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Zuversicht

Wird schon werden. „Heile, heile Segen, morgen gibt es Regen, übermorgen Schnee, tut der Finger nicht mehr weh.“ Eltern verstehen, ihre Kinder nicht nur zu trösten, sondern ihnen auch eine Perspektive aufzuzeigen, wenn sie sich zum Beispiel in den Finger geschnitten oder sich mit anderen Kindern gezankt haben.

Diese selbstverständliche Zuversicht scheint manchem in Bezug auf andere Menschen und das Leben abhandengekommen zu sein. Ständig werden zudem Gefahren beschrieben, die uns durch Klimawandel, wirtschaftlichen Verfall und Überbevölkerung drohen könnten. Die Welt ist voller Gefahren, aber kaum noch ein Tröster ist vorhanden, der mit „Heile, heile Segen…“ dafür sorgt, dass Menschen wieder Mut fassen, Schmerzen überwinden und hoffnungsfroh ihre Zukunft gestalten. Werden wir so mangels Perspektive zu Antinatalisten? Ich hoffe nicht.

Alle weltlichen und religiösen Schöpfungsverkündungen wimmeln seit Menschengedenken von gefährlichen Szenarien, die letztlich wieder eingefangen werden könnten durch Versprechen, wie, dass dies doch schon immer so gewesen sei, Veränderungen stets möglich und wahrscheinlich seien, objektive und subjektive Bedingungen sich änderten, Langeweile und Erschöpfung schließlich alles erledige. Niemals, so ist dies historisch bestätigt, wurde das letzte Wort gesprochen, sondern es fand sich stets ein weiterer Ausweg, gab es Gründe, wieder an Aufbruch und Neubeginn zu glauben.

Da seit dem Urknall nichts endlich sein kann, gibt es gute Gründe, die Zuversicht zu hegen und in Momenten der Verzagtheit, andere und sich selbst an später zu erinnern, an eine bessere Zeit.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Natur

Unsere Vorstellung, die Natur als Mutter des Lebens zu begreifen, beruht darauf, dass wir ihr diese Verantwortung zuweisen. Unsere Auffassung ist, dass die Natur uns wie eine Mutter geboren hat, uns pflegt, uns umsorgt und uns allgegenwärtig hilfreich durch unser Leben begleitet. Das ist eine eher selbstgefällige und romantische Betrachtung der Natur, eher verharmlosend als begreifend. Erstaunlich ist, dass schon Hölderlin vor 200 Jahren in einem Gedicht Folgendes ausgeführt hat:

So hast du manches gebaut,
Und manches begraben,
Denn es hasst dich, was
Du, vor der Zeit
Allkräftige, zum Lichte gezogen.
Nun kennest, nun lässest du diß;
Denn gerne fühllos ruht,
Bis dass es reift, furchtsamgeschäfftiges drunten.
(Entnommen aus Rüdiger Safranski „Hölderlin. Komm! Ins Offene, Freund!“ Hansa-Verlag, Seite 228)

Bei Hölderlin ist es weiterhin die Natur, die uns hervorgebracht hat, aber in dieser Legitimation ist die Natur auch berechtigt, uns zu erziehen, uns zu mahnen und zu fordern. Es ist eine Natur, die selbst Ansprüche stellt und nicht passiv die ihr zugewiesene Rolle als Mutter allen Lebens erduldet, sondern Forderungen erhebt, selbst handelt. Diese Natur sieht, was ihre Kinder anrichten und ermahnt uns, immer wieder zu vergegenwärtigen, dass sie es ist, die gibt und nimmt.

Diese Mutter Natur behält sich in letzter Konsequenz auch vor, diejenigen zu bestrafen und sogar zu vernichten, die sie nicht achten, sondern sogar glauben, sich ihrer bemächtigen zu können. Sie widersteht so jeder Zuweisung. Sie ist nur Mutter, wenn ihr Einverständnis mit unserem menschlichen Verhalten besteht, wenn nein, ist sie Furie. Das uns Verborgene der Natur entzieht sich unserer auf Hoffnung gegründeten Einschätzung der Friedfertigkeit und lässt eine gewaltige Antwort auf unsere Zumutungen an sie ahnen.

Die Natur hat kein Problem mit der Vergänglichkeit, auch nicht mit unserer Vergänglichkeit des „Stirb und Werde“, sogar der Vergänglichkeit sämtlichen Lebens auf diesem Planeten. Die Natur hat uns hervorgebracht und widerruft diesen Entschluss, wenn wir uns ihm nicht würdig erweisen. Neues entsteht und reift und kein Mensch vermag dies zu deuten. Wieder Menschen? Oder Maschinen? Wer weiß?

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Schimären

Entwesentlicht treiben sie unser Spiel mit uns, Monster, die uns auflauern bei Tag und Nacht und auf ihre Möglichkeit warten, uns in Furcht und Schrecken zu versetzen, uns zu verunsichern, zumindest aber Unbehagen zu bereiten. Sie haben Gestalt und sind doch gestaltlos, nicht eindeutig zuordenbar, setzen sich in unsere Gedanken fest, schaffen Ambivalenzen, die wir weder steuern noch unterdrücken können. Schimären sind die für uns persönlich geschaffenen Befürchtungen, die nicht nur individuell volle Aufmerksamkeit für sich beanspruchen, sondern zudem genügend Ausstrahlungskraft haben, um Gruppen, Gesellschaften, überhaupt die ganze Menschheit in ihren Bann zu ziehen.

Wir nehmen sie wahr und haben doch keinen Plan zu ihrer Abwehr. Schimären sind hartnäckig, widerstehen unserer Ignoranz, jeder Form der Ablenkung. Wir müssen daher versuchen, sie kognitiv zu zähmen. Ihre Ambivalenz verweigert aber leider jede Eindeutigkeit, schafft ein Gefühl ohne zu wissen, eine unbeholfene Reaktion der Sinne. Das beunruhigte Gefühl verdunkelt unsere Einsicht, schafft Raum für Empörung und deren Umsetzung, nicht ahnend die Gefahr, dass, wenn der Mensch zerstört, er schließlich auch zerstört wird. In der Bibel, Jesaja, Kapitel 33 heißt es: „Wenn du das Ziel deiner Empörung erreicht hast, dann wirst du selbst das Ziel einer Empörung.“

Wir Menschen selbst sind Schimären unserer selbst, zuweilen.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Teilhabe

Besonders anlässlich der Wahlen in Thüringen und Sachsen war bei Politikern und in den Me­dien von Menschen die Rede, die demokratieverdrossen, abgehängt und frustriert seien. Anders sei es auch nicht zu erklären, dass Parteien wie die AfD und das BSW gewählt wurden. Den ganzen Salat an Argumenten muss ich hier nicht wiedergeben, er ist uns allen sattsam bekannt. Wie mag es aber tatsächlich um die Menschen bestellt seien, ob diese im Osten oder Westen, im Süden oder Norden Deutschlands leben?

Ich weiß es nicht, jedenfalls nicht mit dieser Ein­deutigkeit, die Welterklärer bevorzugen. Nach meiner Einschätzung präsentieren sich alle Men­schen, also auch die Wähler, mit ihren Erwartungen, Sehnsüchten und Ansprüchen in einer Vielfältigkeit, die ihnen oft selbst Sorge bereitet, sie ängstlich und bange werden lässt. Es ist alles viel zu viel und zu unübersichtlich für sie, selbst der private Raum nicht mehr ganz sicher. Die gespürten Verletzungen werden vor allem medial geschaffen durch öffentlich geäußerte Erwar­tungen und Verpflichtungen und durch die Erschaffung einer digital verpflichtenden Welt, die Zumutung provoziert, Menschen zwingt, sich permanent auf Unwägbarkeiten einstellen zu müssen.

Die Erfahrung der früher gepflegten Einheit und Konformität, die die Menschen zwar einerseits langweilte, allerdings aber auch beruhigte, veranlassen sie heute, in jedes für sie bild­haft bereitgestelltes Fahrzeug zu steigen, wenn dies die ehemals vertraute Ruhe verspricht und sich Gleichgesinnte darin befinden. Allerdings, wenn sie sich umschauen, werden sie nach ei­niger Zeit mit Erstaunen entdecken, dass sich Menschen im Wagen befinden, die voneinander abwei­chende Meinungen und Erwartungen haben. Was werden sie dann tun? Etwa austeigen? Das Fahrzeug wechseln? Wer weiß? Wer sind nun diejenigen, die die Menschen, Bürger, Wähler abholen und zum Einstieg in ihre Kutschen und Wagons verleiten oder nötigen?

Um im Bild zu bleiben, natürlich die Parteien. Für diejenigen, die ursprünglich nur eine Fahrt ins Blaue buchten, haben sie einen Chauffeur bestellt, Reiseziele benannt und verkaufen – um im Bilde zu bleiben – statt Rheumadecken ihre Programme. Bei Fahrten ins Blaue ist dies traditionell immer so, an Bord gelten die Regeln des Veranstalters. Doch nicht vergessen, ein jeder Reisende hat die Fahrt selbst gebucht. Fühlt er sich in seinen Erwartungen etwa dann enttäuscht, wird es niemanden geben, der ihn dafür entschädigt. Es entspricht lediglich seinem Motivirrtum, wenn er meint, er habe geglaubt, auf der Fahrt ins Blaue interessante Sonderangebote zu bekommen, tatsächlich aber feststellt, dass alle Angebote veraltet und durchschnittlich sind. Per­manent habe ein Vertreter des Reiseveranstalters auf ihn eingeredet, zur Ruhe sei er nicht gekommen, so wird er klagen, aber bereits nach kurzer Zeit sind wohl die Erinnerungen an seine gemachten schlechten Erfahrungen wieder verblasst. Eine neue Fahrt ins Blaue ist schon angekündigt, das Fahrzeug steht bereit und warum sollte er nicht mitfahren? Vielleicht ist dieses Mal alles anders.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Güte

Alles hängt vom Menschen und von seiner Einstellung zu sich selbst ab. Ist er mit sich selbst nicht „im Reinen“, wird es ihm kaum möglich sein, über seinen Schatten zu springen und die äußeren gesellschaftlichen Attribute von Marktmacht, medialer Öffentlichkeit sowie Frust und Kleinmut zu überwinden.

Diejenigen, die aus ihrer Integrität heraus handeln, Vertrauen schaffen und damit ideell wie auch wirtschaftlich erfolgreich sind, werden niemals die absolute große Macht für sich an­streben, weil sie wissen, dass ihre Aura kaum verletzbar ist.

Diejenigen, die aufgehört haben, Ansprüche zu stellen, und stattdessen geben, werden im Überfluss des ihnen selbst Dargebrachten alles einsetzen, um den­jenigen zu helfen, die es nötig haben. In einer Gesellschaft, in der jeder gibt, was er hat und mit anderen teilt, was er vermag, mutig und kühn seine Felder bespielt, werden andere ermutigt, mitzumachen; diese erfahren durch das Beispiel die Chance der eigenen Möglichkeit und so weiter.

Die Würde des Menschen ist unantastbar. Die Würde jedes einzel­nen Menschen wird nicht nur vom Staat geschützt, sondern gibt jedem Menschen das Recht, sich in dieser Gewissheit stolz und wohl zu fühlen, seine Fähigkeit zu entwickeln und nutzbringend für unsere Gesellschaft einzusetzen.

Die Menschen eines Landes, die mit sich selbst im Reinen sind, würden sich einander vertraut und sehr erfolgreich werden und dabei konziliant gegenüber anderen sein.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Geister treiben

Dem Gedichtband „Geister treiben“ der Lyrikerin Rosmarie Bronikowski entnehme ich zum Stichwort

Klimakonferenz

Festliche Untergangsstimmung 

Gletscher veranstalten Wettfahrt

Eisschollen werden prämiert

für die flüssigste Ausdrucksweise

Wohnhäuser stehn als Kulissen

Unwetter verformen den Boden

der Fisch schwimmt im eigenen Öl

Hat noch jemand eine Frage?

Applaus aus der Zuhörerschaft

Langstielig verbeugt sich die Rose.

Alle sind festlich vereint zum Untergang.

Zu guter Letzt verbeugt sich die Rose. Nur eine würdige Geste oder ein Hinweis darauf, dass im Untergang andere die Regie übernommen haben, der Mensch nicht mehr gefragt ist? Und wenn ja, lässt der Applaus darauf schließen, dass es vielleicht doch nicht so schlimm kommt, die Natur das Ruder herumreißt?

Die Erzählung „Erwin, die Seerobbe“, die Hans vom Glück verfasst hat, lässt dies vermuten. Für seinen Einsatz und die Hilfe zuversichtlicher Wesen dieses Planeten erhält Erwin den Nobelpreis für Klima- und Umweltschutz und äußert sich dabei in seiner Dankesrede wie folgt:

„Die Sprache ist der Schlüssel zum Leben. Sie erlaubt die Kommunikation zwischen dem Menschen, aber auch zwischen Menschen und anderen Lebewesen, wenn diese sich auf eine gemeinsame Sprache einlassen. Verdienstvollerweise versucht seit langem schon auch der Mensch unsere Sprache zu verstehen, aber auch wir – die Tiere – sind nicht untätig geblieben und haben den Durchbruch geschafft. Wir sprechen eure Sprache. Dass ihr uns das zutraut, wissen wir schon aus vielen Kinder- und Jugendbüchern, aber, dass wir nun tatsächlich mit euch reden können, sollte uns ermutigen, dieses Wissen aufzunehmen, Schulen einzurichten, in denen unser gemeinsames Anliegen gelehrt und verbreitet wird, um daraus bessere Handlungsmöglichkeiten für ein künftig ausgeglichenes Zusammenleben aller Bewohner unseres Lebensraums zu schaffen. Sicher verkenne ich nicht, dass der eine oder andere Angst davor haben mag, dass wir Tiere nun die Erde übernehmen, weil wir eure Sprache nutzen können. Das halte ich für unwahrscheinlich. Wie auch die Menschen früherer Zeiten, zum Beispiel Inuits oder Maori wollen wir leben, wo und wie wir sind. Wir sind nicht fortschrittsgläubig im menschlichen Sinne, nicht darauf aus, uns die Erde zu unterwerfen, sondern ihr üppiges Angebot in Konkurrenz und friedlichen Miteinander mit allen Lebewesen zu nutzen. Folglich liegt uns die Erhaltung der Welt am Herzen. Lassen Sie uns im Interesse aller Körperlichen und Unkörperlichen, Lebewesen und Nichtlebewesen auf dem Planeten und im ganzen unendlichen Universum diese Aufgabe gemeinsam angehen.“

Daraufhin gab es zunächst nur zögerlichen Applaus, aber dann standen alle auf und feierten gemeinsam den Beginn dieser erwartungsvollen Zusammenarbeit.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Vorbei

Mephistopheles lässt sich bei Goethe´s Faust so vernehmen: „Da ist´s vorbei!“ Was ist daraus zu lesen? „Es ist so gut, als wäre es nicht gewesen,…“

In fast allen mir bekannten Nachrufen auf verstorbene Menschen wird wortgewaltig versichert, dass man den Verblichenen immer in ehrender Erinnerung behalten würde, ihn nie vergessen und seine Leistungen auf Dauer gewürdigt bleiben würden. Und was geschieht dann wirklich? In der Regel dann: nichts, vorbei! Mag sein, dass eine Erinnerungstafel, der Grabstein, schriftliche Vermächtnisse oder auch Erbstreitigkeiten noch eine Zeit lang die Erinnerung an den Verstorbenen wachhalten, aber vom Menschen selbst bleibt nichts. Es ist vorbei. Warum mag das so sein?

Möglicherweise deshalb, weil Platz geschaffen werden muss für weitere Menschen mit ihren Beziehungen, Gedanken, Ansprüchen und Erfahrungen. Natürlich bleibt etwas vom Verstorbenen in dieser Welt, aber jede kommende Generation muss sich wieder befreien von der Elterngeneration. Dabei ist die Ahnung von der eigenen Sterblichkeit in dem Bemühen zu sehen, Verstorbene nicht abzuwerten, aber den Tod durch das Behaupten eines Erinnerungsversprechens zu überwinden. Dies wird aufgrund eigenen Interesses aber meist nicht eingehalten. So ist es also vorbei mit dem Leben eines Menschen, aber auch mit allem, was im Laufe des Lebens eines Menschen ohnehin sterblich ist. Dies gilt für Freundschaften, Ehen und viele Aktivitäten eines Menschen gleichermaßen. Aus dem Vorbei entsteht das Neue. Auch es ist von Anfang an bereits vorbei, irgendwann.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Denkfabrik

Sind manche Menschen unfähig, überhaupt zu denken, haben sie aufgehört zu denken oder benötigen sie nur eine Anleitung zum Denken? Sind andere Menschen, die in Denkschulen, Denkfabriken oder Denkbanken organisiert sind, im Grunde ihres Wesens für das Denken zuständig, weil wir ohne deren Hilfe und Anleitung zum richtigen Denken ein erwartbares Denkpensum überhaupt nicht erledigen könnten? Sind – so wage ich es kaum zu denken – manche Menschen auch denkfaul, herzensfroh, dass andere für sie denken? Könnte es vielleicht aber auch so sein, dass sozusagen in vorauseilender Erwartungshaltung manche so von ihrem Denken überzeugt sind, dass sie meinen, dass andere ohne ihre Gedanken nicht zurechtkämen und sie daher die Weichen zum sinnvollen Denken anderer Menschen zu stellen hätten oder deren Denken durch ihr eigenes Denken sogar überflüssig machen könnten, also das Eigendenken ersetzen könnten durch das Fremddenken? Aber, wer benötigt dies? Besteht für dieses Vorhaben eine Nachfrage? Wahrscheinlich schon.

Gedankenmärkte boomen. Ratgeber jeder Art zum richtigen Denken sind Bestseller, unzählige Talkshows und Podiumsdiskussionen vermitteln eine Flut von Gedanken. Manche davon sind in der Tat originell, die meisten aber bekannt und rückbezüglich, also in dem Sinne, als würde ich denken und sagen, was andere schon gedacht und gesagt haben. Schon deshalb müssten sie richtig sein. Man müsste ihnen also vertrauen können. So werden die Gedanken wie der alte Wein in „neuen Schläuchen“ attraktiv verpackt, als Neuerung gepriesen, unbeschadet jeden Realitätsstresses, der beweisen könnte, dass der Urheber des angeblich so neuen Gedankens sich schlicht und einfach einer neuen Begrifflichkeit bedient hat, um Gedankenprodukte auf den Markt zu bringen.

Gedanken, die in einem Sinnzusammenhang stehen, müssen das Denken anderer Menschen mitbedenken und sich einfügen in ein System des Denkens, das keinen Alleinstellungsanspruch für sich erhebt, denn im Angebot des Mitdenkens liegt eine Aufforderung an alle Denkwilligen, sich ebenfalls kritisch oder unterstützend mit ihrem Denkpotential in den institutionellen Prozess einzubringen. Das ist eine gute Möglichkeit, der Vereinsamung des Denkens zu begegnen und dabei auch unter Berücksichtigung der Umstände den ganzheitlichen Aspekt des Denkens zur Geltung zu bringen.

Denken ist nicht nur ein kognitiver, rationaler Vorgang, sondern auch ein emotionaler und schließt mehr ein, als die eigene Verortung im Denken, die durch Denkfabrikate geschaffen werden. Produkte jenseits unseres Verstandes, jenseits unseres Wissens und Erfahrung sind gefragt. Sie mehren unsere Vielfalt des Denkens, um auf diese zu gegebener Zeit bei entsprechender Nachfrage zurückgreifen zu können.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Media Overflow

Sollte ich etwa behaupten, dass es ein mediales Überangebot gäbe, würden mir wahrscheinlich etliche Menschen zustimmen. Einmal unterstellt, dies wäre richtig, so kommt es dabei, so meine ich, weniger auf das vielfältige Medienangebot an sich an, sondern vielmehr auf dessen Wirkung im Empfängerbereich. Die Empfänger, das sind letztlich wir, als die Konsumer aller medialen Botschaften.

Und wer sind wir? Wir sind die Menschen, die hochbegabt und emsig die technischen Voraussetzungen geschaffen haben, die das hohe Medienangebot ermöglichen und uns dessen Konsum auch zur Verfügung stellen. Und genau da scheint mir auch ein Problem aufzutauchen. Es ist so mit dem Konsum jeglicher Ware: Irgendwann macht er uns satt, wir haben genug davon und erkranken sogar an ihr. All dies ist auch bei dem Konsum von Medienartikeln nicht ausgeschlossen. Deshalb gibt es zunehmend Warnhinweise und nicht nur solche, die sich an Kinder richten.

Aber, wo beginnt das schwer konsumierbare, also schwer verdaubare Angebot? Meines Erachtens bereits mit dem medialen Erstkontakt. Weshalb? Weil wir Menschen weder über die Speicher, noch über ausreichende Verarbeitungsfähigkeit verfügen, differenziert und ganzheitlich permanente Medienangebote abrufbar zu speichern und zu verarbeiten. Wir behelfen uns mit der flüchtigen Lektüre, dem Wegdrücken von Informationen und der Einschaltung von KI zu deren jederzeitiger Reproduktion. Damit versuchen wir, einen Teil unseres eigenen an sich erforderlichen medialen Verarbeitungsprozesses auszulagern, allerdings ohne dabei zu berücksichtigen, dass dies vielleicht nur dann möglich sein kann, wenn uns bei Bedarf das richtige Stichwort wieder einfällt oder irgendjemand oder irgendetwas uns sagt, wo wir welche Informationen hinterlegt haben.

Dessen ungeachtet – so meine ich – nutzen Informationen sich auch ab, d. h. je mehr Informationen wir empfangen, desto mehr verlieren sie an Komplexität, erstarren in einem Muster, das uns selbst lediglich als Bestätigung des bereits Gehörten oder Gesehenen dient und passgerecht geformt wird. Dabei handelt es sich um einen sehr menschennahen Prozess der Vereinfachung und Bestätigung. Je umfassender das mediale Angebot ist, umso bereitwilliger filtern wir das nur uns Bekannte heraus und für den Rest gilt: ab in die Tonne.

So versuchen wir, der eigenen und letztlich auch der kollektiven medialen Überforderung zu entgehen und einen Rest von Sicherheit angesichts des ungeheuren medialen Angebots zu bewahren. Denn kein Mensch ist in der Lage, alles, was ihm medial angeboten wird, aufzunehmen, zu begreifen und gar zu verarbeiten. Die damit verbundene, aber unterdrückte Unsicherheit verstärkt den Prozess des individuellen Widerstandes gegen bestimmte Informationen und deren gemeinschaftlichen medialen Akzeptanz.

Dies schafft Konformität im medialen Konsum, in der Speicherung und der Verarbeitung. Damit wirken Medien entgegen ihrer Intentionen im Ergebnis antiliberal, ja, es ist sogar zu befürchten, dass die demokratische Pluralität und auch die individuelle Wesenheit des Menschen durch das Überangebot an medialem Einfluss erheblichen Schaden nimmt.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski

Der Mensch, das unbekannte Wesen

Kennen wir uns? Ich habe da mein Zweifel. Es scheint mir, dass in uns etwas steckt, was wir selbst nicht erkennen bzw. nicht erkennen wollen. Hat sich nicht jeder Mensch schon einmal dabei ertappt, dass er nicht nur schlecht über andere gedacht hat, sondern Menschen auch beschädigen wollte?

Ja, natürlich gibt es die soziale Kontrolle, die das Schlimmste verhindert. Wie sieht es aber mit der persönlichen Kontrollmöglichkeit aus? Bin ich, wenn ich etwas Schlechtes denke, ein schlechter Mensch? Kann ich, wenn ich einem anderen Menschen, die Pest an den Hals wünsche, noch harmlose Lieder mit meinen Kindern singen. Die öffentliche Wahrnehmung entspricht nur eingeschränkt dem Sein. Dieser Erkenntnis muss ich mich stellen, aber vermeiden, daraus falsche Schlüsse auf andere Menschen zu ziehen.

Jeder Mensch, auf den wir uns einlassen, weist die selbe Ambivalenz wie wir selbst auf und ist gerade deshalb – wie wir – auch darauf angewiesen, dass wir ihm Vertrauen schenken, damit er uns vertrauen kann. Was den Menschen in seiner Unberechenbarkeit ausmacht, ist nicht nur seine Erscheinung, sein physiologisches System, sein Verstand und sein Gefühl. Jede Zelle, jede genetische Botschaft, jede chemische und mechanische Irritation bestimmt den ganzen Menschen und sein Verhalten.

Das Schlimme ist wie das Gute, nicht das Ergebnis eines Gedanken- oder Empfindungsprozesses, sondern ein Aggregatzustand, der von äußerst komplexen Vorgängen gesteuert wird. Das mag nicht entschuldigen, aber erklären, weshalb Menschen oft auf eine für uns völlig unvorstellbare Weise reagieren, vor allem, wenn sie grausam sind. Auch, wenn wir das nicht verhindern können, hilft die Erkenntnis, die nicht moralisch belastet ist, mit der Bedrohung umzugehen, die dieser Mensch für uns alle und für sich darstellt. Die Erkenntnis entschuldigt nichts, da sie auf Vernunft beruht. Sie schafft Handlungsoptionen, die uns nachhaltig vor den Tätern in und außer uns schützen sollten.

Hans Eike von Oppeln-Bronikowski