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Framing

Vielleicht schon das Ende der Philosophie?

Der Begriff „Framing“ ist begierig, unsere Gedanken zu rahmen, Zuordnungen zu schaffen, aber auch in Schranken zu weisen und Wahrnehmungen verbindlich einzuhegen. Im Framing werden unsere Absichten subjektiv und auch objektiv konditioniert, angepasst an ein Setting, welches bereits eine Anerkennung gefunden hat oder diese zu erlangen trachtet.

Was verspricht mir diese Art des Brandings? Sollte ich lieber zuschauen, abwarten oder gar handeln? Handle ich im selbst gewählten Maßstab oder werde ich gar selbst verhandelt, ausgesondert oder anerkannt? Von selbst passiert offenbar nichts, kein Grund ist grundlos. Alles Denken, Fühlen, Handeln wird auf die Probe gestellt, erfährt aber seine Bestätigung schließlich in der Zentrifuge all dessen, was allgemein gemeint, gefühlt und gesagt wird.

Die Anpassung, der vorgegebene Rahmen macht es! Er schafft verbindliche Inhalte und verleiht jeder Äußerung, sei diese schriftlich oder bildlich, ihre positivistische Bestätigung, eine Zertifizierung des jeweils Berechtigten. Wahr ist, was dessen Vorstellung genügt und so eine entsprechende Einordnung erfahren hat. Die instrumentalistisch angelegte sprachliche Rahmung verzichtet auf weitere Hinterfragung und Erkenntnistiefe.

Framing ist Zuweisung. Der passende Rahmen wird, soweit er noch nicht vorhanden ist, passgerecht geschaffen bzw. passend gemacht. So passt jeder passend in irgendein Bild, das Worte, Zeit und Umstände für ihn schaffen, wenn es klemmen sollte. Im konsequenten Framing erledigen sich sämtliche Fragen, die über eine Instrumentalisierung von Sprache und Bildern hinausgehen und dem Sinn des Lebens eine Unbegreiflichkeit abverlangen würde. Es genügt, dass ich mir ein Bild mache oder ein Bild von mir gemacht wird, Abweichungen nicht bestehen oder passgerecht gemacht werden.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Identifikation

Was verstehe ich unter Identifikation?

Eine Eigenschaft, sich auf einen anderen Menschen oder einen Zustand in der Weise einzulassen, dass der Mensch oder der Zustand nicht nur mein Einverständnis findet, sondern auch zu einem Teil meiner eigenen Wahrnehmung, möglicherweise sogar zu meiner eigenen Persönlichkeit, zwar nicht körperlich, aber doch irgendwie geistig, seelisch, kurzum spirituell werden kann.

Alle Varianten scheinen mir möglich, hervorgerufen durch Stalking, Verehrung, bis hin zu Formen der Assimilation, also der Ich-Findung im Anderen. Rollenspiele, auch die Schaffung von Kulturaltären für Idole, Environments mit allen greifbaren Identifikationsaccessoires, die erwerbbar sind, die Aufgabe der eigenen emotionalen, spirituellen und kognitiven Identität zugunsten einer anderen, all dies ist möglich. Teilweise geschieht dies in Gruppenerlebnissen oder persönlich in Nachahmung des Identifikationsgegenstandes. Das passiert aber wozu?

Möglicherweise erlebt der Mensch durch diese Form der Identifikation einen Austritt aus seiner potentiellen Vereinzelung. Er wird dank der Identifikation bedeutender. Er erfährt Solidarität, und zwar schon dadurch, dass er sich auf den Prozess der Identifikation einlässt. Identifikation wirkt auch entlastend von eigenen Beschwerden und Unzulänglichkeiten. Durch Identifikation wird eine Zuwendung einer Person oder eines Zustandes zugelassen, die dem Zuwendenden eine Aufgabe beimisst, der dieser sich widmen kann, ohne Gefahr zu laufen, für den sich Identifizierenden konsequent einstehen zu müssen. Oft wissen die Beteiligten überhaupt nichts voneinander. Da eine reale Identität unter ihnen nicht begründet wird, besteht grundsätzlich die Möglichkeit, sich jederzeit von dem Versuch der Identifikation wieder loszusagen. Mitgefühl, Mitleid, alle Formen des geistigen und emotionalen Austausches sind Attribute der Identifikation, die auch zu einem aktiven Handeln führen können.

Problematisch, ja gefährlich wird die Gefährdung einer tatsächlichen oder nur vorgestellten Konkordanz der Beteiligten, wenn die Identifikationsillusion offenbart, dass es Abweichungen zwischen den Vorstellungen der Beteiligten gibt. Jede Abweichung kann als Verletzungshandlung, ja sogar als Angriff gewertet werden und gefährdet das Rollenspiel. Der seiner Identifikationsmöglichkeit so beraubte Mensch fühlt sich getäuscht und glaubt sich zur Rechtfertigung berechtigt, seine Illusion durch Beseitigung einer Person oder eines Zustandes, mit dem er sich identifiziert hat, zwecks Wiedererlangung seiner früheren Identität herbeizuführen.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Blickwinkel

Stellen wir uns irgendeinen Gegenstand, auf den alle Blicke gerichtet sind, vor. Sehen wir alle dasselbe? Wenn es zum Beispiel ein Stein ist, sagen wir, es sei ein Stein und meinen das Gleiche, oder?

Bedenken wir, dass ein Gegenstand seine endgültige Einordnung erst im Gehirn des Betrachters erfährt, denn die Botschaft, welche der Stein bezüglich seiner Existenz sendet, erfährt seine Individualisierung erst in der Korrespondenz mit allen unseren individuellen, visuellen, kognitiven und emotionalen Sensoren. Es ist also logisch, dass jeder Mensch auf jeden Gegenstand seiner Betrachtung einen eigenen Blickwinkel hat, das Prüfverfahren routiniert, unterbewusst und blitzschnell erfolgt und sich in unserem Beispielfall darauf festlegt, dass es sich um einen Stein handele. Hier mag die Wahrnehmung noch keine besonders weitreichende Tragweite zu haben. Doch wie verhält es sich beim Betrachten und Beurteilen von Vorgängen, bei denen die Verabredung nicht so eindeutig erfolgen kann und Maßstäbe und Blickwinkel eine bedeutende und zuweilen entscheidende Rolle spielen?

Ist es da nicht so, dass wir auch hier sehen, was wir gewohnt sind zu sehen, und zwar auch dann, wenn wir wissen, dass Abweichungen von der Realität möglich sein könnten?

Wenn wir aber dann doch auf unsere Sichtweise bestehen und den Blickwinkel festlegen, machen wir dann nicht stets den Gegenstand unserer Betrachtung ausschließlich zur Eigenwahrnehmung unserer Gedanken und Gefühle? Kann das, was wir zu sehen glauben, nicht vielleicht auch eine Projektion dessen sein, was andere für uns verabredet haben? Alle Erfahrungen des Menschen sind einstudiert, beruhen auf Informationen, Training und Verabredung. Dafür sind Kompetenz, Sachverstand und Regeln erforderlich. Werden diese geschreddert durch behauptete Eindeutigkeiten der Betrachtung und Beurteilung, ist zu fragen, ob dieser Blickwinkel, den wir zum Maßstab unseres Sehens machen, nicht nur eine opportunistische Verarbeitung des Betrachtungsgegenstandes zulässt und diesen so verfälscht?

Wenn nicht mehr wichtig ist, was wir sehen, sondern behauptet wird, was wir glauben zu sehen sei zutreffend, entscheiden wir uns für einen verfremdeten Blickwinkel, der auf jegliche Wahrhaftigkeit verzichtet. Wenn wir uns darauf einlassen, beschränken wir uns auf eine uns aufoktroyierte Behauptung der Erkenntnis und verraten die Wirklichkeit.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Selbstsuggestion

Alles ist ungerecht, die Politiker unfähig und die Wirtschaft korrupt. So will ich es auf den Punkt bringen. Der Mensch äußert seine Überzeugung, dass es ihm noch niemals so schlecht gegangen ist, wie jetzt, er auch keine Hoffnungen auf Besserung sieht und deshalb irgendjemand kräftig aufräumen müsse. Worauf beruht nun diese Erkenntnis, die viele Bürger heutzutage so kraftvoll äußern? Beruht sie auf eigenen Recherchen, ist sie faktenbegründet oder hat sie sich auf Erfahrungen basierend auch bewahrheitet?

Da habe ich meine Zweifel. Zugegeben, die Medien strotzen von Vorwürfen gegen Politiker, Wirtschaftsführer, überhaupt alle, die im öffentlichen Raum irgendein Mandat innehaben. Diese Form des „Aufmischens“ der Meinungen im öffentlichen Raum ist medienimmanent und grundsätzlich auch gerechtfertigt, um Aufmerksamkeiten zu binden und schließlich auch eigene Geschäfte damit zu machen.

Weil jeder Mensch auf seine Vorteile aus ist, liegt es nahe zu unterstellen, dass ein Mensch, auch wenn er mit Anderen Bürger eines gemeinsamen Staates ist, alle Äußerungen über diese politischen und gesellschaftlichen Einrichtungen für vertretbar hält, die ihm argumentativ oder materiell nützlich erscheinen. Es geht im Leben um Aufmerksamkeit und Wahrnehmung.

Viele recherchierte Behauptungen im öffentlichen Raum stellen sich im Falle einer Überprüfung als nicht kongruent mit der Wirklichkeit dar. Allerdings sind die Ergebnisse von Überprüfungen kaum geeignet, einen Sinneswandel bei den potentiell auf Korrekturen angesprochenen Menschen zu bewirken. Warum nicht?

Ich denke, dass der Mensch die eigenen Möglichkeiten nutzt, Informationen, die er aus unterschiedlichen Quellen erhält, derart zu melangieren und schließlich in seiner Überzeugung so zu verfestigen, dass er von deren Wahrheit auch dann überzeugt ist, wenn alle Fakten dagegensprechen sollten und andere Menschen denselben zu beurteilenden Sachverhalt in ihrer Mehrheit komplett anderes wahrnehmen.

Die durch Selbstsuggestion erworbenen Erkenntnisse manifestieren sich zum Programm des eigenen Egos. Dies verträgt sich mit dem Paradoxon, dass viele von der Schlechtigkeit dieser Welt überzeugten Menschen zustimmen, dass sie zwar in Deutschland im besten Land der Welt leben, ihrer Zustimmung jedoch stets ein zur Bekenntnis relativierendes „Aber …“ beifügen.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Zumutung

Stellen wir uns vor, es gäbe nur einen einzigen Menschen auf dieser Welt, ganz klar, niemand könnte dessen Existenz bezeugen. Er würde leben, als sei er nicht geboren. Dies schon deshalb, weil er machen könnte, was er will und niemand wäre in der Lage, dies zu sehen, zu hören und zu spüren. Der einzige Mensch müsste keine Rücksichten nehmen, weil Rücksicht die Anwesenheit zumindest eines weiteren Menschen voraussetzt. Diesen einzigen Menschen gibt es also nicht. Das wissen wir genau.

Wir sind viele und sehen, hören und spüren den anderen Menschen. Wir erfahren, was dieser macht, beruflich und privat, zum Beispiel grillen, Technobeat hören und feiern. Wenn wir dies alles auch und möglichst zur gleichen Zeit wollen, ist alles in Ordnung, gibt es keine Probleme, denn es herrscht Übereinstimmung bei den Wünschen, Zielen und deren Verwirklichung. Wenn wir aber nicht wollen, was ein anderer will, ist es eine Zumutung.

Zumutungen entstehen dadurch, dass ein anderer Mensch so handelt, als sei er, entgegen aller möglichen Wahrnehmungen, alleine auf der Welt, womit auch jegliche Notwendigkeit der Rücksichtnahme entfalle, weil niemand einen hört, sieht oder fühlt. Obwohl uns die Absurdität dieses Vorhabens geläufig ist, kommt es oft zu den beschriebenen Zumutungen, weil viele, ja die meisten Menschen so handeln, als seien sie allein auf der Welt.

Dabei bräuchten sie sich nur umzuschauen, um ihren Irrtum zu erkennen. Aber, es ist kein Irrtum, nein, sie wissen sehr wohl Bescheid, aber sie tun dennoch so, als seien sie allein auf der Welt. Sie trauen sich dies, weil alles andere, d. h. auch die anderen Menschen, ihnen völlig egal sind, weil sie keine Rücksicht nehmen wollen, weil sie, nein nicht nur sie, sondern auch alles beherrschen wollen, das Ohr, die Nase, den Mund, den Verstand, das Gefühl und das Gemüt eines anderen Menschen.

Das Motto: Ich kann machen, was ich will, auch mit den anderen Menschen. Aber die sollen bloß nicht kommen, wehe! Wer mich hindern will, der kriegt Krieg! Rücksicht ist nicht meine Sache, man wird doch noch seinen Spaß haben dürfen. Meine Ansprüche lasse ich mir nicht nehmen. Wenn sich irgendjemand gestört fühlt, dann soll er gehen.

Wohin? Das ist mir doch egal!

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Gier

Eine Wahrnehmung möchte ich mit den Lesern teilen, wobei ich mir nicht sicher bin, ob ich damit richtig liege. Ich jedenfalls bilde mir ein, feststellen zu können, dass Menschen, die bereits über ein hohes Einkommen oder auch ein beträchtliches Vermögen verfügen, sich gezwungen sehen, ihr Einkommen zu mehren und das Vermögen zu vervielfältigen. Da dies einer grundsätzlichen Haltung zu entspringen erscheint, spielt es dabei keine Rolle, ob es sich um jüngere Menschen oder schon sehr alte Menschen handelt.

Genetische Präpositionen kann ich mir dabei allerdings nicht vorstellen, denn diese Art der Vermögensmehrung, falls ich das richtig sehe, konnte sich in aller Intensität erst in relativ kurzer Zeit entwickeln. Es ist zu konstatieren, dass Sammeln und Horten ein Lebensprinzip ist, das nicht nur das eigene Überleben, sondern auch das der kommenden Generationen sichern kann. Könnte man also die These aufstellen, dem gierigen Menschen ginge es vor allem um seine Lebenssicherung?

Nach meiner Anschauung ist dies nicht der Fall. Denn die Gier wächst selbst dann, wenn alle versorgt sind und sogar vorgesorgt ist. Ob Nachkommen vorhanden sind, spielt auch eine eher untergeordnete Rolle. Was ist also Gier und was treibt Menschen, sich immer mehr Einkommen und Vermögen einzuverleiben, wenn keine Not besteht? Vielleicht beruht dieses Verhalten auf einer Fehlwahrnehmung der Wirklichkeit, vielleicht spielen Defizite eine Rolle, die ausgeglichen werden sollen, vielleicht ist es aber nur ein Spiel, eine Herausforderung der eigenen Möglichkeiten?

Ich weiß es nicht, kann diese Frage nicht beantworten und bin davon überzeugt, dass es nicht die eine Antwort gibt. Es gibt aber Regeln, an die man sich halten sollte: Frage einen Vermögenden nie um seine Unterstützung, sondern ermögliche ihm zu erkennen, dass bestimmte Unterstützungsleistungen für andere vor allem seinem Interesse entsprechen. Da Vermögende sehr oft wehleidig und empfindlich sind, begegne ihnen souverän und selbständig, damit sie erkennen, dass es nutzlos ist, beeindrucken zu wollen. Gier ist eine gesellschaftliche Belastung und eine Persönlichkeitsstörung, die ein Krankheitsbild aufweist und behandelt werden muss. Leider erfährt sie aber in Verkennung ihrer Störung weitgehend Respekt, manchmal sogar Bewunderung und löst nur Stillstand aus.

Hier wäre eine Thematisierung dieses Phänomens aber wichtig, um denen von der Gier Betroffenen eine Chance zu geben, in die Gemeinschaft zurückzufinden. Denn eines ist klar, hilfreich ist diese Haltung in keiner Weise und spätestens der alte Mensch erfährt, dass man ihn der Gier wegen in der Familie verachtet, aber die Nachkommen bereits infiziert sind.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Querdenker

Als ich dank der Medien von der Querdenker-Bewegung erfuhr, war ich überrascht und auch neugierig. Es überraschte mich weniger, dass diese Bewegung Bill Gates für das Corona-Virus verantwortlich machte und es überraschte mich auch nicht zu erfahren, dass die Bundesregierung Konzentrationslager für uns alle anlege, damit der Freiheitswille der Bürger gebrochen und jeder geimpft wird. Derartige Wahrnehmungen sind in der stammesgeschichtlichen DNA der Menschen festgelegt und helfen Gruppen zur Identität in fordernden Zeiten.

Dass das Corona-Virus nicht für alle, aber für viele Menschen eine große Herausforderung darstellt, ist bekannt. Wenn sie nicht selbst sterben, so doch Angehörige und Freunde, die Meisten leiden, manche nicht. So war es bei den Menschen schon immer und wird es auch künftig bleiben. Was mich wirklich bei der Querdenker-Bewegung überraschte, war also nicht der Gegenstand ihres Denkens, sondern der Umstand, dass sie „quer“ denken.

Ich wusste bisher nicht, dass es ein vertikales und ein horizontales Denken gibt, wie mir auch ein vertikales und horizontales Hören bzw. Sehen nicht geläufig waren. Ich dachte, es käme auf das gesamte Sichtfeld, alle Sinne also, die Wahrnehmung insgesamt an. Auch vertikales oder horizontales Fühlen, welches den Emotionalhaushalt belebt, konnte ich mir bisher quer nicht vorstellen. Geht das, quer zu fühlen?

Bisher habe ich das alles einheitlich gesehen, muss allerdings bekennen, dass ich es durchaus faszinierend finde, die Ordnung zu sprengen und auch das Denken als Anschauungsfrage zu etikettieren. Ich denke, also bin ich. So meinte Descartes. Hat er dies nun horizontal oder vertikal gedacht? Neben horizontal und vertikal gibt es ja auch das Denken in Kreisen oder Ellipsen, das asymptotische Denken, das infinite Denken, das Denken ohne Anfang und Ende, das eingeschlossene Denken und das offene Denken.

Ich muss gestehen, dass mir bei so vielen Denkmöglichkeiten doch recht mulmig wird und ich doch etwas überrascht bin, dass sich eine Gruppe von Menschen damit begnügt, quer zu denken und das „Quere“ als etwas Manifestes anzusehen, wobei wir bisher zu wissen glaubten, dass Denken als Methode gerade eine Begrenzung des Denkens und deren strukturelle Festlegung nicht zulässt. Ich bin gespannt, was noch kommt, Um mit dem mir bekannten Lyriker Ernst S. Steffen zu schließen: „Irgendwann wird man mich zu Ende denken und dann bekomme ich die … verlorenen … Jahre zurück.“

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Schleier

Zuweilen habe ich das Gefühl, dass über meiner Wahrnehmung ein Schleier liege, den ich nicht anheben, geschweige denn wegziehen kann. Ich vermute, dass der Schleier eine Erkenntnis verhüllt, die weder logisch, noch emotional argumentativ oder wissenschaftlich zu erschließen ist. Das verborgene Etwas muss aber etwas von uns sein, unsere Natur, die Einbildungen schafft, uns inspiriert und somit etwas Mächtiges darstellt, das wir dem Göttlichen zuweisen, aber damit nicht hinreichend beschreiben.

Mit dem umfassenden Alles oder Nichts benennen wir Aspekte der Wirkung, wozu uns das Ungeheure in die Demut vor seiner Unerreichbarkeit zwingt. In Ahnung dessen, was der Schleier verhüllt, aber nicht bereit ist, freizugeben, wie können wir glauben, dass irgendeine unserer Wahrnehmungen und Beurteilungen mehr ist, als das Bemühen, uns vor der Last der großen Verantwortung für alles zu drücken.

Durch erprobte Konventionen, Rituale und sonstiges Regelwerk versuchen wir, uns selbst und auch die anderen von der Gegenwärtigkeit unserer Unwissenheit abzulenken, weil es uns derzeit noch nicht gelingt, den Schleier zu lüften.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Perspektive

Es ist alles eine Frage der Perspektive. Dieses gängige Mantra vermag uns davon zu entlasten, über einen Umstand weiter nachzudenken oder in Konfrontation mit der Meinung eines anderen zu geraten. Dass es gängig ist, macht diesen Satz allerdings nicht falsch. Vom Menschen aus gesehen, gibt es keine Absolutheiten. Der Mensch denkt, empfindet und handelt perspektivisch, ausgehend davon, was seine Wahrnehmung ihm vermittelt. Unter diesem Aspekt ist Perspektive etwas höchst Persönliches, genährt von Erfahrung und Einschätzung, aber auch Wissen, Bildung und Erkenntnis.

Perspektiven ergeben sich aber auch für denjenigen, der überhaupt nichts weiß, ahnungslos und auf sich selbst beschränkt ist. Da Perspektive somit nur eine Projektion unserer Wahrnehmung ist, gilt es aufzudecken, welche Eigenschaften von Perspektiven nicht erfasst werden, durch unsere Betrachtung sich nicht offenbaren. Unsere Wahrnehmung unter perspektivischen Gesichtspunkten schafft Orientierung. Sie schafft sogar eine bestimmte Form der Verlässlichkeit, sobald diese Wahrnehmung sich entpersönlicht und so allgemeine Anschauung werden kann. Aber auch dann wird eine Perspektive nicht wahr.

Unsere Sinnesorgane sind in der Lage, uns das Wesen aller Dinge, die uns umgeben, zu vermitteln. Damit sind wir aber noch nicht zu deren Wesen an sich durchgedrungen. Alles Wesen, ob organisch oder nicht organisch entzieht sich unserer Gewissheit. Aus unserer Perspektive ist der Himmel blau. Inzwischen wissen wir, was uns zu dieser Wahrnehmung verleitet. Also beachten wir diesen Zustand als gesichert und wissenschaftlich auch bestätigt.

Aber, was macht den Himmel blau? Ausschließlich aufgrund unserer Wahrnehmung, aus unserer Perspektive heraus ist der Himmel blau. Diese Wahrnehmung reicht uns. Wir hinterfragen  nicht, wie Bäume, Berge oder Vögel diesen Himmel für sich beschreiben. Aber, auch wenn wir diesen relativen Moment in der perspektivischen Wahrnehmung durchaus erkennen und auch akzeptieren müssen, so scheuen wir uns doch, die Erkenntnis dahingehend zu erweitern, dass wir niemals etwas wissen, noch des Pudels Kern finden können.

Wir wissen nichts von den Dingen, sondern folgern lediglich aus ihren Eigenschaften ihre tatsächliche Beschaffenheit. Wir wissen nicht, was unseren Planeten, diesen Weltraum im Inneren zusammenhält. Alles ist irgendwie und täglich ringen wir darum, einen perspektivischen Ansatz dazu zu finden, damit wir eine Ordnung haben, die uns nicht selbst permanent in Frage stellt. Es ist gut, dass wir diese selbstberuhigende Fähigkeiten haben. Es ist aber großartig, dass wir trotz allem wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn, trotz Transzendenz und Dataismus letztlich weiterhin gespannt und neugierig auf alles und nichts sein dürfen. Aber sind wir den Anforderungen, die an uns gestellt werden, gewachsen?

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Gott

Zumindest die drei großen Weltreligionen beanspruchen Gott für sich als Maßstab aller Dinge. Es geschehe auf der Welt nichts ohne den Willen Gottes. Die Wahrnehmung des einzigen Gottes hindert sie allerdings nicht daran, miteinander tief verstritten zu sein und sogar in Feindschaft zu leben. Das ist typisch menschlich, aber sicher nicht göttlich. Bringt man es auf den Punkt: Die Behauptung zu wissen, was Gott will und von uns erwartet, ist im höchsten Maße atheistisch.

Was für eine Anmaßung, Gott Eigenschaften zu unterstellen, die menschliche Qualitäten aufweisen. Was für eine Anmaßung, Gottes Willen zu verkünden und in die Sprache der Menschen zu übersetzen. Was für eine Anmaßung zu glauben, durch Zweifel Gott selbst in Frage stellen zu können. Alles, was den Zweifel, die Anmaßung und den menschlichen Nutzungsgedanken anbetrifft, ist in einem Programm zusammengefasst, was man gemeinhin Religion nennt.

Religion ist dabei allerdings nicht nur Opium für das Volk, sondern auch ein Ordnungsrahmen, der Sinn erklärt und Hoffnungen erlaubt. Religion ist menschliche Sachverwaltung. Mit Gott selbst hat das aber nichts zu tun, denn dessen Kraft und Herrlichkeit benötigt keine Interpreten, sondern erklärt sich selbst.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski