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Schimären

Entwesentlicht treiben sie unser Spiel mit uns, Monster, die uns auflauern bei Tag und Nacht und auf ihre Möglichkeit warten, uns in Furcht und Schrecken zu versetzen, uns zu verunsichern, zumindest aber Unbehagen zu bereiten. Sie haben Gestalt und sind doch gestaltlos, nicht eindeutig zuordenbar, setzen sich in unsere Gedanken fest, schaffen Ambivalenzen, die wir weder steuern noch unterdrücken können. Schimären sind die für uns persönlich geschaffenen Befürchtungen, die nicht nur individuell volle Aufmerksamkeit für sich beanspruchen, sondern zudem genügend Ausstrahlungskraft haben, um Gruppen, Gesellschaften, überhaupt die ganze Menschheit in ihren Bann zu ziehen.

Wir nehmen sie wahr und haben doch keinen Plan zu ihrer Abwehr. Schimären sind hartnäckig, widerstehen unserer Ignoranz, jeder Form der Ablenkung. Wir müssen daher versuchen, sie kognitiv zu zähmen. Ihre Ambivalenz verweigert aber leider jede Eindeutigkeit, schafft ein Gefühl ohne zu wissen, eine unbeholfene Reaktion der Sinne. Das beunruhigte Gefühl verdunkelt unsere Einsicht, schafft Raum für Empörung und deren Umsetzung, nicht ahnend die Gefahr, dass, wenn der Mensch zerstört, er schließlich auch zerstört wird. In der Bibel, Jesaja, Kapitel 33 heißt es: „Wenn du das Ziel deiner Empörung erreicht hast, dann wirst du selbst das Ziel einer Empörung.“

Wir Menschen selbst sind Schimären unserer selbst, zuweilen.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Erinnerungen

Erinnerungen bilden das Menschheitsgedächtnis. Sie sind im Besitz jedes einzelnen Menschen, werden von Generation zu Generation weitergegeben und erfahren ihre verbindliche Festlegung sowohl in Gegenständen, als auch in medialen Formaten jeglicher Art.

Erinnerungen werden nicht nur sprachlich und bildlich weitergegeben, sondern auch durch Gefühle und Stimmungen. Erinnerungen prägen unsere Fähigkeiten, zu Erkenntnissen zu gelangen und Entscheidungen zu treffen. Das durch Erinnerungen gefütterte Weltgedächtnis ist unverzichtbar. Es ist deshalb existenziell, dass alle Menschen ihren Beitrag dazu leisten.

Das geschieht bewusst oder unbewusst, durch ein Handeln oder Unterlassen, aber oft nicht mit dem Wissen um die Sinnhaftigkeit des Handelns. Dabei kann jeder, der seinen Kindern aus seinem Leben erzählt, mit ihnen singt oder spielt, erheblich zu einer bleibenden Erinnerung nicht nur für das Kind, sondern für die ganze Familie und schließlich die Menschheit beitragen.

Das Gute, das wir schaffen, bleibt der Erinnerung erhalten, aber auch alles Böse und Schreckliche, ob sich dieses in einem persönlichen Verbrechen oder in einem kollektiven Krieg manifestiert. Deshalb sollten wir die Beiträge, die wir zur Erinnerung abliefern, sehr sorgsam und gewissenhaft gestalten, immer wissend oder ahnend, dass sie relevant sein dürften.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Gefühligkeit

Emotionen, Gefühle – diese Begriffe sind uns aus dem täglichen Gebrauch vertraut. Sie beschreiben unseren jeweiligen Gemütszustand, allerdings sind Sie uns auch situativ zugeordnet. Emotionen haben eher mit dem Erregungszustand zu tun, messen, wie weit dessen Pegel angesichts irgendeines Vorkommnisses ansteigt. Gefühle beschreiben eher die Tiefe und das Ausmaß des Berührtseins, also unsere innere Verfasstheit angesichts eines Vorkommnisses.

Was verstehe ich nun unter Gefühligkeit? Sie hat meinem Verständnis nach mit einer Verunsicherung zu tun. Warum ist das so? Weil Verunsicherungen entscheidend auf unser Gemüt einwirken und Emotionen bei uns hervorrufen. Unsicherheit und Angst werden gefördert. Ich weiß, dass das sehr plakativ ausgedrückt ist, trifft aber trotz aller denkbaren Varianten das Problem. Wenn wir verunsichert sind, verlieren wir den Überblick.

Da die Menschen früher durch die räumliche Begrenztheit ihrer Wahrnehmung geschützt waren, verloren sie den Überblick nur partiell. Dies deshalb, weil sie länger Zeit hatten, die Eindrücke, die auf sie einstürmen, zu verarbeiten. Diese Zeit gibt es heute nicht mehr. Das Kommando lautet: Begreife alles sofort, entscheide dich schnell und mache es richtig, besser für dich! Wie will ich aber angesichts der allgemeinen Verunsicherung entscheiden können, was günstig für mich ist?

Es türmen sich Fragen auf Fragen, die kaum jemand schlüssig beantworten kann. Ist es dann nicht naheliegend, ja vielleicht sogar sinnvoll, den Spieß einfach umzudrehen und aus der allgemeinen Verunsicherung eine Tugend zu machen? Also etwa so: Ja, ich bin naiv, na und, ja ich verstehe nichts, na und, ja, ich finde alles furchtbar, was in der Welt geschieht, na und oder vielleicht so: Da müsste doch jemand etwas machen, alles immer auf mich, auf uns … und dann Corona, „Wissenschaftler, sach ick ma, dass ich nicht lache!“ Achtsamkeit wird gegen Unachtsamkeit, Verschwörung gegen Menschenverstand, reich gegen arm, fast alles wird gegeneinander ausgespielt. Uns sind viele Beispiele bekannt. Diese sind alltäglich, aber wer oder was bestimmt die Auswahl, bewegt den Prozess der Wahrnehmung und Verarbeitung?

Das ist die Gefühligkeit! Sie bestimmt das Denken und Handeln, wo der Verstand angesichts der Komplexität und Fülle der Informationen versagt. Es kommt hierbei auch nicht mehr auf die Ausformung unserer Gefühle bei der ständigen Befeuerung mit Bilder und Informationen an, sondern auf die Kultivierung unserer Parteilichkeit. Die Gefühligkeit nimmt von uns Besitz und eröffnet Möglichkeiten, wenn wir auf den Prozess des Selbstdenkens und –fühlens verzichten und uns lieber auf den allgemeinen „Flow“ einlassen.

Hat uns einmal der Strom ergriffen, also wir uns unsere Konformität wohlig zugestanden, dann ist alles ganz einfach. Wir sind stets auf der richtigen Seite, so oder so, und finden für alles umstandslos einen passenden Ausdruck. Die allgemeine Gefühligkeit verhindert jeden Widerspruch, sowohl gegenüber anderen, als auch gegenüber uns selbst. Plötzlich machen wir alles hemmungslos richtig, wir und wir.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Zimperlich

Ältere Menschen erinnern sich sicher noch an die Ermahnung des Kindes: „Sei doch nicht so zimperlich!“ Dieser Ausdruck scheint gänzlich aus unserem Wortschatz verschwunden zu sein. Aber, wenn man sich erinnert, weiß man doch noch ganz genau, was damit gemeint ist. Das so angesprochene Kind sollte mit dem Jammern und Klagen aufhören und den augenblicklichen Schmerz oder Kummer überwinden. Es half oft, zwar nicht deshalb, weil damit der Schmerz oder der Kummer weg waren, sondern weil das angesprochene Kind nicht zimperlich, also wehleidig sein wollte.

Nach einer früher weit verbreiteten Ansicht galt, dass man Sorge, Kummer und Schmerz nicht öffentlich zeigt, eigene Dinge für sich behält oder in der Familie belässt und Haltung bewahrte. Mit gutem Grund hat sich die Gesellschaft hier geöffnet und gestattet es dem Menschen, seine Gefühle vor anderen auszubreiten.

Aber, und dies sollte hier bedacht werden, wäre es vielleicht ganz gut, wenn nicht jeder seinen Sorgen, seinem Kummer und seinem Schmerz einen besonderen Stellenwert beimessen würde, sondern erkennt, dass es allen Menschen so geht oder so gehen könnte. Wenn wir auf Krisen schauen, dann können diese sehr persönlich sein, aber auch alle Menschen betreffen.

Betroffenheit ist ein persönliches Erlebnis, aber auch ein gemeinschaftliches. Wir können uns im Kummer über unsere Situation verlieren oder uns einen Ruck geben und dabei selbst ermahnen: „Sei doch nicht so zimperlich!“ Damit wird das Problem sicher nicht beseitigt, aber wir haben ein weiteres Werkzeug, mit diesem fachmännisch und nicht nur emotional umzugehen.

Eine Gesellschaft, die aus Menschen besteht, die sich ermahnen, nicht so zimperlich zu sein, ergreift nach jeder Krise die Initiative, trocknet ihre Tränen, wagt wieder ein Lächeln und macht weiter. Passt die Ermahnung also heute noch? Sicher.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski