Vergebung

Auf den Konsum von Nachrichten, Talkshows, Interviews und Einschätzungen zur politischen Lage habe ich in letzter Zeit verzichtet. Der Pegel meiner Aufnahmefähigkeit ist überschritten, auch, wenn ich das Rumoren in der Gesellschaft, die Entwicklungen bei den herrschenden Kriegen und die meisten politischen und gesellschaftlichen Verwerfungen durchaus mitkriege. Es kann und wird womöglich noch schlimmer kommen, Europa und Asien in weitere Kriege verwickelt bzw. bestehende Auseinandersetzungen und Kriege verstetigt werden. Zu den kriegerischen Auseinandersetzungen gesellen sich die wirtschaftlichen Verwerfungen, schließlich ist sogar ein Zivilisationsbruch möglich, dessen Dimension mit den bisherigen Erfahrungswerten nicht mehr zu messen sein wird. Und doch wird das nicht das Ende sein.

Nach allen Kriegen, ggf. auch zumindest begrenzt atomaren Auseinandersetzungen, Weltwirtschaftskonflikten und sogar unvorstellbaren Metzeleien wird die dann eintretende Erschöpfung die Menschen zwingen, ihre Untaten zu beenden und zu versuchen, eine einigermaßen erfreuliche Lebenssituation in dieser Welt wiederzubeleben.

Zu unserer Lebenszeit werden wir uns wohl kaum wieder vergeben können, aber vielleicht dürfen wir uns doch die Hoffnung erhalten, dass künftige Generationen wieder ausreichend klug sein werden, vernünftig und pragmatisch Orientierungen zu schaffen, die unseren Planeten zumindest noch teilweise bewohnbar bleiben lässt. Dass der Mensch denkt und Gott lenkt, davon kann keine Rede sein, wie Brecht schon wusste, sondern alles, was wir machen, alles, was passiert, ist menschlich, hand made und gefährlich.

Dummheit

Der Begriff Dummheit beherrscht derzeit stark die öffentliche Diskussion. Kein Wunder. Es geschehen in dieser Welt Dinge, die die meisten Menschen sich nicht erklären können. Dies beginnt mit dem Krieg in der Ukraine, setzt sich fort an der lebensweiten Zerstörung unserer natürlichen Ressourcen und verdichtet sich in abstrusen Behauptungen, wie denjenigen der Weltverschwörung. „Wie können Menschen so dumm sein!“

Das scheint die natürliche Reaktion auf die unzähligen Zumutungen an unseren Verstand und unser Gemüt zu sein. Aber ist es Dummheit? Die Intelligenz eines Menschen wird u. a. nach Quotienten berechnet und es ist prüffähig, dass auch intelligente Menschen Rädelsführer in den oben beschriebenen Szenarien sind.

Ich habe während meiner juristischen Ausbildung am juristischen Institut den Hinweis erhalten, dass Menschen mit außerordentlich niedrigem IQ in der Lage sind, andere Menschen zu verführen und zu bestimmen. Diese werden im Psychologenjargon „Salonblödsinnige“ genannt.

Festzuhalten scheint mir, dass die Fähigkeit zur Intelligenz nur eine geringfügige Auswirkung auf Dummheit hat. Es ist sogar denkbar, dass Dummheit eine Konstruktion ist, die Intelligenz zu leiten vermag. Dummheit ist die Fähigkeit des Menschen, Einsicht in bestimmte Sachverhalte zu verhindern, zu erschweren oder so zu manipulieren, dass die behaupteten Sachverhalte der Wirklichkeit entgleiten.

Erkenntnisfähigkeit und Erkenntnisbereitschaft geben sich hier die Hand. Wird das eine nicht geschult, versagt auch das andere. Der Mensch ist und bleibt dumm, nutzt aber diesen Zustand, um ihn als allgemeinverbindlich zu erklären. Wenn keiner mehr genau hört, deutlich sieht, sich seines Verstandes und seines Gemütes nicht mehr erkenntnisbereit bedient, hat die Apathie der Dummen den Sieg davon getragen. Fini!?

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Erkenntnis

Ohne den Willen, zur Erkenntnis zu gelangen, ist Denken sinnlos. Dabei beruhen Erkenntnisse nicht allein auf einem kognitiven Prozess, sondern werden auch emotional und sinnlich bestimmt. Erkenntnis ergibt sich aus der Möglichkeit, etwas wahrzunehmen, was dann denkend verarbeitet werden kann. Erschöpfte sich das Denken in der Repetition des wahrnehmbaren Offensichtlichen, wäre das Denken vergeblich, wie auch ein emotional aufgeladenes Denken wirklichkeitsfremd und ziellos wäre.

Das durch Erkenntnis genährte Denken erweist sich aber auch dann als vergeblich, wenn es wirkungslos, d. h. eine Option ohne zu Handeln ist. Andererseits ist jedes Handeln, das nicht auf einem durch das Denken ausgelöstes Erkennen beruht, gefährlich, weil es nur ein Ausprobieren von Möglichkeiten wäre.

So verhält es sich aber tatsächlich mit etlichen Verhaltensweisen, die durchaus eine allgemeine und wirkungsvolle Verbreitung erfahren, ohne dass erkennbar ist, auf welchem Erkenntnis- und deren Verarbeitungsprozess sie beruhen. Losgelöst vom methodischen Zwang des Erkennens, floaten sie den öffentlichen Raum, verbreiten sich schnell und bilden Klumpen, die erkenntnis-avers sind, aber dazu beitragen, dass sich eine allgemeine Meinungs- und Verhaltensdystopie über den Menschen, der Gesellschaft und unseren ganzen Planeten ausbreitet, die lähmen, aber vor allem erheblich zur Entfachung von Aggressivität unter den Menschen beitragen kann.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Natur

Unsere Vorstellung, die Natur als Mutter des Lebens zu begreifen, beruht darauf, dass wir ihr diese Verantwortung zuweisen. Unsere Auffassung ist, dass die Natur uns wie eine Mutter geboren hat, uns pflegt, uns umsorgt und uns allgegenwärtig hilfreich durch unser Leben begleitet. Das ist eine eher selbstgefällige und romantische Betrachtung der Natur, eher verharmlosend als begreifend. Erstaunlich ist, dass schon Hölderlin vor 200 Jahren in einem Gedicht Folgendes ausgeführt hat:

So hast du manches gebaut,
Und manches begraben,
Denn es hasst dich, was
Du, vor der Zeit
Allkräftige, zum Lichte gezogen.
Nun kennest, nun lässest du diß;
Denn gerne fühllos ruht,
Bis dass es reift, furchtsamgeschäfftiges drunten.
(Entnommen aus Rüdiger Safranski „Hölderlin. Komm! Ins Offene, Freund!“ Hansa-Verlag, Seite 228)

Bei Hölderlin ist es weiterhin die Natur, die uns hervorgebracht hat, aber in dieser Legitimation ist die Natur auch berechtigt, uns zu erziehen, uns zu mahnen und zu fordern. Es ist eine Natur, die selbst Ansprüche stellt und nicht passiv die ihr zugewiesene Rolle als Mutter allen Lebens erduldet, sondern Forderungen erhebt, selbst handelt. Diese Natur sieht, was ihre Kinder anrichten und ermahnt uns, immer wieder zu vergegenwärtigen, dass sie es ist, die gibt und nimmt.

Diese Mutter Natur behält sich in letzter Konsequenz auch vor, diejenigen zu bestrafen und sogar zu vernichten, die sie nicht achten, sondern sogar glauben, sich ihrer bemächtigen zu können. Sie widersteht so jeder Zuweisung. Sie ist nur Mutter, wenn ihr Einverständnis mit unserem menschlichen Verhalten besteht, wenn nein, ist sie Furie. Das uns Verborgene der Natur entzieht sich unserer auf Hoffnung gegründeten Einschätzung der Friedfertigkeit und lässt eine gewaltige Antwort auf unsere Zumutungen an sie ahnen.

Die Natur hat kein Problem mit der Vergänglichkeit, auch nicht mit unserer Vergänglichkeit des „Stirb und Werde“, sogar der Vergänglichkeit sämtlichen Lebens auf diesem Planeten. Die Natur hat uns hervorgebracht und widerruft diesen Entschluss, wenn wir uns ihm nicht würdig erweisen. Neues entsteht und reift und kein Mensch vermag dies zu deuten. Wieder Menschen? Oder Maschinen? Wer weiß?

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Weihnachten

Wir feiern ein Weihnachten, welches absurder nicht sein könnte. Ein Kind wird geboren, der Heiland, mit dessen Vater er selbst und der heilige Geist eine unauflösliche Einheit darstellen. Am Kreuze verliert er es zwar, bleibt aber dennoch Schöpfer des Lebens. Vater, Sohn und Heiliger Geist sind alles in einem und auch das Ganze in Allem.

Dieses offenbare Paradoxon ist erstaunlicherweise aber für unsere Existenz sinnstiftend, egal welcher Religion wir als Menschen angehören oder uns gar als Agnostiker bezeichnen. Stets findet eine Rückkopplung in einen Raum jenseits des Offensichtlichen statt. Geschichtlich und gegenwärtig gibt es zwar keine Einheitlichkeit der Benennung dieses Phänomens, aber selbst hochgeachtete Wissenschaftler halten parallele Erfahrungen für möglich und wir alle ahnen, dass es jenseits des Urknalls etwas gibt, das wissenschaftlich gesehen, eigentlich nicht sein kann, wir aber aus Gründen der eigenen Orientierung anerkennen müssen. Es dient der Absicherung unserer Existenz in dieser Welt. Es sollte uns nichts daran hindern, die ganze Schöpfungsgeschichte so wahrnehmungsmöglich, wie wir es zulassen, zu benennen.

Diese Benennung wird natürlich sehr subjektiv ausfallen müssen, da wir sie allenfalls durch deren Andeutungen erfahren, wir diese selbst durch Mutmaßungen ergänzen oder sogar trotzig unsere Festlegungen gerade aus dem Widerspruch zu angeblich gesicherten Erkenntnissen ableiten. Da unsere Ahnungen sich also nicht durch Redeweise verifizieren lassen, verteidigen wir unsere Behauptungen selbst als scheinbar gesicherte Erkenntnisse und schützen uns dadurch selbst vor dem Eingeständnis unserer Ahnungslosigkeit. Diese wühlt uns stetig auf, weil wir doch nicht von dem Versuch ablassen können, mittels Religion, Philosophie, Wissenschaft und Technik in Erklärungssphären vorzudringen, die es uns erlauben könnten, das Menschheitsrätsel zu lösen.

Aber letztlich verschaffen wir uns durch Geburt und Tod doch die Gewissheit unserer Existenz und erfahren durch das Rätsel unseres Seins einen spirituellen ewigen Sinn. Es ist also Weihnachten!

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Sitten und Gebräuche

Den Älteren unter uns sind sie noch vertraut und in der Erinnerung gegenwärtig, die Sitten und Gebräuche. Es gibt so ein Regelwerk, das jeder früher verinnerlicht hatte als einen Teil seines Erziehungsprogramms, dies von Kindesbeinen an. Die Regeln beruhten auf Hören-Sagen und wiesen uns durch den Tag und das Jahr, schafften Sicherheit im Umgang mit anderen. Soweit wir sie befolgten, waren wir auf der sicheren Seite und konnten potentiellen Ärger im Falle der Übertretung einschätzen. Auch wenn die Regeln nirgends kodifiziert waren, wusste jeder, was zu tun war und fühlte sich nicht nur persönlich gut, sondern auch im Einklang mit anderen im Falle ihrer Beachtung.

Sitten und Gebräuche waren der Ordnungsrahmen, der Gemeinschaften schuf, wobei aber jeder auch unerbittlich darauf achtete, dass Übertretungen die Ausnahme und überschaubar blieben. Jeder, der die Regeln beachtete, war gleichzeitig Nutznießer der Ordnung. Jeder fühlte sich selbst verpflichtet, war aber auch derjenige, der das Verhalten anderer kontrollierte und Regelverstöße anprangerte. Damit wird deutlich, dass Sitten und Gebräuche sich in der Regel nicht freiwillig beibehalten lassen, weil ihnen ein von der Sache her geprägter Zwang zukommt. Deshalb stehen Sitten und Gebräuche in einem steten Konkurrenzverhältnis zum menschlichen Freiheitswillen.

Im Gegensatz zur Ungebundenheit ist gleiches oder ähnliches Fühlen, Denken und Handeln der Wesenskern von Sitten und Gebräuchen. Das Regelwerk erwartet das Eins-Werden mit anderen, den gemeinsamen Willen an ihm festzuhalten. Es ist zwar durchaus aufnahmefähig für Impulse, die Veränderungen und Erweiterungen schaffen, aber nur, wenn der Kern des Werks nicht zerstört wird.

Da wir Menschen auf Orientierung in unserem Leben angewiesen sind, könnte es sich anbieten, in der Verbindlichkeit von Sitten und Gebräuchen wieder ein verlässliches Grundkonzept für die Entwicklung überzeugender Regelwerke in unserer Gesellschaft zu sehen, das einer ungezügelten Selbstverwirklichung das Angebot an gemeinschaftlicher Rücksichtnahme und Verantwortung gegenüberstellt.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Pseudonym

Mein Pseudonym, unter dem ich etliche Kinderbücher und andere Werke veröffentlicht habe, lautet „Hans vom Glück“. Der Hans vom Glück, also ich, der lebt, und da er selbstverständlich der Bruder vom Hans im Glück ist, den wir aus den Märchen kennen, bezeugt dessen Existenz die Wahrheit aller Märchen. Ist das so?

Leider nicht, denn unter meinem Pseudonym bin ich kaum bekannt, wogegen allerdings mein Märchenbruder, Hans im Glück, erleben muss, dass unter seinem Namen zum Beispiel eine Burger-Kette eingerichtet wurde. Das empfinden sowohl er, als auch ich als außerordentlich unpassend, denn bekanntermaßen hält Hans Völlerei nicht für einen Glücksumstand, sondern eher den Verzicht überflüssiger Belastungen. Zudem ist dem Märchen zu entnehmen, dass er Geben für erfüllender als Nehmen hält, also Tugenden, die unter seinem Namen bei dieser Burger-Kette sicher nicht gepflegt werden.

Verdeckt durch alle tatsächlichen und virtuellen Birkenzweige dieser Burger-Kette wird es kaum jemanden gelingen, das Märchen zu verstehen und Bücher des Hans vom Glück lesen zu wollen. Das ist schade, also, was habe ich mit der Veröffentlichung unter dem gewählten Pseudonym bezweckt? Da ich Rechtsanwalt und Notar war, wollte ich vermeiden, dass sich Leser und meine Mandanten durch mein literarisches Engagement verwirren lassen und an meiner beruflichen Kompetenz angesichts meiner schreibenden Leidenschaft zweifeln. Dass dies natürlich Quatsch ist, das weiß ich jetzt, aber glaubte es damals nicht, als ich mich für das Pseudonym Hans vom Glück entschied. Und doch:

Das Märchen lebt, ich lebe, schreibe und habe geschrieben und wer Hans vom Glück kennenlernen will, findet sicher eine Gelegenheit, dies zu tun.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Zweifel

Ist es, was es ist? Oder doch etwas anderes?

Oft zweifeln wir an der Stimmigkeit einer Einschätzung, einer Botschaft, an den Fähigkeiten anderer Menschen, an der Berechtigung unserer Skepsis und Beurteilung. Ob in Nachrichten oder in persönlichen Gesprächen, überall begegnen uns ständig Zweifel, wobei das Leben aber Eindeutigkeit benötigt, damit es bewältigt werden kann. Da Zweifel nicht zu überwinden sind, passen wir Menschen die Wirklichkeit unseren Zweifeln an. Wir nehmen es persönlich, nur unser Blick, unsere Sicht sollen authentisch sein, selbst dann, wenn es unserer Wahrnehmung widerspricht.

Wir begegnen den möglichen Zweifeln an unserer Festlegung mit der Behauptung derer Gewissheit und versuchen dadurch, Zweifel zu eliminieren, wohlwissend, dass sie weiter schwelen und uns veranlassen, mit der Behauptung der Gewissheit eigene Zweifel zu unterdrücken. Doch nagt der Zweifel weiter an unserer Sicherheit, macht uns trotzig, wütend, schuldbewusst und aggressiv. Wir können zwar versuchen, Zweifel zu zerstreuen, auszublenden, gar zu unterdrücken, er meldet sich aber bei jeder Achsenverschiebung unseres Blickwinkels zurück, beansprucht wieder die Deutungshoheit: „Hab ich doch schon immer gesagt!“

Da unsere eigene Erkenntnisfähigkeit nur fragmentarisch sein kann, begegnen wir ahnungslos, allenfalls ahnend, was sich nach unserer Vorstellung hinter dem Zweifel verbirgt. Mangels Erkenntnis spielen wir eine Rolle, die uns Selbstbewusstsein verleiht, uns ermöglicht, den im Zweifel und in der Skepsis immanent vorhandenen Widerstand gegen unsere Wahrnehmung und unser Handeln zu überwinden und eine Manifestation des Wissens, Wollens und Handelns erlaubt.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Unersättlichkeit

„Ich will alles und noch viel mehr…“ So etwa textete einst Gitte Hænning und brachte damit zum Ausdruck, dass Menschen mit immateriellen und materiellen Mitteln gesegnet sein müssen, um ihrem Leben einen passenden Sinn zu verleihen.

Das Haben-Wollen, die Unersättlichkeit im Begehren, ist in unserem Wesen verankert, macht uns rastlos und gewährleistet Fortschritt. Nicht nur wesens- sondern auch gesellschaftsimmanente Unersättlichkeit wird abgesichert durch einen spirituellen und auch einen weltlichen Katechismus, der die Möglichkeiten des Begehrens erlaubt und fördert.

Der Prunk von Kirchen auch als Ausweis ihres Reichtums ist uns geläufig. Eher profan und weltlich gewährleisten Gesetze, Gerichte, Notare und Rechtsanwälte Hand in Hand mit Politikern, Wirtschaftsfachleuten und Unternehmen die Anerkennung der Gier. „Ich will alles und noch viel mehr.“ Der Motor einer Gesellschaft, die sich dank ihrer Gewohnheiten und der ständigen Wiederholungen von Ansprüchen daran gewöhnt hat, dass Fortschritt nur durch Begierde gefördert wird, wird durch ständigen Konsum am Laufen gehalten. Der Konsumrausch vermag die Kürze des Lebens zu kaschieren. Wir Menschen unternehmen alles, um die Erfüllung des Begehrens bis zur nächsten Zuwendung lebbar zu machen. Dabei ist dies nichts persönliches.

Die Unersättlichkeit führt über unser eigenes Leben hinaus und veranlasst Menschen, testamentarisch anzuweisen, auch für sich und deren Abkömmlinge den Boden für Begehrlichkeiten zu bereiten. So verteidigen auch alt gewordene Erblasser schon den Besitzstand künftiger Generationen, wollen auf diese einwirken, steuern und mit „kalter Hand“ ihrer eigenen Unersättlichkeit eine permanente Zukunft sichern. Unersättlichkeit ist allerdings nicht nur ein materielles Phänomen, sondern auch eine Erfahrung auf allen Beziehungsebenen. Unersättliche Vereinnahmung anderer Menschen finden in Gesprächen, die nicht empfängerorientiert geführt werden, statt, aber auch der Vereinnahmung durch Parteien.

Es entspricht der Mechanik der Unersättlichkeit, nur die eigenen Ansprüche und Vorhaben als gerechtfertigt anzusehen und zu erwarten, dass die Rückbezüglichkeit allgemeine Anerkennung findet. In diesem Sinne ähnelt der unersättliche Mensch einem Narzisst, der die Anerkennung seiner Gier als selbstverständlich erachtet.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Ikonographie

Ein Bild erstarrt und verändert dadurch seine Bedeutung. Gerade noch im Ausdruck lebendig, flüchtig gar und gegenwärtig vereist es in den Aggregatzustand einer Aussage, verewigt sich ggf. auch in Zeichen. Die Symbolkraft des erstarrten Bildes genügt sich selbst, übernimmt aber auch die Bedeutung für etwas anderes, das uns als ein Rätsel erscheinen mag, aber in seiner Eigentlichkeit den Schlüssel zu etwas verbirgt.

Es ist wie mit dem Denken oder Gedachtwerden. Stets entdecken wir in Bildern Bezüglichkeiten, die kategorisch unsere Welt erlebbar machen. Aus dem Dunkel treten Zeichen hiervor, Chiffren, die sich anbieten zur Verarbeitung, nicht zuletzt im Internet oder auf Plattformen, wie Instagram und TikTok. Alles ist gegenwärtig und sogar im Verschwinden präsent. Die Aneinanderreihung von Ausdrücken zaubert ein Bewegungsbild, eine Ikonographie verbürgt den Sinn, den wir schauend erahnen. Läge alles auf der Hand, wäre alles klar, verlöre das Zeichen das Symbol, die verborgene Aussage an Bedeutung.

Es ist das Geheimnis, welches uns anzieht, das Mysterium, in dem der Keim aller Möglichkeiten verborgen ist, sich jederzeit öffnen kann, um in einem seltenen Augenblick einen erkennenden Moment zu erlauben. Dann wartet das erstarrte Bild wieder auf jemanden, der es zu erkennen vermag.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski