Archiv für den Monat: Mai 2022

Staatsmacht

Die Macht des Staates beruht darauf, Recht zu besitzen und dieses auch durchzusetzen. Der Bürger vertraut darauf, hat aber auch Interessen, die mit denjenigen des Staates nicht konform sind.

Der Bürger beansprucht Rechtsgarantie, d. h. er beansprucht, dass er sich darauf verlassen kann, dass der Staat Recht zu seinen Gunsten auch durchsetzt. Dem Bürger ist zudem die Kontinuität der Rechtsgewährung äußerst wichtig, weil er seine gesamte Planung darauf abstellt. Insofern investiert der Bürger in die Verlässlichkeit und Rechtsgewährung des Staates, um aber andererseits sehr individuell auszuloten, wie er vorhandene Rechtskonstrukte zu seinem eigenen Vorteil nutzen kann.

Dies geschieht teilweise legal, aber auch illegal bzw. unter Ausnutzung temporärer Regelungs- bzw. Rechtssetzungsschwächen des Staates. Moderne Kooperationsformen der Staaten, wie zum Beispiel die Europäische Union, Freihandelsvereinbarungen und Staatenbünde schwächen die souveräne Rechtssetzungsfähigkeit des Staates und insbesondere die Rechtsdurchsetzung in seinem Interesse.

Da auch faktische Parallelwelten im Cyber-Bereich und Parallelwährungen dank der Blockchain-Technologie, wie zum Beispiel Bitcoin, entstehen, verliert der Staat an Kontrolle und damit auch an Macht. Dies wird von den Bürgern zunächst als Vorteil empfunden, bis er dann feststellt, dass mangelnde Rechtssetzung und Rechtsgewährung auch dazu führen kann, dass institutionelle Garantien verschwinden und seine Existenzsicherung ausschließlich davon abhängt, dass er in der Lage ist, belastbare Verträge mit anderen Menschen und Einrichtungen auszuhandeln.

Wegen bestehender Ungleichheiten im gesamten öffentlichen Bereich ist allerdings damit zu rechnen, dass das Individuum den Kürzeren zieht und letztlich die Macht des rechtsgewährenden Staates noch dazu von Internetplattformen eingenommen wird. Dann geht es aber nicht mehr um Recht, sondern um die Nützlichkeit jedes einzelnen Menschen für Internetstrukturen. Das plurale Recht hat seinen Schuldigkeit getan. Es kann gehen.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Traurige Geschichte

Als Paladin dem Käfer auch noch das letzte Bein ausriss, hatte er nur den einen Gedanken: Ich muss mich an dem Tier rächen. Aber der Gedanke war ihm bereits langweilig geworden. Er war nur das äußerst Fassbare, sozusagen ein neutraler Rettungsring in einer dumpfen Leere. Das Ausreißen der Beine schien durchaus Sinn zu machen, ein Versuch, der Leere etwas entgegenzusetzen, zum Beispiel Schmerz. Zunächst war wohl der Schmerz nicht seiner. Kein abgerissenes Beinchen tat ihm weh und ob es überhaupt weh tut? Das Tier hatte nicht geklagt.

Nach dem Verlust aller Beine zertrat Paladin den Körper. Der war jetzt auch nicht mehr wichtig. Paladin erfuhr dabei Ekel. Der dadurch freigesetzten Scham begegnete er durch Vernichtung des Gedankens daran. Damit war alles weggedacht und es blieb die Leere. Diese war schmerzhaft. Paladin rebellierte gegen Gleichmut, Unschuld und Schönheit gleichzeitig. Paladin rebellierte gegen das Vergessen und das fest gefügte Erinnern. Paladin war weder gemein, noch Sadist. Er war nur traurig über seine Ahnungslosigkeit und beklagte bitter die Grenzen seines Empfindens. (aus: Hans vom Glück, Beinahe russische Geschichten)

 

Meiner Wahrnehmung nach ist Putin ein unglücklicher, am Leben verzweifelter Mensch, weil er keinerlei Empfindungen mehr hat. Dadurch, dass er andere quält und peinigt, versucht er festzustellen, ob sich Gefühle wieder bei ihm einzustellen vermögen. Zur Verstärkung seiner Trostlosigkeit ist es aber nicht der Fall. Er hat sich selbst eingebunkert, abgeschottet von der Welt und jedem Gefühl und keiner wagt es, ihn zu berühren. Angesichts des von ihm geplanten und veranstalteten Schreckens kann seine Tat nicht, auch nicht durch Selbstmitleid, aufgewogen werden.

Wäre ihm aber begreifbar zu machen, dass sein Selbstmitleid jede Möglichkeit seiner Erlösung verhindert, könnte er Konsequenzen für sich ziehen? Denn auch er hat einmal gelebt und geliebt, wenn auch vor langer Zeit, oder? War er vielleicht auch einmal ein trauriges Kind? Und was vermag Trauer bei ihm auszulösen?

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Schwarzer Mann

Als ich mich in den 1990er Jahren erstmals, aber in der Folgezeit sehr häufig, in Russland aufhielt, wurde ich wiederholt von Einheimischen vor den „schwarzen Männern“ gewarnt. Diese Männer kämen von Außerhalb, zum Beispiel dem Kaukasus, seien unnahbar, kaltblütig, ggf. brutal. Ich bin ihnen in Städten wie St. Petersburg tatsächlich häufig begegnet und habe dabei beobachtet, dass sie mich und andere in der Regel nur dann wahrnehmen, wenn ihr Auftrag dies von ihnen verlangt. Sie saßen häufig in den Vorräumen von Restaurants und beobachteten mit stoischer Gelassenheit und Ruhe das ganze Geschehen.

Ihre körperliche Präsens aber war dennoch enorm und schaffte eine Atmosphäre des Respekts vor dem, was bei Übertretung ihrer Regeln zu erwarten sei. Die schwarzen Männer redeten wenig und verzogen selbst dann, wenn sie dies taten, kaum ihr Gesicht. Ein Lächeln kam nicht vor. Wenn man schwarzen Männern auf der Straße begegnete, sollte man ihnen lieber ausweichen, denn sie würden anderenfalls einfach durch einen hindurchgehen – oder über einen hinweg. Sie weichen nicht aus. Mit ihrer Entschlossenheit prägen die schwarzen Männer ein deutliches Kontrastbild zum warmherzigen, kulturell interessierten und hilfsbereiten Menschen.

Auf allen wunderbaren Festen und bei allen herzzerreißenden Begegnungen mit herrlich verrückten Menschen waren naheliegenderweise keine schwarzen Männer zugegen. Dies verrät aber nichts über eine angebliche Zerrissenheit des Landes, sondern darüber, dass auch in Russland – wie überall in der Welt – beides vorkommt: Kaltblütigkeit, stoischer Schrecken einerseits und Herzensgüte sowie Verständnis andererseits.

Putin hat schwarze Männer übrigens in die Ukraine geschickt. Dort führen sie seine Aufträge aus, bis sie wieder nach Russland zurückkehren und dort gleichmütig auf ihren nächsten Einsatz warten. Obwohl die meisten Menschen in Russland mit ihnen überhaupt nichts gemein haben, ist es allerdings schwierig, die Welt davon zu überzeugen, dass sie eigentlich nur friedlich leben wollen und sie diese sinnlose, aber grausame Selbstbeweihräucherung der schwarzen Männer abstößt.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Russische Logik

Vor vielen Jahren bekam ich eine Wodkaflasche geschenkt, die einen mit scheinbar blauen Edelsteinen besetzten Totenkopf ziert. Dieser ist erkennbar der berühmten Skulptur von Damien Hirst mit dem Titel „For the love of God“ nachempfunden. Ich habe oft darüber nachgedacht, wem ich diese Flasche weiterverschenken könnte. Bisher hatte ich mich davor gescheut, weil ich Sorge hatte, mit dem Geschenk würde eine Geschichte verbunden, die dann auch den Beschenkten beträfe.

Bedeutet die Flasche für den Beschenkten ein memento mori, d. h. sollte diese ihn daran erinnern, dass er sterben müsse? Ist der Totenkopf auf der Flasche ein Warnzeichen, wie wir es von Zigarettenpackungen wissen: Alkohol tötet? Wenn ich auf die Idee käme, die Flasche heute zu verschenken, würde dann ein Zusammenhang zwischen dem russischen Wodka und dessen Sinnbild des Todes mit der Ukraine geschaffen werden?

„For the love of God“ wird auf Deutsch laut Wikipedia mit „Um Himmels willen“ übersetzt und ist zurückzuführen auf ein Lied von Steve Vai, das sich auf seinem Album „Passion and Warfare“ befindet. In einer komplexen Welt lassen sich stets Verbindungen konstruieren und daraus Geschichten ableiten, so dass das eine mit dem anderen immer irgendetwas zu tun hat.

Tatsächlich hat weder die Flasche, noch mutmaßlich der Inhalt etwas mit dem russischen Krieg gemein und schon gar nicht mit dem blau funkelnden Totenschädel. Es war vielmehr eine clevere Geschäftsidee, zu der Damien Hirst mutmaßlich seinen Segen gegeben hat und die ihm und dem Spirituosenhersteller höhere Einnahmen als mit dem Verkauf einer nur handelsüblichen Wodkaflasche erlaubt hätten.

Und doch begreifen wir, Dank dieses Beispiels, dass wir überall auf solche mementos mori stoßen können, die uns Gelegenheit geben, unsere Beobachtungen, unsere Wahrnehmungen und unsere Erkenntnisse zu vertiefen, damit es uns gelingen möge, unsere Urteilskraft zu schärfen und dem Tod seine Sinnlosigkeit zu nehmen.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Big Deal

Zur Physiologie der Geschäfte
Walther Rathenau (1901)

WR sagt, dass in allem, was mit dem Blick auf ein bestimmtes Ziel beginnt, ein Geschäft liegt. Big Deal. Er hat recht. Das Meiste, was wir mit anderen verhandeln, ist auf den Abschluss eines Geschäfts gerichtet. Aber, so sagt WR, weshalb handeln wir? Was ist der Sinn dieses Geschäfts. Macht? Herrschaft über Dinge? Selbstspiegelung? Sicherung des Unterhalts für die Familie oder Vererbungen? WR sagt dann, dass ein wirklich freier Mensch das Anwachsen seines Vermögens nur als eine annehmbare Nebenwirkung seiner Tätigkeit erkennen wird. Er hat beim Geschäft mehr im Sinn als seine Gier. WR sagt: „Ehrlich währt am Längsten“ und meint damit die Beachtung der Integrität. Es ist falsch anzunehmen, dass ein Geschäft nur dann funktioniert, wenn die Interessen beider Parteien entgegengesetzt ist, und nur der eine Vorteile hat, der er den anderen schädigt. WR sagt: Geschäfte funktionieren, wenn alle vorhandene Bedürfnisse erkannt und befriedigt werden. Bedürfnisse erkennen und Bedürfnisse befrieden, das ist das Geheimnis alles wirtschaftlichen Handelns. Dazu braucht es keiner großen Ideen, geistreicher Gedanken und glänzenden Worte, sondern klares entschiedenes Handeln.

WR sagt, dass man, um zu handeln, Organisationen benötigt wie Spinnennetze: „Von jedem Punkt soll eine gerade und eine gangbare Verbindung zur Mitte führen“. WR sagt, dass der Geschäftsmann die Organe kennen und ständig beobachten soll, aber niemals das selbst verrichten, was diese Organe ausführen können. Die wichtigste Arbeit ist solche, die kein anderer vollbringen kann und davon gibt es stets genug. WR sagt: Lass deine Mitarbeiter initiativ werden, sei um ihr Wohl besorgt und nicht ihren Beifall. WR sagt: Wenn du Menschen beurteilst, so frage nicht nach den Wirkungen, sondern nach den Ursachen der Fehler, die sie machen. Dass der Geschäftsmann nur nach dem Erfolg beurteilt wird, ist vielleicht seine beste Erziehung. WR sagt: Im Vorteil ist der Unterhändler, der vom anderen unterschätzt wird. Kleine Schwächen der Auffassung und des Benehmens haben schon manchem genützt, der es nicht ahnte, und viele haben sich um den Erfolg gebracht, weil sie zu wenig Fehler begingen.“

WR sagt: „Es ist nicht möglich, einen Menschen zu überzeugen, geschweige denn zu überreden. Führe neue Tatsachen und Gesichtspunkte an, aber insistiere niemals. Die beste Stärke liegt darin, neue Vorschläge zu ersinnen, sobald starke Einwände erhoben werden.“

WR sagt: „Wenn du Vorschläge machst, so schicke alle schwachen Punkte voraus. Rechne nie darauf, dass dein Gegner etwas übersehen könnte. Setze stets voraus, dein Gegner sei der Gescheitere.“

WR sagt: „Denke dich beständig an die Stelle deines Gegenübers. Erwarte nur, was du selbst in seiner Lage annehmen würdest und erwäge bei allem, was man dir sagt, die Interessen, die dahinterstecken. Denke nicht nur für dich, sondern auch für den anderen.“

WR sagt: „Eine besondere Geschicklichkeit besteht darin, von vornherein zu erkennen, welche Punkte die größeren Schwierigkeiten machen werden und diese Punkte von Anfang an in den Vorverhandlungen zu klären.“

WR sagt: „Es ist eine nützliche Gewohnheit, vor allen noch so ernsten Verhandlungen ein paar Minuten allgemeine Unterhaltung zu führen. Man erkennt im Voraus die Stimmungen, die Absichten und oft das Ergebnis.“

WR sagt: „Bei Menschen, die in Verhandlungen erfahren sind und sich kennen, genügen wenige Worte, um wichtige Dinge zu entscheiden.“

WR sagt: „Zuletzt entscheidet die Wenn du dir bewusst wirst, dass du eine Liebe, die nicht sein kann, nicht weiter nähren kannst. Wenn du die Bindung löst, um neu zu beginnen. Dann wirst du allmählich feststellen, dass diese Person in einen anderen Raum in deinem Kopf und deinem Herzen umzieht. Du wirst immer mehr inneren Frieden spüren. , die die Menschen voneinander haben.“

WR sagt: „Ist eine Geschäftspolitik richtig und arbeitest du mit den geeigneten Mitteln, so werden die Geschäfte dich aufsuchen, wenn die Grundlagen stimmen.“

WR meint: „Der erträglichste und deshalb erstrebenswerteste Zustand der Geldherrschaft scheint mir erreicht zu sein, wenn die Tüchtigsten, Fähigsten und Gewissenhaftesten auch die Begütertsten sind. Ich möchte für diesen Zustand der Kürze halber das Wort Euplutismus gebrauchen. Warum sollte dieses Streben nicht ehrlich ausgesprochen und mit geeigneten Mittel verfolgt werden?“ WR zeigt den Weg durch Abgaben und Zuwendungen, seien diese staatlich oder privat.

In diesem Sinne auf gute Geschäfte!

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Rosemarie Bronikowski

Zu Deinem Geburtstag am 02.05.1922
(Ersterscheinung am 14.06.2016)

Nein, ich verschweige natürlich nicht, dass du meine Mutter bist. Aber in aller Öffentlichkeit wirst du als kraftvolle Lyrikerin und Schriftstellerin wahrgenommen, die mit der ihr anvertrauten Sprache sorgsam und bildscharf umgeht. Du führst deine Leser nicht in die Irre, verabreichst auch keine Wahrheiten, sondern tischst Nachdenklichkeit auf. Wäre ich ein Gourmetkritiker und deine Gedichte Menüs, so würde ich behaupten, du forderst deine Leser auf, unverbildet zu schmecken, zu sehen und zu riechen, was du ihnen anbietest.

Mögen auch die Grundnahrungsmittel wohl bekannt sein, so verschaffst du ihnen Geltung durch die Zubereitung und Verfeinerung mit Witz und eine Prise Ironie. Dies als notwendige Zutat, damit der Leser die gesamte Opulenz des Werkes zu schmecken vermag. Aus deinem dichterischen Gesamtwerk eine Kostprobe aus „Von der Hand gesprungen“.

Das Leben hat´s in sich
es hat seine Festtage
seine Fröhlichkeiten
auch seine Traurigkeiten
aber meistens fließt´s nur dahin
genau das ist uns nicht geheuer
wenn eine runde Zahl erscheint und die nächste
schon am Horizont aufflimmt.
Das Lachhafte am Leben ist seine Kürze
die vorher wie Länge aussah.
Der fliegende Wahnsinn der Jahre
bewegt sich ohne unser Zutun ins Absurde
und ist nur mit Sinn für Komik zu ertragen.

Noch mehr von den literarischen Angeboten unter www.rosemarie-bronikowski.de.

Auch, wenn du 5 Sterne verdienst, Ehrungen sind und waren dir nicht wichtig, aber dass die Gäste sich an deinem Tisch stets wohlfühlen und bleibende Erinnerungen an das Mahl behalten, das erfüllt dich mit Genugtuung und Freude.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski