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Gefühligkeit

Emotionen, Gefühle – diese Begriffe sind uns aus dem täglichen Gebrauch vertraut. Sie beschreiben unseren jeweiligen Gemütszustand, allerdings sind Sie uns auch situativ zugeordnet. Emotionen haben eher mit dem Erregungszustand zu tun, messen, wie weit dessen Pegel angesichts irgendeines Vorkommnisses ansteigt. Gefühle beschreiben eher die Tiefe und das Ausmaß des Berührtseins, also unsere innere Verfasstheit angesichts eines Vorkommnisses.

Was verstehe ich nun unter Gefühligkeit? Sie hat meinem Verständnis nach mit einer Verunsicherung zu tun. Warum ist das so? Weil Verunsicherungen entscheidend auf unser Gemüt einwirken und Emotionen bei uns hervorrufen. Unsicherheit und Angst werden gefördert. Ich weiß, dass das sehr plakativ ausgedrückt ist, trifft aber trotz aller denkbaren Varianten das Problem. Wenn wir verunsichert sind, verlieren wir den Überblick.

Da die Menschen früher durch die räumliche Begrenztheit ihrer Wahrnehmung geschützt waren, verloren sie den Überblick nur partiell. Dies deshalb, weil sie länger Zeit hatten, die Eindrücke, die auf sie einstürmen, zu verarbeiten. Diese Zeit gibt es heute nicht mehr. Das Kommando lautet: Begreife alles sofort, entscheide dich schnell und mache es richtig, besser für dich! Wie will ich aber angesichts der allgemeinen Verunsicherung entscheiden können, was günstig für mich ist?

Es türmen sich Fragen auf Fragen, die kaum jemand schlüssig beantworten kann. Ist es dann nicht naheliegend, ja vielleicht sogar sinnvoll, den Spieß einfach umzudrehen und aus der allgemeinen Verunsicherung eine Tugend zu machen? Also etwa so: Ja, ich bin naiv, na und, ja ich verstehe nichts, na und, ja, ich finde alles furchtbar, was in der Welt geschieht, na und oder vielleicht so: Da müsste doch jemand etwas machen, alles immer auf mich, auf uns … und dann Corona, „Wissenschaftler, sach ick ma, dass ich nicht lache!“ Achtsamkeit wird gegen Unachtsamkeit, Verschwörung gegen Menschenverstand, reich gegen arm, fast alles wird gegeneinander ausgespielt. Uns sind viele Beispiele bekannt. Diese sind alltäglich, aber wer oder was bestimmt die Auswahl, bewegt den Prozess der Wahrnehmung und Verarbeitung?

Das ist die Gefühligkeit! Sie bestimmt das Denken und Handeln, wo der Verstand angesichts der Komplexität und Fülle der Informationen versagt. Es kommt hierbei auch nicht mehr auf die Ausformung unserer Gefühle bei der ständigen Befeuerung mit Bilder und Informationen an, sondern auf die Kultivierung unserer Parteilichkeit. Die Gefühligkeit nimmt von uns Besitz und eröffnet Möglichkeiten, wenn wir auf den Prozess des Selbstdenkens und –fühlens verzichten und uns lieber auf den allgemeinen „Flow“ einlassen.

Hat uns einmal der Strom ergriffen, also wir uns unsere Konformität wohlig zugestanden, dann ist alles ganz einfach. Wir sind stets auf der richtigen Seite, so oder so, und finden für alles umstandslos einen passenden Ausdruck. Die allgemeine Gefühligkeit verhindert jeden Widerspruch, sowohl gegenüber anderen, als auch gegenüber uns selbst. Plötzlich machen wir alles hemmungslos richtig, wir und wir.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Wahlen

Wenn es richtig sein sollte, dass Emotionen Wahlentscheidungen maßgeblich bestimmen, dann ist zu vermuten, dass Donald Trump alles richtig gemacht hat. Übertragen auf die deutsche Parteiensituation bedeutet dies allerdings, dass die Sozialdemokratie auf unbestimmte Zeit hin erfolglos bleiben wird.

Diese Erfolglosigkeit hat sie bereits bei der letzten Wahl unter Beweis gestellt durch wohlmeinende programmatische Ankündigungen, umfassend und detailliert für ein selbstdefiniertes Klientel der Abgeordneten sorgen zu wollen. Damit hat sie genauso wenig gepunktet, wie zum Beispiel auch die CSU mit einem Ausländerverhinderungsprogramm.

Keine der großen Parteien schafft es, auf die Bürger mit einem Versprechen zuzugehen, dass diese emotional fesselt und Perspektiven einer verheißungsvolleren Zeit eröffnet. Statt Gerechtigkeit, Mindestlohn, Grenzschutz und Armutsbekämpfung warten die Menschen auf ein Zeichen des Aufbruchs in dieser Gesellschaft hin zu mehr ethischem Grundverständnis anstatt Nützlichkeitsdenken, hin zu gemeinsamen gesellschaftlichen Anstrengungen in Fragen des Umweltschutzes, der Bildung und der Pflege anstatt Delegation drängender Themen in langwierige bürokratische Entscheidungsprozesse.

Dabei ist nicht gefragt, dass Politiker großmundig Versprechungen abgeben, sondern nüchtern und in klarem Fokus auf das Gelingen eines Vorhabens Geschichten erzählt werden. Politiker müssen entschieden, nicht ausdeutbar, prinzipienfest und unbequem, mit Realitätssinn ausgestattet sein. Sie müssen auch eine eindeutige ethische Gesinnung haben. Dann sind sie glaubwürdig und erfolgreich, und zwar selbst dann, wenn sie eine Wahl verlieren sollten. Es folgt ja die nächste. Der Wähler spürt, wer ihm Orientierung gibt, auf wen er sich verlassen kann.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Nachrichten

Ist es denn schon so lange her, dass wir via Radio oder Fernsehen Nachrichten empfingen und uns auf das Gehörte den eigenen Reim machten? Nicht von ungefähr gibt es nun die „Heute-Show“. Alles ist Show. Wie sollten wir auch aus der „Tages-Show“ noch Nachrichten fischen? In einer Republik der Bekenntnisse zwingen Moderatoren Politiker bei Stimmverlusten zu bekennen, was sie als Partei oder höchstpersönlich falsch gemacht haben, denn nur so seien Stimmenverluste erklärbar.

Die Absurdität dieser Argumentation scheint weder dem Moderator noch dem Politiker aufzugehen. Es soll immer Schuldige geben. Dass der Wähler einfach wählt, was er gut findet und abwählt, was er schlecht findet, ist offenbar völlig nebensächlich. Warum diese Respektlosigkeit und welche Konsequenzen hat sie?

Das Warum lässt sich recht schnell beantworten: Wenn alles Show ist, bleibt der Nachricht nur noch der Platz des Stichwortgebers für permanentes Unterhaltungstheater. Dabei wird verlangt, dass alle sich präzise und genau äußern und Bekenntnisse ablegen. Kaum wird das Wetter davon verschont! Die Konsequenzen sind allerdings verheerend.

In einem ständigen Wirbel von Behauptungen, Meinungen, Emotionen und tatsächlichen Vorkommnissen entstehen Smoothies, die durch Kopf und Körper rauschen und dabei nichts Anderes verursachen, als Sodbrennen, Magenschmerzen, Kopfweh und schlechte Laune. Die als Fast- oder Convenience-Food aufbereiteten Nachrichten versehen mit allen Zutaten an Geschmackverstärkern, Zucker und Bitterstoffen machen krank. Wir leiden schon heute an einer medialen Krankheit, die natürlich durch die sozialen Netzwerke verstärkt wird.

Permanent wird uns eingehämmert, was wir zu denken, zu sagen, zu meinen und zu wählen haben. Nur abzuschalten, um den Kopf und das Herz wieder freizubekommen, wäre eine Möglichkeit. Aber, es ist schwer, sich heute angesichts des medialen Overflows noch mit den einfachen Dingen des Lebens zu vergnügen, zum Beispiel Taubenzucht oder Briefmarken zu sammeln. Das war aber Menschen einmal sehr wichtig. Sie hatten Gelegenheit, sich auf Ihre Tätigkeit zu konzentrieren und sich ihre eigenen Gedanken über die Welt zu machen.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Resteverwertung

Rudis Resterampe. Der Rest einer Stoffbahn oder der Restbestand an Möbeln, die einer neuen Kollektion weichen müssen. Preiswert jetzt zu haben, übrig geblieben aus dem einst großen Schatz der Kollektion. Ein leidiger Rest nun für den Einen, für den Anderen ein preiswertes Puzzleteil in seiner Sammlung. Reste werden meist in Bezug auf Waren benannt, bleiben aber auch an Gedanken und Worten übrig.

Der Rest eines unausgesprochenen Gedankens kann ausschlaggebend sein für eine weitere Überlegung, die sich erst noch entwickeln muss. Reste an Worten bilden vielleicht noch einen schnell verschickten Tweet oder sind der Beginn einer Verszeile, aus denen Andere ein Lied oder ein Gedicht machen können. Die Verwertung der Reste aus Gedanken, Emotionen und Worten schafften neue Biotope der Sprache des Empfindens und Handelns. Mit dem Rest etwas Neues zu beginnen, kann eine Herausforderung an den suchenden Menschen sein.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Sprache

„Small is beautiful“ oder „less is beautiful“. Manchmal passen wohlmeinende Erkenntnisse nicht, insbesondere dann nicht, wenn es um die Sprache geht. Sicher hat die allgemeine Ermahnung „Reden ist Silber und Schweigen ist Gold“ ihren Charme, wenn man das unablässige Geplapper der Menschen bedenkt, das man zumindest zuweilen auch gern als „Sprachdurchfall“ bezeichnen könnte.

Wenn aber etwas gesagt sein muss, dann in einer Sprache, die das ausdrücken kann. Die Sprache hat viele Erscheinungsformen. Eine davon ist geprägt von Personen, die in der Öffentlichkeit stehen, Politikern zum Beispiel, Teilnehmern an Talkshows und Moderatoren. Ihre Sprache soll nicht nur verständlich sein, sondern jederzeit abrufbar und widerspruchsfrei. Diese Sprache kennt wenig Worte und ist von Versatzstücken geprägt, die so oder so zusammengesetzt werden können und einen Sinn nur deshalb erzeugen, weil wir uns in diese Sprache eingehört haben. Die Vertrautheit mit dieser Sprache ist ihr eigentliches Geheimnis, nicht der Inhalt oder ihr Klang.

Menschen, die in der Öffentlichkeit stehen, benutzen eine Sprache, die aus Begriffen, aber wenigen Wörtern besteht, um sich unantastbar zu machen, sich nicht zu verfangen in Überlegungen, nicht hinweggetragen zu werden zur Sprachlosigkeit, wenn ein neuer, unerwarteter Gedanke aufscheint. Diese Sicherheit teilen sie mit dem Zuhörer, und zwar auch dann, wenn überhaupt nichts zu sagen ist. Diesem Sprachverhalten ist dasjenige von Podiumsdiskutanten sehr verwandt. Sie sind vorbereitet und können oft stichwortgenau – um welches Stichwort es sich hierbei handelt, ist völlig gleichgültig – können sie ihre Sätze beginnen und verstehen diese so zu formen, als hätten sie sich mit nichts intensiver auseinandergesetzt als gerade mit dieser Frage. Kein eigener Satz wirkt unvollendet, die Quelle des eigenen Sprachvermögens scheint unerschöpflich. Der Wettbewerb besteht im hohen Sprachanteil. Der ganze Raum wird erfüllt von Stichwörtern. Aber diese Sprache ist nicht komplex, reflexiv oder geöffnet. Es wird vor allem die Erwartungshaltung der Zuhörer bedient, auch wenn das Ergebnis der Reflexionen am Horizont verschwindet.

Es ist alles gesagt, aber noch nicht von mir. Die meisten Redner holen kaum Luft, um zu sprechen, getragen von der Angst, dass ihnen Andere ins Wort fallen könnten, dass etwas noch nicht gesagt worden sei. Doch wenn es um mehr geht als nur eine sichere Unterhaltung, kann dann die Sprache überhaupt noch Begleiter sein? Ein Gedanke entwickelt sich in seiner Komplexität, ist geprägt von Ratio, Emotionen, Erfahrungen und Einschätzungen. Die Letzteren können fragwürdig und nicht bis zum Ende gedacht sein. Wie vermitteln wir aber das Komplexe, das Offene, den für andere Menschen zugänglichen Gedanken?

Die Sprache müsste dabei eine Verabredung eingehen mit der Einstellung des Menschen. Diese Sprache würde Angebote unterbreiten, wäre vielfältig, beherbergte Worte und Begriffe aus dem gesamten Bereich des Möglichen. Diese Form des Spracheinsatzes würde nicht auf viele Worte und Begriffe der gleichen Art drängen, sondern auf wenige Worte unterschiedlichsten Ursprungs. Der seine Gedanken so verschickt, spricht nicht schnell, sondern überlegt, hat möglicherweise nicht sofort eine Antwort oder verzichtet vorläufig darauf, stellt selbst Fragen und sich selbst mit seinen Ansichten anderen zur Disposition und also infrage. Er bleibt dabei souverän, selbst beim Sprechen, unabhängig von der latenten Einschätzung, hält Pausen und ist sich immer dessen bewusst, dass er nicht alles weiß und damit auch nicht zu allem etwas zu sagen hat.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Emotionen

Wie fühlen Sie sich? Wie hat das oder jenes auf Sie gewirkt? Sind Sie traurig? Sind Sie erschöpft?

Unsere Erfahrungswelt umwabern Emotionen. Ich bin sauer, weil die Fahrpreise erhöht worden sind. Ich bin entsetzt über Steuererhöhungen und fände es gerecht, wenn die Beamten mehr oder weniger Geld bekämen. Die emotionale Beobachtung folgt stets dem eigenen Blickwinkel. In jedem denkbaren Fall lassen wir die Emotionen aus dem Kessel, um uns auszudrücken. Dies geschieht nicht nur dort, wo wir persönlich betroffen sind: Die gesamte Verständigungssprache im Umgang miteinander als auch in den Medien ist angereichert mit Adjektiven und Adverbien, die auf eine bestimmte Gefühlslage hindeuten.

Keiner stellt diese zur Schau gestellten Emotionen in Frage. Insgeheim hat man sich wohl auf diese Art der Kommunikation geeinigt. Emotionen enthalten Chiffren, die weit über ihren Informationsgehalt hinausreichen. Derjenige, der davon spricht, dass es doch nur gerecht sei, wenn das oder jenes geschähe, vermag so seine eigene Meinung zu verschleiern. Die Geltendmachung des eigenen Anspruchs, der Einsatz hierfür und dessen Verteidigung könnten fragwürdig sein. Wird der eigene Anspruch durch Emotionen, die nicht allgemein tabuisiert werden können, verstärkt – Gerechtigkeit ist ja schließlich ein hehres Gut – so gelingt es, hartnäckig für die eigenen Interessen zu arbeiten, ohne sich sofortiger Angriffe auf die eigene Verhaltensweise auszusetzen. Damit ist aber nicht alles erklärt. Die Darstellungen von Emotionen schützen vor Erklärungen, sie typisieren sozusagen Lebenssachverhalte, denen man sich in ihrer komplexen Fragestellung dann nicht mehr aussetzen muss. Emotionen täuschen auch darüber hinweg, dass Menschen letztlich aneinander nicht interessiert sind. Durch Typisierung ihrer Erscheinung werden Emotionen zu austauschbaren Verbindungselementen zwischen Menschen ohne große Nachhaltigkeit. Emotionen sind berechenbar, sie sind aber auch berechnend. Sie sind sozusagen Schwert und Schild in der Hand eines jeden und geben nichts wieder über die wahre Gemütsverfassung: das Gefühl.

Das Gefühl ist etwas ganz anderes. Gestaltet möglicherweise dort Schuld, wo die zur Schau gestellten Emotionen anderes vermuten lassen. Deutlich wird dies in der Rechthaberei und in dem protzigen Beharren auf einer bestimmten Verhaltensweise. Tief im Innern mag gefühlt werden: Es ist nicht richtig. Gefühle und Emotionen sind nicht im Einklang. Gefühle weisen die Verfassung des Menschen aus. Seine Emotionen sind seine politischen Verlautbarungen. Wegen ihres hohen medialen Stellenwerts und ihrer weit verbreiteten gesellschaftlichen Akzeptanz, sind sie dazu angetan, Gefühle zu unterdrücken und auf Erklärungen zu verzichten. Wer will schon den Anspruch auf etwas behaupten und gleichermaßen bekennen, dass er an seinem eigenen Anspruch zweifelt und nach innerer Überprüfung gegebenenfalls zu der Einsicht gelangen könnte, dass ihm dieser Anspruch überhaupt nicht zusteht? Wer will schon zugeben, dass ihn Preiserhöhungen schmerzen, er aber einzusehen vermag, dass diese gerechtfertigt sind? Wenn er dann sauer ist über die Preiserhöhung, verrät er nichts über sein Inneres, befindet sich aber medial wirksam im Trend und gliedert sich in den beliebigen Bereich der Unzufriedenen ein. Die Ängste um die eigene Existenz und die Trauer über die eigene Fehleinschätzung werden durch lautstarke, emotionale Protestbekundungen gegen Politik und Medien kaschiert. Der Absturz in die gesellschaftliche Neurose fördert die Belanglosigkeit des Empfindens, verhindert das Bekenntnis zu Gefühlen, lässt unser Leben verarmen. Wir werden Zombies auf hohem emotionalem Niveau.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Archaische Muster

Wir bilden uns ein, dass alles beherrschbar sei, menschlicher Geist und seine Emotionen alles vermögen. Deshalb glauben wir auch an den kontrollierbaren Wahnsinn. Wir meinen, dass wir Kriege führen können, die beherrschbar sind. Der Einzelne soll in der Lage sein, sich zu kontrollieren, d. h. das in ihm Freigesetzte soll im Rahmen der Gesetze, z. B. von Landkriegsordnungen und dergleichen kontrolliert werden. Dies ist ein Irrglaube, denn der Einzelne ist aufgrund seines archaischen Grundmusters im Falle seiner Entfesselung nicht mehr in der Lage, sich an Gesetze und Verordnungen zu halten, seine Integrität insgesamt hört auf zu existieren. Damit tragen diejenigen, die Kriege entfesseln, die umfassende Ver- antwortung für alles, was passiert, selbst für den Tatbeitrag eines unbekannten Soldaten.

Es ist zwar nachvollziehbar, dass wir den einzelnen Soldaten wegen Kompetenzüberschreitung, Grausamkeit und dergleichen anklagen und auch verurteilen wollen. Wir versuchen damit das Prinzip zu entlasten, am Krieg solle es nicht liegen, dass der einzelne Mensch zur Bestie wird. Dies ist aber grundfalsch. Der Krieg bemächtigt sich jedes einzelnen Menschen und verwirklicht so den Plan, und zwar die Zerstörung meines Feindes und dann meiner selbst. Ob Kriege gerecht sind oder nicht, ob man sie rechtfertigen kann oder nicht, spielt dabei überhaupt keine Rolle, sondern ausschließlich die Konsequenz. Es gibt keine beherrschbaren und kontrollierbaren Kriege, sie können auch niemals gegen unser archaisches Prinzip gerichtet sein, sondern entsprechen ausschließlich unserem kognitiven Erkenntnis- und Verhaltensstand. Wenn wir Kriege führen oder überhaupt Auseinandersetzungen mit anderen suchen, sollten wir uns dieses archaischen Musters gegenwärtig sein. Es hat kein kongruentes Verständnis für das Richtige oder Falsche, denn in unserer erlebten Werteordnung ist möglicherweise vieles angreifbar, wurde niemals überprüft oder korrigiert. Auch wenn wir uns unsere wertsublimierten Bedürfnisse zugrunde legen, z. B. die Verteidigung der Demokratie und dergleichen mehr, müssen wir uns und unseren Gegner mitberücksichtigen, und zwar deren Wertvorstellungen sowie deren archaische Grundmuster ihrer Angst als Volk, als Geschlecht unterzugehen, ihre Grenzen nicht ausreichend verteidigen zu können, den Schutz ihrer Familien und Angst vor Migration.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Erregung

Als ich als junger Anwalt einmal vehement den Rechtsstandpunkt meiner Partei vortrug und mich dabei echauffierte, weil ich den Eindruck gewonnen hatte, das Gericht wolle unserer richtigen Ansicht nicht folgen, bemerkte der Anwalt, der die Gegenpartei vertrat: „Herr Kollege, bekommen Sie denn auch eine Erregungsgebühr?“ Ich schloss meinen Mund, konnte und wollte nichts mehr sagen, während der Kollege in aller gelassenen Breite seine Ansichten vortrug, die nach meiner Überzeugung zwar hanebüchen waren, aber mit meinem Enthusiasmus jetzt nicht mehr bekämpft werden konnten. Die Luft war durch seine Bemerkung raus. Diesen Prozess gewann ich erst in der Berufungsinstanz, nachdem ich nicht nur gelernt hatte, Anderen den Vortritt zu lassen, sondern mich überhaupt nicht mehr aufzuregen, meine Emotionen für mich zu behalten. Wenn wir uns erregen, verengen wir unser Blickfeld, das heißt wir nehmen nicht mehr wahr, wie Andere auf uns reagieren, verlassen das Spiel des sprachlichen und des mimischen Miteinanders und konzentrieren uns ausschließlich auf die Bedeutung des eigenen Vorbringens. Dies geschieht in der Weise, dass wir die Äußerungen anderer Menschen nicht mehr berücksichtigen, sondern ihre Zu- gangssperren – völlig egal, ob diese zu Recht aufgebaut sind oder nicht – zu überwinden trachten, um sie direkt verbal zu erreichen und zu überstimmen. Wir glauben in diesem Moment, dass es so etwas wie ein Gehorsamszentrum gibt, in das wir korrigierend eingreifen könnten, vorbeugend und erzieherisch gleichermaßen einwirkend, alle Widerstände gegen unsere Belehrung beseitigen dürften. Das, was bei der Kinder- und Ju- genderziehung manchmal klappt, in Abhängigkeitsverhältnissen zu Duldungssituationen führt, kann keinerlei Bestand haben im Verhältnis zwischen gleichberechtigten und ebenbürtigen Gesprächs- und Ver- handlungspartnern. Statt uns zu erregen, müssen wir versuchen, das zu entdecken, was uns Widerstand leistet. Dies können gewichtige Argumente sein, die wir so vielleicht nur noch nicht betrachtet haben. Es können aber auch Attitüden sein, die nur auf einem Selbstbehauptungswillen des anderen Menschen beruhen. Der Kollege, den ich eingangs erwähnte, ist selbstverständlich beruflich verpflichtet, den Rechtsstandpunkt seines Mandanten zu wahren und kann nur dann auf meine Seite gezogen werden, wenn ich ihm etwas anbiete für seine Bereitschaft, dies zu tun und meine Argumentationen abzuwägen. Eigentlich ist jeder Gesprächspartner im Prinzip einsichtsfähig, benötigt zur Förderung dieser Einsicht aber eine besondere Form der Ermunterung durch Wertschätzung, Anerkennung der Argumente und allmähliche, in der Regel feinsinnige Annäherung von Positionen.

Selbst, wenn auf den ersten Blick argumentativ alles gut vertraut erscheint, ist es dies in der Regel nicht, sondern jeder Mensch ist offen für alle Möglichkeiten, die geboten werden, um den Stolz der eigenen Position zu wahren. Der nicht durch Erregung und eigene Emotionen blockierte Geist ertastet diese Möglichkeiten und verhält sich teilweise angepasst, teilweise fordernd hinsichtlich aller Chancen, die der Verlauf eines Gesprächs bietet. Aber nicht nur der Gesprächsverlauf sollte durch die Erregungslosigkeit markiert werden, sondern kaum irgendeine Auseinandersetzung des täglichen Lebens ist es wert, dass sie mit Erregungen befrachtet wird. Erregung befreit nicht, weil sie abprallt an denjenigen Menschen, die die Erregung auslösen und schädigend wirken im eigenen Selbstverständnis. Die Selbstbefragung des Erregten beschäftigt sich damit, weshalb die Anderen seinen offensichtlich besseren Argumenten nicht gefolgt sind, und lässt bei ihm gegebenenfalls auch Selbstzweifel entstehen, ob er vielleicht nicht gut genug gewesen sei. Der Prozess kann schließlich in völliger Ablehnung der Situation und im Rückzug enden. Zur emotionalen und geistigen Erschöpfung kommt die körperliche, die oft nicht kompensiert werden kann, sondern sich entlädt in der Vergabe weiterer Erregungen zum Beispiel gegenüber Mitarbeitern, der Familie und sonstigen völlig ahnungslosen Menschen. Deshalb ist es oft ganz wichtig zu bedenken, dass man mit Erregungen nichts verdienen kann.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski