Archiv für den Monat: November 2024

Unersättlichkeit

„Ich will alles und noch viel mehr…“ So etwa textete einst Gitte Hænning und brachte damit zum Ausdruck, dass Menschen mit immateriellen und materiellen Mitteln gesegnet sein müssen, um ihrem Leben einen passenden Sinn zu verleihen.

Das Haben-Wollen, die Unersättlichkeit im Begehren, ist in unserem Wesen verankert, macht uns rastlos und gewährleistet Fortschritt. Nicht nur wesens- sondern auch gesellschaftsimmanente Unersättlichkeit wird abgesichert durch einen spirituellen und auch einen weltlichen Katechismus, der die Möglichkeiten des Begehrens erlaubt und fördert.

Der Prunk von Kirchen auch als Ausweis ihres Reichtums ist uns geläufig. Eher profan und weltlich gewährleisten Gesetze, Gerichte, Notare und Rechtsanwälte Hand in Hand mit Politikern, Wirtschaftsfachleuten und Unternehmen die Anerkennung der Gier. „Ich will alles und noch viel mehr.“ Der Motor einer Gesellschaft, die sich dank ihrer Gewohnheiten und der ständigen Wiederholungen von Ansprüchen daran gewöhnt hat, dass Fortschritt nur durch Begierde gefördert wird, wird durch ständigen Konsum am Laufen gehalten. Der Konsumrausch vermag die Kürze des Lebens zu kaschieren. Wir Menschen unternehmen alles, um die Erfüllung des Begehrens bis zur nächsten Zuwendung lebbar zu machen. Dabei ist dies nichts persönliches.

Die Unersättlichkeit führt über unser eigenes Leben hinaus und veranlasst Menschen, testamentarisch anzuweisen, auch für sich und deren Abkömmlinge den Boden für Begehrlichkeiten zu bereiten. So verteidigen auch alt gewordene Erblasser schon den Besitzstand künftiger Generationen, wollen auf diese einwirken, steuern und mit „kalter Hand“ ihrer eigenen Unersättlichkeit eine permanente Zukunft sichern. Unersättlichkeit ist allerdings nicht nur ein materielles Phänomen, sondern auch eine Erfahrung auf allen Beziehungsebenen. Unersättliche Vereinnahmung anderer Menschen finden in Gesprächen, die nicht empfängerorientiert geführt werden, statt, aber auch der Vereinnahmung durch Parteien.

Es entspricht der Mechanik der Unersättlichkeit, nur die eigenen Ansprüche und Vorhaben als gerechtfertigt anzusehen und zu erwarten, dass die Rückbezüglichkeit allgemeine Anerkennung findet. In diesem Sinne ähnelt der unersättliche Mensch einem Narzisst, der die Anerkennung seiner Gier als selbstverständlich erachtet.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Ikonographie

Ein Bild erstarrt und verändert dadurch seine Bedeutung. Gerade noch im Ausdruck lebendig, flüchtig gar und gegenwärtig vereist es in den Aggregatzustand einer Aussage, verewigt sich ggf. auch in Zeichen. Die Symbolkraft des erstarrten Bildes genügt sich selbst, übernimmt aber auch die Bedeutung für etwas anderes, das uns als ein Rätsel erscheinen mag, aber in seiner Eigentlichkeit den Schlüssel zu etwas verbirgt.

Es ist wie mit dem Denken oder Gedachtwerden. Stets entdecken wir in Bildern Bezüglichkeiten, die kategorisch unsere Welt erlebbar machen. Aus dem Dunkel treten Zeichen hiervor, Chiffren, die sich anbieten zur Verarbeitung, nicht zuletzt im Internet oder auf Plattformen, wie Instagram und TikTok. Alles ist gegenwärtig und sogar im Verschwinden präsent. Die Aneinanderreihung von Ausdrücken zaubert ein Bewegungsbild, eine Ikonographie verbürgt den Sinn, den wir schauend erahnen. Läge alles auf der Hand, wäre alles klar, verlöre das Zeichen das Symbol, die verborgene Aussage an Bedeutung.

Es ist das Geheimnis, welches uns anzieht, das Mysterium, in dem der Keim aller Möglichkeiten verborgen ist, sich jederzeit öffnen kann, um in einem seltenen Augenblick einen erkennenden Moment zu erlauben. Dann wartet das erstarrte Bild wieder auf jemanden, der es zu erkennen vermag.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Lebensversprechen

Wir sind unseren Kindern, Enkelkindern und allen künftigen Generationen verpflichtet, denn wir haben ihnen bei ihrer Geburt ein Lebensversprechen gegeben. Dieses besagt, dass wir sie schützen und ihnen nach unserem besten Vermögen eine Entwicklung ermöglichen, die es erlaubt, dass sie ihr eigenes Leben verwirklichen, dies aber in Gemeinschaft mit allen anderen Menschen unter Bewahrung aller bereits vorhandenen Ressourcen und Schaffung nachhaltiger Verhältnisse von Generation zu Generation. Wollten bzw. könnten wir dieses Versprechen nicht abgeben, dann wäre es sicher klug, sich gegen Kinder und überhaupt den Fortbestand der Menschheit auszusprechen. Es mag nun zwar vereinzelt Antinatalisten unter uns geben, aber die meisten Menschen auf dieser Welt befürworten Kinder und sehen ihre Nachkommen als Segen an.

Keine Mutter bringt zudem Kinder zur Welt, damit sie gewaltsam in Kriegen sterben oder von anderen Menschen gequält und verletzt werden. Es wird uns ein Rätsel bleiben, warum dies dennoch geschieht, aber es sollte uns das Lebensversprechen daran erinnern, dass wir einen beständigen Beitrag für gelingendes Leben gemeinsam leisten müssen. Erstaunlicherweise ist dennoch bis heute bei vielen Menschen ein gewisses Standesdenken festzustellen, welches sich in der Besitzstandwahrung, Vererbung, überhaupt im Egoismus ausdrückt.

Tatsächlich kann sich ein Lebensversprechen aber nur dann erfolgreich verwirklichen, wenn wir andere Menschen dafür gewinnen, sich nicht nur für sich selbst und ihre Nachkommen, sondern auch für die Gemeinschaft einzusetzen. So wird der Generationenvertrag beginnend mit der Entscheidung, Leben zu stiften, begründet, und zwar aufgrund keiner singulären, sondern einer gesamtgesellschaftlichen Entscheidung, die verpflichtend dafür sorgt, dass für alle Menschen die Weichen für ihre Bildung, Gesundheit, aber auch die Erhaltung von Ressourcen für künftige Generationen zuverlässig geschaffen werden können.

Es kommt dabei nicht nur auf das Wollen, sondern auf einen alle Menschen verpflichtendes Müssen im Interesse der Erhaltung unsers Menschseins auf diesem Planeten an. Das verlangt uns viel Einsicht und Gestaltungsbereitschaft ab, sollten auch künftige Generationen noch aus voller Überzeugung Lebensversprechen für ihre Kinder abgeben wollen und können.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Schimären

Entwesentlicht treiben sie unser Spiel mit uns, Monster, die uns auflauern bei Tag und Nacht und auf ihre Möglichkeit warten, uns in Furcht und Schrecken zu versetzen, uns zu verunsichern, zumindest aber Unbehagen zu bereiten. Sie haben Gestalt und sind doch gestaltlos, nicht eindeutig zuordenbar, setzen sich in unsere Gedanken fest, schaffen Ambivalenzen, die wir weder steuern noch unterdrücken können. Schimären sind die für uns persönlich geschaffenen Befürchtungen, die nicht nur individuell volle Aufmerksamkeit für sich beanspruchen, sondern zudem genügend Ausstrahlungskraft haben, um Gruppen, Gesellschaften, überhaupt die ganze Menschheit in ihren Bann zu ziehen.

Wir nehmen sie wahr und haben doch keinen Plan zu ihrer Abwehr. Schimären sind hartnäckig, widerstehen unserer Ignoranz, jeder Form der Ablenkung. Wir müssen daher versuchen, sie kognitiv zu zähmen. Ihre Ambivalenz verweigert aber leider jede Eindeutigkeit, schafft ein Gefühl ohne zu wissen, eine unbeholfene Reaktion der Sinne. Das beunruhigte Gefühl verdunkelt unsere Einsicht, schafft Raum für Empörung und deren Umsetzung, nicht ahnend die Gefahr, dass, wenn der Mensch zerstört, er schließlich auch zerstört wird. In der Bibel, Jesaja, Kapitel 33 heißt es: „Wenn du das Ziel deiner Empörung erreicht hast, dann wirst du selbst das Ziel einer Empörung.“

Wir Menschen selbst sind Schimären unserer selbst, zuweilen.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski