ältere Mensch nicht denjenigen, die so durch ihre Zeit rasen, Einhalt gebieten, auffordern auszusteigen aus ihrem lauten Gefährt? Er könnte es, muss es aber nicht. Der ältere Mensch wäre nicht weise, wenn er der Jugend ihre Jugend nicht ließe, denn wenn die Jugend schon nach dem Alter strebte und so sein wollte wie er, bliebe dem Alter nichts Besonderes mehr.

Sex und Körperlichkeit. Dies reklamiert die Jugend für sich und vergisst dabei oft das Entscheidende: Erotik! Die Fantasie des älteren Menschen ist weit ausgeprägter als diejenige der Jugend. Die Jugend will tun. Sie will machen. Sie will erleben. Sie will Luft ablassen. Sie will fahren, springen, rennen. Im Kopf und in der Seele des älteren Menschen ist eine Bilderwelt, ein Kosmos von Blicken, Empfindungen, Gedanken und Erfahrungen. Düfte und Geschmäcker haben sich verwoben in einem gelassenen Augenblick der Lust. In fast jedem Au- genblick empfindet der ältere Mensch Lust. Lust am Leben. Lust am Sex. Lust an der Beobachtung. Lust an der Arbeit. Lust an der Bildung. Lust am Wissen. Alles ist Lust.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Urlaub

Urlaub ist das Keyword der meisten Menschen, ob Sozialhilfeempfänger oder schwer arbeitender Monteur. „Reif für die Insel“ ist die Erkennungsmelodie derjenigen, die nichts tun. Urlaub ist ein Statussymbol. Wer keinen Urlaub macht, ist entweder pleite oder blöde. Verfolgt man die Spur der Urlaubssüchtigen, stellt man bald fest, dass es neben Sport, Sex und Essen im Urlaub selten ein weiteres Thema gibt, einmal abgesehen vom Wetter. Entscheidend dabei ist nicht, was der Urlauber tatsächlich erlebt, sondern was und wie er darüber berichtet. Die wichtigste Zeit des Urlaubs ist davor und danach und gibt dem Urlaubenden das untrügliche Zeichen seiner Akzeptanz. Kommt zu Prospekt, Schilderungen, Bildern etc. noch eine auffällige Bräune, ist die Illusion perfekt. Urlaub ist somit in erster Linie ein mediales Ereignis. Urlaub ist darauf angelegt, sich nicht abzuheben, von den gewohnten Ritualen des Essens, Trinkens und Schlafens in angenehmer Umgebung, dem Behütetsein in der Fremde, der Sicherheit, wieder unversehrt nach Hause zu gelangen. Der Gefahr jedweder Störung begegnen Veranstalter, Touristikmanager, Local Agents, Hotels und Clubs mit der völligen Aufgabe von Individualität und der Bereitschaft, sich voll auf die jeweiligen Bedürfnisse der Klientel einzustellen, ob es nun um die Qualität des Essens, die Sprache, das Sonnenöl, den Swimmingpool oder das   Animationsprogramm geht. Die   Sicherheit des Urlaubers besteht unter anderem darin, dass der Flugplatz, von dem er abfliegt, demjenigen ähnelt, auf dem er ankommt. Sobald er sein Quartier am Urlaubsort besetzt hat, kann er die Länge des Strandes ausmessen, das sportliche Equipment in- spizieren und sich für die Ausflüge einschreiben lassen. Er hat dafür bezahlt.

Abgesehen von Folklore ist für den normalen Urlauber nichts an seinem Urlaubsort vorgesehen. Bei zuviel Individualität könnte man für den Gesundheitszustand und die persönliche Sicherheit des Gastes in seinen Urlaubsquartieren nicht garantieren. Schon aus Haftungsgründen muss alles dafür getan werden, dass sich der Urlaubende in der Fremde nichts Ungewohntem aussetzt. Maßstab für sein Verhalten ist der Reisekatalog oder der Internetauftritt des Touristikunternehmens. Bei Nichteinhaltung des Angebots folgen Strafe, Punktabzug und „Geld zurück“. Darin liegt für viele Reisende eine zusätzliche Herausforderung, wie sie sonst nur Fernsehquizrätsel mit sich bringen. Neben Urlaub im herkömmlichen Sinn werden auch Bildungsreisen angeboten. Sie sind in der Regel 14 Tage bis vier Wochen lang und führen in schwindelerregender Abfolge durch die ganze Menschheitsgeschichte, durch Flora und Fauna. Es ist ungeheuerlich, was der Mensch in so kurzer Zeit aufzunehmen vermag – wenn auch in erster Linie mit seiner Digitalkamera.

Der Mensch setzt sich diesen Strapazen aus, weil er einmal nicht da sein möchte, wo alle sind, obwohl er gern billigend in Kauf nimmt, dass er die gleichen Leute wie zu Hause vorfindet. Für den Moment der Reiseankündigung und der Rückkehr nimmt er sämtliche Mühsal auf sich, obwohl er möglicherweise bei 14-tägiger Betätigung in der nahe gelegenen Disco oder einer Wanderung über den Hunsrück mehr Erholung in sich versammeln würde als bei 10 Tagen Mauritius. Aber: der Mensch will weg! Darum geht’s!

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Arbeit

Läge er nicht so faul wie Oblomow auf dem Ofen, würde der Mensch etwas tun. Es wäre daran zu denken, dass der Mensch arbeitete, um sich zu beschäftigen, sozusagen als spezielle Form der Therapie. Arbeit könnte auch Ablenkung bedeuten, vor allzu viel Nachdenken über den Sinn des Lebens. Möglicherweise erfüllt die Arbeit auch erotische Wünsche, verdeckt andere Motive und dient schließlich im Ausnahmefall auch dem Gelderwerb.

Gegen Letzteres spricht, dass mit engagierter Arbeit kaum eine geldadäquate Kompensation für den Verlust von Lebenszeit geschaffen werden kann. In dieser Erkenntnis haben sich auch alle Glücksritter und Geldexperten frühzeitig den Spekulationsgeschäften zugewandt. Sie nehmen dabei billigend in Kauf, dass sie außer Angst, Schweiß und Tränen für diese Form des Gelderwerbs nichts leisten, sie nehmen weiter billigend in Kauf, dass das Gewonnene sofort wieder verrinnt. In diesem Spiel des Lebens kennen Sie sich aus und kommen daher auch nicht auf die Idee, die Arbeit als einen schlichten Prozess der Daseinsvorsorge zu begreifen.

Arbeit hat ihre wahre Bedeutung im gemeinsamen Tun. Hier gewinnt die Arbeit an Statur. Arbeit als Kampfmittel. Arbeit als Protz und Selbstbehauptung. Arbeit als moralische Herausforderung. Arbeit als Wirtschaftsmotor. Arbeit als Glücksspender. Arbeit als Verbindungsglied zwischen Genossen, Kommunisten und Gewerkschaftern. Arbeit als etwas Grundlegendes. Ein institutionelles Menschenrecht. Die Verletzung des Arbeitsrechts würde zur Verweigerung führen. Keiner käme ungestraft auf die Idee, dass es heute noch eine Arbeitspflicht geben könnte, dass also jeder Einzelne einer Gemeinschaft für seine eigene Beschäftigung im Sinne des Lebenserhalts sorgen müsste. Hierfür haben wir Staat, Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände.

Das ist nützlich. Das ist bequem und dient dem Profit. Ist es nicht mehr profitabel, ergeben sich Konflikte. Die Arbeit ist unerwünscht. Sich loszusagen von der Arbeit ist allerdings schwer. Hinter dem Träger der Arbeitsleistung steht schließlich ein Mensch, der, wenn er ohne Arbeit ist, nicht nur ungerecht behandelt wird, sondern auch der Gemeinschaft zur Last fällt.

Die ich rief, die Geister, werd’ ich nun nicht los (Goethe, Zauberlehrling). Der Tarifvertrag, die Dienstordnung und das Kündigungsschutzgesetz sind die ‚Grundlagen-Dokumente‘ unseres Kamikazebetriebes. Es besteht aber die moralisch-ethische Verpflichtung des Arbeitgebers, das von ihm durch seine Beschäftigung und deren Beendigung geschaffene Vakuum zu füllen. Was denn sonst? Der Arbeitnehmer ist doch nicht zynisch, er hat nur Angst. Der Arbeitgeber ist möglicherweise zynisch, allerdings hat er in aller Regel weder Angst, noch will er schaden. Der Arbeitgeber hat nach einiger Zeit einfach die Nase voll. Erwerbsprozesse orientieren sich im Gegensatz zur landläufigen Meinung nicht nur an Angebot und Nachfrage. Der Erwerbsprozess ist auf die Qualifizierung der Güterverteilung und der Daseinsvorsorge angelegt, sowohl was die Grundversorgung als auch die Dienstleistung angeht. Daher sollte jeder, der noch arbeitet, daran denken, dass er dies weder für seinen Verband tut noch für den Arbeitgeber oder den Konsum, durch den er die Wirtschaft nach Auffassung bestimmter Volksverführer wieder ankurbeln soll.

Der Mensch könnte getrost von seinem Ofen steigen und arbeiten, weil er daran Gefallen findet, weil er für sich und seine Familie arbeitet, weil er das Risiko schätzt und wach bleibt.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Familie

Familie erscheint uns als das selbstverständliche Privileg derjenigen, die Kinder haben. Gemeinhin erschöpft sich in dieser Prämisse bereits ihr Zweck. Keine Kinder zu haben und auch keine Familie gründen zu wollen, ist in unserer Gesellschaft legitim. Zwar sprechen Politiker, Wissenschaftler und engagierte Christen davon, dass eine Familie für das Leben unverzichtbar sei, aber wer keine Familie hat, wird deshalb nicht ausgegrenzt.

Diese eher apodiktische Betrachtung berücksichtigt allerdings nicht, dass Familie einen Kosmos unterschiedlichster Funktionen darstellt. Darunter zählt zunächst der Fortbestand des eigenen Geschlechts. Familie bedeutet aber auch, Verantwortung füreinander zu übernehmen. Sie widerspricht so der Selbstsüchtigkeit, da eine ständige Auseinandersetzung und der Ausgleich mit anderen Familienmitgliedern unabdingbar sind. Sie ist Lebensschule, kann geeignet dafür sein, verantwortliche Menschen hervorzubringen. Kein anderes System ist der Familie ebenbürtig. Es beruht nicht nur auf Verabredungen, sondern auch auf dem Zwang, dem sich kein Familienmitglied entziehen kann.

Konkurrenz und Wettbewerb werden durch die Familie gefördert. Verluste und Schwierigkeiten schärfen die Sinne auch für die Ansprüche anderer Familienmitglieder. So ist jeder Sparringpartner. Die Entwicklung gemeinsamer Stärken ist dazu angetan, selbstbewusst ins Leben zu treten und zu wissen, dass es Rückfallpositionen gibt, die auch wieder einen Neubeginn ermöglichen. So ist die Familie nicht nur ein wichtiges Korrektiv egoistischer Lebenshaltungen, sondern auch Ermutigung und Neuanfang bei allen schwierigen Lebenslagen.

Die familiären Belastungen, die sich vielfältig im wirtschaftlichen Bereich ausdrücken, sich aber auch durch Überforderung unterschiedlicher Charaktere darstellen, werden ausgeglichen durch die Selbstbehauptung und Solidarität dieser besonderen Gemeinschaft.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Glück

Auf dem Gebiete des Glücks gibt es viele Seminarangebote. Die einschlägigen Ankündigungen lauten: Wie werde ich glücklich? Glück und Geld! Wie erfahre ich richtiges Glück? Glück und Demokratie! Der Blick in die Seminarräume vermittelt immer denselben Eindruck: Auf der einen Seite der souveräne Meister des Glücks, auf der anderen Seite das Häufchen Elend, welches mit der Wortfülle des Meisters erweckt und zum Glück geführt werden soll. Schon nach den einführenden Worten des Meisters bekennt der eine oder andere, was Glück für ihn bedeutet: Die Anerkennung, die er durch andere erfährt, ein schöner Tag, ein guter Urlaub, Sex oder strahlende Kinderaugen. Der Meister lässt jede Form des Glücks gelten und verleiht damit den Glücksschülern bereits den ersten „Dan“. Munter geht der Prozess des Glücklichwerdens weiter und nach mehreren Seminarsitzungen und dem Einsatz eines Großteils des Monatsgehalts gibt es keine Variante des Glücks mehr, welche dem Schüler noch beschrieben werden müsste. Dein Glück liegt auf der Straße. Du musst es nur aufheben. Diese sublime Erkenntnis ist in der Tat viel wert.

Was ist Glück?

Möglicherweise ist es die Kür des Erfolgreichen. Vielleicht ist es ein Zufall. Wahrscheinlich winkt auch dem Tüchtigen das Glück. Was ist aber an Glück so einzigartig, dass es so vielfältig und trotzdem so leicht definierbar in Erscheinung tritt? Glück ist Geld, Sex und anhaltende Gesundheit. Glück ist der stets erfüllte Wunschtraum. Glück ist kollektives Verlangen, bei dem wir uns nur graduell bei der Verwirklichung unterscheiden. Aus der Spannung zwischen demjenigen, der bekommen hat, und demjenigen, der leer ausgeht, entsteht das Glück. Glück ist die Kehrseite von Neid und Angeberei. Pech macht den Verlust des Glücks deutlich und lässt den Glücklichen besser strahlen. Aber der Pechvogel, die schwarze Krähe des Unglücks, der „Loser“, ist er wirklich unglücklich? Offenbar gibt es etwas anderes außerhalb von Glück und Pech: Glücklich sein oder unglücklich sein. Ein glücklicher Mensch! Der glückliche Mensch kann weder durch Glück noch durch Pech entreichert oder bereichert werden. Auch wenn er beides erfährt, bleibt er glücklich. Sein Glück ist Programm. Ein glücklicher Mensch ist gewöhnlich auf einer Sommerwiese geboren.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Geld (Money, Money)

Bei erster unbefangener Inaugenscheinnahme wirkt das Geld banal. Geld als körperliche Erscheinung ist sogar lächerlich. Künstler, Kupferstecher und Tüftler haben versucht etwas herzustellen, was schwer nachmachbar ist, aber gerade deshalb sehr bieder wirkt. Geldmotive sind niemals zukunftsgewandt, sondern halten die Vergangenheit, zuweilen auch die Gegenwart fest. Geld ist ansonsten Papier, sonst nichts. Selbst die darauf gedruckten Zahlen beinhalten nur uns bekannte Maßeinheiten, die uns, wenn sie nicht in Beziehung zu anderem Geld gesetzt würden, in keiner Weise beschäftigten.

Für jedes Kind endet die Zahlenreihe mit mindestens einer Million und die kommt je nach Entwicklungsstufe sofort nach zehn oder nach hundert. So ist es auch nicht verwunderlich, dass eingezogenes Geld, verbrauchtes Geld oder Inflationsgeld allenfalls Liebhaberwert besitzen, trotz der aufgedruckten Zahlen, die in die Tausende oder sogar Millionen gehen können. In der folgenden Stufe der Betrachtung könnte man die Annahme zugrunde legen, dass Geld geronnene Arbeit sei. Dafür spricht, dass derjenige, der arbeitet in der Regel hierfür einen bestimmten Betrag von seinem Arbeitgeber erhält. Gleichermaßen könnte der Arbeitgeber aber auch Gurken, Bettwäsche oder Brot überlassen und so eine Kompensation für geleistete Arbeit schaffen. Geld erleichtert dem Arbeitgeber lediglich die Mühen einer zeitnahen Kompensation und den Verdruss vor Falschlieferungen. Dem Arbeitnehmer verschafft es zumindest eine gewisse Wahlfreiheit unter den für die Lebenshaltung erforderlichen Gütern.

Es wird so deutlich, dass Geld eine Erscheinung ist, die über seine Existenz hinaus greift. Die Dimension seiner Wirkungen bemisst sich allerdings nicht nach dem aufgedruckten Betrag, sondern nach der Effektivität seines Einsatzes. Das ungeklärte Objekt des Verlangens ist der Maßstab für den Wert des Geldes. Ein einzelner 10-Euro-Schein hat in den Händen eines achtjährigen Kindes eine fast kosmische Bedeutung, in den Händen eines fünfzigjährigen Geschäftsmanns vielleicht die Bedeutung eines großzügigeren Trinkgelds. Die Quantität des Geldes ist daher also völlig unabhängig von seiner grundsätzlichen Bedeutung. Dagegen spricht auch nicht, dass derjenige, der etwas Geld hat, immer mehr haben möchte, sondern dies führt zu der Wesentlichkeit des Geldes. Geld hat mit unserer Angst zu tun. Wie uns bereits die Eltern zeigten, haben wir ab dem Zeitpunkt des Erwachens ständig Angst davor, etwas zu verlieren, und schaffen uns unablässig Kompensationen. Selbst dann, wenn wir unsere Grundversorgung erledigt haben, wollen wir uns schadlos halten, uns trösten. Trost versprechen sowohl Pralinen, als auch aufwendige Ferienreisen. Geld soll trösten. Geld soll vergnügen. Geld soll helfen. Geld ist unser allgegenwärtiger persönlicher Einsatz: Es soll aber in seiner teilnahmslosen Erscheinung vergessen lassen, warum wir es bemühen.

Ein sehr reicher Mensch erzählte einmal davon, dass ihm sein Vater am Sterbebett aufgetragen habe, das Geld der Familie zusammenzuhalten. Dies hat der Sohn Zeit seines Lebens auch gewissenhaft getan und die gleiche Verpflichtung wieder seinen Kindern auferlegt. Warum? Welche Würde, welchen Sinn hatte so das Geld? Offensichtlich verlassen wir uns derart auf dieses Papier, dass selbst Ganoven zwar eine Bank ausrauben aber nie daran denken würden, das Währungssystem insgesamt zu beseitigen. Selbst der Schlechteste von uns leidet meist an der Inflation oder dem Kursverfall an der Börse. Wir haben uns aber für das Geld verschworen. Wir leiden kollektiv an seinem Verfall. Stabilität ist uns schon deshalb besonders wichtig, weil Geld unser Zusammenleben determiniert.

Beglückwünschen wir einerseits den Spekulanten, der an der Börse mit geringem Einsatz erhebliche Gewinne erzielt, bestrafen wir andererseits denjenigen mit dem Entzug unserer Wertschätzung, der nicht mehr in der Lage ist, seinen Zahlungsverpflichtungen nachzukommen. Was ist uns daran so wichtig? Die Banken, die Geld verleihen, haben dieses doch auch nicht selbst erarbeitet. Andere haben es getan. Sie selbst haben vielleicht spekuliert oder sich selbst das Geld geliehen. Aber am anderen Ende steht der Schuldner, der nicht zurückzahlen kann, geächtet ist. Ein Wesensmerkmal des Geldes ist aus dieser Sicht weder Kompensation für geleistete Dienste, noch Transportmittel für Daseinsversorgung oder glücklicher Umstand für zusätzlichen Freuden, sondern ein Macht- und Disziplinierungsmittel für unsere Gesellschaft. Geld bedroht. Geld macht reich. Geld schafft Abhängigkeit. Geld korrumpiert. Das mögen emotionale Attitüden sein, Geld selbst ist stur, hartnäckig und völlig teilnahmslos. Die Gleichgültigkeit des Geldes gegenüber unseren Zielen reizt uns, es einzusetzen und daraus für uns Gewinn zu schlagen und andere in Schach zu halten. Geld ist Waffe und Schild in einer Gesellschaft, die anders auf die Jagd geht als mit Keulen und Speeren. Da wir alle so sind und alle so denken, fällt uns die Tarnung nicht schwer, wenn wir täglich schwer bewaffnet ins Feld ziehen, unsere Anschläge verüben, unsere Söldner belohnen und am Abend unsere Siege feiern.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Von der Freiheit eines (Christen-)Menschen

Das Paradoxon liegt bereits in der Überschrift. Freiheit an sich gibt es nicht, sondern nur die Abwägung zwischen verschiedenen Fesseln. Weder sind die Gedanken frei, noch die Taten freiheitlich bestimmt. Alles am Menschen ist absolut unfrei. Er hat nichts für sich. Nach völliger Aufgabe sämtlicher Versuche, Freiheit für den Menschen zu reklamieren, besteht vielleicht die Möglichkeit, den großen Bereich der Unfreiheit so einzuschränken, dass zumindest die Idee der Freiheit für einen kurzen Augenblick aufleuchtet. Das Maß der Bindung des Menschen schafft ihm seine Ordnung, in deren Rahmen vermieden wird, dass Chaos entsteht.

Ein wichtiges Attribut der Freiheit ist also zunächst das Chaos. Als Zeichen seiner Freiheit wird vom Menschen auch begriffen, dass er sich töten kann. Das ist im Kern nicht richtig. Der Mensch richtet die Waffe gegen sich, weil er gerade unfrei ist, meint den Umständen nur dadurch entfliehen zu können, dass er sich selbst richtet. Hier verschleiert die Willkür den Akt der Unfreiheit. Kein Mensch weiß, was ein freier Gedanke bedeutet. In seiner Unbekümmertheit erschreckt er ihn. Im Gegensatz zu unseren Gedanken, die stets versuchen, die Flut der freien Assoziationen von Bildern und Empfindungen zu zähmen, ihnen sozusagen ein verlässliches Kostüm zu geben, entwickelt sich Freiheit dort, wo wir uns fluten lassen von dem, was in uns steckt. Nach landläufiger Meinung haben wenige die Freiheit, etwas zu gestalten. Der Bauer, der den Acker pflügt, oder der Tischler, der den Tisch leimt: Das sind freie Menschen.

Nur wer etwas tut, ist frei. In graduellen Unterschieden tut jeder etwas und damit ist wohl die Gleichheit zu begründen, nicht aber die Freiheit. Die Freiheit besteht darin, sich zu verweigern, gerade nicht dorthin zu laufen, wo alle stehen, gegen den Strom zu schwimmen und rückwärts laufend nach vorne zu gehen. Auf dem Platz der Freiheit wird nur derjenige besucht, der bleibt und nicht mit den anderen marschiert, ob diese Freiheitslieder singen oder nicht. Möglicherweise ist daher derjenige frei, der alles in sich zulässt und in völligem Chaos seelenruhig seinen Platz behauptet.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski