Archiv der Kategorie: Soziales

Hier finden Sie meine Gedanken, Ideen und Anreize zu gegenwärtigen und vergangenen sozialen Themen, die mich und meine Umwelt bewegen.

Erfahrung

Älteren Menschen wird oft nachgesagt, dass sie über Erfahrung verfügen. Damit wird suggeriert, dass sie wettmachen könnten, was ihnen an Kreativität und Weiterbildung fehle. Damit wird man dem Begriff Erfahrung ebenso wenig gerecht, wie älteren Menschen. Erfahrung hat damit zu tun, dass der Mensch in Situationen gekommen ist, die er analysiert und lernend methodisch, als auch inhaltlich einzuschätzen gelernt hat.

Situationen verändern sich ständig, so dass das Wissen um das Verhalten in einem Moment keineswegs auf einen anderen Moment übertragbar ist. Allenfalls methodisch lassen sich Situationen vergleichen, die bei ähnlicher Ausprägung leichter zu handhaben sind, wenn man schon das zweite oder dritte Mal damit konfrontiert worden ist. So sammeln auch junge Menschen ständig, und zwar seit ihrer Geburt, Erfahrungen, die sie bei der Bewältigung auftauchender Probleme nutzen.

Die Erfahrung älterer Menschen ist kein Schatz, den es zu heben gilt, sondern der höchstpersönliche Lebensfundus, auf den er zurückgreifen kann, wenn dies erforderlich ist. Erfahrungen sind weder übertragbar, noch generell bei Problemlösungen erfolgreich, weil für jeden Menschen die Problemlösungsansätze unterschiedlich sind. Ein kooperatives Zusammenwirken zwischen jungen und alten Menschen ist hilfreich bei der Bewältigung von Problemen, aber keine ältere Erfahrung ist mit einer jüngeren Erfahrung kompatibel.

Keine Erfahrung hat statische Momente und auch der, der viele Erfahrungen in seinem Leben, insbesondere in seinem Berufsleben, gemacht hat, wird stets einen Abgleich seiner Erfahrungen mit neuen Problemangeboten machen und Lösungen suchen, die bisher in keiner Weise auf der Lebensagenda standen.

Auch ein geistig flexibler älterer Mensch kann unter Außerachtlassung seiner Lebenserfahrung mit jüngeren Menschen konkurrieren und zwar auf allen Gebieten. Das Mehr an Erfahrungen kann dabei unter dem Gesichtspunkt der Gelassenheit hilfreich sein oder hinderlich, wenn der ältere Mensch glaubt, alle Anforderungssituationen schon einmal erlebt und erfahren zu haben.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Ausreden

Jede Ausrede ist billig. Obwohl wir dies wissen, benutzen wir sie dennoch. Wir sind auch nicht so blöd zu glauben, dass der Adressat der Ausrede unser Anliegen nicht durchschaut. Die Ausrede ist ein verabredetes soziales Phänomen und erlaubt eine Gesichtswahrung selbst noch dann, wenn man sich eigentlich schämen müsste. Da Ausreden zur sprachlichen Ausrüstung jedes Menschen gehören, wird ein gewisses Kontingent davon auch nicht sozial geächtet, aber bemerkt.

Häufen sich die Ausreden, schadet dies der Verlässlichkeit. Das soziale Ansehen sinkt, der inflationäre Gebrauch an Ausreden schafft Unglaubwürdigkeit, es sei denn, die Ausreden erreichen ein politisch relevantes Niveau. Beispiele: Weil wir die Souveränität fremder Staaten nicht verletzten wollen, können wir Menschenrechtsverletzungen, Vergewaltigungen und Metzeleien nicht verhindern.

Um die Währungsstabilität nicht zu gefährden, müssen öffentliche Bauvorhaben, wie Straßenbau und Schulsanierungen, warten. Sicherheit und Ordnung ist leider nicht mehr zu gewährleisten, weil wir zu wenig Polizisten haben. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen. Manche der Behauptungen mögen war sein, aber zu jeder Ausrede im politischen Raum gesellt sich auch ein Grund für das fehlerhafte Verhalten. Dieser Grund wird nicht benannt, sondern allein die Ausrede soll den Grund liefern.

Wie im politischen verhält es sich zuweilen auch im privaten Bereich. Die Ausrede lautet u. a.: Weil man mir nichts beigebracht hat, kann ich auch nicht arbeiten, sondern bin auf Hartz VI angewiesen. Ich bin dick, weil meine Drüsen nicht richtig funktionieren. Ich soll anderen helfen, aber wer hilft mir? Auch hier steckt in jeder Ausrede wiederum ein wahrer Kern. Dennoch wird die fehlende Bereitschaft für sich und andere etwas zu leisten mit einem allgemein umschriebenen Unvermögen kaschiert. Dass auch dies eine Ausrede ist, erkennt man an der Vehemenz, mit der sie vorgebracht wird. Derjenige, der die Ausrede erkennt, kommt dann noch glimpflich davon, wenn ihm attestiert wird, dass er gut reden könne, aber die Situation natürlich völlig verkenne. Was soll man auch machen, wenn man als Mensch von seinen Genen, seinem sozialen Umfeld und davon bestimmt ist, ob man zu den Reichen oder den Armen gehört.

Was bleibt, ist also nur, sich in sein Schicksal zu fügen und jedem zu erzählen, wie schlecht es einem geht. Bloß nicht versuchen, etwas zu ändern und dabei das Gelingen oder Scheitern in Kauf zu nehmen. Mit Ausreden lebt es sich einfach bequemer.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Familie

Die Familie ist eine vorkonstitutionelle menschliche Errungenschaft. Familie wird nicht durch die rechtsgestaltenden Akte des Staates begründet, sondern ist ein Naturrecht des Menschen, dessen Erhalt der Staat allerdings zu garantieren hat. Die Aufgaben der Familie kann der Staat nicht abnehmen oder ersetzend anderweitig regeln. Zu den Primäraufgaben der Familie gehört es, den menschlichen Fortbestand unserer Gesellschaft zu sichern, Bildung und Lebensregeln bei Kindern von Anfang an zu initiieren und solidarisch füreinander einzustehen. Das bedeutet, dass der Staat den Familien vor allem Eigenverantwortung überlassen und statt reglementierender Gesetze Perspektiven anbieten muss. Einer dieser Perspektiven ist die Unterstützung und Förderung von Eltern bei der künftigen Entwicklung ihrer Kinder bereits im pränatalen Bereich zum Beispiel durch Förderung der ehrenamtlichen Betreuung, Vorbereitung auf die Sprachentwicklung der Kinder und deren Bildungsmöglichkeiten sowie gesundheitliche Erziehung. Die Bereitschaft, Kinder in dieser Gesellschaft zur Welt zu bringen, ist für viele Paare heute nicht mehr selbstverständlich, weil Kinder nach dem Verständnis unseres Lebensmodells zur Alterssicherung nicht mehr familiär erforderlich zu sein scheinen. Man kann in dieser Gesellschaft ohne soziale Einschränkungen auf Kinder verzichten. Mehr noch, Kinder stellen in dieser Gesellschaft eine derart hohe finanzielle Belastung dar, dass viele potentielle Eltern genau überlegen, ob sie dieses Wagnis eingehen. Hier ist nicht nur gesellschaftliche Solidarität mit den Eltern gefordert, sondern darüber hinaus sollte der Staat finanzielle Leistungsanreize für diese durch massive Steuersenkungen und finanzielle Vergünstigungen schaffen. Es muss sich lohnen, Kinder zu bekommen.

Zur Familiengerechtigkeit zählt auch, dass Familien steuerlich entlastet werden sollten, die bereit sind, sich solidarisch bis ins Alter zu unterstützen, zum Beispiel durch die Einrichtung von Familienfonds, entweder individuell oder durch Partizipation und internen als externen Versprechungen auf Wechselseitigkeit. Es ist notwendig, Kriterien für ein modernes solidarisches Familienverständnis zu analysieren und daraus Handlungsempfehlungen für den Staat abzuleiten.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Was Spender bewegt

Spender wollen einen Ausgleich schaffen zwischen ihren eigenen Möglichkeiten und den Defiziten bei Anderen. Sie erkennen, wo Schäden eingetreten sind, Gefahren drohen und Abhilfe erforderlich wird, um Ungleichgewichtigkeiten im Leben oder auf dem Planeten insgesamt auszugleichen. Diese Ungleichgewichtigkeiten können menschengemacht, aber auch durch Naturgewalt, durch Wetter und erdbedingte Katastrophen entstanden sein.

Der Spender will immer seinen Beitrag zum Besseren leisten. Er will mithelfen bei der Überwindung einer Situation, die er für problematisch oder gar gefährlich hält. In der Regel erbringt der Spender seine Leistungen in Geld, aber oft auch in Zeit und Arbeitsleistung. Der Spender will, dass seine Spende ankommt und sein Beitrag hilfreich ist, um eine schwierige Situation zu verhindern, Unglücke zu beseitigen oder schon vorhandene günstige Umstände zu verbessern.

Der Spender handelt meist emotional, aber auch sehr überlegt und zweckorientiert. Der Spender will wissen, ob und wie sich sein Engagement auswirkt. Auch wenn ihm bewusst ist, dass andere Kostenaufschläge auf seine Spende machen oder von dieser profitieren, so ist ihm doch sehr daran gelegen, dass seine Spende nicht zur Bereicherung anderer anstiftet. Der Spender will Gutes tun. Dass dies auch steuerlich wirksam erfolgen kann, ist für ihn in der Regel eine willkommene Begleiterscheinung, aber nicht das auslösende Moment für seine Spendenbereitschaft.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Vertrag

Um Verabredungen bindend zu treffen, benötigen Menschen einen Vertrag. Der Vertrag ist somit die Grundlage jeder funktionierenden Sozialordnung.

Der Vertrag ist mehr als das geschriebene Wort und erschöpft sich nicht in einer aus dem Internet herunterladbaren juristischen Konstruktion.

Nur selten, wie zum Beispiel im Grundstücksrecht und teilweise im Gesellschaftsrecht sind Verträge an bestimmte Formen gebunden. Die Schriftform dient dabei der Beweisbarkeit, aber natürlich kommen Verträgen auch dann zustande, wenn man den Vertragsschluss kaum wahrnimmt, zum Beispiel der Beförderungsvertrag beim Einstieg in ein Taxi oder in eine Straßenbahn.

Aus vergangener Zeit besonders bekannt ist der Vertragsschluss durch Kaufleute mittels eines Handschlags. Dieser bringt zum Ausdruck, wir machen es so, wie wir es gesagt haben und im Übrigen gelten unsere Handelsbräuche und das Gesetz.

Ein Vertrag kommt zustande durch übereinstimmende Willenserklärungen, wobei die juristischen Vertragsargumente nicht unbedingt im Vordergrund stehen müssen, sondern auch Vernunft, Gefühl, Werte und Anschauung.

Ein Vertrag eröffnet Optionen für die Beteiligten, schafft Perspektiven, sichert die Interessen, vermeidet Konflikte und sieht in seinen Regelungen genaue Abwicklungsmodalitäten vor.

In Zeiten wie heute, wo dies technisch möglich ist und Vertrauen durch Misstrauen herausgefordert wird, sichern sich Vertragsbeteiligte durch aufwendige Vertragswerke und allgemeine Geschäftsbedingungen scheinbar überlegene Positionen. Manch einer verheddert sich im Gestrüpp der verschiedenen, teilweise widersprüchlichen Bestimmungen des gesamten Vertragswerks, zumal allgemeine Geschäftsbedingungen auch gerichtlich überprüft und ggf. kassiert werden können.

Vertragsgestaltungen sollte man nicht allein den Juristen überlassen, sondern den Prozess, der zum Vertragsabschluss führt, mitgestalten, klarmachen, was man will und den Juristen einbinden, um die von den Vertragsbeteiligten vorgesehene Verabredung in Form und Inhalt kompatibel zu machen. Nur, wenn man selbst versteht, was man will, kann man den Willen des Vertragspartners mitberücksichtigen und zu belastbaren Verträgen gelangen.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Volkshochschule

Elternbildung schafft Kinderbildung. Damit dies funktioniert, ist Elternbildung unerlässlich. Gemeint ist damit aber kein gebräuchlicher Elternratgeber nach dem Motto: Wie erziehe ich mein Kind richtig? Vielmehr ist es erforderlich, dass auch Eltern sich kontinuierlich aus- und weiterbilden, und zwar jenseits des für das Erwerbsleben erforderlichen Umfangs.

Dafür stehen Volkshochschulen mit einem umfassenden Programm zur Verfügung, auch Arbeitgeber, Ge­werkschaften und sonstige Einrichtungen haben immer schon Bildungsangebote unterbreitet, die allerdings zunehmend weniger in Anspruch genommen werden. Dabei lassen sich nicht nur im analogen, sondern auch im digitalen Bereich Formate für unterschiedliche Bildungsbereiche entwickeln, die im Verhältnis Eltern-Kind unerlässlich sind bei der Bewältigung von schulischen Anforderungen und Weitergabe von kulturellen, sprachlichen und visuellen Angeboten.

Gefordert sind neben den oft kieznah gelegenen Volkshochschulen auch solche, die digitale Angebote kostenfrei oder gegen ein geringes Entgelt allen Menschen unterbreiten und damit Mütter, Väter, aber auch Großeltern erreichen. Korrespondierende Bildung im Volkshochschulbereich vermittelt nicht nur ein belebteres Bild unserer Gesellschaft, sondern gibt Menschen Bewährungschancen, spornt sie an zu mehr Leistung bei der Bildungsvermittlung an ihre Kinder. Dies fördert den familiären Zusammenhalt, stärkt Netzwerke und schafft auch ein gutes Gefühl für alle Beteiligten.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Gemeinsinn

Jeder Autofahrer macht die Erfahrung, dass sich sein Vordermann nur an seinem eigenen Fortkommen interessiert zeigt. Kurz vor der Ampel stoppt er nochmal, um dann bei gelb-rot die Kreuzung zu queren. Der Hintermann muss stehen bleiben. An der nächsten Kreuzung setzt der Vordermann keine Lichtzeichen, sondern blockiert die ihm Nachfahrenden durch zögerliches Abbiegen in die kreuzende Straße nach links.

Hundehaufen mitten auf Gehwegen sind ebenso bleibende Ärgernisse, wie Rauchen auf U-Bahnhöfen und lärmende Bässe in öffentlichen Parks oder Wohnungen. Jeder Bürger hat hier seine individuelle Liste von Vorkommnissen, die ein gemeinschaftswidriges Verhalten von Mitmenschen belegen. Keiner ist beileibe frei davon, sondern wird oft selbst zum Täter und sei es nur aus Rache für das Verhalten anderer. Aber, worauf beruht dieses Verhalten? Ist es die Absicht, andere zu schädigen oder Gleichgültigkeit?

Es ist schwer, für den Menschen die Gemeinschaft, auf die er angewiesen ist, wirklich auch zu ertragen. Er muss Kompromisse eingehen und lernen, auch dann Ruhe zu bewahren, wenn Vorkommnisse gegen sein eigenes Gerechtigkeitsgefühl verstoßen. Es gibt soziale Hierarchien, auch wenn wir dies gern verschweigen würden. Menschen, die ständig mit anderen Menschen in bedrängten und bedrängenden Situationen konfrontiert werden, müssen mehr soziale Konflikte ertragen, als diejenigen, die sich durch Geld und den damit verbundenen Annehmlichkeiten freikaufen können.

Die sozialen Konflikte, die sich in Alltäglichkeiten ausdrücken, breiten sich im großen Umfange aus und impfen unsere Gesellschaft mit einer sich stets erneuernden Unzufriedenheit. Da hilft es leider wenig, stets unser wunderbares wirtschaftsmächtige Land zu beschwören, sondern es ist erforderlich, die Perspektive auf ein prosperierendes Miteinander in Freiheit, Ausgleich und Rücksichtnahme zu lenken. Der Bürgersinn kommt nur da zum Tragen, wo er auch belohnt und kontrolliert wird. Von allein geschieht nichts, weder auf der Straße, noch im Verhältnis zwischen Jung und Alt, Reich oder Arm.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Konditionierung

Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmer mehr. Mit dieser schlichten Wahrheit wiesen frühere Generationen darauf hin, dass es gut und sinnvoll sei, sich in der Schule anzustrengen, zu lernen, um später das Erlernte erfolgreich anzuwenden. Dieser Merkspruch hat seine Attraktivität nicht verloren, obwohl er zugegebenermaßen sehr antiquiert daherkommt. Was aber Kern dieser Erkenntnis bleibt, ist die Notwendigkeit, vom ersten Hahnenschrei, das heißt von Geburt an, sich auszubilden und dabei zunächst auf die Hilfe der Eltern, andere Bezugspersonen und später auf die Erzieher in Kindergärten und Schulen zurückzugreifen.

Der sich am Leben ausbildet, ist aber der Mensch selbst und die Bezugspersonen sind daher nur komplementäre Paten dieses Prozesses. Als ich nach Kriegsende zunächst in einem kleinen Dorf und später in einer Kleinstadt heranwuchs, gab es von Anfang viele Herausforderungen, denen ich mich schon als Kind stellen musste. Es ergaben sich Hochwasser, in die man hineinplumpsen konnte, es gab gefährliche Ruinen und in Wäldern herumliegende Kriegsmunition.

Ich erlebte eine aufregende Kindheit, in der ich auch auf mich selbst gestellt war, Dinge erkunden musste und andererseits mit Eltern und auch fremden Menschen Erfahrungen auszutauschen hatte, wie man Gefahren begegnet und sich orientieren kann in Stadt und Natur. Es gab Schutz und Ermahnungen durch Eltern und Kindergärtner, aber keine Einschränkungen meiner Bewegungsfreiheit aus dem Gedanken heraus: Hoffentlich passiert dem Kind nichts. Im Gegensatz zu früher wachsen heute die meisten Kinder wohlbehütet auf.

Wohlbehütet muss hier in dem falschen Sinne gesehen werden: Die Kinder sind überschützt. Wenn den schutzbefohlenen Kindern keine Herausforderungen des wirklichen Lebens mehr begegnen, besteht die Gefahr, dass sie mangels Konditionierung dann versagen, wenn das Leben an sie unerwartete Anforderungen stellt.

Dies können Hochwasser sein, aber auch harmlose Erfahrungen, wie sich unerwarteterweise plötzlich im Wald oder in einer fremden Stadt ohne Smartphone orientieren zu müssen. Wenn die Elektronik versagt, kann es nützlich sein, die analoge Welt zu kennen und auf frühkindliche Erfahrungen in ihr zurückzugreifen. Der umfassend gebildete Mensch hat die besten Voraussetzungen dafür, sich auch dann zurechtzufinden, wenn der sichere Raum plötzlich Risse zeigt.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Ruck

In seiner berühmten Adlon-Rede vom 26.04.1997 hat der damalige Bundespräsident Roman Herzog gefordert, es möge ein Ruck durch Deutschland gehen. Der Ruf ist nicht verhallt, aber die damit zum Ausdruck gebrachte Erwartungshaltung ist sehr groß, manche Menschen überfordert durch eine risikoreiche Verantwortung außerhalb ihres eher doch durch die Umstände eingeschränkten persönlichen Lebensbereichs.

Wir haben daher, als wir die Ruck – Stiftung des Aufbruchs gründeten, darauf gesetzt, durch bescheiden anmutende Impulse, etwas zu verändern, und zwar dann und auch gerade dann, wenn unser Ansatz eigentlich allen Menschen selbstverständlich erscheinen müsste. Wir wollen den Mitbürger durch sein ganzes Leben begleiten und ihn nicht nur auf Alternativen zu seinem bisherigen Verhalten aufmerksam machen, sondern diese ihm auch anbieten. Er mag entscheiden, ob er das Angebot annimmt, weil es ihn überzeugt.

Ich will das an einem unserer Angebote verdeutlichen: „Elternbildung schafft Kinderbildung“ Wir bieten ergänzende Elternbildung in Familienzentren und geburtsvorbereitenden Einrichtungen an, indem wir durch Singen und die Vermittlung des Erzählens von Fantasie- und Familiengeschichten Eltern auf ihr Kind vorbereiten und sie dafür gewinnen wollen, selbst wieder das Erlernte an ihre Kinder weiterzugeben. Das schafft Stolz, Selbstbewusstsein und familiären Zusammenhalt. Das Sprachvermögen der Kinder wird gefördert und auch soziale Communities geschaffen, in denen die Kurse stattfinden und nach unserer Erfahrung bleibende menschliche Verbindungen schaffen.

Wir erreichen die Eltern durch ergänzende Patenschulungen und sind heute unter anderem auch in Neukölln aktiv, wo wir türkischen Müttern das Singen von deutschen Kinderliedern näherbringen. Wir vermitteln auch Sprachvermögen, Tanz und Bewegung sowie künstlerische Ausdruckskraft in Flüchtlingseinrichtungen. Wir werden nach und nach unsere Angebote erweitern und freuen uns auf die nächste Anregung, die wir erfahren und auch für andere Menschen nutzbar machen können.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Sterbehilfe

Aktive Sterbehilfe ist in Deutschland verboten. Noch. Wie ist dies zu rechtfertigen? Greift man nicht auf die sattsam gängigen Verbotsargumente zurück, kann man neue überzeugende Argumente nicht feststellen. Selbsttötung ist in Deutschland nicht mehr verboten. Aber, der Mensch, der sich töten will, kommt in Deutschland an keine Mittel heran, die ihm einen schmerzfreien Tod ermöglichen könnten.

Die Ärzte verschreiben keine endgültig wirksamen Schlafmittel und auch Gifte, die endgültig wirken, sind für den Todsuchenden kaum zu erlangen. Derjenige, der sterben will, muss heute zum Beispiel in die Schweiz fahren und dort einen Cocktail entgegennehmen, der ihm den Tod zu bringen vermag. Mit Erschrecken hatten wir vernommen, dass ein suizidal eingestellter Pilot eine Verkehrsmaschine zum Absturz brachte, um selbst nicht mehr weiterleben zu müssen.

Manche springen in Selbsttötungsabsichten von Brücken und Gebäuden oder rasen mit dem Auto in den Abgrund. Es gibt keine Gewähr dafür, dass sie dies bei entsprechendem alternativen Angebot nicht auch machen würden, aber zumindest bestünde die Chance, dass sie sich die Freiheit nähmen, effektiv aus dem Leben zu scheiden und dabei andere Menschen nicht zu gefährden.

Es zeichnet die Verantwortung des Menschen aus, dass er selbstbestimmt ist und sich in Würde annimmt. Wenn es keine gesellschaftlich bestimmten Erhaltungsvorschriften für den Menschen um jeden Preis mehr gibt, kann er auch die Dispositionen treffen, die für ihn eindeutig sind, zumal, wenn Schmerz und Demenz ihn zu beeinträchtigen drohen. Vorsorgevollmachten delegieren diese endgültige Verantwortung auf andere Menschen und Ärzte. Sie sollen berechtigt sein, lebensverkürzende Maßnahmen einzuleiten.

Dabei wird übersehen, dass andere Menschen gerade nicht die Verantwortung übernehmen können und nicht die Freiheit haben, über das Lebensende des ihnen Anvertrauten zu befinden. Einen anderen Menschen zu töten, ist strafbar, auch aufgrund einer Vorsorgevollmacht. Der Handelnde ist somit Täter und muss sich dieser Rolle sehr wohl bewusst sein, selbst dann, wenn er durch die schriftlichen Anordnungen des Vollmachtgebers einigermaßen exkulpiert wird. Die Unsicherheit könnte etwas gedämpft werden, wenn man dem Menschen den Zugang zu seinem Tod in Deutschland erleichtern würde.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski